Bestimmt interessant: August-Bebel-Institut – Ausstellung in Berlin

Ausstellung Zeitgeschichte. Protest, Ungehorsam, Widerstand. Berlin in den 1980er Jahren.
Ausstellung 25. Mai bis 24. Juni 2022 · Öffnungszeiten Di–Fr, 14–18 Uhr.

Foto (C) Ann-Christine Jansson

Reportagefotos von Ann-Christine Jansson

1980 kommt Ann-Christine Jansson aus dem ruhigen Stockholm nach West-Berlin. »Zuhause waren Demonstrationen eher Sonntagsspaziergänge. Hier aber flogen Steine und Tränengasgranaten durch die Luft.«
Die Fotoreporterin berichtet über öffentliche Protestkultur und studiert deren Milieus in Kneipen und WG-Zimmern. Mit ihrem schwedischen Pass konnte sie an vielen Treffen und Demonstrationen der ostdeutschen Opposition teilnehmen.
Die Perspektive ihrer Arbeit beschreibt Jansson so: »Vor allem bedeutet Fotografie für mich, respektvolle Nähe zum Gegenüber herzustellen. Die Bilder sind ein Ergebnis des Spannungsverhältnisses von Nähe und Distanz. Blicke und Gefühle der Menschen sind ein wichtiger Fokus meiner fotografischen Arbeit.«
Ann-Christine Jansson, BA in Kunstgeschichte, Pädagogik und Soziologie an der Universität Stockholm; seit 1980 Fotojournalistin in Berlin für skandinavische und deutsche Medien; Bildredakteurin bei Svenska Dagbladet und taz; Lehrtätigkeit in Reportagefotografie am Photocentrum der Gilberto-Bosques-Volkshochschule, Friedrichshain-Kreuzberg.

Mi, 25. Mai, 19–21 Uhr | Vernissage
Bei den Protesten während der IWF- und Weltbanktagung im September 1988 steckte Ann-Christine Jansson mit zahlreichen Pressevertreter*innen stundenlang in einem Polizeikessel fest. Die Rechtfertigung des Einsatzes durch den West-Berliner Innensenator Wilhelm Kewenig empörte die Medienwelt: »Am Tatort muss die Pressefreiheit schon mal zurücktreten«. Unter welchen Bedingungen berichten Medien über widerständigen Protest?
Mit: Ann-Christine Jansson (Pressefotografin),
Jörg Reichel (Deutsche Journalistinnen und Jounalisten-Union in der Gewerkschaft Verdi),
Peter Herzfeldt (Polizeihauptkommissar a.D.) und eine Vertreterin des Jugend[widerstands]museums (angefragt)
Moderation: Enrico Troebst (Soziologe)
Anmeldung erbeten [Z50]

Mi, 15. Juni, 19–21 Uhr | Widerstand und Öffentlichkeit in Ost-Berlin
Interviews und Diskussionen zu den Bedingungen, unter denen die Opposition in der DDR Zugänge zur Medienöffentlichkeit in Ost und West suchte.
Mit: Ann-Christine Jansson (Pressefotografin), Dirk Moldt (Historiker und Zeitzeuge, Museum Lichtenberg) und Weiteren
Moderation: Enrico Troebst (Soziologe)
Anmeldung erbeten [Z51]

Fr, 24. Juni, 19–21 Uhr | Finissage
Wie kaum eine andere Branche haben journalistische Printmedien in den letzten Jahrzehnten Rationalisierungspotentiale umgesetzt. Die Verlage nutzen jedoch nicht nur die wirtschaftlichen Einsparmöglichkeiten im technischen Produktionsprozess. Archive werden zentralisiert, zunehmend wird auf Agentur- und Stockmaterial zurückgegriffen, und die Honorare sinken. Was bedeutet das für die Medienvielfalt?
Mit: Ann-Christine Jansson (Pressefotografin), Stefan Boness (freier Pressefotograf)
Moderation: Enrico Troebst (Soziologe)
Anmeldung erbeten [Z52]

August Bebel Institut
Müllerstr. 163, 13353 Berlin
Tel. (030) 4692 122
Fax (030) 4692 124

Bücher im Jahr der Jahrestage (d)

