Robert Steigerwald: 90 Jahre

RobertSteigerwaldIn der jungen Welt von heute war es zu erfahren: Robert Steigerwald hat Geburtstag. Er wird heute 90 Jahre alt.
Die junge Welt von heute über Robert Steigerwald:
„Den Krieg verhindern war und ist neben der Philosophie eines der Lebensthemen Steigerwalds. Er wurde 1945 Mitglied der SPD, trat aus ihr 1948 wieder aus und in die KPD ein, als ihm der Parteivorsitzende Kurt Schumacher auf eine entsprechende Frage geantwortet hatte, selbstverständlich werde es Krieg geben, und ‚wir‘ würden dann an der Seite der Westmächte gegen die Russen stehen. Steigerwald flog aus dem Hessischen Rundfunk, absolvierte ein Studium an der SED-Parteihochschule, wurde dort Verantwortlicher für Philosophie und kehrte bald in die BRD zurück. Seine Arbeit für die ab 1956 verbotene KPD brachte ihm insgesamt über fünf Jahre Haft ein. Ab 1961 war er in Ostberlin und in Westdeutschland für die illegale Partei tätig, hob die Zeitschrift Marxistische Blätter, deren Chefredakteur er später wurde, 1963 mit aus der Taufe und legte eine viel beachtete Dissertation über ‚Herbert Marcuses dritten Weg‘ vor. Seit 1967 wohnt er mit seiner Familie in Eschborn und wurde in Auseinandersetzungen mit den verschiedensten Trupps linker Antikommunisten, denen er als ‚Gralshüter des Revisionismus‘ galt, ein gefürchteter Polemiker. Seine Hauptarbeit galt, in enger Zusammenarbeit mit Willi Gerns, der darüber am Sonnabend berichtete, den Grundsatzdokumenten der 1968 gegründeten DKP. Gerns und nach ihm der DKP-Parteivorsitzende Patrik Köbele erinnerten an die Würdigung der ‚politischen Zwillinge‘ Gerns und Steigerwald durch die FAZ am 12. Februar 1990 als ‚zwei dieser alten Schlachtrösser‘, die ‚in verstocktem Sinne ehrlich‘ die Ereignisse in der DDR als ‚konterrevolutionären Prozess‘ bezeichneten.“
Daß man mit solch einer Haltung „keinen Blumentopf gewinnen kann“, mag schon sein. Aber was soll ich mit lauter Blumentöpfen? Mir gefallen die verstockt-ehrlichen Schlachtrösser, die verstockten, denen man einen Vorwurf bestimmt nicht machen kann: die Zeichen der Zeit „erkannt“ zu haben! Daß die wendigen Meister des Taktierens auf der Höhe der Zeit mit ihren angesagten Stichwörtern sich ihre Schlauheit bloß einbilden, erlebt man gerade dieser Tage wieder.
Daß dem „verstockten Gralshüter“ Starrheit zu Unrecht nachgesagt wird, dafür ist Robert Steigerwals ein eindrucksvolles Beispiel. Wer Vorträge von ihm gehört hat, hat einen quicklebendigen Denker, einen reaktionsschnellen Wortkünstler, ja man kann sagen: einen Entertainer der Theorie erlebt. Er vermittelt den dialektischen Materialismus als fröhliche Wissenschaft (anders wäre er wohl auch kaum zu ertragen).
METZGER-Lesern (und -Sammlern) ist Robert Steigerwald ja auch nicht unbekannt. Meinen Aufsatz „Gegen die Objektiven“ (DER METZGER Nr. 84) habe ich mit Zitaten gestützt – es ist ja nicht schlimm, wenn Zitate mitunter mehrere Seiten lang sind. Es ging damals darum, die These, derzufolge der Feind meines Feindes mein Freund sein müsse, zu widerlegen.
Daß auch ein Roman in der Bibliografie zu finden ist, paßt: Das Haus im Sandweg. Eine sozialistische Familienchronik. Verlag Neue Impulse 2008. 628 S. 24,95 Euro. Nur bei uns: Buchhandlung Weltbühne.

Encore: Minister Jäger ist keine Laterne, sondern eine Tasse.

