Artikel in der Jungen Welt

Das stand am 10. August in der Jungen Welt:


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Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung spottet

„Schön, daß das Thema jetzt wieder in den Schlagzeilen ist… Unterhaltung auf niedrigem Niveau hat bei uns schließlich traditionell starke Quoten.“ Worüber spottet die Kommentatorin in der WAZ? „Frau Schröder und Frau Schwarzer streiten sich über Emanzipation. Und Schluß. Eigentlich ist das doch schon Glosse genug.“
Contra Kristina Schröder: „Wenn die Ministerin sich nun gegen Frauenquoten wendet, ist das nicht eigentlich unglaublich dumm? … Man sollte doch nicht den Ast absägen, auf dem man sitzt.“
Contra Alice Schwarzer: „Wer hätte das gedacht, daß Alice Schwarzer sich noch mal mit so einer Diskussion abgibt – die hat doch wahrlich genug anderes zu tun. Der Kachelmann-Prozeß, die ganzen Spiel-Shows. Und jetzt wieder Frauenrechte? Das ist ja fast so, als würde Rosi Mittermaier wieder auf die Skier steigen.“
Das kann man so nicht sagen. Rosi Mittermaier, immerhin, konnte was.

Nicht nur die WAZ, auch die Rote Fahne der MüllPD ist auf Alice Schwarzer nicht mehr gut zu sprechen: „Als Alice Schwarzer in den 1970er Jahren mit vielen anderen Frauen zusammen gegen den §218 mobil machte, Pornographie … anprangerte, da wurde sie von den reaktionären Geistern dieser Republik noch übel beschimpft. Dagegen solidarisierten wir uns mit ihr. Sie selbst aber führte sich mit zunehmender Penetranz als Oberlehrerin sämtlicher Frauen auf, erklärte den ‚Geschlechterkrieg‘ zum einzig wesentlichen Widerspruch in der Gesellschaft und fand dafür zunehmende“ (schon wieder: „zunehmend“!) „Anerkennung – nur immer weniger bei kämpferischen Frauen – dafür aber bei den Herrschenden. Ein auf diese Weise zahnlos gewordener, von anderen sozialen Bewegungen … abgesonderter Feminismus ließ sich hervorragend ins gesellschaftliche System integrieren.“
Die merken aber auch alles! Aber Erkenntnisse, die reichlich spät kommen, kommen zu spät, wenn man nicht merkt, daß sie reichlich spät kommen. Andere haben jedenfalls erkannt, daß sie der Frau Schwarzer früher mal auf den Leim gegangen sind, daß die zunehmende Oberlehrerin nie etwas anders war als die Selbstdarstellerin in eigener Sache, ein Klischee, und immer schon reaktionär (DER METZGER 28, 29, 30 – 1978/79). Das könnte man wissen (wenn man nur die richtigen Zeitungen lesen würde). Für ihr „Anprangern der Pornographie“ wurde sie keineswegs von irgendwelchen Geistern (reaktionären solchen) „beschimpft“, sondern von Künstlerinnen und Publizistinnen kritisiert (siehe DER METZGER 41).
Kristina Schröder, derzeit Ministerin, wurde mit 12 Jahren bei der Jungen Union vorstellig, weil sie für Helmut Kohl schwärmte. Hatte die sie noch alle auf dem Kastenmänneken? Bei der hat man den Eindruck, daß die zwölfjährig geblieben ist. Das ist doch gar nicht so unemmamäßig! Wie sagte einst Katharina Rutschky: „Alle Emmas treffen sich an einem Ort, wo sie ewig zwölf Jahre alt sind.“
Die Aufgeregtheit der Frau Schwarzer über die 12jährige des Kabinetts reizt zum Mißtrauen. Hat Alice Schwarzer nicht einst die Kanzlerschaft von Frau Merkel als den „wahren Systemwechsel“ gefeiert?

Wir waren auf der Libertären Medienmesse

Die 2. Libertäre Medienmesse fand an dem Wochenende von 24.-26. August 2012 in Bochum im Kulturzentrum Bahnhof Langendreer statt (s.u.).


Wir waren da. Die SITUATIONSPRESSE mit dem FLIEGENDEN KOFFER hatte einen Messestand.
Unser Stand war nicht sehr groß. Wenn man zu zweit mit der S-Bahn anreist, kann man eben nur so viel ausstellen wie man im Handgepäck transportieren kann. Aber das war schon ganz ansehnlich.

Messestand, von der Basis aus gesehen

Wir hatten auch nicht den idealen Standplatz: in „Saal 2“, und auf der Empore, also etwas abgelegen. Dieser Nachteil hatte aber auch einen Vorteil: daß man sich etwas abseits vom Geschiebe besser mit interessierten Leuten unterhalten konnte und die interessierten Leute mehr Ruhe hatten, sich unsere Exponate anzuschauen. Unsere direkten Nachbarn (sehr nette Menschen) waren der Verbrecher Verlag und Kinder des Sisyfos Freundeskreis Erasmus Schöfer (der war auch da).
Vorbereitung und Durchführung der großen Veranstaltung lagen in den Händen von nur wenigen Männern und Frauen, aber die haben das sehr gut gemacht. Alles hat geklappt, alles war gut vorbereitet, es gab keine Nervosität, keine Hektik und keine Pannen. Das Publikum war auch sehr angenehm. Die ungewöhnlichen und mitunter gewagten Angebote auf unserem Stand stießen auf viel Interesse und wenig Skepsis. Überhaupt lag Freundlichkeit in der Luft. Die Spinner, Umkehrprediger, Selbstdarsteller und Besserwisser, die eine solche Veranstaltung zwangsläufig auch anlockt, sind zumindest nicht bis zur Empore im zweiten Saal vorgedrungen.
So eine von A bis Z erfreuliche Veranstaltung erlebt man gern von Anfang bis Ende. Aber wir konnten leider nur an den ersten beiden Tagen dabeisein.
Eine dritte Libertäre Medienmesse in einem Jahr wäre zu wünschen. Sollte eine solche stattfinden, würde hier rechtzeitig auf sie aufmerksam gemacht, und wir wären, falls wieder willkommen, gern wieder mit von der Party.

P.S.: Dieser Auftritt war eine angenehme Kompensation für den Ausschluß unseres traditionellen Büchertisches vom Ostermarsch durch das Duisburger Friedensforum.

Auf den Mond können sie fliegen…

In Erinnerung an den Menschheitspionier Neil Armstrong, der 2003 hundert Jahre als geworden wäre, wenn er 1903 geboren worden wäre.