Man wird nicht zu Unrecht einwenden, daß jedes Jahr seine Jahrestage hatte und haben wird. Das soll uns nicht abhalten.
Lothar Binger: 68. selbstorganisiert & antiautoritär. Die Jahre 1967 – 1978. Sebstverlag 464 Seiten. 19,68 €.
Der Autor über sein Buch:
Alles auf Anfang. Ich habe in Westberlin seit 1968 in etlichen Initiativen mitgewirkt, die es so zum ersten Mal gab. 1968 der erste Berliner Kinderladen, 1969 das Kinderladen INFO, 1968 die erste deutsche Undergroundzeitung Linkeck, 1970 die ersten linken Kinderbücher, 1970 Beginn der Stadtteilarbeit in Kreuzberg, Gründung des Lehrlingstheaters Rote Steine, Produktion der ersten Ton Steine Scherben Single, 1971 die ersten erfolgreichen Berliner Hausbesetzungen des Jugenzentrums Kreuzberg und des Rauch-Hauses als Ergebnis der Jugendarbeit. 1972 startete mit der Gründung der GUM, dem GUM-INFO und 1974 mit dem Positionspapier der erste Versuch, die Undogmatische Linke auf ein theoretisches Fundament zu stellen und um im Frühjahr 1974 entstand mit dem INFO BUG (Berliner Undogmatischer Gruppen) ein wöchentliches Kommunikationsorgan für die Sponti-Linke in Westberlin, das über vier Jahre Bestand hatte. Das alles unter der Devise: Selbstorganisiert, undogmatisch, antiautoritär und selbstverständlich antikapitalistisch. Diese Aspekte können bis heute Geltung beanspruchen.
Außerdem ist der 68er-Aufbruch dargestellt mit seinen zahlreichen Facetten von der Erziehung, dem neuen Verständnis von Sexualität, von veränderten Frauen/Männerbeziehungen bis hin zu den Versuchen eines anderen Zusammenlebens in Kommunen/Wohngemeinschaften.

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WELTBÜHNE MUSS BLEIBEN.

Erdenwunder

Heute, am 13. August, wurden in Berlin wieder Kränze niedergelegt und lange Gesichter gezogen: „Im Gedenken“.
Gedenken ist ja gut. Gedanken wären besser.
2011, vor 5 Jahren, anläßlich des 50. Jahrestages ihrer Grundsteinlegung, erschien in DER METZGER Nr. 94 der Aufsatz über die Berliner Mauer „Der Erdenwunder schönstes“.

M094Ein paar Zitate:

Die Bundesrepublik befand sich in keinem normalen Zustand. Es ist ohnehin fraglich, ob deutsche Zustände jemals das Prädikat der Normalität verdient haben.

Die Brandredner wollten (…) die „Ostgebiete“ zurück, sie wollten die Grenzen verschieben. Sie wollten Vertreibung. Sie wollten das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges revidieren. Sie wollten Atomwaffen für die Bundeswehr. Sie hatten keine Skrupel, die Flammen, die von deutschen Kriegsverbrechern angezündet worden waren und in denen das Deutsche Reich verbrannt war, wieder auflodern zu lassen. Der Springer-Kolumnist William S. Schlamm schlug gar vor, Westberlin zu evakuieren, um die DDR mit Atombomben auszulöschen. Berlin sei einen Krieg wert. Wer so etwas schreibt, ist ein Verbrecher.
Der NDR zitierte in einer Rundfunkreportage am 10. Oktober 1961 einen DDR-Bürger: „Was ist denn mit eurer Politik der Stärke? Warum habt ihr denn aufgerüstet, wenn ihr nicht mit der Armee von Ulbricht fertig werdet? Lieber im Atomkrieg zugrunde gehen als unter Ulbricht weiterleben.“ Wer so etwas sagt, ist ein Idiot.
Wer sich erinnert, wird nicht ruhigen Gemütes von der Hand weisen können, daß im Sommer 1961 der Frieden in Europa in Gefahr war.

