Parlament: arisch

„Debatte um Wahlrecht für Kinder – Vorstoß von FDP-Minister Niebel“ schlagzeilte die WAZ letzten Freitag (4.1.2012).
Natürlich will der FDP-Mann die Kinder dann doch nicht wählen lassen. Er will ihnen eine Stimme geben, die sie dann aber gar nicht (selber) abgeben dürfen. „Für praktikabel hält es der FPD-Minister, wenn Eltern das Wahlrecht ihrer Kinder treuhänderisch wahrnehmen würden.“ Und jetzt kommt‘s: „Dann hätten die Familien ein höheres politisches Gewicht.“ Er meint: „Das würde uns Politiker zwingen, die Interessen von Kindern und Familien noch viel stärker ins Blickfeld zu nehmen als Bislang.“ Anscheinend meint er auch, daß die Interessen von Kindern (und Jugendlichen) in ihren Familien gut aufgehoben sind.
Ich werde mich hüten, zu behaupten: Der Minister Dirk Niebel ist ein Idiot. Nein, der tut nur so. Sein „Vorstoß“ ist gar zu fadenscheinig. Die Existenzkrise der FDP spitzt sich zu. Sie greift nach Strohhalmen. Zwei Wochen vor der Landtagswahl in Niedersachsen und mitten im Geknalle vor dem „Dreikönigstreffen“ meinte Niebel: Wir müssen mal wieder mit einer „richtigen“ Nachricht in die Zeitung kommen. Dafür spielt er sogar den Deppen und verkündet eine Scheißhausidee.
Originell ist das ja nicht. Immer mal wieder wird das aufgetischt: „Eltern wählen für ihre Kinder“. Vor der Bundestagswahl 2005 entzückte der Professor Doktor Paul Kirchhof die Doofen mit derselben Idee, was im METZGER kommentiert wurde (siehe unten). Und erst kürzlich, in der Frankfurter Allgemeinen vom 10.4.2012 wiederholte er das: „Das Wahlrecht steht allen Bürgern zu. Kinder sind Bürger. Deswegen ist es nicht ausgeschlossen, ihnen die Möglichkeit zu bieten, ihr Bürgerrecht so weit als möglich, das heißt bis zur Volljährigkeit, in Vertretung durch die Eltern auszuüben.“ „Ausüben zu lassen“ wollte er wohl sagen.

Flugblatt der Projektgruppe Pudding und Gestern (2005)

Flugblatt der Projektgruppe Pudding und Gestern (2005)