Bekanntlich hat „der Mensch“ im Jahre 1969 den Mond betreten. Eigentlich waren es ja nur wenige Leute, die auf dem Mond beschwerlich herumgetappst sind, aber der erste von ihnen betrat den Mond mit einer in poetischen Worten formulierten Beteuerung, es stellvertretend für die ganze Menschheit zu tun. Kann es vielleicht sein, daß diese in poetischen Worten formulierte Beteuerung auch dazu diente, die Frage nach dem wissenschaftlichen Nutzen des Apollo-Programms gar nicht erst aufkommen zu lassen? Wenn Sie es wissen, brauchen Sie es mir nicht zu sagen. Ein Jahr vor der Mondlandung war der Film „2001 Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrick in die Kinos gekommen. Das Jahr 2001 ist inzwischen vorbei, und wir haben wahrnehmen können: die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war. 2001 wäre niemand auf die Idee gekommen, zu sagen: „Wir empfangen rätselhafte Signale vom Jupiter, da fahren wir mal hin und gucken uns das mal an.“ Denn im wirklichen Jahr 2001 waren die Reisekostenetats schon arg zusammengestrichen. So wissen wir also, was die Abkürzung NASA bedeutet: Nothing achieved since Apollo.
In Nordkorea, so höre ich, haben die Leute bis heute nicht erfahren, daß „der Mensch“ den Mond betreten hat. Anderswo hat man es fast schon vergessen. Aber in den Jahren nach 1969 war der moderne Mensch in erstaunlicher Weise fähig, die Mondlandung auf das eigene Leben zu beziehen. Sie diente ihm keineswegs als Symbol für den Fortschritt, sondern als Symbol für die Unvollkommenheiten des Daseins. „Auf den Mond können sie fliegen, aber…“ war eine gebräuchliche Redewendung. Wenn irgendwo ein Loch im Asphalt war, das nach anderthalb Jahren immer noch nicht ausgebessert war, wurde gesagt: „Auf den Mond können sie fliegen, aber die Straße ausbessern können sie nicht!“ Oder man hörte: „Auf den Mond können sie fliegen, aber mal dafür sorgen, daß die Papierkörbe im Stadtpark geleert werden, das können sie nicht!“ Dabei blieb unberücksichtigt, daß diejenigen, die die Mondlandung zuwegebrachten, keineswegs für das Ausbessern von Schlaglöchern zuständig waren, beziehungsweise daß die, die sich als unfähig erwiesen hatten, die Papierkörbe im Stadtpark zu leeren, wohl auch das Apollo-Projekt zum Scheitern gebracht hätten. Man dachte damals eben, daß das Leeren von Papierkörben ein Menschheitsprojekt ist. Manch einer hatte sich von der Mondlandung versprochen, daß dadurch die Straßen besser werden, und sah sich anschließend enttäuscht. So können Illusionen zerplatzen!
Wie komme ich eigentlich darauf? Ich wollte doch etwas ganz anderes erzählen. Seit Urzeiten denken die Philosophen darüber nach, was zuerst da war: Der Dosenöffner oder die Konservendose. Wir wissen nicht zuverlässig, ob die Menschheit erst vor Regalen voller Konservendosen stand und sich fragte: „Wie kriegen wir die Dinger bloß auf?“, oder ob der Mensch mit dem Dosenöffner in der Hand dastand und rief: „Auf den Mond können sie fliegen, aber die Konservendose erfinden, das können sie nicht“. Egal! Ob der Mensch zuerst mit der Dose oder mit dem Öffner allein war: erst die Erfindung des Anderen machte das Eine zum Segen.
Die Erfindung der Schrift nutzte dem Menschen nicht viel. Kaum hatte er begonnen, etwas aufzuschreiben, war das Blatt auch schon zu Ende. Das war die Epoche der kurzen Mitteilungen, etwa: „Der Kaffee schmeckt köstl“ oder „Was du heute kannst bes“ oder „Verboten W“. Erst mit der Erfindung des Zeilenumbruchs begann die Epoche, in der die Gedanken zu Ende geführt werden konnten, und die Menschheit erfuhr endlich, daß der Kaffee köstlich schmeckt, daß es verboten ist, Walküren zu kneifen und daß das, was du heute besorgen kannst, getrost auf morgen verschoben werden darf. Es war ein simpler Trick, aber die Idee, bei Erreichen des rechten Randes auf der Seite einfach eine Zeile darunter am linken Rand weiterzuschreiben, mußte natürlich gegen massiven Widerstand durchgesetzt werden. Es hieß: „Wenn man immer wieder links anfängt, wo kommen wir da hin!“
Die Erfindung des Zeilenumbruchs sollte nicht geringer geachtet werden als die Erfindung der Schrift selbst. Damit sind aber nicht alle Schwierigkeiten beim Schreiben bewältigt.
Das Schreiben bleibt, auch mit Zeilenumbruch, ein linearer Akt. Man schreibt auf einer gedanklichen Geraden. Dabei macht es große Schwierigkeiten, daß das Tempo des Denkens und das Tempo des Schreibens verschieden sind. Gemessen am Schreiben geht das Denken viel zu schnell, und gemessen am Denken geht das Schreiben viel zu langsam. Vor allem aber haben Denken und Schreiben verschiedene Dimensionalität. Das Denken ist keineswegs linear. Aber ist ein Gedanke, der sich nicht niederschreiben läßt, überhaupt ein richtiger Gedanke?
Das sind die Umstände, die das Schreiben so schwierig machen. Mir zum Beispiel fällt das Schreiben schwer. Ich bin mir allerdings sicher, daß jemand, dem das Schreiben leichtfällt, niemals als Schriftsteller etwas taugt.
Einer hat die Schwierigkeiten mit der Verschiedendimensionalität von Schreiben und Denken auf eigenwillige Weise überwunden: Arno Schmidt mit „Zettels Traum“. Mit seiner nichtlinearen Schreibweise hat er allerdings die Last, die er sich als Schreiber ersparte, dem Leser aufgeladen.
Dieser Text ist eine große Glosse für mich, aber nur eine kleine für die Menschheit.