„Unsere Staatsmänner in Bonn haben die Sowjets nicht für Menschen, sondern für entartete Teufel eingeschätzt. So waren sie nicht imstande, sich selbst in Gedanken an die Stelle des Gegners zu versetzen und sich zu fragen, was sie an seiner Stelle wohl tun würden… Das erste Erfordernis aber, um richtige Politik zu machen, besteht darin, in die Haut des Feindes zu schlüpfen“, schrieb Rudolf Augstein 1961 im Spiegel, und er fügte hinzu: „Spätestens 1965 würde die Bundeswehr potent genug sein, um bei fortdauernd umstrittenen Grenzen die westliche Koalition in spontane oder provozierte Konflikte zu verwickeln… Die Sowjets glauben nicht daran, daß den Deutschen die Verfügungsgewalt über Atomwaffen auf Dauer vorenthalten wird. Sie glauben nicht an Beteuerungen, solange sich das Potential auf deutschem Boden häuft. Sie haben, um ehrlich zu sein, auch wenig Grund, deutschen Beteuerungen zu glauben. Es drohte also eine Situation, in der die Sowjets von den Deutschen um die Früchte ihres Sieges über Hitler gebracht werden könnten. Es drohte eine gewaltsame Revision des Sieges von 1945, und zwar von Seiten des Besiegten.“

Durch die Berliner Mauer wurde zunächst eine brandgefährliche Situation entschärft, auf die Dauer zwang sie zu einer Mäßigung der westlichen Zurückdrängungspolitik. Die Phase der Entspannungspolitik war ohne die Berliner Mauer nicht denkbar. (…) Auch für die Menschen in der Bundesrepublik verbesserte sich die Lage. Sie konnten ruhiger schlafen, weil die Gefahr, daß von deutschem Boden Krieg ausgeht und auf deutschem Boden Krieg beginnt, verringert war. (…) Die, denen der Frieden den Schlaf raubte, waren in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Willy Brandt hätte nicht „mehr Demokratie wagen“ können, wenn die Ostlandreiter weiterhin so hätten wüten können wie bis zum 13. August 1961.

Anders als die BRD hat die DDR niemals Gebietsansprüche gestellt, keine faschistischen Organisationen geduldet, nie versucht, ein anderes Land zu regieren und zu annektieren, nie den Frieden gefährdet und nie Soldaten zum Kriegseinsatz in fremde Länder geschickt. Anders als die DDR hat die BRD dem Hauptfeind des Nazireiches weiterhin feindselig gegenübergestanden – die Regierung, mehr noch die Bevölkerung. Die Bundesrepublik und ihre Prokuristen hatten und haben keinen Grund, sich gegenüber der repressiven DDR dicke zu tun. Die Geschichte staatlicher und nichtstaatlicher Repression in der BRD ist noch aufzuarbeiten. Die haßerfüllte, vernichtungsgierige Hysterie, mit der der deutsche Untertan auf jede ihm fremde Lebensregung reagiert, ist die Perpetuierung des deutschen Faschismus in den Alltag.

Darf man, kann man, soll man, muß man (…) im Atomzeitalter der Unvernunft Freiheit gewähren? Dazu möge jeder sein Gewissen befragen.

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Die Anekdote am Sonntag

Geheimrat R. war der Berliner Künstlerszene sehr zugetan, und er betätigte sich auch gern als Mäzen.
Eines Abends am Stammtisch im Café des Westens entging ihm nicht, daß Erich Mühsam wohl großen Appetit, aber mal wieder keinen Pfennig Geld in der Tasche hatte. Er überlegte, wie er dem Dichter diskret beispringen könnte.
„Herr Mühsam“, sagte er, „erinnern Sie sich, daß Sie mir vor einer Woche zehn Mark geliehen haben? Darf ich sie Ihnen hiermit bestens dankend zurückgeben?“
„Sie irren sich, Herr Geheimrat. Es waren zwanzig.“

Die Mauer. Nachtrag.

Ein Gespräch kommt mir in Erinnerung. 80er Jahre, am Uni-Büchertisch. Es war allgemein bekannt, daß ich zur „Moskau-Fraktion“ gehörte. Ein linksstehender Student, der der „Moskau-Fraktion“ fern stand, diskutierte mit mir. Ich meinte, in der Systemauseinandersetzung müsse der sozialistische Staat ein starker Staat sein. Und es liege in der gegebenen internationalen Konstellation nicht immer in der Wahl sozialistischer Regierungen, in welchem Maße sie repressive Mittel einsetzen. Und: Wenn man den schlechten Sozialismus nicht verteidigt, kriegt man keinen besseren. Undsoweiter. Mein Gesprächspartner meinte, er könne sich meiner Auffassung nicht anschließen. Meine Argumente aber seien nicht unvernünftig, hätten Gewicht und seien bedenkenswert, auch wenn er sich meine Schlußfolgerungen nicht zueigen machen könne.
Während des ganzen Gesprächs standen nebenan, am Infostand des MSB Spartakus, die Haare zu Berge. Die Repressalien in der DDR dürfe man doch nicht als Folge von Ursachen begründen. Man müsse sie schlichtweg leugnen. Das war deren Linie.
Sie haben es auch vor sich selbst geleugnet. Denn – ich habe es erlebt! – 1989, bei einer Versammlung der DKP, rief eine MSB-Spartakistin entrüstet aus, was ihr tags zuvor zu Ohren gekommen war: „Die haben sogar in Berlin eine Mauer gebaut!“
Die Stimme, die eine Repression tadelt, die sie zuvor geleugnet hatte, ist keine kritische, sondern eine opportunistische. Und auch etwas komisch.
DIE HABEN SOGAR IN BERLIN EINE MAUER GEBAUT! JA, WENN WIR DAS GEWUSST HÄTTEN!