Das schrieb die konservative Frankfurter Allgemeine:
„Die für gewöhnlich gut informierten Antifa-Gruppen warnten, dass Köln vor dem seit Jahren größten Aufmarsch von Rechtsextremen in Westdeutschland stehe. Die Polizei verwies diese Hinweise in das Reich der Propaganda und bereitete sich auf eine Demonstration mit 1000 bis 1500 Teilnehmern vor.“
Es wäre in der Tat ein zu mildes Urteil, wenn man der Polizei bloß eine falsche Einschätzung von Personenzahlen attestieren würde. Die Polizei ist selbst Teil des Problems, dessen Lösung von ihr zu erwarten naiv wäre.
In demselben FAZ-Bericht (von Olaf Sundermeyer, 28.10.2014) wird ein Beamter dieser Polizei zitiert:
„Es war noch in der Nachmittagssonne, gegen halb drei am Sonntag vor dem Kölner Hauptbahnhof, als zwei Polizisten ein Gespräch unter Kollegen führten. ‚Mach dir mal keine Gedanken‘, sagte der Ältere zu dem Jüngeren und schaute dabei auf eine vierstellige Zahl von Hooligans: ‚Die machen nichts, nur wenn sie von Linken angegriffen werden.‘“
In Klartext übersetzt: An den Gewaltexzessen der Rechten sind die Linken schuld. Auch wenn es an diesem Sonntag in Köln keinen solchen Angriff gegeben hat, wird der ach so erfahrene Polizist felsenfest an seiner Überzeugung festhalten. Immer zu wissen, wer immer und an allem schuld ist, ist ebenso Grundlage deutscher Exekutivmentalität wie der Ratschlag, sich mal bloß keine Gedanken zu machen.
Von der Polizei ist schlechterdings nicht mehr Helligkeit zu erwarten als von ihrem Obersten Dienstherrn. Der Oberste Dienstherr in diesem Fall ist der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD).
Der Sozialdemokrat Ralf Jäger ist Realpolitiker. Realpolitiker haben noch nie ein Problem gelöst. Sie haben auch noch nie ein Problem erkannt. Mehr noch: Realpolitiker neigen dazu, Problembewußtsein als Gefahr für die Sicherheit zu sehen und den Problembewußten die innerstaatliche Feindschaft zu erklären.
Ich zitiere noch einmal das Grußwort der VVN beim UZ-Pressefest im Juni:
„Wir haben hier einen Innenminister Ralf Jäger, der gegenüber den Schülern des Landes behauptet, unsere Losung ‚Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen‘ sei verfassungsfeindlich, denn sie raubten den Nazis ihre Meinungsfreiheit. Er steigerte sich in diesen Tagen, indem er behauptet, die Demokraten, die den faschistische Sprüche und Lieder grölenden Nazis den Zutritt zum Rathaus von Dortmund verweigerten, sie handelten ebenfalls verfassungsfeindlich. Und so wird nun gegen 40 Demokraten, gegen die Rathausverteidiger ermittelt.“
Und damit auch das nicht am Ende einmal zu wenig zitiert wurde, auch noch mal aus dem Offenen Brief von Ulla Jelpke (MdB Die Linke) an Minister Jäger:
„Als Dortmunder Bundestagsabgeordnete und Antifaschistin kann ich es nicht unwidersprochen lassen, wie Sie den Polizeibericht zum Angriff der Nazipartei „Die Rechte“ auf das Dortmunder Rathaus am Wahlabend des 26. Mai gutheißen.
Dieser Bericht ist ein erschreckendes Dokument. […] Die fatale Neigung der Polizei, die von Nazis ausgehende Gefahr zu verharmlosen, (ist) noch immer nicht überwunden.“

Merke: Sozialdemokratie ist keine Meinung, sondern eine Bewußtseinstrübung.

Parlament: arisch

„Debatte um Wahlrecht für Kinder – Vorstoß von FDP-Minister Niebel“ schlagzeilte die WAZ letzten Freitag (4.1.2012).
Natürlich will der FDP-Mann die Kinder dann doch nicht wählen lassen. Er will ihnen eine Stimme geben, die sie dann aber gar nicht (selber) abgeben dürfen. „Für praktikabel hält es der FPD-Minister, wenn Eltern das Wahlrecht ihrer Kinder treuhänderisch wahrnehmen würden.“ Und jetzt kommt‘s: „Dann hätten die Familien ein höheres politisches Gewicht.“ Er meint: „Das würde uns Politiker zwingen, die Interessen von Kindern und Familien noch viel stärker ins Blickfeld zu nehmen als Bislang.“ Anscheinend meint er auch, daß die Interessen von Kindern (und Jugendlichen) in ihren Familien gut aufgehoben sind.
Ich werde mich hüten, zu behaupten: Der Minister Dirk Niebel ist ein Idiot. Nein, der tut nur so. Sein „Vorstoß“ ist gar zu fadenscheinig. Die Existenzkrise der FDP spitzt sich zu. Sie greift nach Strohhalmen. Zwei Wochen vor der Landtagswahl in Niedersachsen und mitten im Geknalle vor dem „Dreikönigstreffen“ meinte Niebel: Wir müssen mal wieder mit einer „richtigen“ Nachricht in die Zeitung kommen. Dafür spielt er sogar den Deppen und verkündet eine Scheißhausidee.
Originell ist das ja nicht. Immer mal wieder wird das aufgetischt: „Eltern wählen für ihre Kinder“. Vor der Bundestagswahl 2005 entzückte der Professor Doktor Paul Kirchhof die Doofen mit derselben Idee, was im METZGER kommentiert wurde (siehe unten). Und erst kürzlich, in der Frankfurter Allgemeinen vom 10.4.2012 wiederholte er das: „Das Wahlrecht steht allen Bürgern zu. Kinder sind Bürger. Deswegen ist es nicht ausgeschlossen, ihnen die Möglichkeit zu bieten, ihr Bürgerrecht so weit als möglich, das heißt bis zur Volljährigkeit, in Vertretung durch die Eltern auszuüben.“ „Ausüben zu lassen“ wollte er wohl sagen.