Bissingheim

Warum Bissingheim Bissingheim heißt und wer da wohnt, will Margarete Unverzagt wissen (Kommentar zu „Das Foto zum Zwanzigsten“).
„Bissingheim“ könnte ein Synonym für „Abgeschiedenheit“ sein. Der Stadtteil im Duisburger Süden ist im Norden, Süden und Osten vom Wald umgeben und grenzt im Westen an den riesigen (stillgelegten) Wedauer Rangierbahnhof.
Bissingheim wurde von 1916 bis 1920 als Siedlung für Kriegsverletzte gebaut und benannt nach dem Gründer des „Vereins Mustersiedlungen für Kriegsbeschädigte“, dem preußischen General Moritz von Bissing (nach dem ist auch Bissingheim, Ortsteil von Hagen, benannt).
Zur gleichen Zeit wurde auch Wedau (auf der westlichen Seite des Rangierbahnhofs) als Eisenbahnersiedlung errichtet. Auch Bissingheim wurde zu einer reinen Eisenbahnersiedlung.
Die Stadtteile sind nicht „gewachsen“, sondern wurden „in einem Guß“ geplant. Beide Orte haben ein einheitliches Bild. Im Unterschied zu Wedau wurde Bissingheim kaum erweitert. Bissingheim und der Ortskern von Wedau haben ihren altmodisch-dörflichen Charakter erhalten. Die Eisenbahnersiedlungen unterschieden sich von den „Mietskasernen“ der um die großen Fabriken Es wurden großzügig Flächen für Gartenwirtschaft und Kleinviehhaltung eingeplant.
Da der Bahnhof und das Ausbesserungswerk stillgelegt wurden, wohnen dort kaum noch aktive Eisenbahner, aber noch viele Eisenbahnpensionäre. Bissingheim ist ein Alte-Leute-Viertel. Die Bahn hat ihre Immobilien verkauft, die Wohnungen sind also nicht mehr Bahnbeschäftigten vorbehalten. Wer nach Bissingheim ziehen will, hat wohl einen Hang zur kollektiven Einsiedelei.
Wedau und Bissingheim und der Rangierbahnhof liegen auf einem Gebiet, das vorher dem Grafen Spee gehörte. Der war durch die Bewirtschaftung seines riesigen Grundbesitzes schon sehr reich. Aber der Flächenbedarf für die Ansiedlung von Industriewerken und Wohnraum für die wachsende Bevölkerung machte ihn noch reicher.


Der Wedauer Bahnhof war der größte Rangierbahnhof der Welt (Foto: heutiger Zustand). Wegen des Eisenbahnanschlusses wollte Krupp sein Hüttenwerk im Norden von Wedau ansiedeln. Dann entschied er sich aber für den Stadtort Rheinhausen. Das Gelände zwischen Kalkweg und Masurenallee überließ er der Stadt für die Errichtung von Sportanlagen („Sportpark Wedau“). Wo das Wedaustadion und der Regattasee liegen, sollten zuerst Hochöfen hin. Krupp nutzte das Gelände für Werkswohnungen und für das Ablagern von Hochofenschlacke.


Auf dem Schlackeberg (Foto) hat man seine Ruhe. Kaum jemand kommt auf die Idee, da hochzuklettern (obwohl das keine alpinistische Höchstleistung verlangt). Darum kennt kaum noch jemand die Flak-Anlage (Foto), die seit dem Kriegsende vor sich hin verwittert.

Heute ist diese Anlage von Bäumen und Sträuchern verborgen. Als junger Mensch habe ich die Flak-Anlage entdeckt und hatte von dort einen Überblick über große Teile des Duisburger Südens. Dorthin hatte man 15jährige Jungens postiert, um sie zu verheizen für den Führer, das Arschloch.

Betrachtungen zum Bikini an Bushaltestellen

Nein: „Betrachtungen an Bushaltestellen zum Bikini“ muß es heißen.


Die Reklame, die jetzt wieder an jedem zweiten Bushaltestellenwartehäuschen zu sehen ist, verstehe ich nicht. „Gutgebaute“ junge Damen im Bikini. Angepriesen und mit Preisangabe versehen wird aber nur das Bikini-Top!


Per definitionem – und das wird durch das Bild durchaus bestätigt – besteht der Bikini als zwei Teilen.
Wir durften eine Zeit erleben, in der alles in Frage gestellt wurde – so auch die Zweiteiligkeit des Bikinis. Plötzlich gab es Bikinis, die nur noch aus einem Teil bestanden, nämlich dem unteren. Der obere Teil wurde ersatzlos abgestreift! „Oben ohne“ nannte man das.
Sind aus der Oben-ohne-Ära vielleicht viele Tops ungenutzt liegengeblieben, die jetzt an die Frau gebracht werden müssen? Müssen die sich den Unterteil dann selber stricken?
Daß sich als neue Mode eine Bikini-Variante durchsetzt, die nur noch aus dem Oberteil besteht, will ich nicht hoffen! Ein solcher „Bikini“ würde ein disproportionales Bild erzeugen! Ein Bikini nur aus einem Oberteil bestehend? Nein, das sieht nicht aus. Wenn der untere Teil verschwunden ist, muß der obere Teil schon vorher verschwunden sein. Denn bei der Entkleidung in erotischem Kontext ist die Reihenfolge von entscheidender Bedeutung.
Den Damen, die Wert darauf legen, daß man ihren nackten Hintern sieht, steht zu diesem Behufe als vortreffliches Hilfsmittel der Tanga zur Verfügung. Der ist – wegen des Stoff-Winkels – weitaus wirksamer als etwa der G-String, der ebenfalls ein disproportionales Bild erzeugt, weil er die Körperlinien an unpassender Stelle unterbricht (ich kann die Dinger nicht leiden).
Noch irritierender finde ich Darstellungen von nackten Frauen, die Schuhe tragen (hochhackig). Ganz nackig, aber noch Schuhe an? Da sehe ich überhaupt keinen Sinn drin! Wollen die nackig auf die Straße gehen?
Hören Sie die Erinnerungen eines schüchternen, aber genußfähigen Erdenmannes:
Es ist gelegentlich vorgekommen, daß Frauen sich vor mir ausgezogen haben. Sie taten es, um mir eine Freude zu machen – und auch zu ihrem eigenen Vergnügen. Sie waren nicht alle miteinander bekannt und können sich folglich auch nicht abgesprochen haben. Aber bei ausnahmslos allen begann die Entkleidung damit, daß sie sich die Schuhe auszogen. Eine nackte Frau mit Schuhen an den Füßen habe ich in natura noch nie gesehen.

Lina G.

Und bei ausnahmlos allen endete die Entkleidung nie mit dem BH. Der BH war immer spätestens das vorletzte Kleidungsstück, das abgelegt wurde, und jedesmal kam erst zuallerletzt der Hintern zum Vorschein.
Und so ist das auch richtig.

