Leberwurst. Ein Kult-Seller tauchte mal wieder auf.

Jedes Jahrzehnt bringt seine eigenen Verrücktheiten hervor. Es war in den 80er Jahren, da stürmte ein Trüppchen junger Damen auf dem Sonnenwall in einen „Sex-Shop“, veranstaltete darin allerhand Remmidemmi, beschädigte wohl auch den einen oder anderen Gegenstand.
Ein paar Minuten später nahm die Polizei die Personalien auf.
Die Mädels hatten sich nämlich nicht etwa aus dem Staub gemacht, sondern sich in etwa 40 Metern Entfernung in einem Straßencafé niedergelassen und mit Ausgelassenheit und Lautstärke ihre „Aktion“ gefeiert.
Die sich als „Frauenbewegung“ mißverstanden, waren eigentlich eine Töchterbewegung, und in diesem Fall hatten sie die Redensart vom „Vater Staat“ zu wörtlich genommen. Der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Zerfall befindlichen bürgerlichen Familie entstammend, wähnten sie sich sicher, daß kleine und große Dummdreistigkeiten kaum größere Sanktionen nach sich ziehen könnten, als hätten sie zu ihrem taschengeldzahlenden Herrn Papa „Du nervst, Alter!“ gesagt.
Als eine, die ebenfalls meinte, sich alles herausnehmen zu können, erlangte eine Hamburger Pubertätsperpetuiererin namens Svende Merian Berühmtheit. Aus Enttäuschung über einen Liebhaber schmierte sie mit Farbe für alle Welt sichtbar auf ein Fenster seiner Wohnung den Spruch „Hier wohnt ein Frauenfeind“.
Es wäre weniger hochtrabend, dafür zutreffend (aber immer noch strafbar) gewesen, hätte sie mitgeteilt, daß dort einer wohnte, von dem als Liebhaber sie enttäuscht war – wobei dann aber immer noch eine Reflexion darüber gefehlt hätte, ob die Enttäuschung aus dem Angebot des Liebhabers oder aus eigenen falschen Erwartungen resultierte. Aber nein: der Beziehungsknatsch mußte als Weltereignis präsentiert werden. In dem Wahn, alle Frauen der Welt zu verkörpern, erklärte sie als mangelhaft empfundene Zuwendung zur Feindlichkeit und den enttäuschenden Liebhaber zum Feind aller Frauen, etwa nach dem Motto: Was du mir vorenthalten hast, hast du allen Frauen vorenthalten – ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, ob eine oder alle Frauen das, was ihnen da durch die Lappen gegangen sein mag, überhaupt verlangen können.
Sie hat es aber nicht bei dieser einen Schmiererei belassen, sondern ein Buch geschrieben, dem sie den sinnigen Titel „Der Tod des Märchenprinzen“ gab.
Der „Märchenprinz“ hat allerdings keineswegs den Tod erlitten – weder im wahren Leben, noch hat sie ihre dichterische Freiheit dahingehend genutzt, ihn abweichend vom wahren Geschehen eines fiktionalen Todes sterben zu lassen. Hatte sie eine literarische Abschlachtung im Sinn, einen Ruf-Mord? Seltsam ist der Titel auch deshalb, weil die Autorin, die sich als emanzipiert und progressiv geriert, unfreiwillig ihre gar zu kitschigen Illusionen zu erkennen gibt. Die Emanzipation der Frau will sie verkörpern, und einen „Märchenprinz“ wünscht sie sich – nicht wissend, daß Märchenprinzen immer nur vor dem Happyend glamourieren, danach aber bloß vor dem Fernsehkasten sitzen und Fußball gucken (beziehungsweise ihre Pflichten als Thronfolger erfüllen und dauernd irgendwelche Pferderennbahnen einweihen müssen).
