Nicht jeder findet das gut: LSD ins Trinkwasser.

Einige Passagen meiner Lesung im Syntopia am 17. September 2015 wurden gefilmt. Heute zeige ich euch: LSD ins Trinkwasser.


Über den Besuch eines Beamten ist ebenfalls was zu erfahren.

Dies ist das Notat Nr. 888. Das kann doch kein Zufall sein.

Alles war, nix is mehr (3)

Im vorigen Jahr bin ich nur einmal im Wald gewesen. Dann kam ein Sturm, und in den folgenden Monaten wurde wegen der Gefahr durch herunterstürzende Äste vom Betreten des Waldes (mehr oder weniger administrativ) dringend abgeraten. Erst im Spätherbst wurde der Wald wieder „freigegeben“, aber dann gehe ich kaum in den Wald, weil es dann so früh dunkel wird.
In diesem Jahr kam der Frühling wieder mit einem Sturm, der Äste zerbrach. Wieder hieß es: Meiden Sie erstmal den Wald.
Also verlegte ich meine Erkundungsgänge vollends in die besiedelten Teile meiner Heimatregion – ohne Bedauern, weil für mich seit je das Erkunden zwischen Mauern dem Erkunden zwischen Bäumen mindestens gleichrangig ist.
Allerdings birgt auch die Großstadt Ast-Gefahren (erinnern Sie sich an Ödön von Horváth).

nixis11Hohe Straße, also in „bester City-Lage“: Hinter den gelben Klinkersteinen war der erste (und eigentlich auch einzige jemalige) Head Shop, gegründet 1971 von Lutz Ringer (Bröselmaschine). Monatsmiete: 500 Mark. Zwei Räume. In den hinteren Raum drang nur die informelle Tee-Gesellschaft vor. Der Laden hieß „Knubbels Garten“, weil er Teil des Törn-Projekts „Knubbel Afa“ war. In der Zeit seines Bestehens an dieser Stelle (!) war Knubbels Garten einer meiner Lieblings-Aufenthaltsorte.

nixis12Gegenüber davon: Damals war das ein Pommes-Restaurant: Nix als eine Pommes-Bude, aber groß wie ein Restaurant. Hieß: „Pferdestall“ (wohl wegen der rustikalen Holz-Innenarchitektur) und war ein „Szene-Treff“ (wie man heute sagen würde). Ja: die „Freaks“ ernährten sich teilweise auch von Pommes Frites und Curry-Freakadellen und derlei. Da war man noch ganz unverkrampft.
Später war da drin dann ein Französisches Restaurant. Die hatten sogar einen Michelin-Stern.
Und jetzt ist das da. Kurz nachdem ich das Foto aufgenommen hatte, ging da so’n Kerl rein mit Kampfhund. Wenn der ohne den Hund gewesen wäre, hätte ich gedacht: Jetzt fehlt nur noch der Kampfhund.

nixis13Rudi Kalamees zog mit seinem einträglichen Schallplattenladen „Disc“ auch auf die Hohe Straße, in den Eck-Laden am Buchenbaum. Der hatte mehr Platz als er brauchte und einen zweiten Eingang. Also zog Knubbels Garten ein paar Häuser weiter als Rudis Untermieter (Monatsmiete jetzt 300 Mark). Knubbels Garten war, wo jetzt „Sun Express“ drüber steht.
Niedrigere Miete klang verführerisch. Und von dem viel frequentierten Plattenladen (nur Freak-Musik) kam man direkt in den Head Shop, ohne trennende Tür dazwischen. Aber so gut war das nicht. Man kam sich plötzlich vor wie in einer Kneipe, in der aber nichts richtig funktioniert. Außerdem: Nachbar zur Rechten war das berüchtigte Prosesse (was ein Anagramm von „Espresso“ ist) für Hardcore-Freaks. Da war es mit der Ruhe vorbei.
Und: Rudi Kalamees war ein Katastrophen-Mensch. Katastrophen Menschen leben nicht nur in der Katastrophe, sondern ventilieren sie auch.
Den Plattenladen machte er zu und stattdessen dort eine Kneipe auf mit dem phantasievollen Namen „Pub“. Da wurde er aber bald ausgebootet, nachdem er den Lutz und seinen Head Shop ausgebootet hatte. Die Frühgeschichte enthält nicht nur Ruhmestaten.
Der wohnte da auch nicht mehr über dem Laden. Da wohnte dann der Karl Hellbach (Bruder von dem Bröselmaschine-Schlagzeug-Tushita-Mike Hellbach). Der hatte sein Zimmer (Fenster über der Kneipentür) ganz schwarz tapeziert. Das machte nichts, denn ich mußte da ja nicht länger bleiben als ab und zu mal zu Besuch.

Knubbels Garten ging kaputt durch zu viel Kollektivität (jawohl!). Außerdem hatte Inhaber Lutz sich auf den Weg gemacht zu einem längeren Auslandsaufenthalt, ohne die Vertretung zu regeln. Ich war damals mit meinem Zivildienst noch nicht zu Ende und hatte tagsüber keine Gelegenheit, den Laden unter eigener strenger Regie zu leiten. Ich hätte erstmal die ganzen Schnorrer rausgeschmissen, die immer die Einnahmen des Vortages verfrühstückten.
Exkurs: Den Eschhaus-Buchladen habe ich als eine Chance gesehen, die kurze Tradition von Knubbels Garten wieder aufzugreifen. Aber da haben wir (Magda und ich) gesagt: Da lassen wir uns von keinem reinreden! Hier herrscht die Autokratie der Künstler! Das haben manche uns übelgenommen.