Wir bleiben im Bahnhof

Vor Jahren wurde in Duisburg-Neumühl der leerstehende und ungenutzte Vorort-Bahnhof besetzt.
Über den ganzen Zusammenhang von Haus- und anderen Besetzungen, kapitalistisches Bodenrecht et cetera pepé müssen wir uns hier nicht lange unterhalten. Selbstverständlich war die Besetzung des Neumühler Bahnhofs richtig, um das vorauszuschicken.
Der Neumühler Bahnhof war lange in der Hand der Besetzer; ich glaube, länger als ein Jahr. Es fanden sich dort auch viele Gäste und Hausbesetzungstouristen ein. Es gab dort auch Veranstaltungen.
Der Slogan der Aktion lautete: „Wir bleiben im Bahnhof“. Das Anliegen, das in diesem Slogan zum Ausdruck kam, wurde ins Land hineingetragen.
Eines Tages war auf die Mauer der Trinkhalle auf dem Ludgeriplatz in Neudorf die Parole gesprüht worden: „Wir bleiben im Bahnhof“.
Für die Wandbesprüher war das Vorhaben, im Neumühler Bahnhof zu bleiben, von existentieller Wichtigkeit. Für den durchschnittlichen, heimatverbundenen Neudorfer Bürger muß das allerdings eine unverständliche Mitteilung gewesen sein: Was soll das denn heißen „Wir bleiben im Bahnhof“? Genauso hätte man da auch hinschreiben können: „Wir waren in Wanheim“ oder „Griesmehlpudding gibt‘s heut‘ Mittag“.
Trotzdem ist die Parole „Wir bleiben im Bahnhof“ sehr wirksam – wegen ihrer Sinnlosigkeit. Die Aufgabe der Avantgarde ist es nicht, den Leuten die Welt zu erklären, sondern, sie unentwegt den Welträtseln auszusetzen. Man muß den Leuten nicht sagen, was sie denken sollen, sondern sie dahin bringen, daß sie nicht mehr denken, was sie dachten.
Die gefangenen Mitglieder der RAF veranstalteten im Laufe der Jahre gelegentlich einen Hungerstreik. Mit solche Maßnahmen bekräftigten sie mal die Forderung, als Kriegsgefangene behandelt zu werden, mal wollten sie von den anderen Gefängnisinsassen nicht getrennt sein, und schließlich forderten sie, daß die RAF-Mitglieder in einer Abteilung einer Justizvollzugsanstalt zusammengelegt zu werden.
Folglich war eines Tages auf einer Mauer in Neudorf in Riesenlettern die zwar zündende, aber für die Vorbeigehenden völlig zusammenhanglose Parole zu lesen: „Zusammenlegung sofort!“.
Wenn die Wandbesprüher wüßten, wie subversiv sie wirklich sind!

DER METZGER Nr. 101

Im Augusti 2012 erschien die Nr. 101 des satirischen Underground-Magazins DER METZGER.


Das steht drin:

Jakop Heinn: Deutschland ist die erste Bürgerpflicht. Jürgen Elsässer freut sich über das Gegröle und Gejohle anläßlich der internationalen Fußball-Turniere. Denn daraus, so meint er, erwächst der Neo-Nationalismus. Der von Elsässer gepriesene Patriotismus ist ein Gefühl losgelöst von Bewußtsein und Reflexion. Er ist benutzbar.

 
Helmut Loeven: Palästina falsch verstanden. Die säuberliche Unterscheidung von Antisemitismus und Antizionismus ist eine Legende linksdeutscher Realitätsverweigerung. Die einen sehen überall Antisemiten, auch da, wo keine sind. Die anderen sehen nirgendwo Antisemiten, auch da nicht, wo sie offen in Erscheinung treten. Der „Schwarze September“ wurde aus der deutschen Neonazi-Szene unterstützt.

 
Helmut Loeven: Einer macht Panik. Über den Versicherungsvertreter Raffelhüschen. Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ ist eine Zusammenkunft ideologisch verblendeter Quacksalber.

 
Lina Ganowski: Immer noch: Deutscher Herbst. Nach dem Prozeß gegen Verena Becker weiß man über das Buback-Attentat so wenig wie vorher. Für die Suche nach der Wahrheit war der Stammheimer Gerichtssaal der ungeeignetste Ort. In der justiziellen Auseinandersetzung des Staates mit der RAF konnte der Gerichtssaal kein Ort sein, an dem es noch irgendwie um die Wahrheitsfindung geht.

 
„Eklat“ im Niedersächsischen Landtag. Zu einem Eklat kam es, als der SPD-Fraktionsvorsitzende Stefan Schostock die Formulierung „institutioneller Rassismus“ verwendete. Er zitierte aus einer DISS-Stellungnahme.

 
Carl Korte: Trödel in St. Hulda. Aus dem Reporterleben.

 
Helmut Loeven: D.b.d., d.h.k.P.u.k.e.T. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Auf dem Christopher Street Day in Duisburg war ein Auftritt der „Bandbreite“ geplant. Der neue Abschnitt einer Endlos-Klamotte.

 
Helmut Loeven: Das philosophische Kabarett. Diesmal: Schlechtes Fernsehen; doofe Partei (Piraten); doofe Wähler (ÜfDüPü); Prosperität in Schilda (die ist nur auf dem Schild da); Sahra Wagenknecht und die Lare; prominente Prominente; Kaffeeklötzchen; Maria im Gefängnis; Wer A sagt muß auch rschloch sagen; Raumordnungspolitik, Deutsches Sprache; Das Lebensglück des Pornografen.

 
Tagebuch. Darin: 25 Jahre Buchhandlung Weltbühne – und warum das nicht nur ein Grund zum Jubeln ist.

 

DER METZGER Nr. 101 kostet 3 Euro..
Ein Abonnement von DER METZGER kostet 30 Euro für die nächsten 10 Ausgaben oder 50 Euro für alle zukünftigen Ausgaben.
Die Ausgaben ab Nr. 18 (1972) sind noch erhältlich. Die Ausgaben Nr. 1-17 (1968-1972) sind vergriffen.

2. Libertäre Medienmesse

Die zweite Libertäre Medienmesse ist geplant und vorbereitet und wird stattfinden.
Und zwar vom Freitag, 24. August bis Sonntag, 26 August 2012 in Bochum im Bahnhof Langendreer.


