Die Fädenzieher

Wer hat eigentlich das Attentat auf die New Yorker Hochhäuser am 11. September 2001 verübt? Darüber gibt es Bekanntmachungen. Diese aber werden hier und da angezweifelt. Es gibt Leute, die argwöhnen, der US-Geheimdienst CIA könnte es gewesen sein beziehungsweise „dahinterstecken“. Manche halten das für sehr wahrscheinlich, manche halten es sogar für ausgemacht: Der CIA war‘s, anders kann es gar nicht gewesen sein. Die Leute, die sowas meinen, werden als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet, obwohl ihre Betrachtungen eher an Wünschelrutengängerei als an Theorie erinnern.
Das Attentat von New York gehört – ähnlich wie der Mord an Kennedy – zu jenen Ereignissen, bei denen „viele Fragen offenbleiben“. Nicht alles, was man weiß, will man wissen. Nicht alles, was der Regierung bekannt ist, gibt sie bekannt. Nicht alles, was sie bekanntgibt, ist wahr. Man ist kaum geneigt, das, was der Präsident Bush gesagt hat, für sehr viel seriöser zu halten als das, was dem Publikum an Verschwörungen aufgetischt wird.
Zu den Auftischern gehört zum Beispiel ein Journalist namens Wisnewski. Er ist kein Neuling. Ihm hat schon einmal geschwant, daß der RAF-Terrorismus von den Herrschenden trefflich ausgenutzt wurde, etwa nach der Devise: Wenn es den Terrorismus der RAF nicht gäbe, müßte man ihn erfinden. Daraus schloß er messerscharf: Der Terrorismus der RAF ist erfunden worden. Dann hat er ein Buch geschrieben, daß die ganze RAF eine Inszenierung der Geheimdienste war.
Nicht weniger verrückt aber ist das Lamento über die diversen Verschwörungs-Verkäufer. Ach, warum sollen die Kaffeesatzleser nicht das Publikum mit zusammenphantasierten Räuberpistolen in Atem halten! Das ist zwar bekloppt, aber auch nicht bekloppter als die Yellow-Press, deren unendliche Geschichte vom Schwesternzwist im Hause Grimaldi das Weltbild eines wahlberechtigen Millionenpublikums vernebelt.
Die Lamentierer sehen das anders: „Könnte das daran liegen, daß der Haß auf die Amerikaner zur Zeit im Trend liegt?“ fragte Ivo Bozic in Jungle World, und Henryk M. Broder antwortete: „Ich glaube, daß der Antiamerikanismus teilweise an die Stelle des Antisemitismus getreten ist, als Bindemittel nationaler Emotionen.“ Na? Wittert man da nicht die Verschwörung, die von den Vietnam-Protestierern der 60er Jahre bis zu den Hakenkreuzschmierern reicht? – Broder weiter in diesem Sinne: „Radikale Linke wie Rechte leben davon, daß sie…“ Das ist das Lieblingsthema derer, die im übrigen eine Verschwörung der Verschwörungstheoretiker beklagen. Ihre Logik: Weil die Verschwörungstheorien verrückt sind, kann es keine Verschwörungen geben. Klar! Sonst würde noch am Ende jemand glauben, der Sender Gleiwitz wäre gar nicht von polnischen Soldaten angegriffen worden…
Also wenn Sie mich fragen, könnte es so gewesen sein:
Die Twin-Towers von New York hat der CIA selbst umgeschmissen – ohne es zu wissen.
Man muß bedenken: Wenn in irgendwelche Angelegenheiten Geheimdienste verwickelt sind, spielt sich alles nach ganz anderen Regeln ab als nach denen von Ursache und Wirkung, die wir kennen. Geheimdienste haben ihre eigene Logik. Man denkt dort um sieben Ecken herum.
Etwa so: Wenn etwas so geheim ist, daß der Gegner es auf keinen Fall erfahren darf, müssen wir es ihm mitteilen. Wenn etwas so geheim ist, daß es auf keinen Fall bekanntwerden darf, müssen wir es bekanntgeben. Denn wenn wir es geheimhalten, dann findet die Gegenseite es heraus. Was wir bekanntgeben, glaubt die Gegenseite nicht. Also geben wir das bekannt, was niemand erfahren darf. Da die Gegenseite aber genauso schlau ist, wissen die, daß das Bekannte in Wirklichkeit geheim und das Geheime in Wirklichkeit bekannt ist. Also sind wir noch schlauer und glauben das, was wir nicht glauben und glauben nicht, was wir glauben. Und so weiter ad infinitum. Wer in dieser Logik befangen ist, weiß am Ende alles, also gar nichts. Da der US-Geheimdienst CIA alles weiß, weiß er nicht, was er tut.
Was man den Verschwörungstheoretikern also vorhalten muß, ist, daß ihre Verschwörungstheorien zwar verrückt sind, aber nicht verrückt genug, um hinter das Geheimnis zu kommen. Es stimmt zwar, daß da hinter den Kulissen an irgendwelchen Fäden gezogen wird. Aber es stimmt nicht, daß die Fädenzieher sich alles ausgedacht haben und alles lenken, wie sie es sich ausgedacht haben. Es sind nicht die Fäden eines Marionettentheaters, sondern eher die Fäden eines Gordischen Knotens. Einmal dran gezogen, und – schwupp – fallen die Hochhäuser um, ohne daß der Fädenzieher merkt, daß er sie umgeschmissen hat. So war es, oder? Aber auf mich hört ja keiner. Aus einem Fenster der alten Villa ließen Schwester Irene Graves und Fräulein Über schaufelweise Cornflakes auf die ganze Sanatoriumsgesellschaft hinabrieseln.
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