Von einem Mann wie Kirchhof, mit dem das Amt eines Bundesverfassungsrichters fehlbesetzt war, kann man zwar nicht erwarten, sollte man aber verlangen, daß er schon mal davon gehört hat, daß Grundrechte „unveräußerlich“ sind. Das hat auch für das Wahlrecht zu gelten. In der gleichen und unmittelbaren Wahl kann jeder nur eine Stimme abgeben, und zwar seine eigene. Wo kämen wir denn hin, wenn der Vater für die Tochter und demnächst vielleicht der Pastor für die ganze Gemeinde, der Meister für den Gesellen, der Betriebsführer für seine Gefolgschaft Stimmzettel ausfüllen dürfte? Dorthin, wo Kirchhof und seine Lehrmeister das ganze Land und uns alle am liebsten hinhaben wollen.
„Man könnte geneigt sein, diese Idee als abwegige Erfindung eines verrückten Professors abzutun“, schreibt Helmut Kellershohn im DISS-Journal (Nr. 23, 2012), und er spürt die Herkunft dieser Wahlrechts-Schote auf:
„Zu den Totengräbern der Weimarer Republik gehörten zweifellos die konservativen Eliten in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Einer der wichtigsten Braintrusts war damals der Deutsche Herrenklub, dem Geist des Weimarer Jungkonservatismus verpflichtet und die Hintergrundorganisation, die der Regierung Papen die entscheidenden Stichworte für die Idee des ‚Neuen Staates‘ lieferte. Kern des Neuen Staates sollte eine Reichs- und Verfassungsreform sein, die an die Stelle der Republik einen autoritären Staat setzen sollte. Zu den Vorschlägen, die diesen ‚Staatsumbau‘ in die Wege leiten sollten, zählten die Stärkung der Autorität des Reichspräsidenten, die Errichtung eines Oberhauses (‚Erste Kammer‘) und die Beschneidung der Kompetenzen des Reichstages, der Schutz der Wirtschaft vor staatlichen Eingriffen, z.B. dem staatlichen Schlichtungswesen, und nicht zuletzt – und damit kommen wir wieder zu Kirchhof – eine Veränderung des Wahlrechts.
Die damaligen jungkonservativen Vordenker und ihre Repräsentanten in der Regierung Papen empfahlen drei Manipulationen des Wahlrechts: Erstens die Ersetzung des Verhältniswahlrechts durch ein Mehrheitswahlrecht, bei dem nicht Parteien zur Wahl stehen, sondern parteiunabhängige ‚Persönlichkeiten‘ in sog. ‚Einmannwahlkreisen‘, ergänzt möglicherweise auch durch die Einführung der indirekten Wahl; zweitens die Heraufsetzung des Wahlalters von 20 auf 25 Jahre. Während der erste Vorschlag sich vor allem gegen die Parteien richtete, so der zweite gegen die rebellische Jugend in den Massenbewegungen. Der dritte Vorschlag ist nun genau der, der von Kirchhof kopiert wird. Gefordert wird die Einführung eines ‚Pluralwahlrechts‘, das vorgibt, das Gewicht der Stimmen nach ‚Leistung‘ und ‚Verantwortungsfähigkeit‘ zu differenzieren, wobei hier, wie bei Kirchhof, an die ‚Sammlung der Stimmen aller Unmündigen bei den Versorgungsberechtigten und -verpflichteten‘ gedacht wird.“ (Bitte lesen Sie den ganzen Text aus dem DISS-Journal).
Kirchhof hat (so schreibt Kellershohn weiter) den „völkischen Ton durch den neoliberalen Standortnationalismus ersetzt“. WAZ-Kommentator Wilhelm Klümper wundert sich also zu früh, wenn er sich wundert: „Es verwundert, daß ausgerechnet ein Liberaler einen Vorschlag zum Wahlrecht macht, der individuelle Lebensentwürfe des einen belohnt und des anderen bestraft.“ Wer unsere (neo)liberalen Pappenheimer kennt, wundert sich über jarnischt mehr. Vielleicht fände der Herr Niebel es ganz herztausig, wenn Wählerstimmen an der Börse gehandelt werden.
Die Wahlrechts-Klamotte wird noch oft serviert, da kann man sicher sein. Warmgehalten wird sie, eingeführt wohl nicht. Dennoch ist den Herren Kirchhof und Niebel übers Maul zu fahren, wenn sie deutschen Familienvätern antidemokratische Flausen in den Kopf setzen.

Kommentar in DER METZGER 75 (2005)
DIE GROSSE BIEGE
Wenn Professor Doktor Paul Kirchhof eine Idee hat, kommt ein Unglück nicht allein. Über seine „Steuerpläne“ breitete sich das Entzücken der Doofen und das Entsetzen der Verbleibenden so sehr aus, daß es fast unterging, daß er noch eine Idee Weiterlesen

Der Witz am Sonntag (diesmal mit Bart)