Die Öffnungszeiten:
Freitag, 24. 8. 2012: 18.00 – 21.00 Uhr
Samstag, 25. 8. 2012: 10.00 – 20.00 Uhr
Sonntag, 26. 8. 2012: 10.00 – 16.00 Uhr
Die Situationspresse (als Verlag) und der Fliegende Koffer (als Künstler- und Autorenclique) sind mit einem Messestand vertreten (mindestens am Freitag und Samstag).
Weitere Informationen gibt es hier.

Empfehlung aus der Weltbühne: „Rechte Diskurspiraterien“

Ich empfehle:
Regina Wamper / Helmut Kellershohn / Martin Dietzsch (Hg.): Rechte Diskurspiraterien. Strategien der Aneignung linker Codes, Symbole und Aktionsformen. Unrast Verlag 2010 (Edition DISS). 288 S. 19.80 Euro


Rechte Adaptionen linker Symbole und Ästhetik und was dagegen getan werden kann. In den letzten Jahren ist ein verstärktes Bemühen auf Seiten der extremen Rechten zu beobachten, Themen, politische Strategien, Aktionsformen und ästhetische Ausdrucksmittel linker Bewegungen zu adaptieren und für ihren Kampf um die kulturelle Hegemonie zu nutzen. Dabei handelt es sich keineswegs mehr nur um ein Steckenpferd der intellektuellen Neuen Rechten, vielmehr wird dies auch von NPD und militanten Neonazis praktiziert. Im Resultat hat sich die extreme Rechte eine Bandbreite kultureller und ästhetischer Ausdrucksformen angeeignet, indem sie sich am verhaßten ‚Vorbild’ der Linken abgearbeitet hat. Man könnte auch sagen: Um überzeugender zu wirken, hat sie kulturelle Praktiken und Politikformen der Linken ‚entwendet’ – allerdings nicht, ohne sie mit den eigenen Traditionen zu vermitteln. Solche Phänomene sind keineswegs neu. Auch der Nationalsozialismus bediente sich der Codes und Ästhetiken politischer Gegner und suchte Deutungskämpfe gerade verstärkt in die Themenfelder zu tragen, die als traditionell links besetzt galten. Auch in den 1970er Jahren waren solche Strategien vorhanden. Es stellt sich die Frage, warum und in welcher Form diese Diskurspiraterien heute wieder verstärkt auftreten.
Aus dem Inhalt:
Helmut Kellershohn, Martin Dietzsch: Aktuelle Strategien der extremen Rechten in Deutschland – Sabine Kebir: Gramscismus von rechts? – Volker Weiss: Sozialismusbegriff bei Moeller van den Bruck und Oswald Spengler – Volkmar Woelk: Strasserismus und Nationalbolschewismus – Renate Bitzan: Feminismus von rechts? – Richard Gebhardt: Völkischer Antikapitalismus – Fabian Virchow: Antikriegs-Rhetorik von rechts – Helmut Kellershohn: Das Institut für Staatspolitik und die Konservativ-subversive Aktion – Lenard Suerman: Autonome Nationalisten – Regina Wamper, Britta Michelkens: Gegenstrategien – Jens Zimmermann: – Kritik des Rechtsextremismusbegriffs.

Von Zeit zu Zeit werden Sie an dieser Stelle über Standardtitel in der Buchhandlung Weltbühne informiert – nicht immer das Neueste, aber immer empfehlenswert.
Wenn Sie bestellen wollen, dann hier. Erinnern Sie sich stets an den Slogan:
„LIEBE leute BESTELLT bücher IN der BUCHHANDLUNG weltbühne UND sonst NIRGENDS.“
Weltbühne muß bleiben.

V.i.S.d.P.

Auf fast jedem Flugblatt steht das unten am Rand: „V.i.S.d.P.“ und dann ein Name. Nicht jeder weiß, daß das die Abkürzung von „verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes“ ist.
Presserecht ist Landesrecht. Die Pressegesetze der Bundesländer schreiben übereinstimmend vor, daß auf einem Flugblatt eine Person genannt werden muß, die für den Inhalt verantwortlich ist, wobei es keine Rolle spielt, ob die verantwortliche Person den Text verfaßt hat.
Warum wird ständig diese Abkürzung verwendet, deren Bedeutung sich nur Eingeweihten erschließt? Weil die Formulierung „verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes“ zu viel Text ist? Der Vorsatz, sich kurz zu fassen, wird leider sehr oft erst am unteren Rand eines Flugblattes beherzigt. Vielleicht ist es pure Gewohnheit, die die Überlegung, was eigentlich mitgeteilt werden soll, gar nicht erst aufkommen läßt. Es kommt mir überhaupt so vor, daß mit den meisten Flugblättern sich die Autoren ausdrücken, aber nicht unbedingt verständlich machen wollen. Dann wäre das ViSdP – ebenso wie das InInnen-I – eine Duftmarke, ein Signal an die Stallgenossen.
Wäre es nicht am einfachsten und für alle Welt verständlich, wenn man schlichtweg schreibt „verantwortlich für den Inhalt“? Wofür – allerdings – sollte man auch sonst verantwortlich sein. Für die Papiersorte? Also ginge es noch einfacher: „verantwortlich“ Doppelpunkt, Name, fertig.
Aber so einfach ist das unter den gruppendynamischen Zwängen in linken Kreisen nicht. Die Formulierung „im Sinne des Pressegesetzes“ enthält einen Vorbehalt. Von denen, die mittels eines Flugblattes der Öffentlichkeit ihr Anliegen unterbreiten, wird unter Verantwortlichkeit nicht dasselbe verstanden wie jene im Sinne des Pressegesetzes. Dieser Vorbehalt ist wohl kaum angeregt durch eine Reflexion dessen, was der Gesetzgeber unter Verantwortung versteht. Ich bin mir sicher, daß kaum ein Prozent derer, die jemals für ein Flugblatt ViSdP waren, überhaupt jemals die Nase in das Pressegesetz gesteckt haben. So erklärt es sich, daß oft mehrere Personen als ViSdP figurieren oder sogar der Name einer Organisation genannt wird.
Das geht allerdings nicht. Nach dem Presserecht darf nur eine natürliche Person für ein Presseerzeugnis verantwortlich sein. Werden mehrere Personen genannt, muß eindeutig geklärt sein, wer für welchen Teil verantwortlich ist (bei einer großen Zeitung etwa: verantwortlich für Sport, verantwortlich für Feuilleton, verantwortlich für Anzeigen etc.). Bei Flugblättern könnte man sich zum Beispiel darauf einigen, wer für die Vokale und wer für die Konsonanten verantwortlich ist.
Die Verlagerung von Verantwortung auf eine natürliche Person widerspricht dem Kollektiv-Gedanken. Man möchte das, was man gemeinsam erarbeitet hat, gemeinsam verantworten. Das wäre ja noch zu ertragen, wenn nicht die Kollektivität zu einem Verhaltensmuster degeneriert wäre, das jede Individualität resorbiert. Es ist der reflexhafte Argwohn gegen das Individuum, der sich in der Formel ViSdP ausdrückt oder in so originellen Künstlernamen wie „G. Klaut“. (Liest man manche Flugblätter, wäre das Pseudonym „B. Schränkt“ angemessener).
Wenn ein Kollektiv verantwortlich ist, heißt das im Klartext: Hier ist niemand für irgendwas verantwortlich.

