Nein danke!

Lange blieben die E-mails von „Café Critique“ (Bahamiten!) im Spamfilter hängen. Aber auf nichts kann man sich verlassen. Jetzt kommen sie wieder durch.
Zum Beispiel so:
„Was für Außenstehende wie ein Zwist zwischen Judäischer Volksfront und der Volksfront von Judäa erscheinen muss, ist theoretisch und politisch keineswegs trivial.“
Nein?
„Nationalismus ist die prägende Ideologie der kapitalistischen Epoche, eine ‚objektive Gedankenform staatsbürgerlicher Kollektive‘. Das Verständnis seiner ideologischen Funktionalität, seiner Alltäglichkeit und seiner wiederkehrenden Exzesse ist entscheidend für den Zuschnitt radikaler Gesellschaftskritik. Oder ist heute sowohl das Label ‚antinational‘ als auch ‚antideutsch‘ schon längst überholt?“
Um Himmelswillen! Die werden sich doch hoffentlich nicht wieder was Neues ausdenken!

Wie kommt der Broder in meine Zeitung?

Von dem Henryk M. Broder habe ich mal viel gehalten, weil der sich – so könnte man sagen – auf der Schnittfläche zwischen Politik und Subkultur betätigte. Zum Beispiel war er einer von denen, die die Internationalen Essener Song Tage (1968) organisiert hatten. Das war ein Festival, auf dem – von Zappa bis Degenhardt – der ganze Radius einer progressiven Kultur dargestellt war.
Eines Tages, 1971 war es, kam der Broder zur Goldstraße, weil er für das Dritte Fernsehprogramm des WDR einen Filmbericht über die Bröselmaschine machen wollte. Als der zur Tür reinkam, lag ich noch im Bett.
Ich hab mich an dem Tag etwa eine Stunde lang mit ihm unterhalten. Bei der Gelegenheit bat ich ihn um einen Beitrag für meine Zeitung, und diese Bitte hat er mir erfüllt. Ich dachte mir: Das wertet meine Zeitung auf.
Später dann sind wir in Richtung Bahnhof gegangen. Unterwegs haben wir uns verabschiedet, weil ich ein anderes Ziel hatte. Zum Abschied hob er die Faust – ein schon zu der Zeit in der kommunistischen Bewegung aus der Mode gekommenes Gruß-Ritual. Ich fand das albern, und er merkte, daß ich das albern fand.
Ein paar Wochen später wurde der Filmbericht im Fernsehen gesendet. Ich war entsetzt. Broder kommentierte, die Bröselmaschine habe so eine Art Teufelspakt mit dem Chemiekonzern Badische Anilin und Soda Fabriken geschlossen. Hintergrund: Wir hatten einen Plattenvertrag mit Rolf Ulrich Kaisers Ohr-Records. Das war die beste Adresse für progressive Musik in Deutschland (Xhol, Guru Guru etc. pp). Der Vertrieb lief über Metronom, und diese Vertriebsfirma gehörte wohl zu BASF. Broder konstruierte daraus, wir wären zu Kapitalistenknechten geworden, und überhaupt wäre die ganze Underground-Kultur nichts anderes als Geschäftemacherei von Konzernen. Broders Fazit: Jeder Protest gegen den Kapitalismus trägt zur Stabilisierung des Kapitalismus bei. Er ist später dann den Weg gegangen, den die Leute gingen, die damals so geredet hatten. Das konnte man damals schon erahnen. Nur ist er auf diesem Weg nach rechts noch weiter gegangen als andere.
Mein Kontakt mit Broder blieb aber noch einige Zeit bestehen. Es wurde korrespondiert (er verschickte immer Postkarten), und wir haben noch zwei- oder dreimal am Telefon miteinander gesprochen.
Ich hatte wohl irgendwie anklingen lassen, daß wir mit unserem Plattenproduzenten Rolf Ulrich Kaiser nicht so ganz und gar zufrieden waren und daß Witthüser und Westrupp sich den Kopf darüber zerbrachen, wie sie aus dem Vertrag mit Kaiser rauskommen könnten. Broder witterte eine Story. Ich sollte ihm alles erzählen, was Walter Westrupp Negatives über Kaiser gesagt hatte. Das gefiel mir gar nicht. Mir wollte gar nicht wohl dabei sein, den Inhalt eines Gesprächs unter Kollegen an einen storygeilen Journalisten weiterzutratschen. Ich wollte keine Rolle dabei spielen, wenn Mißhelligkeiten durch einen Pressebericht darüber zum Zerwürfnis werden. Broder hatte Kaiser bei den Essener Songtagen noch assistiert, und jetzt war er gierig darauf, ihn in die Pfanne zu hauen. Dafür ihn mit Stoff zu versorgen fiel mir nicht ein.
Broders öffentliches Wirken fand ich mit der Zeit immer geschmackloser. Er gefiel sich in der Rolle des Weiterlesen