Eine der ersten Dienstreisen von Papst Benedikt XVI. ging in eine italienische Bischofsstadt. Der Papst wurde in einem dicken Auto dorthin chauffiert. Unterwegs fragte der Papst seinen Fahrer, ob er ihn nicht mal ans Steuer des Wagens lassen könnte, er habe große Lust, nach langer Zeit mal wieder selbst Auto zu fahren.
Also wechselten der Papst und der Fahrer die Plätze. Benedikt XVI. fuhr los und drückte auf die Tube. Prompt geriet er in eine Radarkontrolle. Ein Polizist auf einem Motorrad machte sich auf die Verfolgung, stoppte den Wagen, schaute hinein und erschrak. Per Funk wandte er sich an die Leitstelle: Ob er einem Prominenten, einem ganz hohen Tier, einfach so ein Strafmandat ausstellen könne.
Er wurde verbunden mit seinem Vorgesetzten. Auch der wollte in dieser heiklen Angelegenheit nicht entscheiden und verband weiter mit dem Polizeipräsidenten.
Der Polizeipräsident war etwas ungehalten: „Was soll das denn? Wegen eines simplen Strafmandats wegen Geschwindigkeitsüberschreitung rufen Sie mich an? Was ist das denn für ein hohes Tier in dem Auto?“
„Das weiß ich ja nicht. Aber der Papst ist sein Chauffeur!“

*

Das ist natürlich eine komische Vorstellung, daß jemand den Papst als Chauffeur einstellt – und der das dann auch noch macht. Aber wenn ich jetzt in der Zeitung lese, daß in Duisburg soundsoviel katholische Gemeinden aufgelöst und die Kirchen geschlossen werden, ist doch die Frage ganz angebracht, ob die Pastöre nicht als Taxifahrer ihre Gemeindekassen aufbessern könnten. Denn ich finde es bedauerlich, daß jetzt so viele Kirchen zumachen. Ich war nämlich als Atheist immer schon der Meinung: Man soll die Kirche im Dorf lassen.

Sich ‘ne Scheibe dran nehmen

Das hab ich im Fernsehen gesehen: In einer Kneipe in Köln, unter ständigem gemeinsamen Aufstehen – Hinsetzen – Aufstehen – Hinsetzen singen alle: „Erst steigen wir auf, dann steigen wir wieder ab, dann steigen wir wieder auf, dann steigen wir wieder ab, dann steigen wir wieder auf, und dann steigen wir wieder ab.“
Was sagt uns das?
Die Kölner verhalten sich eigenartig. Daß der 1.FC Köln in die Bundesliga aufsteigt und wieder absteigt und aufsteigt und wieder absteigt und wieder aufsteigt, das finden die komisch. In Schalke oder Dortmund wäre das nicht so. Dort sind die Fußballclubs sowas wie eine Ersatznation. Aber die Kölner, die nehmen ihren 1.FC Köln gar nicht ernst. Sie nehmen auch ihren Oberbürgermeister nicht ernst. Die nehmen auch ihren Erzbischof nicht ernst.
Da könnte man doch (um es mal nach Art von Piet Klocke auszudrücken) sich ein Beispiel dran abschneiden.

*

Jürgen Becker hat vorgeschlagen, den Islam ruhig ins Rheinland reinzulassen. Mit dem Katholizismus sei man dort doch auch ganz gut fertiggeworden.
Im Vatikan hat man die Art, wie man sich im Rheinland den Katholizismus zurechtbiegt, nicht gut gefunden, und jemanden da hingeschickt, nämlich den Kardinal Meisner. Der aber ist, das muß man sagen, als Erzbischof von Köln eine glatte Fehlbesetzung. Auch der Vorgänger Höffner war nicht die Idealbesetzung. Am besten paßte noch der Frings. Der hatte nämlich eingesehen, daß man da gar nichts machen kann.
Er sagte: „Ihr geht Kohlen klauen? Ja, dann geht Kohlen klauen!

Victoooooooria!! Victoooooooria!! VictoriAA!! VictOOria!!