Olympiade oder Wann bedankt sich der vierte Platz?

Ich habe im Fernsehen gesehen (und gehört), wie die Stabhochspringerin sich aufregte.
Die Weltöffentlichkeit als Zeuge, rief sie (ihren Namen habe ich vergessen) ihrem etwa 50 Meter entfernten Trainer zu: „Ich bin schon wieder Vierte! Immer bin ich Vierte äh! Das darf doch nicht wahr sein!“ So in dem Stil: „Alle dürfen, bloß ich nich!“ Ihre Stimme war um eine Oktave gehoben.
Sie ist, wenn ich das richtig mitgekriegt habe, „Nummer 1 der Weltrangliste“ und in diesem Jahr schon höher gesprungen als alle anderen. Bloß bei Meisterschaften klappt es nie. Bei der Europameisterschaft war sie Vierte, bei der Weltmeisterschaft war sie Vierte, und jetzt bei der Olympiade wurde sie wieder Vierte. „Alle kriegense Medalljen. Bloß ich krich keine!“
Es ist immer vom „undankbaren vierten Platz“ die Rede. Der vierte Platz ist „undankbar“, weil es nur für die ersten drei Me-da-illen gibt: Goldmedaille, Silbermedaille, Bronzemedaille.
Könnte man nicht auch an die Nächsten Medaillen verteilen?
Für den Vierten die Messingmedaille.
Für den Fünften die Blechmedaille.
Für den Sechsten die Holzmedaille.
Für den Siebten die Pappmedaille.
Und der Achte kriegt einen Tankgutschein von Aral.
Kurz vor der Ziellinie heißt es dann: „Ach bitte nach Ihnen!“

Ein Stück von Dürrenmatt

Über Friedrich Dürrenmatt lese ich, er habe auf dem Theater Techniken von Brecht angewandt, aber anders als Brecht keine Weltanschauung präsentiert.
Das sollte mich wundern, wo ich doch meine, daß ein Künstler mit jeder Äußerung eine Weltanschauung erkennen läßt.
Mit jeder? Ich höre schon den Einwand: „Und wenn er nur sagt, wie spät es ist?“
Aber das ist Unsinn. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Dürrenmatt ein solches Stück geschrieben hätte:
Vorhang auf. Auf der Bühne steht ein Mann. Der guckt auf die Uhr und sagt: „Es ist halbacht.“ Vorhang zu, die Leute geh‘n nach Hause.

Wer nichts zu verbergen hat ist ein Idiot

In der Sendung von Anne Will ist immer einer dabei, der für das Quatschreden zuständig ist. Meistens nimmt man dafür Arnulf Baring. Der erfüllt diese Rolle zuverlässig, und nach spätestens 40 Minuten flippt er aus. Letztens, beim Thema Terrorgefahr, war es Don Jordan, Deutschlandkorrespondent, Deutschlandkenner, US-Amerikaner und Patriot. Als solcher hat er für den patriot act was übrig. Die Deutschen, so meinte er, bräuchten den patriot act ja nicht wortwörtlich zu übernehmen. Aber, so sagte er, „zu sozial ist unsozial und zu liberal ist auch unsozial“. Es wäre doch besser, mal auf ein paar Grundrechte zu verzichten als in die Luft zu fliegen. Und wer nichts zu verbergen hat…
Der Argwohn, daß Freiheit unsicher mache, begleitet die Patrioten ebenso durchs Leben wie die Idee, daß Sicherheit durch den Verzicht auf so ein paar lumpige Grundrechte zu erreichen sei und daß die Nation einem so viel wert sein müßte, daß man ihr seine persönliche Freiheit gern in den Rachen schmeißt. Es will mir allerdings nicht einleuchten, daß ich die Gefahr, in die Luft zu fliegen, dadurch heraufbeschwöre, daß ich in meinen vier Wänden mache was ich will, und daß die Gefahr, in die Luft zu fliegen, dadurch gebannt werden könnte, daß die Regierung weiß, mit wem ich wann und wie oft und wie lange telefoniert habe. Die Formel je-mehr-Freiheit -desto-weniger-Sicherheit-und-je-weniger-Freiheit-desto-mehr-Sicherheit ist nicht nur unsympathisch, sondern auch illusionär. Und wer nichts zu verbergen hat ist ein Idiot.
Freiheit und Demokratie sind nicht sehr beliebt beim deutschen Menschendurchschnitt. Denn die Freiheit stellt Ansprüche. Freiheit strengt beim Denken mehr an als Unfreiheit. Die Freiheit der Meinung schützt zwar vor der Zensur, aber nicht vor der Kritik. Die Freiheit der Meinung ist die Freiheit der Intelligenz, die als störend oft empfunden.
Der legendäre Kleine Mann hat an der Freiheit der Meinung keine rechte Freude, weil sie mir die Freiheit gibt, ihm das Herumschwadronieren seiner Gehässigkeiten übel zu nehmen. Dann mault er: „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ Soll heißen: „Das wird man doch nicht kritisieren dürfen“.
Eine bestimmte Sorte Mensch, die im Inneren des Landes keineswegs eine kleine Randgruppe bildet, kann sich mangels besserer Einsicht unter der Freiheit der Meinung nichts anderes vorstellen als das Recht, Sauereien von sich zu lassen. Und dann wird dauernd gefragt, ob die Menschen, die den schnauzbärtigen Haßprediger verachten, sein Machwerk überhaupt gelesen haben. Nein. Ich habe das Buch von Thilo Sarrazin nicht gelesen. Ich muß es auch nicht lesen. Es ist viel daraus zitiert worden, und ich kann mich nicht entsinnen, daß der Autor jemals reklamiert hätte, seine Kernthesen seien falsch dargestellt worden. Darum bin ich befugt, das, was ich über das Buch von Hörensagen kenne, beim Wort zu nehmen.
Es ist auch Quatsch, wenn der Duisburger Museumsdirektor Raimund Stecker erzählt, man dürfe „diese Themen nicht totschweigen“ und dem Sarrazin im Lehmbruck-Museum ein Forum bietet (WAZ: „Bühne für Haß“). Über das Indiskutable nicht zu diskutieren hat nichts mit Totschweigen zu tun. Ich diskutiere auch nicht mit einem Handtaschenräuber darüber, wem die Handtasche gehört.
Die Phrasen des Stammtisches und solche Ansichten wie der Herr Sarrazin von sich gibt waren noch nie der Zensur unterworfen. Darum hat der legendäre Kleine Mann gegen Zensur nichts einzuwenden.
Viele sind bereit, auf Freiheit zu verzichten. Nicht weil sie mehr Sicherheit wollen, sondern weil sie weniger Freiheit wollen.