Der Erdenwunder schönstes?

Die Krokodilstränentage werden über das Jahr verteilt: 17. Juni, 13. August, 3. Oktober, 9. November (die letzteren beiden für die Krokodilsfreudentränen).
Hier mein Kommentar zum morgigen 13. August (geschrieben 2011, zum 50jährigen).

Wer kann die Pyramiden überstrahlen?
Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower?
Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen
Der Erdenwunder schönstes war die Mauer.
Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren.
Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren.
Peter Hacks

Am 6. Oktober 1961 war in der Frankfurter Allgemeinen zu lesen: „Noch in ihrem bisher kräftigsten Unternehmen haben diese Schriftsteller nachdrücklich bewiesen, daß für viele von ihnen die Beschäftigung mit dem Zustand unserer Republik nichts anderes ist als der Drang, um sich zu schlagen und den Krieg Zuständen zu erklären, die sie selber so dämonisieren, daß man sich fragt, was für Vorteile diese Republik gegenüber der Ulbrichts noch habe. Wir sehen bei ihnen unsere Republik nicht mit den Augen der Kritik, sondern mit denen des Hasses betrachtet.“
Was war das bis dahin kräftigste Unternehmen dieser Schriftsteller gewesen, wodurch hatten sie sich das Attest eingehandelt, „unsere Republik“ mit den Augen des Hasses zu betrachten?
Zwanzig Autoren hatten in einem gemeinsamen Aufruf den Bürgern der Bundesrepublik empfohlen, bei der Bundestagswahl am 17. September 1961 ihre Stimme für die SPD abzugeben. Das war ein kräftiges Unternehmen. Ein starkes Stück! Sie konnten sich einen besseren „Zustand unserer Republik“ vorstellen als daß Adenauer Bundeskanzler bleibt. Ein Jahrzehnt nach der Einführung der zweiten bürgerlich-demokratischen Verfassung hatte diese Demokratie gerade das Niveau erreicht, daß die Aufforderung, eine nicht regierende Partei zu wählen, als Symptom des Hasses auf „unsere Republik“ gewertet wurde.
Tatsächlich ist dieser Kommentar der FAZ ein Symptom dafür, daß die Bundesrepublik sich in keinem normalen Zustand befand. Es ist ohnehin fraglich, ob deutsche Zustände jemals das Prädikat der Normalität verdient haben. Deutschland hat das Niveau einer normalen bürgerlich-liberalen Demokratie westlichen Zuschnitts nie erreicht. Stattdessen waren immer Gesellschaftskonzepte mehrheitsfähig, die gegen Freiheit und Gleichheit gerichtet waren.