„Meine Nummer sehen Sie.“ – „Ja, wo denn?“

Eine gute Erfindung ist der Anrufbeantworter – sofern sich das Gerät bei jemandem befindet, den ich anrufen will. Ich werde meine Mitteilung los (z.B. wenn ein bestelltes Buch eingetroffen ist) und brauche nicht tagelang hinter den Leuten hinterherzutelefonieren.
Weniger praktisch ist zuweilen der eigene Anrufbeantworter, etwa, wenn jemand mir seine Mitteilung draufnuschelt. Das ist doch keine Stereo-Box, die das genuschelte Wort erklingen läßt, sondern ein kleiner krächzender Lautsprecher.
Ärgerlich fand ich eine Anruferin, die mir einen langen Sermon aufs Band sprach, um Rückruf bat und dann, ganz karriereorientiert, eine zehnziffrige Telefonnummer innerhalb einer halben Sekunde runterrasselte. Mitschreiben war nicht möglich. Ich mußte mir den ganzen Sermon nochmal anhören, um dann wenigstens schon mal die erste oder die ersten beiden Ziffern notieren zu können. Nach dreimaligem Abhören hatte ich gerade vier Ziffern notiert und gab auf. War sowieso nichts Wichtiges.
Vorschlag zur Güte: Wenn Sie jemanden anrufen, und es meldet sich der Anrufbeantworter, legen Sie am besten erstmal auf, legen sich die Worte zurecht und wählen die Nummer nochmal, um dann kurz und knapp UND DEUTLICH Ihre Mitteilung zu hinterlassen. Telefonnummern bitte langsam UND DEUTLICH aufsagen, damit sie mitgeschrieben werden können.
Letzten Freitag sprach eine Dame auf den AB, die sich als „Doktor Öckel“ (oder Eckel oder so ähnlich) vorstellte und nach den Öffnungszeiten fragte. Dann sagte sie: „Meine Nummer sehen Sie ja.“
JA, WO DENN?
Als Flammenschrift an der Wand? Vor meinem „geistigen Auge“? Im Kaffeesatz?
„Sie werden sich ja dann melden.“
Habe ich nicht, weil ich es nicht konnte. Und die Anruferin ist jetzt bestimmt beleidigt – und wäre es noch mehr, wenn man ihr glaubhaft versichern würde, daß dieser Umstand nicht meiner Nachlässigkeit, sondern eigenem Ungeschick zu verdanken ist.
Wahrscheinlich vermutete die Anruferin, daß ihre Telefonnummer auf dem Display erscheint. Das setzt allerdings das Vorhandensein eines solchen voraus. Ich habe es in meinem langen Leben immerhin schon zu einem Tastentelefon gebracht. Aber das gehört zu den ca. 90 Prozent aller im Einsatz befindlichen Festnetz-Geräten, die kein Display haben. Das hätte die Anruferin in Betracht ziehen müssen.

Auf dem Telefon in der Buchhandöung Weltbühne sind nur die Nummern auf den Tasten zu lesen.

Auf dem Telefon in der Buchhandöung Weltbühne sind nur die Nummern auf den Tasten zu lesen.

Es gibt Leute, die besitzen einen Lastwagen. Aber aus der Tatsache, daß einige Leute einen Lastwagen besitzen, zu schlußfolgern, daß ich auch einen habe, das ist – ich nenne es mal: unakademisch.
Die Frage nach den Öffnungszeiten ist übrigens berechtigt. Denn in der heute beginnenden Woche wird an den meisten Tagen nicht erst, wie üblich, um halbsieben geschlossen, sondern schon um halbsechs. Denn bei den Veranstaltungen der Antifaschistischen Woche im Dokumentationszentrum der VVN ist die Buchhandlung Weltbühne mit einem Büchertisch präsent. Wie gern hätte ich das der Frau Dr. Eckel/Öckel mitgeteilt!

Der Witz am Sonntag

Die Witze in den Zeiten der Kohl-Ära:
Staatsbesuch von Helmut Kohl bei Margaret Thatcher. Am Abend lädt die Premierministerin den Bundeskanzler in ein echtes englisches Pub ein. Beide bestellen ein Bier, Kohl ein helles, Thatcher ein dunkles.
Thatcher hebt ihr Glas: „To your health!“
Kohl hebt sein Glas: „To your dunkelth!“

LIEBE LEUTE, LEST, was die waz geschrieben hat

In der WAZ erschien gestern ein Artikel von Thomas Becker über das neue Buch von Lütfiye Güzel. Bitte lesen Sie (anklicken zum Vergrößern):
waz-du-2013-01-24-funkelde-sterneWie Sie wissen, sind die Bücher von Lütfiye Güzel in der Buchhandlung Weltbühne erhältlich (auch im Versand).
Immer und immer und nicht ohne Grund wiederhole ich:
„Liebe LEUTE bestellt BÜCHER in DER buchhandlung WELTBÜHNE und SONST nirgends.“
Weltbühne muß bleiben.