In dem Blatt, das die Kommentare von Thomas Blum druckt, hat er geschrieben: „…war ihnen nie der große Erfolg beschieden, obwohl oder gerade weil Ray Davies die klügeren und anspielungsreicheren Texte fabrizierte, eine Art sarkastische und gelegentlich ins politisch Reaktionäre spielende Sozialkritik, weitab vom großmäuligen Macho-Gehabe der Stones.“
Erstens: Die Band heißt nicht „Stones“, sondern „Rolling Stones“. „Stones“ zu sagen, wenn man „Rolling Stones“ meint, ist großmäuliges Gehabe (ebenso, wenn man statt „in den USA“ „in den Staaten“ sagt oder „Frisco“ statt „San Francisco“ oder „Älee“ statt „Los Angeles“).
Zweitens: Was soll denn das heißen: „gelegentlich ins politisch Reaktionäre spielende Sozialkritik“? Ich weiß, warum er sowas schreibt: Um Ray Davies für seine Leser zu qualifizieren.
So. Und jetzt geh ich nach Hause und hör mir die Kinks an.
Arschloch!

Das Jahr geht weiter mit einem Gedicht

DER SCHATZ IM SILBERSEE

Im Dritten vom WDR, Mittwoch, 10.8.2005

Winnetou hat kein Pferd mehr.
Irgendjemand hat ihm seins weggenommen.
Die Versicherung
will dafür nicht aufkommen.

Old Shatterhand hat festgestellt,
daß es im ganzen Wilden Westen
kaum
Regenschirme gibt.

Winnetous Schwester
hat ein Geschäft für
Bastelbedarf auf der Wanheimer Straße.

Old Shurehand hat Winnetou
für Sonntag Nachmittag
zu Kaffee und Kuchen eingeladen.
Aber vorher will er ihm
den Garten zeigen:
Gemüsegarten für den Eigenbedarf.

Die vom Stamme der Apachen denken: Wir
hätten das Funkhaus in die Luft
gesprengt.
Dabei waren wir
das gar nicht.

Duisburg-Hochfeld, Wanheimer Straße

Duisburg-Hochfeld, Wanheimer Straße

 

Das Jahr beginnt mit einem Schock

Meine Karikatur aus dem Jahr 1989 mit dem Titel „Emanzenschocker“ behandelt die Diskrepanz, die sich zwischen den Begriffen „Emanzipation“ und „Emanze“ auftut.

EmanzenschockerDie Zeichnung vervielfältigte ich im Din-A-3-Format, und ich brachte die Plakate auf allen möglichen Schwarzen Brettern in der Duisburger Universität an. Ich hielt es für meine Pflicht als Künstler, auf subversive Weise das Publikum mit jenen Impulsen zu konfrontieren, die es in sich niederzuringen versucht (beziehungsweise in sich niederringen soll).
So weit so gut.
Ein paar Jahre vergingen, und ich empfing mal wieder die Verlagsvertreterin von Konkret in der Weltbühne. Das war die Frau Gaby Klinski, die ich immer gern empfing. Sie kam schon lachend herein. Ich kann mir vorstellen, daß es (namentlich für Vertreter progressiver Verlage) ein hartes Brot ist, sich tagein tagaus von morgens bis abends mit den Herrschaften in den bürgerlichen Buchhandlungen herumzuschlagen. Aber in der Buchhandlung Weltbühne, da ist man Mensch, da darf man‘s sein.
Es war halbfünf. „Um sechs Uhr muß ich in Köln sein, eine Wohnung besichtigen“, sagte sie. Aber um sieben saßen wir immer noch herum und lachten uns kaputt.
Als sie aufbrach, entdeckte sie den METZGER Nr. 54, dessen Cover von eben jener Karikatur verziert wurde.

M054Und wie lautete der Kommentar der Frau, die auch den Verlag Frauenoffensive und Frauen-Dies und Frauen-Jenes vertrat?
„Emanzenschocker? Hahaha! Emanzenschocker! Hihi! Was hast du denn da gemacht? Emanzenschocker! Hahaha! Das Heft nehm‘ ich mit.“
Sehen Sie, es ist doch alles halb so wild.