SpiegelAnneDer Spiegel berichtete sogar über das ins Chaos abgleitende Projekt. Aber darüber habe ich hier ja schon mal berichtet (ja! Klicken Sie!). Der türkise Pfeil zeigt auf Anne.

nixis14An der Ecke war ein Espressomaschinen-Café. Und was ist da heute drin? Ein Friseurladen. Natürlich.

nixis15In der Galerie Kugel sind Originale von Uecker ausgestellt. Echte Ueckere!

nixis16Wenn ein Flachdach-Gebäude im Kantpark steht, wird Karl Kraus zitiert.
Ganz früher war hier die Stadtbibliothek drin, später das „Heimatmuseum“ (heute: Stadt- und Kulturhistorisches Museum). Jetzt sind da Räume für die Bildende Kunst.

nixis17Gegenüber: Was ist jetzt eigentlich da drin, wo früher das Shalom drin war? Natüüürlich! Ein Friseurladen. Was sonst!

nixis18Eine Tür weiter. Das ist die Kneipe, in der im November 1972 die Eschhaus-Initiative gegründet wurde. Warum die Tür, die ursprünglich weiter rechts war, zugemauert wurde und eine neue Tür an der jetzigen Stelle eingerichtet wurde, verstehe ich nicht.

nixis19Alles war, nix is mehr. Man kann kaum noch schnell genug fotografieren, wo blinde Zerstörungswut tobt.
Oberbürgermeister Sören Link ist ein Gauch.
Da hätten wir den Sauerland ja gleich behalten können.

Ich habe die mit der Industrialisierung entschwundene Bezeichnung „Gauch“ genutzt. Ich wollte durchaus nicht „Gauck“ schreiben. Ich will ja niemanden beleidigen.

nixis20Ach! Sieh an!

Alles war, nix is mehr (2)

Früher war ich ja einer von denen, die von der Zukunft künden. Jetzt krame ich vor Ihnen im Vergangenheit herum. Ich nehme also inzwischen eine radikalere Haltung ein.

nixis05Der Mike Hellbach (Ex-Bröselmaschine-Schlagzeug) hatte seinen Kunstdruck- und Postkartenladen zuerst nicht an der Ecke, sondern ein paar Häuser weiter hier auf der Lenzmannstraße. Da ist jetzt ein Friseur drin.

nixis06In dem spitzwinkligen Laden an der Ecke Friedrich-Wilhelm-Straße ist jetzt auch ein Friseur drin.

nixis07Daß die Friedrich-Wilhelm-Straße mal ein prachtvoller Boulevard war (Boulevardvard / Boulewarwar), daran erinnern sich vielleicht noch ein paar Alteingesessene – allerdings eher bei besserem Wetter. Auf der einen Seite Juweliere, Pelzhändler, BMW-Händler, lauter vornehm, und gegenüber (rechts neben dem Foto) der schöne Kant-Park mit dem schönen Lehmbruck-Museum. Ein Hauch von Urbanität ist übriggeblieben (oder, für Pessimisten: von Urbanität nichts als ein Hauch).

nixis08Das grünliche Haus da vorn paßt sich von weitem betrachtet in die Vorstellung eines urbanen Boulevardvard (Boulewarwar) an. Aus der Nähe betrachtet wirtschaftet da ein Altrötscher mit Elektronikschrott.

nixis09An dieser Stelle stehend am Nachmittag eines trüben Samstages (ein paar Wochen ist das übrigens schon her) nahm gegenüber anderen möglichen Präferenzen in mir der Entschluß, nach Hause zu gehen, Überhand. Überhaupt möchte ich sagen: Glücklich ist, wer sich nichts besseres vornehmen kann als nach Hause zu gehen. Da gehe ich am liebsten hin.

nixis10Das alles ist, wie gesagt, vor ein paar Wochen gesehen und fotografisch dokumentiert worden. Inzwischen fühlt man ja schon wieder anders (Fortsetzung folgt gleichwohl). In der Zeit dazwischen, bei besserem Wetter und hellerem Sonneneinstrahl sah das so aus. Wolkenkratzerimitate (linker Bildrand) werfen Schatten! Das ist aber nicht der Goldene Anker, von dem so oft die Rede ist. Der ist woanders. Merke; Zwei göldene Ankere bedeuten nicht immer dasselbe.

Der Kommunismus hält Einzug in Meiderich (live)

Einige Passagen meiner Lesung in der Zeche Carl in Essen am 31. August wurden gefilmt. Heute zeige ich Euch: „Der Kommunismus hält Einzug in Meiderich“ (aus „Der Gartenoffizier – 124 komische Geschichten“).

Ton- und Bildaufzeichnung: Hafenstaedter.

