Heiligabend

oder: Wir müssen die Feste feiern wie sie uns gefallen.
In Zeiten der massenweisen sozialen Deklassierung tritt das Religiöse wieder in den Vordergrund. Im Fernsehen wird über Religion diskutiert. Kurz vor Weihnachten war es auch bei Plasberg so weit. Jutta Ditfurth war dabei, und auf Heiligabend angesprochen, bemerkte sie, für sie als Atheistin gebe es keinen „heiligen Abend“.
Am 23. Dezember 1978 wurde anläßlich des neunten Jahrestages unseres Abiturs ein Klassentreffen veranstaltet. Das fand im Duisburger Hof statt (der Lothar Röse hatte immer so komische Ideen). Es war, wie gesagt, der Tag vor Heiligabend. Es war ein sehr kalter Dezember, und zu der Zeit streikten die Mannesmann-Arbeiter für die 35-Stunden-Woche.
Nach dem Treffen fand sich ein Grüppchen von Kameraden zusammen, die noch nicht gleich nach Hause gehen, sondern noch irgendwo zusammen einen trinken gehen wollten. Ich schloß mich an und schlug vor, zum Finkenkrug zu fahren. Das war praktisch bei der Kälte. Denn vom Finkenkrug aus hatte ich nur noch 200 Meter Heimweg.
Also fuhren wir zum Finkenkrug. Reiner Wagner meinte, wir sollten einfach erzählen, wir wären streikende Mannesmann-Arbeiter, dann kriegten wir bestimmt einen ausgegeben.
Das klappte aber nicht. Unsere Beteuerung, streikende Arbeiter von Mannesmann zu sein, veranlaßte niemanden, eine Runde für uns zu schmeißen.
Reiner Wagner war ganz empört: „Was ist das denn hier? Wir sind doch die streikenden Mannesmann-Arbeiter! Warum kriegen wir denn keinen ausgegeben? Ist doch schließlich Heiligabend heute!“
Die Chuzpe, uns nicht nur fälschlich als streikende Mannesmann-Arbeiter auszugeben, sondern den Leuten im Finkenkrug auch noch ein falsches Datum unterzujubeln, erheiterte mich sehr. Das fand ich nicht weniger komisch als die Physiker, die alles mit Fett beschmieren. Jedenfalls ist der Ausdruck „Heiligabend“ seither wieder für mich verwendbar.

P.S.: Axel Eggebrecht berichtete in seinen Memoiren, Anfang der 20er Jahre seien in allen möglichen linken Versammlungen junge Männer in Matrosenanzügen aufgetaucht, die vom Nimbus des Kieler Matrosenaufstandes zehrten. Kaum einer von denen hätte sich jemals in der Nähe der Küste aufgehalten. Ich immerhin habe mal im Stahlwerk bei Mannesmann gearbeitet, und durch die Politik kam ich mit einigen Mannesmännern zusammen: Artur Reisch vom Betriebsrat, Herbert Dräger vom IG-Metall-Vertrauenskörper. Und auch den Herbert Knapp, der damals Betriebsratsvorsitzender war, lernte ich kennen. Man hätte uns also ruhig einen ausgeben können.

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