Willi Kissmer

Willi Kissmer kannte ich seit 1969, d.h. da sind wir uns erstmals begegnet. In der kleinen, überschaubaren Szene progressiver Poeten, Künstler und Musiker des „Underground“ in unserer Stadt kannte man wohl schon die Namen. Er spielte eine Zeitlang mit der 16jährigen Sängerin Jenny in einem Duo, das sich mit der Folk-Band „Les Autres“ (gegründet 1966) vereinigte, woraus die Folkrock-Band „Bröselmaschine“ hervorging (umbenannt 1969). Als die Band sich 1972 auflöste, hatte Willi sie aber schon verlassen (in der Band wurde er ersetzt durch Michael Schmidt, auch einer von denen, deren Namen nicht mehr genannt werden). Willi meinte, sich entscheiden zu müssen zwischen Musik und Malerei, beides zusammen meinte er nicht zu verkraften. Daß er sich für die Bildende Kunst und ein Studium an der Folkwang-Hochschule entschied, war zunächst verwunderlich. Als Gitarrenspieler gehörte er zu den Besten, und er war mit der Band auf gutem Wege, auch zu den erfolgreichsten Gitarrenspielern zu gehören. Die ausschließliche Hinwendung zur Bildenden Kunst barg ein größeres Risiko. – Er wurde ein sehr erfolgreicher und geachteter Maler.

Titelseite von DER METZGER 14, Mai 1971, entworfen von Willi Kissmer

Von 1969 bis heute, in dieser langen Zeit gab es Perioden, in denen wir uns fast täglich über den Weg liefen. Und dann sahen wir uns manchmal erst nach ein paar Jahren wieder. Der Kommunikation tat das keinen Schaden. Es war immer so, als hätten wir uns gerade ein paar Tage nicht gesehen. Fremdheit stellte sich nicht ein; die Gespräche dauerten immer recht lange und waren so amüsant wie die Themen.
Es war im Eschhaus, da berichtete er mir von dem Künstleraustausch zwischen Duisburg und Moskau. „Wir Duisburger Künstler waren in Moskau im Gästehaus der Regierung untergebracht. Die Moskauer Künstler hätte man am liebsten in Duisburg auf Luftmatratzen übernachten lassen.“ Er war in seinem Bericht auch den Ursachen des Scheiterns des realen Sozialismus auf der Spur: „In Moskau ist jedes zweite Auto ein Taxi. Aber versuch mal eins zu kriegen!“
Eine Zeitlang hat Willi an der Uni graphische Techniken unterrichtet, einmal in der Woche. Dann war er immer Gast an unserem Büchertisch, der jahrzehntelang Treffpunkt der progressiven Uni-Szene war. Ich bin immer froh, wenn man sich nicht lange aus den Augen verliert.

Jetzt rechne ich nach und stelle fest: Unsere letzte Begegnung (siehe Foto, Willi links in Bild) ist zwölf Jahre her!
Irgendjemand hat mal gesagt: „Der Willi kann an einem Tag die tollste Ansicht vertreten und am nächsten Tag das Gegenteil davon.“
Na ja! Er war eben ein Fabulierer. Gerechter wäre es, neben seinen unbezweifelbaren Qualitäten als Musiker und Maler auch die so gern unterschätzten Talente in der Lebenskunst zu würdigen: Gespräche ohne Leerlauf, Freundlichkeit, Vorbehaltlosigkeit.
Ich erinnere mich immer an ein Detail. Wir saßen im Tournee-Bus und brausten über die Autobahn, es ging nach Hause. Er saß vorn auf dem Beifahrersitz, ich hinten, und er versicherte mir: „Eines Tages werden sowieso die Insekten die Welt beherrschen.“
Das fand ich geradezu beruhigend.

Willi Kissmer ist am 27. Juli 2018 nach schwerer Krankheit 66jährig in Duisburg gestorben.

2 Gedanken zu „Willi Kissmer

  1. Lieber Helmut,

    seit einigen Wochen taucht Dein Name wieder an meinem Horizont auf, über Lothar, dessen Arbeiten Du verlegst & mit dem ich gerade mal wieder eine knappe Woche — inkl. Peel Acres — verbracht habe. & jetzt im Kontext Willi Kissmer. Hat mich berührt, weil, & jetzt kopiere ich meine Zuschrift an Willis Website:
    „To Whom It May Concern:
    Vor etwa zwei Wochen war ich — Tullus Fuchs, alter Duisburger, seit 35 Jahren raus aus der Stadt und in Hamburg ansässig — mal wieder in unserem Rheinflorenz, und zwar als Tourist: Neuerdings liebe ich den Platanendschungel, der die Stadt geworden ist. Hatte mich in dem Brutalistenturm Hotel Rheingarten eingemietet, und jogge morgens natürlich als erstes zum Hebeturm, und kucke auf die Schilder, wer da wohl wohnt.
    Kissmer? Is dat Willi Kissmer? Das Besondere ist, daß ich, nach über dreißig Jahren, im Mai dieses Jahres, mal wieder an Willi gedacht hatte, den ich aus den Schero-Bohème-Zeiten in den Siebzigern kannte: War im Mai mit einem Freund aus Hamburg in Duisburg und erzählte ihm, wie Willi mir damals von einem Kumpel erzählte, der in einem der Ruhrorter Brückentürme wohnte, mit sechs Meter hohen Decken, und wie ich grün vor Neid wurde [hat nach einigen Jahren nachgelassen].
    Also war ich angefixt und habe geklingelt; keine Reaktion, und angerufen; keine Reaktion — jetzt, nach Aufrufen der Website, weiß ich natürlich warum.
    So traurig. Meine Anteilnahme!
    Herzlich,
    tullus

    Lieber Helmut, ich dachte, ich teile das mal mit Dir.

    Mit herzlichen Grüßen
    tullus

  2. Und ja leider, ist der Rainer Schimmikowski auch in diesem Jahr gestorben. Willi und ich haben immer wieder nach seinem Verbleib geforscht, erst sein Tod ließ ihmim Web auftauchen.

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