Gestern in der Stadt

Mai14-1Bahnhof gesperrt.
Weil am Vormittag die NPD demonstrierte (am Abend dann auch „Pro NRW“), waren die Zugänge dem Hauptbahnhof von der Polizei gesperrt. Zugreisende mußten Umwege in Kauf nehmen.
Gegen den Aufmarsch der Faschisten wurde am Vorabend und am Vormittag des 1. Mai demonstriert (s.u.). Auf dem König-Heinrich-Platz stellte Duisburg sich quer mit einem Kulturprogramm. Das Kammerorchester des Philharmoniker und zum Schluß die Bröselmaschine.

Mai14-2Ein kluger Mann hat mal in einem Interview gesagt (ich zitiere aus dem Gedächtnis): „In der heutigen Zeit kann ein Musiker nicht unpolitisch sein.“
Ein interessanter Satz! Er hat nicht gesagt: „Ein Musiker muß politisch sein“. Er hat gesagt: „Ein Musiker kann nicht unpolitisch sein.“ Der Satz kann für Künstler allgemein gelten.
Der kluge Mann war Peter Bursch.

Mai14-3Menschen auf dem König-Heinrich-Platz, die lieber anderen zuhören als den Haßpredigern.

Mai14-4Mai14-5Die Parolen der Rechten sind uns zuwider. Wir haben eine andere Einstellung zum Menschen, eine andere Vorstellung vom Leben als NPD etc. Wir denken, wir fühlen, wir wollen das Gegenteil.
Das kann man deutlich hören.

Noch ein Jubiläum: 50 Jahre Kunst & Politik

Am 1. Mai 1964, also vor 50 Jahren, begann meine künstlerische Arbeit. Ich war 14 Jahre alt und im Begriff, Künstler zu werden. Man kann das Datum als Stichtag und damit das heutige Datum als 50jähriges Jubiläum werten. Ich werte dieses Datum als den Beginn der künstlerischen und politischen Arbeit, weil ich zwischen beidem keinen Unterschied mache. Damals ahnte ich allerdings noch nicht, daß künstlerisches und politisches Eingreifen eine unauflösliche Einheit bilden würden.
Es begann nicht, wie angenommen werden kann, mit Schreiben (obwohl mir sowas auch schon vorschwebte), sondern mit: Musik. (Später habe ich es zu meinem Grundsatz gemacht, mich nicht auf ein einzelnes Ausdrucksmedium zu beschränken).
Gemeinsam mit zwei Schulkameraden wurde eine Band gegründet. Wir versuchten vorerst, Beatles-Songs nachzuspielen. Ich hatte im Februar 1964 zum ersten Mal Musik von den Beatles gehört, und mir war dabei klar geworden, daß das Leben anders gestaltet werden könnte als es den Erwartungen an mich entsprechen würde – und daß man dabei nicht tatenlos bleiben kann!
Die beiden anderen waren besser als ich auf der Gitarre. Ich konnte nur auf der E-Saite Bass-Läufe spielen. Aber ich war der Sänger („I shoult habe known better with a girl like you … what a kiss could be. This could only happen to me“, oder so ähnlich).
Mit der Instrumentierung unserer Band mußten wir uns in Bescheidenheit üben. Einer von denen beiden hat aus Pappkartons maßstabsgetreu ein Schlagzeug und mit dem Märklin-Baukasten ein funktionsfähiges Pedal für die Bass-Drum gebastelt. Man konnte darauf wirklich Schlagzeug spielen, aber ohne Becken. Wenigstens ein Becken zu kaufen war zu teuer für uns. Das machte aber nichts. Wir hatten und fanden sowieso keinen Schlagzeuger.
Elektrische Gitarren hatten wir natürlich auch nicht. Aber auf allen möglichen Kleiderschränken verstaubten noch irgendwelche Klampfen aus der Wandervogelzeit. Aus dieser Not, die viele junge Musikmacher betraf, ist vielleicht die Entwicklung der Folkmusik begünstigt worden. Tatsächlich haben wir Liederbücher nach englischen und amerikanischen Traditionals durchsucht.
Unsere Band bestand ein knappes Jahr, in dem wir wirklich sehr ernsthaft gearbeitet haben. Aufgetreten sind wir nie. Darum brauchte die Band auch keinen Namen. Wir hatten allerdings nicht den geringsten Zweifel daran, daß man sich – ob Beat oder Folk – als Musiker die Haare lang wachsen lassen muß.
Es ist eine Ironie der Kulturgeschichte, daß die beiden anderen Bandmitglieder, die viel besser Musik machen konnten als ich, als Musiker danach keine Rolle mehr spielten, während ich ein knappes Jahrzehnt später einer der erfolgreichsten Folkrock-Bands des Landes angehörte.
Darum wollte ich eigentlich an dieser Stelle das einzige vollständige Gruppenfoto der Bröselmaschine hier hineinstellen. Aber zu meinem Entsetzen mußte ich feststellen, daß ich das Foto verkramt habe.
Wenn ich es wiederfinde, zeige ich es.
Schwarz..

Blasiert

Ach, der ist ja auch noch da! Thomas Meiser, Journalist, den ich schon kannte, als er schon so klein war, äußert sich im Internet zum bevorstehenden besonderen 1. Mai in Duisburg:

„Mittwoch Abend. Im Versammlungsraum des Kleinen Prinzen unweit des Rathauses haben sich rund zwei Dutzend Institutionenvertreter eingefunden. Der Evangelenchef ist dabei, Duisburgs Superintendent Armin Schneider.“

„Evangelenchef“ ist wohl der Chef der „Evangelen“. Haben die einen Chef?