M094Die Abnormalität war besonders gesteigert in dem Jahr, in dem die Berliner Mauer gebaut wurde. Wer sich erinnert, der weiß noch, daß der 13. August nicht in eine stille Beschaulichkeit hineinplatzte. Es herrschte eine erhitzte, eine überhitzte Stimmung im Westen. Es war eine Saison der Brandreden. Die von „Wiedervereinigung“ sprachen, vom „unteilbaren Deutschland“ und von den Brüdernundschwestern, waren von dem Empfinden angetrieben, die Entscheidungsschlacht um die DDR wäre nun im Gange, die DDR wäre sturmreif, es wäre eine Sache von Wochen, bis die DDR der Bundesrepublik als Beute in die Hände fiele. Die Brandredner wollten mehr. Sie wollten die „Ostgebiete“ zurück, sie wollten die Grenzen verschieben. Sie wollten Vertreibung. Sie wollten das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges revidieren. Sie wollten Atomwaffen für die Bundeswehr. Sie hatten keine Skrupel, die Flammen, die von deutschen Kriegsverbrechern angezündet worden waren und in denen das Deutsche Reich verbrannt war, wieder auflodern zu lassen. Der Springer-Kolumnist William S. Schlamm schlug gar vor, Westberlin zu evakuieren, um die DDR mit Atombomben auszulöschen. Berlin sei einen Krieg wert. Wer so etwas schreibt, ist ein Verbrecher.
Der NDR zitierte in einer Rundfunkreportage am 10. Oktober 1961 einen DDR-Bürger: „Was ist denn mit eurer Politik der Stärke? Warum habt ihr denn aufgerüstet, wenn ihr nicht mit der Armee von Ulbricht fertig werdet? Lieber im Atomkrieg zugrunde gehen als unter Ulbricht weiterleben.“ Wer so etwas sagt, ist ein Idiot.
Wer sich erinnert, wird nicht ruhigen Gemütes von der Hand weisen können, daß im Sommer 1961 der Frieden in Europa in Gefahr war.
Auch daran ist zu erinnern: Nach dem 13. August prangerte die Bildzeitung in Riesenlettern „den Westen“ an: de Gaulle und MacMillan hatten am 13. August keinen Anlaß gesehen, ihren Sommerurlaub zu unterbrechen. Kennedy schickte seinen Vizepräsidenten Johnson, der auch nicht viel mehr von sich gab als Worte der Betroffenheit. Die Amerikaner ließen Panzer durch Berlin rollen, aber die stoppten vor der (nunmehr befestigten) Grenze zum sowjetischen Sektor.
Das hätte man mitkriegen können: Die USA hatten der Sowjetunion signalisiert, sie würden stillhalten, wenn Westberlin vom sowjetischen Sektor abgeriegelt würde. Der US-Außenpolitiker Senator Fulbright hatte in einem Interview Moskau geradezu gedrängt, die gefährliche Lage in Berlin doch endlich zu beenden. Er könne es gar nicht verstehen, daß Moskau da nicht einen Riegel vorschiebt. Ja, es stimmt, wenn gesagt wird: An der Berliner Mauer hat der Westen mitgebaut.
Zwar hat der Westen, wie sich erwiesen hat, Weiterlesen

Luftbrücke. Wozu?