aus DER METZGER 93 (2011)

Die Fädenzieher

Wer hat eigentlich das Attentat auf die New Yorker Hochhäuser am 11. September 2001 verübt? Darüber gibt es Bekanntmachungen. Diese aber werden hier und da angezweifelt. Es gibt Leute, die argwöhnen, der US-Geheimdienst CIA könnte es gewesen sein beziehungsweise „dahinterstecken“. Manche halten das für sehr wahrscheinlich, manche halten es sogar für ausgemacht: Der CIA war‘s, anders kann es gar nicht gewesen sein. Die Leute, die sowas meinen, werden als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet, obwohl ihre Betrachtungen eher an Wünschelrutengängerei als an Theorie erinnern.
Das Attentat von New York gehört – ähnlich wie der Mord an Kennedy – zu jenen Ereignissen, bei denen „viele Fragen offenbleiben“. Nicht alles, was man weiß, will man wissen. Nicht alles, was der Regierung bekannt ist, gibt sie bekannt. Nicht alles, was sie bekanntgibt, ist wahr. Man ist kaum geneigt, das, was der Präsident Bush gesagt hat, für sehr viel seriöser zu halten als das, was dem Publikum an Verschwörungen aufgetischt wird.
Zu den Auftischern gehört zum Beispiel ein Journalist namens Wisnewski. Er ist kein Neuling. Ihm hat schon einmal geschwant, daß der RAF-Terrorismus von den Herrschenden trefflich ausgenutzt wurde, etwa nach der Devise: Wenn es den Terrorismus der RAF nicht gäbe, müßte man ihn erfinden. Daraus schloß er messerscharf: Der Terrorismus der RAF ist erfunden worden. Dann hat er ein Buch geschrieben, daß die ganze RAF eine Inszenierung der Geheimdienste war.
Nicht weniger verrückt aber ist das Lamento über die diversen Verschwörungs-Verkäufer. Ach, warum sollen die Kaffeesatzleser nicht das Publikum mit zusammenphantasierten Räuberpistolen in Atem halten! Das ist zwar bekloppt, aber auch nicht bekloppter als die Yellow-Press, deren unendliche Geschichte vom Schwesternzwist im Hause Grimaldi das Weltbild eines wahlberechtigen Millionenpublikums vernebelt.
Die Lamentierer sehen das anders: „Könnte das daran liegen, daß der Haß auf die Amerikaner zur Zeit im Trend liegt?“ fragte Ivo Bozic in Jungle World, und Henryk M. Broder antwortete: „Ich glaube, daß der Antiamerikanismus teilweise an die Stelle des Antisemitismus getreten ist, als Bindemittel nationaler Emotionen.“ Na? Wittert man da nicht die Verschwörung, die von den Vietnam-Protestierern der 60er Jahre bis zu den Hakenkreuzschmierern reicht? – Broder weiter in diesem Sinne: „Radikale Linke wie Rechte leben davon, daß sie…“ Das ist das Lieblingsthema derer, die im übrigen eine Verschwörung der Verschwörungstheoretiker beklagen. Ihre Logik: Weil die Verschwörungstheorien verrückt sind, kann es keine Verschwörungen geben. Klar! Sonst würde noch am Ende jemand glauben, der Sender Gleiwitz wäre gar nicht von polnischen Soldaten angegriffen worden…
Also wenn Sie mich fragen, könnte es so gewesen sein:
Die Twin-Towers von New York hat der CIA selbst umgeschmissen – ohne es zu wissen.
Man muß bedenken: Wenn in irgendwelche Angelegenheiten Geheimdienste verwickelt sind, spielt sich alles nach ganz anderen Regeln ab als nach denen von Ursache und Wirkung, die wir kennen. Geheimdienste haben ihre eigene Logik. Man denkt dort um sieben Ecken herum.
Etwa so: Wenn etwas so geheim ist, daß der Gegner es auf keinen Fall erfahren darf, müssen wir es ihm mitteilen. Wenn etwas so geheim ist, daß es auf keinen Fall bekanntwerden darf, müssen wir es bekanntgeben. Denn wenn wir es geheimhalten, dann findet die Gegenseite es heraus. Was wir bekanntgeben, glaubt die Gegenseite nicht. Also geben wir das bekannt, was niemand erfahren darf. Da die Gegenseite aber genauso schlau ist, wissen die, daß das Bekannte in Wirklichkeit geheim und das Geheime in Wirklichkeit bekannt ist. Also sind wir noch schlauer und glauben das, was wir nicht glauben und glauben nicht, was wir glauben. Und so weiter ad infinitum. Wer in dieser Logik befangen ist, weiß am Ende alles, also gar nichts. Da der US-Geheimdienst CIA alles weiß, weiß er nicht, was er tut.
Was man den Verschwörungstheoretikern also vorhalten muß, ist, daß ihre Verschwörungstheorien zwar verrückt sind, aber nicht verrückt genug, um hinter das Geheimnis zu kommen. Es stimmt zwar, daß da hinter den Kulissen an irgendwelchen Fäden gezogen wird. Aber es stimmt nicht, daß die Fädenzieher sich alles ausgedacht haben und alles lenken, wie sie es sich ausgedacht haben. Es sind nicht die Fäden eines Marionettentheaters, sondern eher die Fäden eines Gordischen Knotens. Einmal dran gezogen, und – schwupp – fallen die Hochhäuser um, ohne daß der Fädenzieher merkt, daß er sie umgeschmissen hat. So war es, oder? Aber auf mich hört ja keiner. Aus einem Fenster der alten Villa ließen Schwester Irene Graves und Fräulein Über schaufelweise Cornflakes auf die ganze Sanatoriumsgesellschaft hinabrieseln.
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Magda Gorny: Kunstpostkarten

In der Postkartenserie der Situationspresse sind weitere Motive nach Arbeiten von Magda Gorny erschienen – jetzt erstmals als Farbreproduktionen. Die Vorlagen stammen aus den Jahren 1967 bis 1998.