Das Buch erschien 1981 im Buntbuch-Verlag, der dem KB-Nord und der Zeitung AK nahestand. In diesem Umfeld tat sich Svende Merian um. Die Organisation hatte ihren Anhängern und -innen Subjektivität und Emotion verordnet, weil es sonst mit dem „subjektiven Faktor“ nicht so richtig seine Richtigkeit gehabt hätte – und damit Anhängerin Svende in eine fatale Lage bebracht. Die Handlung des Tatsachenromans beginnt damit, daß sie in der Szenezeitschrift Oxmox eine Anzeigt aufgibt, in der sie einen „unmännlichen Mann“ sucht. Ein „unmännlicher Mann“ ist so etwas wie ein schwarzer Schimmel oder ein rundes Quadrat – etwas, was es per definitionem gar nicht gibt. Dennoch meldet sich einer namens Arne, und das Desaster nimmt seinen Lauf.
Unter der Diskrepanz von Kitschromantik und alternativ-feministischen Bewußtseinsschablonen erweist sich Protagonistin Svende schlicht als beziehungsunfähig. Einen „Polizeibericht“ in „feministischen Amtsdeutsch“ nannte der Spiegel die Chronik einer zum Scheitern verurteilten Romanze. Christian Schultz-Gerstein protokollierte (Spiegel 26/1981): „Sie beschreitet … das, was sie für den feministischen Dienstweg hält. Arne wird von Svende pausenlos verhört – zur Frauenfrage, zur Verhütungsmittelfrage, zu seinem ‚Mackerverhalten‘. Die selbsternannte ‚Radikal-Feministin‘ lauert auch dem geringsten seiner Worte auf. … Er wird gleich nach frauenfeindlichen Hintergedanken durchsucht… Auch im Bett wird das Liebes-Verhör fortgesetzt, Indizienbeweise für Arnes Frauenfeindlichkeit werden gesammelt.. Während die Beziehung ‚abläuft‘, führt Svende eine Strichliste über Arnes ‚Schweinereien‘, ‚damit ich auch keine vergesse‘… Da er jedoch die ‚Gefühle‘, die sie in ihn ‚investiert‘ hat, ebenso nicht zurückerstattet wie ihren ‚Vertrauensvorschuß‘, erscheint Svende ihm schließlich als Gerichtsvollzieher, der Arnes Menschklicheit pfändet… Wenn aber Arne ‚das frauenfeindlichste Schwein‘ ist, das ihr je unterkam, warum jagt die ‚Radikal-Feministin‘ den Typen dann nicht einfach zum Teufel? … ‚Irgendwie‘ und ‚plötzlich‘ und sie weiß ja auch nicht warum, man müßte das mal konkret diskutieren ‚in meinen ganzen Zusammenhängen, Widersprüchlichkeiten, früheren Erfahrungen und so weiter‘.“ Und er resümierte: „Wer sich tagaus, tagein in irgendwelchen Politgruppen ‚schwerpunktmäßig engagiert‘, wer nicht mit anderen Leuten zusammensein kann, ohne den Vorsatz zu fassen, sich ‚kommunikativ zu integrieren‘, wer niemanden lieben kann, ohne pausenlos Gefühle … ‚aufzuarbeiten‘ oder sich … in die Beziehung ‚einzubringen‘, wer wie die alternative Svende und viele ihrer Leser aus der Szene unter dem ständigen Druck steht, sich politisch ‚richtig‘ zu verhalten, der muß sich einfach nach Liebe und Selbstverständlichkeit sehnen. … Was ist das für eine Auffassung von politischer Arbeit und Emanzipation, die in der Alternative Lust oder Feminismus gipfelt? Es ist die Version der ‚emanzipierten‘ Mitläufer, die aus lauter Furcht, das Falsche zu sagen oder zu tun, sich ängstlich und im Jargon richterlicher Verfügungen an das klammern, was sich alternativ gehört.“
Die Autorin hat – man möchte sagen: verdienstvollerweise – diesen ganzen hohlen, scheppernden, aufgeblasenen, sterilen Jargon der „Szene“ vorgeführt. Sie tat es, ohne es zu merken.