Während der Berlin-Blockade wurde die „Luftbrücke“ organisiert. Warum eigentlich?
In Berlin gibt es ein Luftbrücken-Denkmal. Es gab auch mal eine Luftbrücken-Sonderbriefmarke. Und ab und zu gibt es ein Luftbrücken-Jubiläum. Die Luftbrücke, das ist nämlich jetzt 65 Jahre her.
Deutschland hatte den Krieg verloren. Das Land war von alliierten Truppen besetzt. Ein Teil (jenseits von Oder und Neiße) war vom ehemaligen Reichsgebiet abgetrennt worden. Der Rest des Territoriums war in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Berlin war in vier Sektoren aufgeteilt: einen amerikanischen, einen britischen, einen sowjetischen und einen französischen. Aus den drei „Westsektoren“ wurde Westberlin, aus dem „Ostsektor“ die Hauptstadt der DDR. Aber so weit war es noch nicht. Es gab noch keine BRD und noch keine DDR. Aber es gab schon den Kalten Krieg.
Die Westmächte waren im Begriff, für das besetzte Land eine Separatlösung einzurichten. Das nannte sich dann später Bundesrepublik Deutschland, Hauptstadt: Bonn, als Frontstaat im Kalten Krieg. Westberlin, von der sowjetischen Besatzungszone umgeben, sollte Vorposten sein.
Bevor der Staat Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde und seine Organe tätig wurden, wurde etwas vorweggenommen: Der neue Staat hatte zwar noch keine Organe, aber schon eine Währung, die D-Mark. Sie sollte sowohl innerhalb der Bundesrepublik gelten als auch außerhalb von ihr: in Westberlin. Diese separate Währungsreform stellte eine erhebliche Belastung für die im Aufbau befindliche Wirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone dar. Das war auch beabsichtigt. Die Sowjetunion reagierte mit der Schließung der Grenzen und der Blockade Berlins. Westberlin war nun von den Westzonen getrennt.
In Westberlin lebten über 2 Millionen Menschen. Westberlin war eine Stadt ohne Einzugsgebiet geworden. Die Stadt konnte sich nicht selbst ernähren. Daraufhin haben die Westalliierten monatelang Nahrungsmittel und andere Bedarfsgüter per Flugzeug nach Westberlin transportiert. Das war die sogenannte Luftbrücke.
Aber das wäre ja überhaupt nicht nötig gewesen.
Es wird dauernd erzählt, damals wäre Westberlin vom Aushungern bedroht gewesen, die Luftbrücke hätte der Stadt und den Menschen darin das Leben gerettet. Aber das ist Quatsch. Westberlin befand sich nie in einer ähnlichen Lage wie etwa Leningrad, das während des Krieges 900 Tage lang von der faschistischen deutschen Wehrmacht umzingelt war und ausgehungert werden sollte. Westberlin sollte gar nicht ausgehungert werden. Die Berlinblockade richtete sich gegen was ganz anderes: sie war der Versuch, das Vorhaben der Westmächte zu unterbinden oder zumindest zu erschweren, Westberlin zum Vorposten im Kalten Krieg zu machen. Und so war die Luftbrücke auch gar nicht dazu da, um die hungrigen Mäuler der Westberliner zu stopfen, sondern um Westberlin als imperialistisches Tätigkeitsfeld zu behalten. Darüber war sich auch die Westberliner Bevölkerung durchaus im Klaren.
In Wirklichkeit war das nämlich so: Die sowjetische Militäradministration hatte zwar den Zugang zu Berlin auf Land- und Wasserstraßen dicht gemacht, zugleich aber bekanntgegeben, daß die Lebensmittelkarten der Westberliner im sowjetischen Sektor der Stadt gültig waren. Es bestand also gar keine Gefahr, daß in Westberlin irgendeiner hätte hungern oder frieren müssen.
Nach dem Motto „Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht“, sind die Westberliner nicht in den Laden gegangen, um sich Kartoffeln zu kaufen, sondern haben sich die Kartoffeln mit dem Flugzeug von weit her einfliegen lassen. Denn „von denen da drüben nehmen wir nix“.
Das Volk ist, wie Tucholsky festzustellen wußte, zwar doof, aber gerissen. Es wußte sehr wohl zu unterscheiden zwischen solchen Alliierten, von denen man Schokolade und Zigaretten annehmen darf (und sich notfalls einfliegen läßt) und solchen, deren Verlockungen mit Kartoffeln und Briketts man sich heldenhaft widersetzt. Man hat seinen Stolz. Und man hatte eine Vision: Dabei zu sein beim Kreuzzug gegen den Bolschewismus, notfalls auch (als Hungerkünstler mit vollem Bauch) unter der Ägide gewesener Erbfeinde. Dieses Wunschbild war, bevor es in Erfüllung ging, auch schon eine deutsche Option im Weltkrieg gewesen: mit den Amis gemeinsam gegen die Roten.
Der Westberliner war und ist der ideelle Gesamtdeutsche, und so verhielt er sich vor, während und nach der Luftbrückenzeit: „Kauft nicht bei…“

aus DER METZGER Nr. 54 (1998), hier aktualisiert.

„Keine Lösung“ oder 60 Jahre 17. Juni


Brecht reagierte auf den fragmentarischen Abdruck seines Briefes mit einem zweiten Brief, den das Neue Deutschland am 23.6.1953 veröffentlichte: „Ich habe am Morgen des 17. Juni, als es klar wurde, daß die Demonstrationen der Arbeiter zu kriegerischen Zwecken mißbraucht wurden, meine Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei ausgedrückt. Ich hoffe jetzt, daß die Provokateure isoliert und ihre Verbindungsnetze zerstört werden, die Arbeiter aber, die in berechtigter Unzufriedenheit demonstriert haben, nicht mit den Provokateuren auf eine Stufe gestellt werden, damit nicht die so nötige Aussprache über die allseitig gemachten Fehler von vornherein gestört wird.“ Daß Walter Ulbricht an solcher Art von Loyalität, die das Eingeständnis von Fehlern verlangt hätte, interessiert war, darf man bezweifeln.
Der bekannteste Kommentar von Bertolt Brecht zum „17. Juni“ ist das Gedicht „Die Lösung“ aus den Buckower Elegien. Es ist oft zitiert worden, meist in der Absicht, den Anspruch der DDR, ein demokratischer Staat zu sein, ebenso als ein Ding der Unmöglichkeit hinzustellen wie die Verbindung Brechts mit der DDR. Antikommunisten wollen den Klassiker literaturgeschichlich auf ihre Seite ziehen.