Lady Gungun

dpa meldet:
„Lady Gaga hat mit ihrer bizarren Mode herbe Kritik auf sich gezogen. Auslöser ist ein Büstenhalter, den sie in den vergangenen Tagen bei Konzerten in Kanada und in den USA trug – trotz der Diskussionen um Waffengewalt in Amerika. In Internetforen und Fernsehkommentaren wurde der Waffenbüstenhalter als „geschmacklos“ und „unangebracht“ kritisiert. Die 26jährige hatte sich schon 2010 für das Rolling-Stone-Magazin fotografieren lassen […].“
LadyGagaRollingStoneCoverDie Zeiten haben sich also geändert. Heute empört man sich über Waffen.
Früher hätte man sich nicht über die Waffen empört, sondern über den nackten Arsch.

P-S.: Anders ist das natürlich bei Frau Alize Schwarzer. Die regt sich heute noch so auf wie früher.

Neu in der Weltbühne: Das zweite Buch von Lütfiye Güzel

luetfiye2Ich empfehle: Lütfiye Güzel: Let’s Go Güzel. Kurzgeschichten und Gedichte. Dialog Edition Gesellschaft für Deutsch-Türkischen Dialog 2013. 88 S. 10 €
LetsGoGuezel
Gerrit Wustmann schrieb auf Poetenladen.de:
„Glaubt man den Massenmedien, dann ist Duisburg-Marxloh ein Fanal für all das, wovor Sarrazin und artverwandte Überfremdungsapokalyptiker sich fürchten, in aller Regel ohne je persönlich dort gewesen zu sein. Und da die braune Suppe Auflage bringt, wird sie in großen Kellen immer wieder ausgekippt. Ein paar Meter Luftlinie von Marxloh entfernt liegt Hamborn, Geburtsort von Lütfiye Güzel, um ihre offizielle Vita zu zitieren: „1972 als Poetin auf die Welt gekommen & so weiter“. Dieses & so weiter findet sich in ihren Gedichten und kurzen Prosatexten, die nach ihrem fulminanten Debüt ‚Herzterroristin‘ nun auch ihren zweiten Band „Let’s Go Güzel!“ (Dialog Edition, Duisburg 2013) füllen. Güzel, das ist Türkisch und bedeutet Schön. Von einer ganz besonders melancholisch-bukowskihaften Schönheit sind auch diese Texte. […] ‚Let’s Go Güzel‘ ist so hintersinnig wie der Titel, ein Spiel mit der eigenen Biografie und zugleich mit dem allseits akzeptierten Weltelend, das uns alle angeht – in Form von Gedichten, die wie eine Katze daherkommen, die ganz genau weiß, wann sie die Krallen ausfahren muss.“

Dieses Bild erinnert an die Verse von Brecht:

Die Schlechten fürchten deine Klaue.
Die Guten freuen sich deiner Grazie.
Derlei hörte ich gern
Von meinem Vers.

Und daran erinnert eine andere, ebenfalls von mir geschätzte Schriftstellerin, die Brecht dialektisch variierte:

Mögen die Guten sich an meiner Kralle erfreuen
und die Schlechten meine Grazie fürchten.

Wenn Sie bestellen wollen, dann hier.
Dieses Buch ist, wie alle unsere Angebote, auch im Versand erhältlich.
Erinnern Sie sich stets an den Slogan:
„LIEBE leute BESTELLT bücher IN der BUCHHANDLUNG weltbühne UND sonst NIRGENDS.“
Weltbühne muß bleiben.

