Die Farbe des Geldes (2)

geldschein3Im Eschhaus verkehrte zeitweise eine Clique aus Kaßlerfeld, lauter so finster dreinblickende „Kerle“, die schon mal wegen Sachbeschädigung, Diebstahl oder Schlägerei mit besoffenem Kopp vorbestraft waren (mit irgendetwas muß man sich ja unter Beweis stellen).
Die schöne Claudia (mehr demnächst) hatte das zweifelhafte Vergnügen, daß einer aus der Clique sich an sie ranzumachen versuchte. Sie berichtete mir sichtlich enerviert davon: „Das ist ja wirklich furchtbar, womit der mir zu imponieren versucht! Da sagt der doch zu mir: ‚Wenn einer wat von dir will, äh, dann sach mir bescheid, dann hau ich dem vor die Schnauze.‘ Ist ja ekelhaft! Schnauze! Schnauze! Dauernd: Schnauze!“

Claudia

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ClaudiaH3In der Kerle-Clique war auch einer, der sich von den anderen unterschied. Das war ein schmächtiges Kerlchen, mager, kleinwüchsig, nicht gerade besonders helle (um nicht zu sagen: ziemlich trüb). Der war auch behindert, litt anscheinend unter Muskelschwund und konnte nicht richtig gehen. Die hielten sich den als so ‘ne Art Dorftrottel: Die hielten den alle für bekoppt, aber kein Fremder durfte dem was tun. Ich nenne ihn mal Peko (denn so hieß er).
Eines Tages war Peko 18 Jahre alt geworden. Und ihm wurde ein großer Geldbetrag ausgezahlt. Vielleicht eine Erbschaft. Es wurde auch gesagt, ihm sei bei Erreichen der Volljährigkeit die gesamte Waisenrente nachgezahlt worden. Die Rede war von mehr als 20.000 Mark. Dafür konnte man sich damals (70er Jahre) viel kaufen.
Was macht ein als Dorftrottel Gehaltener, der im Elend lebt und keinerlei Aussichten hat, mit 20.000 Mark? Zusammenhalten? Sparsam damit umgehen, um so lange wie möglich wenigstens das Allernotwendigste für sich zu sichern? Das hat er natürlich nicht getan. Er hat Runden geschmissen, eine nach der anderen; er hat die ganze Clique (und alle möglichen anderen Leute, die das Geld gerochen hatten) ausgehalten. Nach vier Tagen war das Geld weg. Aber vier Tage lang haben alle ihn hochleben lassen. Als das Geld weg war, wollten die anderen nichts mehr von ihm wissen. Da war er auch nicht mehr das Maskottchen der Clique, sondern ein Niemand, den nie jemand gekannt hatte. Als er kein Geld hatte, war er der bemitleidete Trottel. Als er kein Geld mehr hatte, war er nur noch der Trottel, der „Schizo“, der Schwächling, der Krüppel, mit dem man nichts zu tun haben wollte.
Einige Leute haben sich darüber unterhalten, was sie mit dem Geld angefangen hätten. Da wurde ich Zeuge, wie Menschen, die eine dezidiert-ablehnende Haltung zur Gesellschaftsordnung hatten und vor Utopien sich nicht scheuten, in Gelddingen eine sehr nüchterne Einstellung hatten. Das fand ich gut.
Mit Geld kann man was machen. Man kann sich einige Probleme vom Hals schaffen. Wer Ideen hat, nutzt die Gunst, sie in die Tat umzusetzen.
Wenn man keine Idee hat, reicht es einem, vier Tage lang der dicke Wilhelm zu sein.
Mit einem Kriminalbeamten hatte ich es im Eschhaus auch mal zu tun. Da war nämlich eingebrochen worden. Die Einbrecher hatten das Brecheisen einfach liegenlassen. Sie hatten nur Geld geklaut, zum Beispiel die Wechselkasse aus dem Buchladen. Der Kriminalbeamte beguckte sich das Brecheisen sehr genau. Fingerabdrücke interessierten ihn gar nicht („Brauch ich nicht“). Er studierte nur die Methode der Einbrecher und wußte sofort, daß das die Typen gewesen sein mußten, die eine Viertelstunde nach dem Einbruch nachts um vier palavernd auf dem Sonnenwall geschnappt worden waren. So kriegte ich meine 80 Mark zurück.
Der Kriminalbeamte sagte: „Wenn was gestohlen wurde, muß man nur darauf achten, wer sich auffällig benimmt und plötzlich mit Geld um sich wirft.“
Es ist doch seltsam: Diese Leute haben nie Geld, nehmen werweißwas für ein Risiko auf sich, um zu Geld zu kommen, und geben sich dann größte Mühe, möglichst schnell wieder kein Geld zu haben.

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