Dank euch, ihr Sowjetsoldaten!

Dank euch, ihr Sowjetsoldaten!

Foto: Bundesarchiv Wikimedia Commons


Die sozialistische Demokratie sollte die bürgerliche Demokratie übertreffen. Wo die bürgerliche Demokratie aufhört, geht die sozialistische Demokratie weiter. Sie darf also hinter die bürgerliche Demokratie nicht zurückfallen. Zu den Standards der Demokratie gehört, daß die Regierung vom Volk gewählt wird, dem Volk Rechenschaft schuldet, um das Vertrauen des Volkes bemüht sein muß und dann, wenn sie dieses Vertrauen nicht verdient, abgelöst und durch eine andere Regierung ersetzt werden kann. Das ist der normale Fall. Es fragt sich allerdings, ob dieses Volk, das deutsche, ein normaler Fall ist. Der Gedanke, daß ein Volk, das erst wenige Jahre zuvor zu zwei bis drei Dritteln hinter Hitler hergelaufen ist, mißtrauisch macht und durch nützliches Handeln wenigstens einen Teil des Schadens, den es angerichtet hat, wieder gutmachen sollte, erscheint mir nicht ganz abwegig. Vertrauen ist gut. Aber Kontrolle ist besser. Das hat Lenin zwar nie gesagt, aber es ist richtig, angesichts der Bilanz von 1945. Zu einem solchen Eingeständnis war auch die SED nicht in der Lage. Sie hatte – glaubte sie – dem Faschismus in Deutschland (Ost) die politisch-ökonomische Grundlage entzogen, und das Sein bestimmt das Bewußtsein. Ja. Aber wie schnell? Schon nach 8 Jahren?
Brechts zweiter Brief an die SED nimmt vorweg, was in dem Buch von Stefan Heym „Sechs Tage im Juni“ ausgeführt wurde: Der 17. Juni hatte einen Doppelcharakter. Die Arbeiter in Berlin (und anderswo) hatten Grund zur Unzufriedenheit. Sie demonstrierten und streikten zurecht. Aber dann mischten sich Provokateure unter die Streikenden. Geheimdienstagenten, Saboteure, Halbstarke und antikommunistische Terrorzirkel nutzten die Gunst der Stunde. Selbstverständlich war es so! Die DDR, in die man durch das Brandenburger Tor einfach so hineinspazieren konnte, war bis zum Mauerbau und danach auch noch ein Tummelplatz von Spionen und Saboteuren, die eines Auftrags der westdeutschen Regierung nicht bedurften, aber immer deren Wohlwollen genossen. Sie handelten ganz im Einklang mit der westlichen Politik im Kalten Krieg, der von der „Eindämmung“ zum „Roll back“ übergegangen war.
Gegenüber der offiziellen Lesart im Westen, wo der 17. Juni als Nationalfeiertag begangen wurde, war die Darstellung in Heyms Buch ein großer Fortschritt. Ja, der 17. Juni hatte auch eine reaktionäre, eine faschistische Dimension. Man muß allerdings bezweifeln, daß es wirklich möglich war, die „berechtigte Unzufriedenheit“ und die Provokateure säuberlich voneinander zu „isolieren“. Man muß bezweifeln, daß die antikommunistischen Hetzparolen den Demonstranten souffliert werden mußten.

Biedermänner als Brandstifter
Am 16. und 17. Juni 1953 haben Aufständische in (Ost-)Berlin und Weiterlesen