Ignoranten

Der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wird zum Suppenkasper, wenn vom Verbot der NPD die Rede ist: „Nein, das Verfahren will ich nicht, dieses Verfahren will ich nicht!“
Hitler ist wohl dadurch an die Macht gekommen, daß zu viel über ihn geredet wurde. Hätten alle den Kopf in den Sand gesteckt, hätte er einpacken können. Der Innenminister ist ein Stratege und kennt die Lösung: abwarten, bis alles vorbei ist: „Ohne das erste erfolglose Verfahren im Jahr 2002 gäbe es die NPD nicht mehr. Sie war am Ende, und das Verfahren hat ihr wieder Auftrieb gegeben.“
Es ist doch immer wieder zum Staunen, welche Ausreden jemand wie Friedrich sich ausdenkt, um seine Pflichtvergessenheit zu rechtfertigen.
In der Hauptstadt wird ein Ignorant immer noch von einem anderen übertroffen. Wenn zur Ignoranz noch Dünkel hinzukommt, sind wir bei der FDP. Zur Sozialpolitik fällt ihr ein: Wir können sie abschaffen, wenn jeder reich heiratet. Damit war der Gipfel neoliberaler Keckheit noch nicht erreicht. Vizefraktionsvorsitzender Martin Lindner: „Wir haben eine Zunahme an Armutsberichten, nicht an Armut in Deutschland.“
Er sagte das in der Bundestagsdebatte zum Jahreswirtschaftsbericht. Die Alltagsversion seiner Sentenz lautet so: „Eure Armut kotzt mich an.“
Armut ist wohl am besten aus der Welt zu schaffen, wenn man nicht dauernd drüber redet. Am meisten unter der Armut leidet Lindner – weil sie ihm zu Ohren kommt.
Nach den neunkommaneun % in Niedersachsen sagt der Optimist: Die FDP hat von Stimmenverleihern noch eine Gnadenfrist bekommen. Der Pessimist sagt: Diese Dreckpartei bleibt uns ewig erhalten.

Fernsehapparat immer noch kaputt

„Das sind keine Chauffeure, das sind Weihnachtsmänner.“

Manchmal hatten wir einen Fernsehapparat, aber immer nur für kurze Zeit. Auf der Goldstraße hatten wir einen, den hatten wir auf der Straße in einem Sperrmüllhaufen gefunden, und der ging noch, allerdings nur zwei Tage lang, dann war er endgültig kaputt.
Ich bemerkte lapidar: „Fernseh kaputt – alles kaputt.“
Mike Hellbach fand das gut. Er schrieb mit Filzstift auf den Bildschirm: „Fernseh kaputt – alles kaputt“. So konnte das Gerät, auch wenn es nicht mehr einzuschalten war, noch einige Zeit stehenbleiben und einen guten Zweck erfüllen.
Auch auf dem Immendal in Hochfeld hatten wir mal einen Fernsehapparat. Der stand in der oberen unserer beiden Etagen, in Jennys Zimmer.

Jenny mit Zettel, im Duett mit Willi Kissmer

Jenny mit Zettel, im Duett mit Willi Kissmer

Ich war mit Jenny allein zu Haus, und wir überlegten, ob wir fernsehgucken sollten.
An dem Abend kam „Lohn der Angst“. Jenny kannte den Film nicht. Ich empfahl ihr, sich diesen Film anzusehen.
Ich kannte den Film damals schon auswendig. Aber für Jenny war das Abenteuer der Männer, die Nitroglycerin über holprige Straßen transportierten, etwas Neues. Sie zitterte vor Spannung, klammerte sich mit beiden Händen an der Tischplatte fest.
„Schaffen die das? Kommen die an?“
„Das sag ich nicht.“
Jenny bot dieser Film nicht nur Spannung, sondern auch Komik. An einer Stelle zumindest. Da sagt Luigi zu Bimba über Joe und Mario: „Das sind keine Chauffeure, das sind Weihnachtsmänner!“
Jenny lachte schallend. Sie lag fast auf dem Boden vor Lachen. „Das sind keine Chauffeure, das sind Weihnachtsmänner!“
Das war der Jenny-Humor.

loeven-gartenoffizier(Das ist eine Geschichte aus dem Jahre 1972, die der Kommune-Forschung dienen kann – erstveröffentlicht in dem verdienstvollen Anekdotenbuch „Der Gartenoffizier“).

Jetzt ist es raus!

Das neue Buch aus der Situationspresse.
Eine Ankündigung (21. Dezember) wird wahr:
Das Buch „Die schöne Verwirrung des Lebens – Gedichte & Cut-Ups“ von Marvin Chlada ist vor zwei Tagen aus der Druckerei gekommen und ab jetzt erhältlich.

Mit diesen Worten wird das Buch vorgestellt:

Die Legende von Jack Daniel, Sleaze Rock Poetry, Cut-Ups, Collagen, Epitaphe auf Johnny Thunders, Allen Ginsberg und Charles Bukowski sowie eine kurze Antwort auf die rätselhafte Frage, was DIE ÄRZTE mit der süßen Gwendoline tatsächlich getrieben haben.
Das alles und noch viel mehr findet sich in:

chlada-verwirrung-coverVerstreutes und Vergessenes aus 25 Jahren Wortarbeit in einem Band, erschienen in einem der dienstältesten Verlage der deutschen Alternativ- und Undergroundpresse. Dazu ein Strauß frischer Notizen zur Läuterung und Orientierung: Was nutzt der beste Film in Worten, wenn man im falschen Kino hockt?
Marvin Chlada, Sozialwissenschaftler, Autor und Musiker, Pendler zwischen Schwaben, Kalabrien und Ruhrgebiet, wo er u. a. im Umfeld des „Fliegenden Koffers“ agiert, einem „Kartell Duisburger Schriftsteller und Künstler, die irgendwie mit dem Satiremagazin DER METZGER was zu tun haben.“ Zahlreiche Publikationen zur Popkritik, Medien- und Gesellschaftstheorie. Aktuell arbeitet er an einer Monographie zu Leben und Werk von Charles Fourier. Weitere Infos:
http://www.chlada.de

