Aus der Geschichte der Musik: „People try to put us down“

1965 wurde der Song „My Generation“ von The Who veröffentlicht, der zur Hymne der nach dem Krieg Geborenen wurde. Darin heißt es: „People try to put us down talking ‘bout my generation“.
Das beste Beispiel für das, was in dem Song von The Who angeklagt wird, ist ein deutsches Schlager-Lied, das im selben Jahr veröffentlicht wurde und als Gegenteil von „My Generation“ gelten darf: „Mit 17 hat man noch Träume“. Wenn hinter diesem Kulturgut wohl auch kaum eine andere Ambition steckte als die, damit Profit zu machen, so handelt es sich gleichwohl um Propaganda der Eindimensionalität. Da wurde „about my generation“ gesprochen – nicht mit schäumender Wut wie so oft, dafür aber mit klebriger Selbstgefälligkeit. Das Establishment schlug zurück – nein, es schmierte.
Die US-amerikanische Sängerin Peggy March, damals tatsächlich 17 Jahre alt, sang das:

„Mit 17 hat man noch Träume,
da wachsen noch alle Bäume
in den Himmel der Liebe.
Mit 17 kann man noch hoffen,
da sind die Wege noch offen
in den Himmel der Liebe.
Doch mit den Jahren wird man erfahren,
daß mancher der Träume zerrann.
Doch wenn man jung ist, so herrlich jung ist,
wer denkt, ja wer denkt schon daran!
Junge Leute fragen nicht, was man darf und kann.
Junge Leute seh‘n die Welt mit and‘ren Augen an.
Und ist diese Welt auch oft fern der Wirklichkeit,
wo ist der, der ihnen nicht lächelnd das verzeiht?“

Die Gewalt, die des Reimes willen der Grammatik angetan wurde (es hätte doch heißen müssen: man wird erfahren, daß mancher Traum zerronnen sein wird), soll mal übergangen sein. Was will der Künstler damit sagen?
Der Mann, der diesen Text fabriziert hat, hat sich wohl selbst nicht mehr daran erinnern können, das er selbst auch mal 17 Jahre alt gewesen ist. Stattdessen breitet er ein Klischee aus über das Leben und Empfinden 17jähriger, das nun tatsächlich fern der Wirklichkeit ist. Amnesie ist ein Kennzeichen des eindimensionalen Menschen. Die Wunschvorstellung vom 17jährigen Mädchen als etwas dümmliche, realitätsferne Person war eine Beleidigung aller, die im Jahre 1965 17 Jahre alt waren. Sie stand im krassen Gegensatz zur Realität, in der sich die nach dem Krieg geborene Generation angewidert oder gleichgültig von den Wertvorstellungen und Lebensvorstellungen der Generation abwandte, die ihre Erziehung in der HJ, im BDM und in der Wehrmacht genossen hatte.
Kein 17jähriger hätte von sich aus im Jahre 1965 gejuchzt: „wenn man jung ist, so herrlich jung ist“. Die Jugend wird nur von denen sentimental verherrlicht, die sie verplempert und, wie überhaupt das ganze Leben, durch die Finger haben rinnen lassen. In nichts war diese sexuell verklemmte Generation, die ihre Erziehung in der HJ, im BDM und in der Wehrmacht genossen hatte, so groß, wie in ihrer Eifersucht, mit der sie die Jungendlichen daran zu hindern versuchte, ihre Jugend zu gestalten und auszufüllen, in nichts so hartnäckig wie in ihrem Werk, Seelen zu zerstören. Nur als dumme Gänse, die vor lauter Verliebtheit gegen Laternen rennen, waren die 17jährigen Mädchen für sie erträglich. Nichts ignorierten und nichts fürchteten diese autoritätsfixierten Untertanen so sehr wie die Wirklichkeit, die von Peggy March als „Wärklichkeit“ prononciert wurde.
Wenn man 17 Jahre alt ist, dann „wachsen noch alle Bäume in den Himmel“, und zwar „in den Himmel der Liebe“. Das wirft allerdings die Frage auf, was die Ehepaare eigentlich zusammengehalten haben könnte. Die Langeweile ihres Daseins hielten sie für unabwendbare, alterungsbedingte Naturgesetzlichkeit, und die Inhaltsleere ihres Kopfes hielten sie für Lebenweisheit. Dabei war es doch nur Feigheit, die sie davon abhielt, über das Gegebene hinauszudenken.
Sich etwas mehr vom Leben zu erhoffen als Leere kostete den Preis, für dämlich gehalten zu werden. Dem Jugendlichen wurde Existenzberechtigung nur zugebilligt als Dorftrottel des Wirtschaftswunders. „Mit 17 kann man noch hoffen.“ Und wenn man nicht mehr 17 ist, dann breitet sich die ganze Hoffnungslosigkeit aus, was?
Dem Weltkrieg folgte als Echo eine alltagskulturelle Idiotie, die in dieser Hymne der Hoffnungslosigkeit manifestiert wurde. Da war es ebenso wohltuend wie wichtig, sie mit elektrischen Gitarren zu zerfetzen.
Sich etwas mehr vom Leben zu erhoffen als Leere war etwas, was lächelnd verziehen wurde. Wie gütig! In dem Verzeihen ist die anmaßende Anschuldigung enthalten. Ich habe es versäumt, dafür um Verzeihung zu bitten, daß ich die verachte, die die Resignation predigen. Was sie sich da lächelnd-verzeihend angemaßt haben, verzeihe ich nicht. Das läßt die Erfahrung eines Jahrhunderts nicht zu.
Auch die Resignation ist eine Utopie. Das ist die Utopie der Reaktionäre.