Besuch bei Brecht

So ganz ohne Sehenswürdigkeiten sollte meine kurze Berlin-Reise nicht bleiben. Die eigentliche Sehenswürdigkeit, meine Gastgeberin nämlich, fuhr also mit mir in der U-Bahn in den Osten.
Als wir in Steglitz in den Untergrund hinabgestiegen waren, war es noch hell gewesen. Aber im November sind die Nachmittage kurz und die Abende beginnen früh.
Als wir an der Chausseestraße wieder hinaufstiegen, war der Himmel über Ostberlin schon dunkel. Den Hugenottenfriedhof würden wir also nicht besuchen können und nicht bei Bertolt Brecht, Helene Weigel, Hanns Eisler, Wolfgang Langhoff, John Heartfield, Elisabeth Hauptmann, Heinrich Mann, Anna Seghers, Johannes R. Becher, Arnold Zweig, Herbert Marcuse verweilen, sondern gleich zum Brecht-Haus gehen, zu dem Haus, in dem Brecht die letzen Jahre seines Lebens wohnte und arbeitete.
Das Haus liegt nicht gerade ruhig. Die Chausseestraße ist sehr belebt. Die Straßenbahn zockelt geräuschvoll an dem Haus vorbei. Man kann die Straße mit der Wanheimer Straße in Hochfeld vergleichen, sie ist ebenso geschäftig und laut.
Das Brecht-Haus steht rechts neben dem Hugenottenfriedhof. Durch eine Toreinfahrt kommt man auf den großen gepflasterten Hof. Es war stockfinster, man sah kaum etwas. Aber unter dem Fenster zu stehen, aus dem Brecht einst hinausschaute, ließ mich die Luft anhalten.
In der spärlich beleuchteten Toreinfahrt hängen Bilder von Brecht, und eine Tafel verkündet die Besichtigungstermine. Um 18 Uhr findet eine Führung statt. Bis dahin ist es noch knapp eine halbe Stunde.
Meine Begleiterin ist ein bißchen ungeduldig: „Ich habe Hunger.“
„Wir können ja nach der Besichtigung in das Restaurant gehen.“
Das Restaurant im Brecht-Haus befindet sich im Keller. Es öffnet um 18 Uhr und bietet „Wiener Küche nach Art Helene Weigels“. Aber meine Begleiterin will so lange nicht warten: „Soll ich etwa so lange warten? Ich habe jetzt Hunger. Ich muß jetzt was essen! Wie behandelst du mich?“
Ach, Anne! Du Schönste der Schönen! Du Sonne meiner Jugend! Ich tu alles was du willst!
„Ich habe jetzt Hunger. Wir sind eben an einem Bistro vorbeigekommen.“
Also guuut! Zum Bistro (die Zeit wird aber knapp).
Im Bistro bemerkt Anne: „Das ist hier alles viel zu teuer. Hier bleiben wir nicht. Gegenüber vom Brecht-Haus ist in italienisches Restaurant. Da gehen wir jetzt hin.“
Also guuut! Zum italienischen Restaurant. Wenn sie das sagt, dann tun wir das.

Anne B. „Bella Donna!“

Der Wirt des italienischen Restaurants begrüßte uns voller Freude und in vielen Sprachen: „Buona Sera, guten Abend, good evening, bon soir!“ Wenn man von einer schönen Frau begleitet wird, muß man sich in einem italienischen Restaurant auf eine sehr lange und sehr ausführliche Begrüßung gefaßt machen: „Bella Donna!“
Als dann die Spaghetti (ich) bzw. die Lasagne (sie) auf dem Tisch standen, war die Minute gekommen, in der die Führung durch das Brecht-Haus beginnen sollte.
Schnell essen ist nicht meine Art. Ich lasse mir lieber Zeit dazu, auch dann, wenn ich dadurch etwas anderes versäume. Brecht hätte wahrscheinlich gesagt, daß in dem Moment, in dem das Essen auf dem Tisch steht, es nichts Wichtigeres gibt als das Essen, das auf dem Tisch steht.
Die Besichtigung versäumten wir also mit Gleichmut.
Meine Begleiterin ermahnte mich: „Achte mal darauf, daß du dich nicht zu sehr isolierst. Verkriech dich nicht. Du mußt mal öfter raus aus deinen vier Wänden.“
„Ich hab schon damit angefangen. Ich bin ein paar Tage zu dir nach Berlin gekommen.“
Wir gingen nochmal über die Straße zum Brecht-Haus und stellten fest: Es war noch immer alles stockfinster. In keinem Fenster war Licht. Hier fand jetzt bestimmt keine Führung statt. Wir hatten also nichts versäumt. Der einzige Teil des Hauses, der zugänglich war, war das Restaurant im Keller, das gerade aufgemacht hatte. Aber da sind wir nicht reingegangen. Wir waren ja stattdessen in dem italienischen Restaurant gegenüber gewesen.
Eine historische Stätte konnten wir dann allerdings doch noch aufsuchen. Wir gingen noch das kurze Stück zum Ende der Chausseestraße. Dort, in dem letzten Haus, wohnte einst der berühmte Tierstimmenimitator Wolf Biermann.

aus: Helmut Loeven: Der Gartenoffizier. 124 komische Geschichten. Situationspresse Duisburg 2008. 268 S. Pb. ISBN 978-3-935673-24-2