80 Seiten, einige Abbildungen. Paperback. 12,50 Euro. ISBN 978-3-935673-34-1
Verlag: Situationspresse. Gedruckt bei Maro.
Erhältlich in allen Buchhandlungen oder via Amazon oder direkt (auch im Versand) bei:
Buchhandlung Weltbühne. Gneisenaustraße 226, 47057 Duisburg. Tel 0203-375121
situationspresse@gmx.de

Kohlhiesels Töchter oder Auch das ist nicht neu

Pola Kinski, die ältere Tochter des Schauspielers Klaus Kinski (1926-1991) hat mitgeteilt, von ihrem Vater sexuell mißbraucht worden zu sein. Einzelheiten sind mir nicht bekannt (und wohl auch vielen nicht, die jetzt viel darüber reden). Ich las in der Frankfurter Rundschau: „Nastassja Kinski ist stolz auf ihre mutige Schwester. […] ‚Ich bin zutiefst erschüttert Aber: Ich bin stolz auf ihre Kraft, ein solches Buch zu schreiben. Ich kenne den Inhalt. Ich habe ihre Worte gelesen. Und ich habe lange geweint…‘, schrieb die 51jährige in der Bildzeitung.“. Ehrlicherweise müßte es wohl heißen: sie ließ sich „zitieren“ mit den Worten, die die Bildzeitung schon vorher kannte. (Und die müßte auch ehrlicherweise „Blödzeitung“ heißen).
Die Bildzeitung ventiliert den Hype über den „Mißbrauch“, der dadurch vollends zum Teil des Spektakels wird. Institutionen der industriemäßigen Verblödung nehmen sich eines Thema an, das Sensibilität und Sachkenntnis erfordert. Das ist nicht neu. Man erinnere sich an die „Ministergattin“ (vulgo: Frau von ’nem Minister) Stephanie von & zu Guttenberg, die nach ihrem widerlichen Event in Afghanistan (das Schlacht-Feld als glamouröse Kulisse) auf RTL-2 eine schmierige Kinder-Porno-Show „moderierte“. In den Krawall-Medien verkommt der vorgebliche „Schutz der Kinder vor sexuellem Mißbrauch“ unweigerlich zu einer Variante der Kinderpornografie. Auch das ist nicht neu. So sind ja auch viele pornografische Schriften in der Pose der Empörung verfaßt und konsumiert worden – etwa nach dem Motto: Schaut her, was für Schweinereien die Jesuiten (die Juden, die Linken, die Kommunarden, die Ruhrgebietskumpel, die Franzosen etc.) so treiben!
Die Frankfurter Rundschau hat sich inzwischen mit eigenen Worten geäußert. Am 11. Januar berichtete sie, Kinski habe in seinem 1975 erschienen Buch „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ sich dazu bekannt, mit einer Zehnjährigen Zungenküsse ausgetauscht zu haben und auch mit einer 13jährigen sexuelle Handlungen vollzogen zu haben. „Auf dem Höhepunkt der sexuellen Revolution blieb die Aufregung darüber aus.“ Tatsächlich? FR-Autor Daniel Kothenschulte wollte doch hoffentlich nicht sagen, daß das Land sich für seinen Geschmack zu wenig erregt hat.
Auch das ist nicht neu: die Sexuelle Revolution als Arena der Libertinage, als Auswuchs der Genuß-Sucht, als Verirrung, als Gefahr. Und neu ist nicht, „schockierende Enthüllungen“ gegen sie zu richten.
Revolutionen hatten stets andere Resultate als die, deretwegen sie angetrieben wurden. Lafayette, Mirabeau und Danton hat etwas anderes vorgeschwebt als daß Frankreich eines fernen Tages von Zar Kotzi gelenkt wird. Die Roten Garden haben das Winterpalais nicht deshalb gestürmt, damit dereinst die Kasperfigur Jelzin im Kreml herumpoltern kann.
Unsere Kulturrevolution wurde (wohl um ihr den Titel streitig zu machen) als „Achtundsechzig“ zur Saison verkürzt. Dabei verdient sie – anders als die chinesische Veranstaltung gleichen Namens – diese Bezeichnung zurecht. Es wurde gesagt, unsere APO hätte dem Willybrandt möglich gemacht, Bundeskanzler zu werden. Das hätten wir zwar gar nicht beabsichtigt, aber wir hätten ein Resultat zustandegebracht, das so schlecht ja gar nicht gewesen sei. Mag sein. Ein weiteres Resultat, das aber so gut gar nicht ist, sind die Besserverdiener, die in behindertengerecht geplanten Häusern und ökologisch korrekten Wohnungen sich als „Neue Mitte“ rühmen und ihre schwarzgrünen Träume träumen.
In unserer Sexuellen Revolution, die das Herzstück unserer Kulturrevolution ist und die, wie alle Revolutionen, sich gegen konterrevolutionären Backlash wehren muß, ging es keineswegs um Libertinage, Hemmungslosigkeit, Quantität und Genußsucht – das ist das Mißverständnis unaufmerksamer Zuschauer. Es ging darum, den Herrschenden ein Instrument der Entfremdung aus der Hand zu nehmen. Es war uns ernst damit, diesen ganzen Wust aus Angst, falscher Scham, Schande und Sünde wegzuräumen. Wir wollten (und ich will immer noch) das Schuld-Prinzip durch das Lust-Prinzip ersetzen. Wir haben gesagt, daß Sexualität mit Lust, auch mit Ästhetik und Phantasie, ja auch mit Liebe etwas zu tun hat – mit Menschenliebe.
Es kann sein, daß das Schuld-Prinzip doch nicht vollends durch das Lust-Prinzip ersetzt wurde, daß das Schuld-Prinzip eher durch das Leistungsprinzip ersetzt wurde. Aber der Wert einer Revolution ist nicht an dem zu messen, was sie erreicht, sondern was sie beseitigt hat.
Die Französische Revolution hat ein Ende gemacht mit feudaler Willkür und der Leugnung des Individuums.
Die Rotgardisten haben ein Ende gemacht mit einer Menschenschinderei, für die es keinen Ausdruck gibt und die schlimmer war als alles, was der Oktoberrevolution folgte.
Wir haben ein Ende gemacht mit einer „Pädagogik“, deren Ziel die Selbstverleugnung und der Kadavergehorsam ist, die den Körper kolonisiert. die Unterwürfigkeit predigt und der Herrschsucht jeden Raum gewährt und zum willenlosen Einverständnis mit dem Niederringen der eigenen Bedürfnisse „erzieht“. Wir haben es uns nicht bieten lassen, daß die Verhaltensmuster des Untertanen, die Menschenvernichtung nicht ausschließen und nicht ausschließen sollen, weiterhin gelten. Wir haben ein Ende damit gemacht, daß es in diesem Land mehr Soldaten als Kriegsdienstverweigerer gibt. Wir haben gesagt, daß die Frau dem Manne ebenbürtig ist. Wir haben ein Ende gemacht mit den Paragraphen 175, 180 und 218. Wir haben ein Ende damit gemacht, daß jemand, der Unverheirateten eine Herberge gibt, es mit dem Staatsanwalt zu tun bekommt, daß Homosexuelle eingesperrt werden und unverheiratete Frauen bei ungewollter Schwangerschaft „ins Wasser gehen müssen“. Wir waren das. Wir haben nicht nur Häuser besetzt, sondern mehr als das: wir haben den Rasen betreten. Wir haben den Befehl verweigert.

