Nicht die Tat macht dich zum Täter, sondern das Urteil

Der Deutsche Jens Söring (45) wurde 1990 im US-Bundesstaat Virginia wegen zweifachen Mordes zu lebenslangem Gefängnis verurteilt. Das Bemühen der Verteidigung, den Mann an die deutsche Justiz zu überstellen (wo er mit seiner baldige Entlassung rechnen könnte) ist jetzt, 22 Jahre nach dem Urteil, erneut gescheitert. Der Begnadigungsausschuß in Richmond lehnte den Antrag ab.
Laut Urteil soll Söring die Eltern seiner Lebendgefährtin getötet haben. Er hat die Tat gestanden. Später widerrief er sein Geständnis. Er habe seine Freundin, die die Tat begangen habe, durch sein Geständnis schützen wollen.
Bei der achten Anhörung vor dem Begnadigungsausschuß, so berichtet die WAZ, hätten „mehrere hochkarätige Ermittler ausgesagt, daß er unschuldig sei“. Und der Schlußsatz lautet: „Warum der Ausschuß diese Einlassungen unberücksichtigt ließ, ist nicht bekannt“.
Dabei ist die Antwort ganz einfach:
Weil es nach US-amerikanischem Recht bei der Überprüfung eines Urteils gar keine Rolle spielt, ob jemand schuldig ist oder nicht. So jedenfalls ist die Rechtspraxis.
Die US-Justiz ist konservativ – noch konservativer als die deutsche. Aus der Sicht konservativer Juristen ist ein Justizirrtum gar nicht möglich. Das Urteil eines Richters ist eine Tatsachenentscheidung. Eine Tatsachenentscheidung wird Tatsachenentscheidung genannt, weil Tatsachen dabei unerheblich sind. Die Entscheidung ist über Tatsachen erhaben. Eine Tatsachenentscheidung richtet sich nicht nach Tatsachen, sondern schafft welche. Wer verurteilt ist, ist schuldig. Wo kämen wir denn hin, wenn man das Urteil eines Richters, einer Autorität, einfach so anzweifeln dürfte! Das wäre ja die reinste Anarchie!
In den USA ist eine solche Praxis besonders ausgeprägt. Aber auch in der deutschen Rechtsgeschichte gibt es Beispiele dafür.
Das konservative Diktum lautet nicht „fiat justitia“, sondern „Ordnung muß sein“. Für die Konservativen hat bei der Rechtsprechung nicht Gerechtigkeit und Wahrheit höchsten Rang, sondern das Ansehen der Justiz. Dieses wird nicht durch einen Justizirrtum beschädigt, sondern durch das Eingeständnis eines solchen.
Würde man einem Romney-Wähler sagen, daß in den USA viele Unschuldige im Gefängnis sitzen, dann würde der antworten: „Na und?“

Oder sehe ich das falsch?

5 Gedanken zu „Nicht die Tat macht dich zum Täter, sondern das Urteil

  1. Der Herr Söring hat scheinbar viele naive Unterstützer.
    Diese vergessen, daß er mehrere Monate vor der Tat brieflich bekundete, der Vater der Freundin könne bei einer Konfrontation mit ihm sterben. Und nach Einbrüchen könne noch mehr passieren. Außerdem wird durch die dauernde Wiederholung, mit seinem vorgeblich falschen Geständnis die Freundin retten zu wollen, diese Behauptung nicht glaubwürdiger. Denn beginnend mit seinem ersten Geständnis hat er sie als Anstifterin dargestellt. Wo ist da der vom ihm behauptete Schutzwille zugunsten der Freundin? Diese Fakten kann man alle in dem Buch “ beyond reason“ von Ken Englade nachlesen. Inzwischen ist wohl ein nicht unwesentlicher Teil der deutschen Bundestagsabgeordneten an einer Freilassung von Jens interessiert. Da muß nicht verwundern, daß unsere deutschen Gesetze zum Schutz vor sexuell motivierten Rückfalltätern diesen Schutz eben nicht gewährleisten.

    • Vorweg: Es muß „anscheinend“ heißen, nicht „scheinbar“. Oder das Wort „scheinbar“ müßte hinter „viele“ stehen. Das wäre sinnfällig, aber das meinen Sie ja nicht.
      Ihr Kommentar geht an dem Notat, auf das er Bezug nimmt, vorbei. Da ging es nämlich um etwas ganz anderes. Trotzdem habe ich Ihren Kommentar genehmigt. Dem Publikum soll nicht vorenthalten werden, wie Ihnen mit dem letzten Satz (um es mit Karl Kraus zu sagen) „das Gesicht von der Maske fällt“.

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