„Was haben Sie 1968 gemacht?“ - „Von was ganz anderem geträumt.“

„Was haben Sie 1968 gemacht?“ – „Von was ganz anderem geträumt.“

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Was ist ein 68er?

Wat is en 68er? Ich bin kein 68er. Wenn Sie mich so nennen wollen, tun Sie’s. Wenn Sie das anerkennend meinen: gut. Wenn Sie das abwertend meinen: auch gut. Ich bezeichne mich nicht so. Ich kenne 68er. Mir sind viele über den Weg gelaufen, aber ich habe immer das Gefühl, denen über den Weg gelaufen zu sein.
Was ist ein richtiger 68er? Das ist einer, der mir im Februar 1968 gesagt hat: „Mensch, geh mir doch weg mit deinem Vietnam! Dat will doch keiner hören. Du bist ein unverbesserlicher Idealist! Bleib mir vom Leib mit Politik. Politik ist was für Proleten.“ – um mir dann im April 1968 zu attestieren, daß ich vom Widerstand des vietnamesischen Volkes gegen den US-Imperialismus nichts begriffen hätte, ich sei ein unverbesserlicher Pazifist, dem für die Strategie des antiautoritären Lagers gegen die Repression durch das Establishment vollends der Durchblick fehlt. Im Januar 1969 zeigte der richtige 68er mir einen Vogel, als er mich beim Lesen einer maoistischen Zeitung antraf, und im März 1969 erklärte er mir, daß ich, als typischer Kleinbürger, eine antiautoritaristische Macke hätte, aus mir würde nie ein anständiger Marxist-Leninist, weil mir für die proletarische Strategie vollends der Durchblick fehlt.
1971 erklärte mir der richtige 68er, daß ein unverbesserlicher 68er bin, der nur Politik im Kopf hat, anstatt im inneren Raum nach dem inneren Licht zu suchen. Für die psychedelische Katharsis fehlte mir einfach der Durchblick. 1973 erklärte mir der richtige 68er, daß ich ein unverbesserlicher Hippie und ständig bekifft bin. 1976 riet er mir, Dieter Duhm und das Neue Lote Folum zu lesen, ich sei nämlich 30 Jahre zurück. In den letzten Jahren habe ich vom richtigen 68er immer öfter gehört, daß Widerstand und Opposition Kinderkram ist, mit dem man nichts bewirkt.
Der richtige 68er hat mir attestiert, daß ich Reformist, Anarchist, Revisionist, unpolitisch, politisch, Dogmatiker, Abweichler, Sexist, Mitläufer, Außenseiter, Individualist, Stalinist und Pornograf bin, und zwar alles „unverbesserlich“. Der richtige 68er war immer schon „weiter“. Aber dahin wollte ich nie.

Wie kommt denn dieser Text hierher? Geschrieben habe ich ihn am 25. Februar 2001.
Das ist nämlich so: Mit Windows xp ist Schluß. Jetzt kommt Windows 7. Also muß ich unzählige Uralt-Text-Dateien, die noch in Uralt-Formaten gespeichert sind (TXT, sdw) hervorkramen und in einem neuen Format speichern, damit sie in Windows 7 überhaupt noch sichtbar gemacht werden können. Da tauchen im Keller die längst vergessenen Fragmente und Entwürfe auf, so auch dieses Dokument einer allgemeinen Verärgerung, das immerhin zwar zu Ende geschrieben, aber dann doch liegengelassen wurde – wohl für nicht gut genug gehalten. Naja, zum Besten, was ich geschrieben habe, gehört das ja auch nicht.
Ich zitiere es als Dokument meines beharrlichen Bemühens, dem Klischee von „68“ entgegenzuwirken. Das ist mir besser gelungen in dem Aufsatz „Es gibt keine 68er-Bewegung“, abgedruckt im Katalog der Ausstellung zur Jugendkultur des Kultur- und stadthistorischen Museums. Denn die Ziffer „68“ ist ein feindseliges Gerücht, weil damit eine Epoche zur Saison verkleinert wird. Wer sich selbst als „68er“ bezeichnet, ist keiner.
Die Verdikte Reformist, Anarchist, Revisionist, … Stalinist“ et cetera pepé (er)trage ich gelassen, vermisse es aber sehr, daß ich immer noch nicht als Trotzkist entlarvt worden bin. Besonders gefällt mir „Pornograf“.

Ich kann Ihnen übrigens versichern, daß es sich bei dem zitierten „echten 68er“ tatsächlich immer um ein- und dieselbe Person handelt – der einmal einem über mich erzählte, ich würde ja ständig meine Meinung ändern.

Barbara-1„Was haben Sie 1968 gemacht?“
Barbara-2
Wir haben uns die Freiheit genommen.
Barbara-HFP(Bild aus „Nummer 4“, Hut-Film).