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Auf den Spuren des Terrors – Antifaschistische Woche in Duisburg

Am 30. Januar jährt sich zum 80. Mal die Machtübertragung an Hitler. Einige werden sich zu Worte melden, um dann so schnell wie möglich „zur Tagesordnung überzugehen“: die ewigen Ablenker, die ewigen Beschwichtiger.
Doch auch die Antifaschisten melden sich zu Wort. Ich bitte um Aufmerksamkeit für die ANTIFASCHISTISCHE WOCHE in Duisburg – von Sonntag, 27. Januar bis Samstag, 2. Februar. 14 Einzelveranstaltungen sind geplant. Die Antifaschistische Woche steht unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister a.D. Josef Krings.
Die Antifaschistische Woche wird vorbereitet unter Federführung des Duisburger Kreisverbandes der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Es wird sehr viel Arbeit hineingesteckt – ebenso Erfahrung und Können. Ich bitte darum, diese Anstrengungen mit Aufmerksamkeit und Teilnahme an den Veranstaltungen zu belohnen. (Bitte beachtet das Programm – Anklicken zum Vergrößern).
antifa-woche-du-2013-aantifa-woche-du-2013-bDer Faschismus in Deutschland ist nicht nur ein geschichtliches, sondern ein aktuelles Thema. Faschismus verschwindet nicht von selbst.