„Der Verdi-Chef ist dabei, deren (sic!) lokaler Geschäftsführer Thomas Keuer. Der DGB ist dabei, auch in Person des ehemaligen Vorsitzenden, des Landtagsmitgliedes Rainer Bischoff.
Es geht den Honoratioren darum, Protest zu zeigen gegen eine Demo der NPD zu Beginn des nächsten Monats.
[…]
So wurde eine Demonstration von Duisburgs Zivilgesellschaft angemeldet. Startend am Hauptbahnhof, die Innenstadt entlang. Bis zum Lehmbruck-Museum.
Ein schon in vergleichbares Fällen (sic!) bewährtes Bündnis, die ‘Aktionsgemeinschaft für Toleranz und Zivilcourage’ wird diese Demonstration veranstalten. […] Dazu wird es ein Kulturprogramm geben: Zwischen Landgericht, Forum und Stadttheater“

vulgo: auf dem König-Heinrich-Platz

„werden die Duisburger Philharmoniker aufspielen.“

Die spielen nicht einfach, nein. Sie spielen „auf“.

„Und der weltberühmte Duisburger Gitarrist Peter Bursch mit seiner klassischen Band Bröselmaschine.“

Daß Peter Bursch mit seiner Revival-Band („klassisch“) in der Welt berühmter ist als Thomas Meiser, scheint ein Übel zu sein, das den drückt.

„Reden werden gehalten werden. Der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link (SPD)“

wird nicht einfach die Eröffnungsrede halten, sondern

„wird es sich nicht nehmen lassen werden (sic!), die Eröffnungsrede zu halten.“

Et cetra pepé.
Thomas Meiser, wie man ihn kennt: mit stolz erhobener Nase und einem klaren und deutlichen „Hu, äh!“
Der schreibt wie der Sohn eines reichen Vaters, der aber auch nichts anderes ist als der Sohn eines reichen Vaters und sich ärgert, weil er der Sohn eines reichen Vaters gern wäre.

Transit

Einmal habe ich das Territorium der Deutschen Demokratischen Republik betreten. Das war 1972. Die Bröselmaschine hatte ein paar Auftritte in Westberlin. Also mußten wir, von Süddeutschland kommend, über die Transitautobahn die DDR durchqueren. Ich hatte aber keinen Reisepaß. Also mußte ich mir im Büro der DDR-Grenzadministration ein Ersatzdokument ausstellen lassen, das mich zur Benutzung des Transitweges durch die DDR berechtigte.
An der Wand hing ein Bild von Erich Honecker. Hinter dem Schreibtisch saß ein Uniformierter. Daß ich, von ihm als typischer West-Langhaariger wahrgenommen, begehrte, ohne Reisepaß die DDR zu durchqueren, konnte er nicht so recht verstehen: Da kommt doch tatsächlich jemand hier in der DDR an und hat keinen Reisepaß! Ich hingegen sah da gar kein Problem. Wenn man keinen Reisepaß hat, läßt man sich eben ein Ersatzdokument ausstellen.
In welcher Absicht ich denn die Transitstrecke benutzen wolle, wollte der Beamte wissen. Ich klärte ihn auf: Ich bin Musiker, und unsere Band hat in den nächsten Tagen drei Konzerte in Westberlin (ich sagte: Westberlin). Ob ich das nicht schon längst gewußt hätte und mir entsprechend rechtzeitig einen Paß hätte besorgen können? Ich sagte ihm natürlich nicht, daß ich die Paß-Angelegenheit nicht für so wichtig genommen hatte, sondern redete mich damit heraus, ich hätte im letzten Moment für einen anderen einspringen müssen und daher leider keine Gelegenheit mehr gehabt, das Besorgen eines Reisepasses zur Vorlage in der DDR in den Mittelpunkt all meines Sinnens und Trachtens zu stellen.
Welche Art von Musik wir denn machten, wollte er auch noch wissen. Es war nicht ganz einfach, dem Beamten der Deutschen Demokratischen Republik eine Ahnung davon zu vermitteln, was unter Folkrock zu verstehen sei.
Daß ich dem Beamten weder mit angstvoller Unterwürfigkeit entgegentrat, als fürchtete ich, bei einem falschen Wort nach Sibirien deportiert zu werden, noch mit beleidigtem Wessi-Trotz, daß mich der Aufenthalt in einem Dienstraum der Deutschen Demokratischen Republik in keinster Weise irritierte, daß ich nicht nur höflich, sondern geradezu freundlich mit ihm sprach, machte ihn sichtlich mißtrauisch. Daß ich mich mit der DDR innerlich mehr verbunden fühlte als mit dem Land meiner Herkunft, brachte ich zwar nicht explizit zum Ausdruck, ließ es aber durch meine Unbefangenheit erahnen. Der Beamte muß gedacht haben: Der ist so freundlich zu mir. Will der mich eigentlich verhohnepiepeln?
739px-Stamps_of_Germany_(DDR)_1964,_MiNr_1016Für das Ersatzdokument mußte ich zehn D-Mark bezahlen, das wußte ich. Für einen Reisepaß hätte ich bei „meinem“ Einwohnermeldeamt auch zehn D-Mark bezahlen müssen. Ich dachte: Wenn ich schon zehn Mark loswerde, dann gebe ich das doch lieber der DDR! Das ist sowas Ähnliches, als hätte ich zehn Mark für Kuba oder für Vietnam gespendet.
Wenn ich dem das erzählt hätte, dann hätte der gar nichts mehr verstanden.
Man hatte mich gewarnt: Erzähl denen an der Grenze bloß nicht, daß du Kommunist bist! In ‘ner Delegation, ja, da wird man da willkommengeheißen. Aber ein einzeln reisender Kommunist aus dem Westen, da denken die: „Das geht doch gar nicht! Im Westen Kommunist? Das ist doch gegen die Vorschrift! Hier muß man das ja! Aber wer im Westen Kommunist ist, freiwillig, der muß ja verrückt sein. Das ist ja ein Aufrührer, ein Umstürzler!“
Ich war auch mal Delegierter bei der Bezirksdelegiertenkonferenz der DKP. Da hielt einer eine Rede, der war Professor in der DDR gewesen. Er sagte: „An der Karl-Marx-Universität in Leipzig lehrte ich Marxismus-Leninismus. Ich dachte: Die richtigen Kommunisten, die für ihre Überzeugung Nachteile auf sich nehmen, das sind die im Westen. Und die anderen – die sitzen vor mir in meinen Seminaren.“
Wenn der das da erzählen durfte, dann darf ich das hier auch erzählen.