Flugblatt der Projektgruppe Pudding und Gestern (2005)

Flugblatt der Projektgruppe Pudding und Gestern (2005)

Von einem Mann wie Kirchhof, mit dem das Amt eines Bundesverfassungsrichters fehlbesetzt war, kann man zwar nicht erwarten, sollte man aber verlangen, daß er schon mal davon gehört hat, daß Grundrechte „unveräußerlich“ sind. Das hat auch für das Wahlrecht zu gelten. In der gleichen und unmittelbaren Wahl kann jeder nur eine Stimme abgeben, und zwar seine eigene. Wo kämen wir denn hin, wenn der Vater für die Tochter und demnächst vielleicht der Pastor für die ganze Gemeinde, der Meister für den Gesellen, der Betriebsführer für seine Gefolgschaft Stimmzettel ausfüllen dürfte? Dorthin, wo Kirchhof und seine Lehrmeister das ganze Land und uns alle am liebsten hinhaben wollen.
„Man könnte geneigt sein, diese Idee als abwegige Erfindung eines verrückten Professors abzutun“, schreibt Helmut Kellershohn im DISS-Journal (Nr. 23, 2012), und er spürt die Herkunft dieser Wahlrechts-Schote auf:
„Zu den Totengräbern der Weimarer Republik gehörten zweifellos die konservativen Eliten in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Einer der wichtigsten Braintrusts war damals der Deutsche Herrenklub, dem Geist des Weimarer Jungkonservatismus verpflichtet und die Hintergrundorganisation, die der Regierung Papen die entscheidenden Stichworte für die Idee des ‚Neuen Staates‘ lieferte. Kern des Neuen Staates sollte eine Reichs- und Verfassungsreform sein, die an die Stelle der Republik einen autoritären Staat setzen sollte. Zu den Vorschlägen, die diesen ‚Staatsumbau‘ in die Wege leiten sollten, zählten die Stärkung der Autorität des Reichspräsidenten, die Errichtung eines Oberhauses (‚Erste Kammer‘) und die Beschneidung der Kompetenzen des Reichstages, der Schutz der Wirtschaft vor staatlichen Eingriffen, z.B. dem staatlichen Schlichtungswesen, und nicht zuletzt – und damit kommen wir wieder zu Kirchhof – eine Veränderung des Wahlrechts.
Die damaligen jungkonservativen Vordenker und ihre Repräsentanten in der Regierung Papen empfahlen drei Manipulationen des Wahlrechts: Erstens die Ersetzung des Verhältniswahlrechts durch ein Mehrheitswahlrecht, bei dem nicht Parteien zur Wahl stehen, sondern parteiunabhängige ‚Persönlichkeiten‘ in sog. ‚Einmannwahlkreisen‘, ergänzt möglicherweise auch durch die Einführung der indirekten Wahl; zweitens die Heraufsetzung des Wahlalters von 20 auf 25 Jahre. Während der erste Vorschlag sich vor allem gegen die Parteien richtete, so der zweite gegen die rebellische Jugend in den Massenbewegungen. Der dritte Vorschlag ist nun genau der, der von Kirchhof kopiert wird. Gefordert wird die Einführung eines ‚Pluralwahlrechts‘, das vorgibt, das Gewicht der Stimmen nach ‚Leistung‘ und ‚Verantwortungsfähigkeit‘ zu differenzieren, wobei hier, wie bei Kirchhof, an die ‚Sammlung der Stimmen aller Unmündigen bei den Versorgungsberechtigten und -verpflichteten‘ gedacht wird.“ (Bitte lesen Sie den ganzen Text aus dem DISS-Journal).
Kirchhof hat (so schreibt Kellershohn weiter) den „völkischen Ton durch den neoliberalen Standortnationalismus ersetzt“. WAZ-Kommentator Wilhelm Klümper wundert sich also zu früh, wenn er sich wundert: „Es verwundert, daß ausgerechnet ein Liberaler einen Vorschlag zum Wahlrecht macht, der individuelle Lebensentwürfe des einen belohnt und des anderen bestraft.“ Wer unsere (neo)liberalen Pappenheimer kennt, wundert sich über jarnischt mehr. Vielleicht fände der Herr Niebel es ganz herztausig, wenn Wählerstimmen an der Börse gehandelt werden.
Die Wahlrechts-Klamotte wird noch oft serviert, da kann man sicher sein. Warmgehalten wird sie, eingeführt wohl nicht. Dennoch ist den Herren Kirchhof und Niebel übers Maul zu fahren, wenn sie deutschen Familienvätern antidemokratische Flausen in den Kopf setzen.

Kommentar in DER METZGER 75 (2005)
DIE GROSSE BIEGE
Wenn Professor Doktor Paul Kirchhof eine Idee hat, kommt ein Unglück nicht allein. Über seine „Steuerpläne“ breitete sich das Entzücken der Doofen und das Entsetzen der Verbleibenden so sehr aus, daß es fast unterging, daß er noch eine Idee Weiterlesen