Die Buchhandlung Weltbühne beteiligt sich an der Antifaschistischen Woche mit Büchertischen bei den Veranstaltungen im Dokumentationszentrum in Kaßlerfeld:
Montag, 28.1. – 19 Uhr
Dienstag, 29.1. – 19 Uhr
Donnerstag, 31.1.- 19 Uhr
Freitag, 1.2.- 19 Uhr
Samstag, 2.2. – 13.30 Uhr
Ich bitte zu beachten, daß an diesen Tagen die Buchhandlung früher geschlossen sein wird.

Do it!

In der Frankfurter Rundschau las ich, daß sich die Kreativität gegen ihre Jünger richtet:
„Kreativität, in den 70er-Jahren war das noch eine weitgehend verschüttete, brachliegende Ressource. Es galt, diese fachlich geschulten, disziplinierten, entemotionalisierten, aschgrauen Angestelltensubjekte einmal gründlich durchzuschütteln, damit sie sich daran erinnern, dass sie auch über solche Eigenschaften verfügen.“
Ach, ja? Ich dachte, es hätte gegolten, diesen fachlich geschulten, disziplinierten, entemotionalisierten, aschgrauen Angestelltensubjekten nahezulegen, daß sie die Klappe halten sollen.
„Es geht nicht mehr um Bohème, darum, dass man kreativ und ungewöhnlich sein will, man soll es auch. Die creative industries und die creative economy zählen zu den Kernbereichen der Wirtschaft der Gegenwart und allen Prognosen nach erst recht der Zukunft.
Es ist ein merkwürdiger Zustand. Denn eigentlich waren die ‚Kreativen‘ einmal die, die „dagegen“ waren, ‚andere‘ Positionen hatten, subversiv, verweigernd, manchmal sogar anarchisch. Aber irgendwie ist der Traum von der schönen, nicht entfremdeten Existenz zu einem hysterischen Dauerzustand kreativer Neuerfindung mutiert. Der Markt giert unaufhörlich nach Neuem, Strittigem – und die Begabungen der Kreativen bestehen ja eben darin, auf strittige Ideen zu setzen, sich selbstbewusst im Dissenz zur Mehrheit zu befinden. Mit etwas Glück also und einem gewissen Willen zur Selbstvermarktung wird man genau mit dem Strittigen und sich Verweigernden erfolgreich. Nur ist das, auch wenn es sich am unschuldigen Anfang dieser Illusion hingeben mag, nicht mehr Subkultur, sondern Mainstream. Aber was sollte die Alternative sein? Welch großartigere Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten könnte es geben als die kreative?“
Sie holt uns immer wieder ein, die Frage, ob Kritik an den Zuständen die Zustände bestätigt, ob man durch den Widerstand das, dem widerstanden wird, festigt, ob Subversion die Zustände zementiert. Lauert hinter jeder Laterne ein Marktstratege, der die Kreativität aus mir heraussaugt? Ist mein Widerspruch gegen die uninspirierte Mehrheit der Mehrheit ein sanftes Ruhekissen? Ist Kreativität, gemessen an ihren Zielen, unkreativ?
WAS TUN sprach Zeus?
Ich habe die Lösung: Ich tu was ich will.

KREATIV (mit Filzstift)

KREATIV (mit Filzstift)

Der Witz am Sonntag

Eine ältere Dame aus der Bundesrepublik ist nach Rom gereist. Dort nimmt sie an einer großen Papst-Audienz teil und kann sogar ein paar Worte mit dem Papst wechseln. Sie sagt:
„Heiliger Vater! In letzter Zeit bekommen Sie dauernd Kritik an der Kirche zu hören. Darum will ich Ihnen heute eine kleine Freude machen und Ihnen zum Namenstag gratulieren.“
Der Papst ist erstaunt: „Aber heute ist doch gar nicht Benedikt.“
„Nein. Aber heute ist der Sechzehnte.“

Unerotisch, unmusikalisch (nochmal zu gestern)

„In der „jungen“ Bundesrepublik (die doch in Wirklichkeit eine Gerontrokratie war) waren die hauruckmäßigem Durchschnittsmänner unsensibel, empathielos, verständnislos, phantasielos, unerotisch, unmusikalisch, absichtsvoll begriffsstutzig, gedankenlos entschlossen, unfähig, sich leise auszudrücken.“

UNEROTISCH ist die Voraussetzung für die Männerherrschaft.
UNMUSIKALISCH ist die Voraussetzung für den Parademarsch.