Sonne am Morgen. Aquarell 1991

 


Ohne Titel. Aquarell, Tusche 1987

Ohne Titel. Aquarell, Tusche o.J.

Ohne Titel. Aquarell, Tusche o.J.

Ohne Titel. Mischtechnik 1967

Scarabäus. Aquarell o.J.

Fast ein Mandala. Aquarell 1993

Diese Postkarten sind – auch im Versand – einzeln oder als Serie – in der Buchhandlung Weltbühne erhältlich. Dort werden auch weitere Arbeiten von Magda Gorny (Kunstdrucke, Plakate und weitere Postkarten) angeboten, die hier nicht abgebildet sind.

Der Aufstand

Ich erzähle Ihnen zwei Geschichten.
Ich ging an einem frühen Sonntagmorgen durch Neudorf, um eine Freundin zum Bahnhof zu bringen. Der Weg zum Bahnhof führt, wie Sie wissen, am Gertrud-Bäumer-Berufskolleg vorbei, und meine Freundin wollte wissen, wer denn eigentlich Gertrud Bäumer gewesen sei.
Gertrud Bäumer, antwortete ich, war eine prominente Publizistin zur Zeit der Weimarer Republik, sehr patriotisch und so eine Art Reichs-Anstandsdame, die sich für ein Schmutz-und-Schund-Gesetz einsetzte.
„Aha“, sagte meine Freundin, „so eine Art Alice Schwarzer der 20er Jahre.“
Ich konnte das weder verneinen noch bejahen, denn meine Freundin kannte Alice Schwarzer besser als ich, weil sie eine Zeitlang in deren Kölner Verlagsunternehmen gearbeitet hatte, bevor sie dort im Streit ausschied (siehe DER METZGER 54).
Die zweite Geschichte ist etwas länger her. Das war zu Zeiten des Eschhaus-Buchladens. Da erschienen eines Abends zwei junge Frauen mit zweierlei Anliegen.
Erstens: Sie wollten mich dafür engagieren, eine von der Gruppe, für die sie sprachen, herausgegebene Infobroschüre zu verbreiten.
Zweitens: Sie teilten mir mit, daß es in ihren Kreisen mißbilligend registriert worden sei, daß im Eschhaus-Buchladen kaum beziehungsweise überhaupt nicht „Literatur der Frauenbewegung“ zu finden sei, und sie wirkten auf mich ein, diesem Übelstand abzuhelfen. Sie redeten mit sehr ernsten Gesichtern und erklärten mir ihr Anliegen, so wie man einem kleinen Kind etwas erklärt (und ich zweifelte nicht daran, daß sie beizeiten ihren Tonfall ändern würden).
Der Inhalt der besagten Infobroschüre war nicht originell: Daß an allem, was in der Welt schiefläuft, die Männer schuld sind (sowas nehme ich grundsätzlich persönlich), und außerdem sind die Linken die Allerschlimmsten, weil es sich bei denen um eine „Männerbewegung“ handelt – also etwas, was man schon hundertmal gelesen hatte.
Trotzdem war ich erstaunt: Darüber, daß sie mit dem sonnigsten Gemüt von der Welt für ihren Feldzug gegen die Linke deren Instrumentarium in Anspruch nehmen zu können glaubten (sofern man den Eschhaus-Buchladen diesem Instrumentarium zurechnen mag).
Das habe ich denen aber nicht gesagt. Ich habe sie nur gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, den METZGER in Frauenläden und Frauenzentren auszulegen. Da guckten sie mich an, als wäre ich vom anderen Stern. Die Verhandlung war beendet.
Das muß man sich mal vorstellen: Die kommen zu mir mit diesem Anliegen: „Guten Tag, wir  wollen Ihre Pläne durchkreuzen, und wir möchten gerne in der Welt verbreiten, daß Sie ein Arschloch sind. Würden Sie uns dabei bitte behilflich sein?“ Und wenn ich dann antworte: „Nein, dabei möchte ich Ihnen nicht behilflich sein“, dann fallen die aus allen Wolken und verstehen die Welt nicht mehr. Die scheuen sich nicht, mich zu verleumden, aber sie wollen trotzdem von mir liebgehabt werden. Diese Frauen sind vor allem Töchter: der Alte Herr ist ihnen „total peinlich“, aber für ihre Klamotten soll Papi die Kohle rausrücken. Ist alles „nicht so gemeint“, alles nur ein Gesellschaftsspiel. Schlimm nur, daß ich grundsätzlich jeden beim Wort nehme.


Alice Schwarzer hat in der Frankfurter Rundschau für die Abschaffung des Internationalen Frauentages plädiert: „Woher kommt der eigentlich? Von der Frauenbewegung auf jeden Fall nicht. In den 1970er Jahren kannten wir keinen 8. März.“ Das ist Quatsch. Seit der Einführung des Gregorianischen Kalenders hat es jedes Jahr einen 8. März gegeben, auch in den 70er Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts. Sie will – mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln – auf etwas anderes hinaus: Weiterlesen

Was sagt uns die Kunst in unserer heutigen Zeit?

Diese Frage wird immer wieder gestellt::
„Was will der Künstler damit sagen?“


Die Frage ist eigentlich unsinnig.
Wenn Sie auf der Straße einen Mann fragen: „Können Sie mir sagen, wie spät es ist?“, und er antwortet: „Drei Uhr“, dann fragen Sie sich doch auch nicht: „Was will der Mann mir damit sagen?“ Sie haben ihm eine einfache Frage gestellt, und er hat Ihnen eine klare Auskunft gegeben.
Genau das ist auch von der Kunst zu erwarten: Daß sie uns mit klaren Auskünften versorgt! Der Künstler soll seine Aussagen nicht verklausulieren, sondern klipp und klar zu verstehen geben, was er sagen will.
Hier haben wir ein gutes Beispiel:


Der Künstler hat Klarheit geschaffen und eindeutig zu verstehen gegeben, was er der Welt mitteilen will.
Weiter so!