Christa Bernuth (Spiegel 51/1995) sah in der „sich progressiv gebärdenden Autorin Svende Merian“ eines jener „Klageweiber alter Schule, die Männern in die Schuhe schieben wollten, was sie selber zu verantworten hatten – Mißgriffe bei der Partnerwahl etwa“, und sie zählte sie zu den „Propagandistinnen weiblichen Selbstmitleids“, die an pubertierende Mädels erinnern „und – wiederum so ätzend typisch weiblich – jede kleine Seelenblähung zum Anlaß weitschweifig-weinerlicher Erörterungen nimmt.“ Und sie beklagte – sicherlich auch bezogen auf den „Tod des Märchenprinzen“: „Ärgerlich an diesen Null-Storys ist ja nicht nur der eklatante Mangel an erzählerischer Phantasie (daß Mann immer im Mittelpunkt weiblichen Erlebens stehen muß, reduziert die Handlungsmöglichkeiten auf altbekannte Konstellationen). Vielmehr erfüllen sie … auch noch freiwillig alle Klischeevorstellungen männlicher Stammtischbrüder über weibliche Dämlichkeit… Wirklich deprimierend ist jedenfalls nicht nur die mangelhafte literarische Qualität dieser Romane, sondern ihr riesiger Erfolg.“
In der Frankfurter Rundschau wurde jetzt anläßlich der Neuausgabe von „Der Tod des Märchenprinzen“ erörtert, seinerzeit sei das Werk vom Buntbuch-Verlag so veröffentlicht worden, wie die Autorin es eingereicht hatte, ohne Lektorierung. Man habe sie „ins offene Messer rennen lassen“. Ach. Man stelle sich vor, jemand hätte es gewagt, der Autorin vorzuschlagen, ihr Manuskript zu lektorieren! Damals war viel von „Authentizität“ die Rede, und das war allzu oft bloß eine Tarnung für Dilettantismus. „Ihr jüngstes Buch schrieb sie schon weitgehend in ihrer Muttersprache“, spöttelte der Spiegel 1983 über die Fortentwicklung der Autorin.
In der Tat: Nach dem „Tod des Märchenprinzen“ konnte die Autorin an ihren Erfolg nicht mehr anknüpfen. Das Publikum, das solche Werke wie „Der Tod des Märchenprinzen“ „verschlingt“, ist nicht an Literatur interessiert, sondern bloß an dem Palaver, besonders gern dann, wenn der Hintertreppentratsch als „gesellschaftskritische“ bzw. „frauenpolitische Debatte“ getarnt wird.
Schärferer Spott ging auf die Autorin und ihr Werk nieder, als 1983 im selben Verlag eine „Entgegnung“ erschien: „Ich war der Märchenprinz“, allerdings nicht etwa verfaßt vom Roman-Arne, sondern unter dem Pseudonym „Arne Piwitz“ vom Kabarettisten Henning Venske. Zitat: „Beim ersten Spaziergang an der Elbe in Hamburg-Altona erzählt Svende, daß sie sich ‚im letzten halben Jahr selber aktiv isoliert‘ habe und dabei sei, sich eine ‚fundierte Einschätzung des historischen Faschismus zu erarbeiten‘. Sie blubbert und blubbert.“ Schlußsatz: „Ich bin nicht gegen Frauen, aber gegen das, was diese Frau im Kopf hat.“
Auch durch diese Vernichtung fühlte die Autorin sich erhoben: „Die Retourkutsche auf ihren ‚Märchenprinzen‘ nimmt Svende Merian als ‚Kompliment‘. Sie findet sich ‚genial parodiert‘ und ‚fiel vor Lachen unter die Bank‘.“ (zitiert im Spiegel 50/1983).
Eitelkeit kann so weit gehen, vernichtenden Spott als Aufmerksamkeit zu genießen.
In der Wahrnehmung der Realität gestört, konnte der Autorin nicht aufgehen, was sie mit ihrem Buch angerichtet hat. In schlechtem Deutsch offenbarte sich auch ein – sagen wir mal höflich: unfertiger Charakter. Nicht nur gescheitert mit dem Versuch, ein literarisches Werk zu hinterlassen, scheiterte sie auch mit dem Versuch, einen Begriff von Emanzipation zu erfassen. Sie hat – wie so viele – nicht gewußt, daß emanzipatorische Kritik zuallererst Selbstkritik zu sein hat und daß die Emanzipation der Frau zuallererst Emanzipation von tradierten Sozialisationstypen wie Zicke, Xantippe und dumme Gans zu sein hat – anstatt diese Klischees auch noch als Widerstandsformen im sogenannten Geschlechterkampf zu preisen. Sie hat – wie alle Gegner und fast alle Freunde der Frauenbefreiung – nicht gewußt, daß es zum Wesen von Gleichberechtigung und Gleichstellung gehört, daß all die Charaktertugenden, die man beim Manne schätzt, auch der Frau abzuverlangen sind. Sie hat nicht gewußt, daß Emanzipation damit beginnt, daß Frauen zu Kavalieren werden: diskret und zuverlässig – und daß der größte Schuft im ganzen Land nun einmal der Denunziant ist.