Gedankenlos entschlossen

„Das starke Geschlecht sucht seine neue Rolle“, stand auf dem Cover vom Spiegel der letzten Woche. Muß es denn unbedingt eine Rolle sein?
„Männerdämmerung: Ist das männliche Geschlecht vom gesellschaftlichen Wandel überfordert? Jungen versagen in der Schule, Männer verlieren ihren Job, Kinder wachsen ohne Vater auf. Gesucht wird der moderne Mann.“ (Inhaltsverzeichnis).
Spiegel-1-2013Männerdämmerung? Ich habe viele Männer erlebt, denen nie was gedämmert hat.
In Kindertagen erschien mir die Aussicht, ein Mann zu werden, nicht sehr verheißungsvoll. Die Männer, die ich mit Kinderaugen beobachtete, taugten nicht als Vorbild. In der „jungen“ Bundesrepublik (die doch in Wirklichkeit eine Gerontrokratie war) waren die hauruckmäßigem Durchschnittsmänner unsensibel, empathielos, verständnislos, phantasielos, unerotisch, unmusikalisch, absichtsvoll begriffsstutzig, gedankenlos entschlossen, unfähig, sich leise auszudrücken. Die Fähigkeit zum Mitgefühl war bei denen – gelinde gesagt – unterentwickelt. (Mitfühlende Menschen sind weniger gut verwertbar). Mitgefühl galt als Schwäche, und Schwäche galt als Schande. Sie waren in der HJ und in der Wehrmacht erzogen worden.
„Gelobt sei, was hart macht“ hörte ich aus ihren Mündern oft. Sie lobten und liebten die Unannehmlichkeit. In der Sexualität waren sie verklemmt und grob zugleich, zotig und prüde.
Was mir in Aussicht gestellt war und was anscheinend von mir erwartet wurde, gefiel mir nicht. Auch ich sollte ein „richtiger Mann“ werden. Ich wollte kein „richtiger Mann“ werden, sondern ein echter. Ich sollte „groß und stark“ werden. Ich wollte lieber schlau werden.
In meiner Kinderzeit waren die meisten alten Frauen Witwen – und verängstigt. Sie meinten, es würden nachts immer irgendwelche „Kerle“ ums Haus schleichen. Ja, wenn doch ein Mann im Hause wäre!
Meingott! Sollte es eines Tages meine Aufgabe sein, fortwährend irgendwelche nachts ums Haus schleichenden „Kerle“ in die Flucht zu schlagen?
Zur völligen Verständnislosigkeit meiner Mitwelt machte ich mir nichts aus Schneeballschlachten, Lagerfeuern und gemeinsamen atonalen Gesängen. Die Bücher von Karl May, die ich unbedingt zu lesen hatte, fand ich langweilig. Ich mied jede Rauferei. Ich kletterte nicht auf Bäume, weil die Gefahr des Abstürzens mir bewußt war. Bewußtheit und Bewußtsein war nicht so sehr gefragt während des Wirtschaftswunders. Fassungslos mußte meine Mitwelt mit ansehen, daß ich mich gut mit mir selbst beschäftigen konnte und gern allein war.
Abstoßend erschien mir die Ouvertüre des Mann-Seins: das Militär. Es war ja wieder eine Armee aufgestellt worden. Die Nation mußte ja unbedingt der Welt beweisen, daß sie aus zwei Weltkriegen nichts gelernt hatte.
„Da muß man durch!“ Nein, da muß man nicht durch. Da muß man drumrumkommen. Die Unterbringung im Acht-Mann-Zimmer, diese dampfende „Männerkameradschaft“, und Leuten zu gehorchen, die dümmer sind als ich – das war nicht erstrebenswert.
Stellen wir also fest: Ein „richtiger Mann“ bin ich nicht geworden.
Allerdings: ein „anderer Mann“, einer von den „neuen Männern“, die „das Land braucht“, will ich auch nicht sein.

Fernsehapparat kaputt

Und schon wieder ist bei mir ein Fernsehapparat kaputtgegangen! Den hatte ich nur ein halbes Jahr, nachdem der Fernsehapparat, den ich davor hatte, auch kaputtgegangen war.
Ausgerechnet einen Tag vor Weihnachten ging der Apparat kaputt. Da mußte die traditionelle Video-Orgie am zweiten Weihnachtstag diesmal ausfallen.
Das ist alles nur halb so schlimm. Wenn man keinen (funktionierenden) Fernsehapparat hat, ist man in seiner Zeiteinteilung freier, stelle ich fest.
Ich habe nur an Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, eine Bitte.
Können Sie bitte hier gelegentlich einen Kommentar hinterlassen und mich auf dem Laufenden halten, wie es mit der Lindenstraße weitergeht?

Parkplatz der Vorurteile

In der Zeitung las ich und im Radio hörte ich: Eine Studie hat ergeben, daß Frauen besser einparken können als Männer.
Früher waren wir abergläubisch und chauvinistisch. Da glaubten wir: Die Fahrtüchtigkeit hängt vom Geschlecht ab.
Aber jetzt sind wir aufgeklärt und emanzipiert. Jetzt wissen wir: Die Fahrtüchtigkeit hängt vom Geschlecht ab.