Anarchie ist jetzt farbig

Heute Vormittag, Ecke Gneisenau-/Oststraße:
AnarchieGneisenau1Das erinnert mich an die Wandparole auf der Friedrich-Wilhelm-Straße, damals in Blau, aber in der guten alten Zeit nur in Schwarzweiß dokumentiert:
MCover18Angebracht wurde die Parole, 40 Meter von unserer damaligen Wohnung entfernt, am 15. Juni 1972, dem Tag, an dem Ulrike Meinhof festgenommen wurde. Das Haus wurde daraufhin abgerissen.
Es gibt Leute, die die Aussage, daß Anarchie kein Chaos sei, durch die Art ihrer Verbreitung konterkariert sehen. Aber das braucht uns nicht zu stören.
Übrigens:
Wie sich die Zeiten ändern!
AnarchieGneisenau2Ecke Gneisenau-/Oststraße, heute Nachmittag.

Wie kommt der Broder in meine Zeitung?

Von dem Henryk M. Broder habe ich mal viel gehalten, weil der sich – so könnte man sagen – auf der Schnittfläche zwischen Politik und Subkultur betätigte. Zum Beispiel war er einer von denen, die die Internationalen Essener Song Tage (1968) organisiert hatten. Das war ein Festival, auf dem – von Zappa bis Degenhardt – der ganze Radius einer progressiven Kultur dargestellt war.
Eines Tages, 1971 war es, kam der Broder zur Goldstraße, weil er für das Dritte Fernsehprogramm des WDR einen Filmbericht über die Bröselmaschine machen wollte. Als der zur Tür reinkam, lag ich noch im Bett.
Ich hab mich an dem Tag etwa eine Stunde lang mit ihm unterhalten. Bei der Gelegenheit bat ich ihn um einen Beitrag für meine Zeitung, und diese Bitte hat er mir erfüllt. Ich dachte mir: Das wertet meine Zeitung auf.
Später dann sind wir in Richtung Bahnhof gegangen. Unterwegs haben wir uns verabschiedet, weil ich ein anderes Ziel hatte. Zum Abschied hob er die Faust – ein schon zu der Zeit in der kommunistischen Bewegung aus der Mode gekommenes Gruß-Ritual. Ich fand das albern, und er merkte, daß ich das albern fand.
Ein paar Wochen später wurde der Filmbericht im Fernsehen gesendet. Ich war entsetzt. Broder kommentierte, die Bröselmaschine habe so eine Art Teufelspakt mit dem Chemiekonzern Badische Anilin und Soda Fabriken geschlossen. Hintergrund: Wir hatten einen Plattenvertrag mit Rolf Ulrich Kaisers Ohr-Records. Das war die beste Adresse für progressive Musik in Deutschland (Xhol, Guru Guru etc. pp). Der Vertrieb lief über Metronom, und diese Vertriebsfirma gehörte wohl zu BASF. Broder konstruierte daraus, wir wären zu Kapitalistenknechten geworden, und überhaupt wäre die ganze Underground-Kultur nichts anderes als Geschäftemacherei von Konzernen. Broders Fazit: Jeder Protest gegen den Kapitalismus trägt zur Stabilisierung des Kapitalismus bei. Er ist später dann den Weg gegangen, den die Leute gingen, die damals so geredet hatten. Das konnte man damals schon erahnen. Nur ist er auf diesem Weg nach rechts noch weiter gegangen als andere.
Mein Kontakt mit Broder blieb aber noch einige Zeit bestehen. Es wurde korrespondiert (er verschickte immer Postkarten), und wir haben noch zwei- oder dreimal am Telefon miteinander gesprochen.
Ich hatte wohl irgendwie anklingen lassen, daß wir mit unserem Plattenproduzenten Rolf Ulrich Kaiser nicht so ganz und gar zufrieden waren und daß Witthüser und Westrupp sich den Kopf darüber zerbrachen, wie sie aus dem Vertrag mit Kaiser rauskommen könnten. Broder witterte eine Story. Ich sollte ihm alles erzählen, was Walter Westrupp Negatives über Kaiser gesagt hatte. Das gefiel mir gar nicht. Mir wollte gar nicht wohl dabei sein, den Inhalt eines Gesprächs unter Kollegen an einen storygeilen Journalisten weiterzutratschen. Ich wollte keine Rolle dabei spielen, wenn Mißhelligkeiten durch einen Pressebericht darüber zum Zerwürfnis werden. Broder hatte Kaiser bei den Essener Songtagen noch assistiert, und jetzt war er gierig darauf, ihn in die Pfanne zu hauen. Dafür ihn mit Stoff zu versorgen fiel mir nicht ein.
Broders öffentliches Wirken fand ich mit der Zeit immer geschmackloser. Er gefiel sich in der Rolle des Weiterlesen

Fernsehapparat immer noch kaputt

„Das sind keine Chauffeure, das sind Weihnachtsmänner.“

Manchmal hatten wir einen Fernsehapparat, aber immer nur für kurze Zeit. Auf der Goldstraße hatten wir einen, den hatten wir auf der Straße in einem Sperrmüllhaufen gefunden, und der ging noch, allerdings nur zwei Tage lang, dann war er endgültig kaputt.
Ich bemerkte lapidar: „Fernseh kaputt – alles kaputt.“
Mike Hellbach fand das gut. Er schrieb mit Filzstift auf den Bildschirm: „Fernseh kaputt – alles kaputt“. So konnte das Gerät, auch wenn es nicht mehr einzuschalten war, noch einige Zeit stehenbleiben und einen guten Zweck erfüllen.
Auch auf dem Immendal in Hochfeld hatten wir mal einen Fernsehapparat. Der stand in der oberen unserer beiden Etagen, in Jennys Zimmer.

Jenny mit Zettel, im Duett mit Willi Kissmer

Jenny mit Zettel, im Duett mit Willi Kissmer

Ich war mit Jenny allein zu Haus, und wir überlegten, ob wir fernsehgucken sollten.
An dem Abend kam „Lohn der Angst“. Jenny kannte den Film nicht. Ich empfahl ihr, sich diesen Film anzusehen.
Ich kannte den Film damals schon auswendig. Aber für Jenny war das Abenteuer der Männer, die Nitroglycerin über holprige Straßen transportierten, etwas Neues. Sie zitterte vor Spannung, klammerte sich mit beiden Händen an der Tischplatte fest.
„Schaffen die das? Kommen die an?“
„Das sag ich nicht.“
Jenny bot dieser Film nicht nur Spannung, sondern auch Komik. An einer Stelle zumindest. Da sagt Luigi zu Bimba über Joe und Mario: „Das sind keine Chauffeure, das sind Weihnachtsmänner!“
Jenny lachte schallend. Sie lag fast auf dem Boden vor Lachen. „Das sind keine Chauffeure, das sind Weihnachtsmänner!“
Das war der Jenny-Humor.

loeven-gartenoffizier(Das ist eine Geschichte aus dem Jahre 1972, die der Kommune-Forschung dienen kann – erstveröffentlicht in dem verdienstvollen Anekdotenbuch „Der Gartenoffizier“).

Anne im Spiegel

Eine Spiegel-Titelgeschichte im Jahr 1971 erregte Aufsehen und hatte langwährende Nachwirkungen. Noch heute werde ich gelegentlich darauf angesprochen, und ich muß zugeben, daß ich an ihrem Zustandekommen nicht ganz unschuldig war.
In dem Buch „Bürgersinn mit Weltgefühl – Politische Moral und solidarischer Protest in den sechziger und siebziger Jahren“ (hg. von Habbo Knoch, Wallstein Verlag, Göttingen 2007) ist ein Beitrag enthalten mit dem Titel „Inszenierung und Authentizität“ von Sven Reichardt. Es geht da um die vom „Spiegel-Reporter Peter Brügge“ verfaßte Spiegel-Titelgeschichte vom 9. August 1971 über den Underground („Flucht aus der Gesellschaft“). Reichardt zitiert mich mehrmals, in den Anmerkungen steht: „Gespräch mit Helmut Loeven in der Duisburger ,Weltbühne‘, 4.11.2006“. In meinem Tagebuch habe ich vermerkt: „Im Laden: Ein Wissenschaftler aus Konstanz, der mich zu der Spiegel-Titelgeschichte von 1971 interviewt“, und ich erinnere mich, daß der sich keine Notizen machte und kein Tonband mitlaufen ließ, sondern sich alles so gemerkt hat – und dann in seinem Aufsatz (ganz anders als damals „Peter Brügge“) auch richtig zitierte.
Es steht dort: „Laut Auskunft von Helmut Loeven handelt es sich bei Peter Brügge um ein Pseudonym von Ernst Hess. Loeven (Jahrgang 1949) ist ehemaliges Mitglied der Duisburger Musikband ,Bröselmaschine‘, war aktiv in der ,Agentur für Alles‘ und ist seit 1968 Herausgeber der Duisburger Underground-Zeitschrift Metzger. Er stellte seinerzeit den Kontakt zum Spiegel-Redakteur her“ – und das war eine meiner schlimmsten Fehlleistungen.


Denn Hess/„Brügge“ hatte die Absicht oder den Auftrag, den kaum auf einen Nenner zu bringenden Underground als „Jugendbewegung 71“ zu banalisieren und als „Flucht aus der Gesellschaft“ umzuinterpretieren und so darzustellen, wie Kleinfritzchen ihn in sein Bild von der Welt hineinflicken kann: daß die Abkehr vom Welt-Bild der Großfritzchens ein illusionärer Wahn sei. So machte er sich auf die Socken, um seine Story mit Namen, Ortsangaben und frei erfundenen Zitaten zu verzieren. Der Kreativzone, in der ich damals zuhause war (informelle Sammelbezeichnung: „Knubbel Afa“) dichtete er einen Webstuhl und eine Töpferwerkstatt an, und die Nähmaschine der schönen Ulrike machte er zur „Hippie-Schneiderei“, und das ganze war dann eine (natürlich – hahaha – unpraktikable) Illusions-Ökonomie.
Der Spiegel-Reporter führte einige Interviews, aber nicht mit den Exponenten, die etwas hätten sagen können. Die meisten seiner Gesprächspartner waren „Randfiguren“. Sie hatten mit der ganzen Sache wenig zu tun. Auch mich zitierte er im Spiegel, ohne allerdings je ein Wort mit mir gewechselt zu haben.
Der „18jährigen Knubbel-Schönheit Anna Block“ (recte: 17 Jahre) legte er die Aussage in den Mund, an Politik nicht interessiert zu sein. Aus Enttäuschung über die Linken habe sie sich entschlossen, „eine Unpolitische zu werden“. Anne (so ihr richtiger Name) erinnert sich nicht, daß sie das gesagt hätte oder irgendetwas gesagt haben könnte, was so hätte interpretiert werden können. In den Jahren seit ihrer Spiegel-Erwähnung hat sie mir unentwegt beteuert: „Das habe ich nicht gesagt!“

Gar nicht unpolitisch: Anne B. (hier ausnahmsweise mal im Mini)

Der Reporter hatte einen Fotografen dabei. Es ging das Gerücht, daß der Anne und ein paar andere Mädchen dazu überredete, sich nackt fotografieren zu lassen. Der brauchte sie gar nicht groß zu überreden, die waren sofort dazu bereit. Das hätte man ja als „demonstrative Verweigerung der bürgerlichen Moral“ oder als „Überwindung falscher Scham“ titulieren können, oder einfach als „schön unanständig“ (Motto: Warum eigentlich nicht?). Ich fand eher, das war Ausbeutung. Die Einwilligung der Mädels war mir unbehaglich.
Demonstrative Verweigerung der bürgerlichen Moral oder Ausbeutung? Oder doch bloß Eifersucht?Daß jemals die Darbietung weiblicher Schönheit vor der Kamera bei mir Mißmut erzeugt haben konnte, lag wohl in dieser speziellen Situation. Anne war meine Freundin gewesen. Wir waren getrennt und hatten uns noch nicht wiedervereinigt. In dieser quälenden Phase meines Lebens war mir eine Gunst entzogen, für deren Erlangung der Fotoreporter nur mit dem Finger zu schnipsen brauchte.
Später, als wir wieder zusammen waren, hat Anne mir bestätigt, was ich hatte läuten hören: „Der Fotograf hat Bilder von mir gemacht. Von meinem nackten Hintern!“
Diese Fotos wurden aber nicht gedruckt. Der Fotograf hielt es noch nicht einmal für nötig, seinem Modell Abzüge der Bilder, die er von ihr gemacht hatte, zuzusenden. Sie werden jetzt wohl in einem Privatarchiv gehütet – als Beutestücke gewissermaßen.
Erstaunlicherweise besitze ich kein einziges Foto von Annes nacktem Hintern. Ich habe unverzeihlicherweise nie ein solches aufgenommen. Aber ich bezeuge: Das ist der schönste Hintern, der je fotografiert wurde!

Mit dem Hut ins Theater. Das ging.

Es ist also über die Bühne gegangen – über die Theater-Bühne am Sonntag, das Konzert der Peter Bursch All Star Band zur Feier des hundertjährigen Bestehens des Duisburger Stadttheaters. (Siehe Eintrag vom 17. Oktober).
„Bursch & Co ließen es so richtig krachen“, stand heute in der WAZ. „Musikalische Überraschungen gab es kaum, aber dafür sind solche Abende ja auch nicht da.“ Richtig. Gleichwohl wage ich zu sagen: sowas hatte das Stadttheater in hundert Jahren noch nicht erlebt.

Konzertfotos von den Acoustic Nights 2011

Die All Star Band, die es seit 20 Jahren gibt, ist spezialisiert auf Cover-Versionen von Rock-Klassikern (an diesem Abend solche der 70er Jahre). Die Cover-Versionen brauchen sich hinter den Originalen nicht zu verstecken. Da sind Vollblut-Musiker am Werk, „in die Jahre gekommen“, also zur Reife gelangt, die dem Publikum großes Können darbieten. Überraschung des Programms war das Mitwirken des Streichquartetts der Duisburger Philharmoniker bei zwei Stücken.
Das Lob der Sängerin Birgitt Theiss an das ganz besondere Duisburger Publikum war nicht bloß eine Höflichkeitsfloskel. Es stimmt. Mich erinnerte das an unsere „Heimspiele“ der Bröselmaschine.
Das Theater, der Tempel der Hochkultur, büßte nichts von seiner Noblesse ein, als es „so richtig krachte“. Wir haben nämlich die Welt verändert.
Noch ein Klassiker (wenn ich so sagen darf), ein optischer war mein Filmchen „Kö“, das in Endlosschleife auf drei Monitoren im Foyer lief. Da standen tatsächlich Scharen von Leuten staunend und amüsiert davor. Dabei ist da doch nix anderes zu sehen als eine Straße immer wieder rauf und runter.

Hut-Film „Kö“

Hinterher Empfang auf der Bühne. Alles schwarz, der Boden, die Decke, die Wände, und riesig: eine Halle um ein Vielfaches größer als der Zuschauerraum, so funktional (und darum so schön) wie eine Fabrikhalle. Soetwas habe ich zum letzten Mal gesehen, als ich bei Mannesmann war. Man fühlt sich wohl in einer Atmosphäre der Leichtigkeit nach der Anspannung.

Da ist man ja froh, wenn man zum Ehrenmann befördert wird, in dem Eintrittspreis von nulleuronullundnullzig die Gebphren enthalten sind und man dann noch in einem Raum eingeladen wird, in dem ein Büffet steht. Spargel gab es natürlich nicht.

„Du kommst doch auch zum Weihnachtskonzert“, fragte mich der Akkordeonspieler der Band Barney Brands (gemeint: die Acoustic Nights 2012 im Steinhof). Würde ich gern. Mal sehen, was sich ergibt.

 

Meine Schwierigkeiten mit den Frauen

Meine Berliner Freundin hat mich zurechtgewiesen:
„Sag doch nicht sowas wie ‚Die zue Tür‘.“
„Aber ich hab‘ doch vor der zuen Tür gestanden!“
„Schlimm genug, sowas zu sagen. Aber so schreibst du ja auch.“
„Ich bin ein deutscher Schriftsteller. Ich bin Sprachschöpfer. Ich setze die Maßstäbe. Wenn ich ‚Draht‘ mit ‚i‘ schreip, dann is dat richtich.“
„Die ‚zue Tür‘ ist ja schon schlimm. Aber ‚aufe Tür‘ geht wirklich nicht.“
„Hast du mich denn nicht eben durche aufe Tür kommen seh‘n? Wenn ich so schreip, dann is dat Litteratur.“
Sie findet, meine großzügigen Formulierungen würden Leute verwirren, die Deutsch als Fremdsprache sprechen. Sie geht viel mit Ausländern um und spricht mehr Englisch als Deutsch.
Mit mir spricht sie jetzt gar nicht mehr. Das „ane Radio“ war ihr zu viel. Ich verstehe das. Denn sie heißt Anne.

Anne war das ane Radio zu viel

Meine Bonner Freundin redet schon lange nicht mehr mit mir. Das ist schade, denn ich hatte mir schon in frühester Jugend gewünscht, mal eine Freundin zu haben, die Erika heißt. Ich hab mich immer gefreut, wenn das Telefon klingelte und ich dann hörte „Hier ist Erika.“ Ich finde den Namen so schön.

Erika redet überhaupt nicht mehr mit mir. Ihr war alles zu viel.

Eine nach der anderen will von mir nichts mehr wissen. Bin ich denn so unerträglich? (Das habe ich meine Duisserner Freundin gefragt, und sie hat darauf nicht geantwortet).
Ich habe wirklich nicht mehr viel Glück in der Liebe. Vielleicht sollte ich jetzt mal einen Lottoschein abgeben.

Meine Essener Freundin, die Lina – ich glaube, die mag mich noch. Aber was nützt die relative Nähe dieses Freundinnen-Quartiers, wenn die dauernd in der Weltgeschichte herumgondelt und nie da ist!

Lina-Darling ist dauernd verreist.

Sie hat letztens in einem Internetforum geschrieben, die Materialität des Universums sei nicht beweisbar: „Indem ich denke, kann ich meine Existenz nur mir beweisen“, schrieb sie. Jaja, Descartes und so. „Ich denke, also bin ich.“ Vielleicht ist die ganze Welt nur geträumt. Wer denkt, der ist (und wenn er auch noch ißt, ist die Existenz nicht nur bewiesen, sondern auch gesichert).

Das erinnert mich an Jenny.

Jenny, oh, Jenny!

Die träumte einst, sie sei ein Schmetterling. Jenny ging sogar noch weiter als Descartes. Denn Jenny war sich nicht sicher: „Bin ich ein Mensch, der träumt, er sei ein Schmetterling, oder bin ich ein Schmetterling, der träumt, er sei ein Mensch?“

 
Lina, du Kluge, du Starke, du Schöne, ich weiß, daß du das liest! Sei es wie es sei, Mensch oder Schmetterling: Komm doch mal wieder nach Essen geflattert. Dann können wir uns wieder öfter sehen und an einem Sommertag wieder zum Entenfang gehen. Und in der danachen Sommernacht probieren wir dann, ob es die Existenz wirklich gibt.