Svende Merian gehört in die reichlich bestückte Galerie überschätzter Personen. Ein schlechtes Buch mit einem miesen Anliegen ist keine Rede wert. Nicht die Autorin ist der Skandal, sondern die Rezeption.
Daß das Publikum einer beleidigten Leberwurst abnimmt, die Menschheitsgeschichte in der Hand zu halten! Daß das Publikum einer unreifen Person nachsieht, daß sie auf Glas und Papier verleumderische Schmiererei hinterlassen hat! Daß das Publikum jubelt, wenn eine unreife Person aus Rachsucht Denunziatiönchen über einen enttäuschenden Liebhaber ausläßt, und sei es, daß er bloß ein langweiliger Hallodri war. Denn mehr ist diesem Arne nicht vorzuwerfen, als daß er seine Svende nicht weniger gelangweilt hat als sie ihn (und er ist ja auch nicht viel anders als sie). Mein Mitleid mit dem hält sich allerdings in Grenzen. Er ist – vermute ich sehr – gar zu viel selbst involviert in die Muster des Milieus und äußert sich doch bestimmt im selben Jargon. Wer sich auf die Suche nach dem „unmännlichen Mann“ einläßt, hat die Zicken, Xantippen und dummen Gänse auf sich gelockt. Doch vielleicht tu ich ihm Unrecht. Daß er partout kein „Märchenprinz“ sein wollte, ist vielleicht als Akt der Verweigerung zu werten – ein Lichtblick in diesem ganzen Kitschdrama falscher Gefühle.
Nicht das Buch, aber sein Erfolg eröffnet Abgründe, in denen das Scheitern eines Aufbruchs zu erahnen ist, der einmal zu mehr Menschlichkeit führen sollte. Steckengeblieben ist er in einem Morast unmenschlicher Konventionen: Alles, was Sie unter dem Siegel der Intimität von sich preisgeben, wird später in aller Öffentlichkeit gegen Sie verwendet. Eine Bewegung, der der Sinn für simplen Anstand fehlt, kann nicht den Weg zu mehr Menschlichkeit finden, sondern zur permanenten Überwachung eines jeden durch jeden. Sie erfüllt das spießbürgerliche Ideal von „Freiheit“, einem allgegenwärtigen Gefängnis, in dem jeder Gefangener und Wärter in einer Person ist.
Die Erkenntnis, daß „das Private politisch ist“, wird als Vorwand mißbraucht, das Recht auf Privatheit zu verwehren, anstatt zu beanspruchen, daß das Ideal der allseitig entwickelten Persönlichkeit sich in der Bewußtheit des Privaten ebenso verwirklicht wie in der Bewußtheit des Politischen. Man stelle sich vor, aus der Erkenntnis, daß die Ernährung politisch ist, würde man folgern, daß niemand das Recht hat zu essen.
Wie hätte denn dieses Publikum reagiert, wenn irgendein enttäuschter Liebhaber heimliche Aktfotos seiner Exfreundin bundesweit auf Litfaßsäulen gezeigt hätte und druntergeschrieben hätte, daß sie eine Niete ist und überhaupt das „größte Schwein ist, das ihm je unterkam“? Würde die Begeisterung dann auch grenzenlos sein?
Aus Emanzipation kann nie etwas werden, wenn Charakter mit verschiedenen Maßstäben gemessen wird.

Die Neuausgabe von „Der Tod des Märchenprinzen“ erschien im Axel-Springer-Verlag. Auch das noch!

Aus DER METZGER Nr. 92 (2010)
Fortsetzung morgen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert