Neudorfer Nachrichten

Ich dachte: Was steht denn da für eine Leiter im Schaufenster?
Die Metzgerei schräg gegenüber (Gneisenaustraße Ecke Oststraße), Metzger Becker hat zugemacht!
Ein Nachfolger war nicht zu finden.
Es gibt Läden, die sind Institutionen. Dieser war so einer.
Metzger Becker war berühmt wegen seiner Qualität. Leute kamen von weit her, um DORT einzukaufen.
Neudorf, dieses vielfältige, facettenreiche Viertel, mit den vielen kleinen Läden, von denen einige mit Engagement und Können schon seit Generationen geführt werden, hat ein Glanzlicht verloren!
Zum Glück verschwindet er nicht spurlos. Ein Service von Metzger Becker, die Ausgabe von warmen Mahlzeiten in den Mittagsstunden, wird an gleicher Stelle weiterbetrieben, und zwar vom Finkenkrug!
Also: Wenigstens etwas. Und dann viel Glück!

„Da hinten bauen se“

SternWegBau1Glaubt man, auf diese Weise Sternbuschwegverbesseung zu leisten?

SternWegBau2Wo man doch weiß, daß in Duisburg jeder Versuch der Verbesserung ein noch größeres Fiasko hinterläßt.

SternWegBau3Nun gut, das sieht schön aus.
Es gibt aber Schöneres.

MEHR LEBENSERKENNTNIS AM DONNERSTAG (17. September) UM 19 UHR BEI DER LESUNG IM SYNTOPIA.

Heiligabend

oder: Wir müssen die Feste feiern wie sie uns gefallen.
In Zeiten der massenweisen sozialen Deklassierung tritt das Religiöse wieder in den Vordergrund. Im Fernsehen wird über Religion diskutiert. Kurz vor Weihnachten war es auch bei Plasberg so weit. Jutta Ditfurth war dabei, und auf Heiligabend angesprochen, bemerkte sie, für sie als Atheistin gebe es keinen „heiligen Abend“.
Am 23. Dezember 1978 wurde anläßlich des neunten Jahrestages unseres Abiturs ein Klassentreffen veranstaltet. Das fand im Duisburger Hof statt (der Lothar Röse hatte immer so komische Ideen). Es war, wie gesagt, der Tag vor Heiligabend. Es war ein sehr kalter Dezember, und zu der Zeit streikten die Mannesmann-Arbeiter für die 35-Stunden-Woche.
Nach dem Treffen fand sich ein Grüppchen von Kameraden zusammen, die noch nicht gleich nach Hause gehen, sondern noch irgendwo zusammen einen trinken gehen wollten. Ich schloß mich an und schlug vor, zum Finkenkrug zu fahren. Das war praktisch bei der Kälte. Denn vom Finkenkrug aus hatte ich nur noch 200 Meter Heimweg.
Also fuhren wir zum Finkenkrug. Reiner Wagner meinte, wir sollten einfach erzählen, wir wären streikende Mannesmann-Arbeiter, dann kriegten wir bestimmt einen ausgegeben.
Das klappte aber nicht. Unsere Beteuerung, streikende Arbeiter von Mannesmann zu sein, veranlaßte niemanden, eine Runde für uns zu schmeißen.
Reiner Wagner war ganz empört: „Was ist das denn hier? Wir sind doch die streikenden Mannesmann-Arbeiter! Warum kriegen wir denn keinen ausgegeben? Ist doch schließlich Heiligabend heute!“
Die Chuzpe, uns nicht nur fälschlich als streikende Mannesmann-Arbeiter auszugeben, sondern den Leuten im Finkenkrug auch noch ein falsches Datum unterzujubeln, erheiterte mich sehr. Das fand ich nicht weniger komisch als die Physiker, die alles mit Fett beschmieren. Jedenfalls ist der Ausdruck „Heiligabend“ seither wieder für mich verwendbar.

P.S.: Axel Eggebrecht berichtete in seinen Memoiren, Anfang der 20er Jahre seien in allen möglichen linken Versammlungen junge Männer in Matrosenanzügen aufgetaucht, die vom Nimbus des Kieler Matrosenaufstandes zehrten. Kaum einer von denen hätte sich jemals in der Nähe der Küste aufgehalten. Ich immerhin habe mal im Stahlwerk bei Mannesmann gearbeitet, und durch die Politik kam ich mit einigen Mannesmännern zusammen: Artur Reisch vom Betriebsrat, Herbert Dräger vom IG-Metall-Vertrauenskörper. Und auch den Herbert Knapp, der damals Betriebsratsvorsitzender war, lernte ich kennen. Man hätte uns also ruhig einen ausgeben können.

Äpfel, Pflaumen, Birnen (Zweiter Teil)

Sie hat mich in das Zimmer geführt, das einstmals das Wohnzimmer ihrer Eltern war. Die ganzen alten Möbel stehen noch hier, nur jeglicher Zierrat ist entfernt. In der Vitrine des Wohnzimmerschranks liegen Stapel von Zeitungen. Ich sitze auf einem durchgesessenen Sofa, sie sitzt mir gegenüber auf einem Sessel mit durchgewetzten Armlehnen.
Sie hat zwei Gläser auf den Tisch gestellt und gießt aus einer Flasche ohne Etikett ein.
„Das ist unser klassischer Birnenwein. Der ganze Keller ist davon voll, und jedes Jahr kommen neue Flaschen hinzu.“
„Du machst immer noch Wein aus Birnen?“
„Ich hab‘s mir von meinem Vater zeigen lassen. Nur das Schnapsbrennen hab ich nicht kapiert. Der Schnaps geht irgendwann zur Neige. Aber alles andere, die Gelees, den Kompott mache ich immer noch selbst. Das habe ich an den Wochenenden gemacht. Jetzt hab ich mehr Zeit dafür, seitdem ich arbeitslos bin.“
„Ach!“
„Ja. Komm, laß uns anstoßen! Auf die neue Zeit! Und auf die gute alte!“
Kling!
Kling!

Unsere Volksschule

Unsere Volksschule

„Hmm!“
„Schmeckt dir, was? Ja, die haben mich wegrationalisiert. Ich war bei Bayer, erst in Uedringen, dann in Wuppertal. Ich hab ja Betriebswirtschaft studiert mit Doktor.“
„Frau Doktor Ulmer!“
„Hör auf! Ich bin froh, daß ich nicht mehr jeden Morgen nach Wuppertal brausen muß und nicht mehr jeden Nachmittag im Stau stehen muß.“
Jetzt reden wir über unsere Lebensläufe. Wir beide sind fast auf den Tag genau aus unseren KPD/MLen rausgeflogen. „Ausgeschlossen! Um mich loszuwerden, mußten die mich rausschmeißen.“ (Gilt für sie und für mich). „Schade um die vergeudeten anderthalb Jahre! Hätten wir mehr draus machen können.“
„Die Bücher da draußen“, sagt sie, „habe ich für dich da hingestellt.“
„Ach was!“
„Dochdochdoch! Ich wußte, daß du irgendwann mal kommst, daß du dich irgendwann mal traust.“
„Und was bedeutet das? Räumst du auf mit deiner revolutionären Vergangenheit?“
„Beleidige mich nicht! Für was hältst du mich? Neinnein. Das sind die Bücher, die ich doppelt habe.“
„Bücher doppelt?“
„Sowas passiert. Einmal hab ich zum Geburtstag drei mal das gleiche Buch geschenkt gekriegt. Neenee, ich bin nicht vom Glauben abgefallen, falls du das meinst. Besser gesagt: Ich bin nicht übergelaufen. Aber ich bin in keinem Verein mehr drin. In keinem. Nie wieder! Nach der ML war ich beim Sozialistischen Büro. Aber das hat sich ja auch in Wohlgefallen aufgelöst. Immerhin war ich zehn Jahre lang im Betriebsrat, bis die von der IG Chemie mich nicht mehr sehen wollten.“
Sie erzählt, daß sie kaum ein Konzert verpaßt, ob Rockkonzerte oder Jazz oder Chanson. Sie erzählt von ihrer Plattensammlung (fast tausend LPs), von ihren Büchern, ihren Lektüren und ihren Zeitungen: „Die Taz hab ich abbestellt, das Käseblatt. Stattdessen lese ich die Süddeutsche. Die Junge Welt kaufe ich nur einmal im Monat, obwohl ich in der Genossenschaft bin – eine Genossenschaft ist ja kein Verein. Die UZ vergesse ich immer abzubestellen. Aber man braucht ja auch was, um den Rhabarber darin einzuwickeln.“
Sie erzählt von ihren Jobs. „Ich habe immer in diesem Haus gewohnt, nie woanders. Ich habe immer gependelt, zur Uni nach Bochum, dann zu meinen Jobs zuerst in Köln, zuletzt in Wuppertal. Jetzt habe ich mein Auto verkauft, weil ich niiie mehr pendeln will. Hier in Buchholz kann man ganz gut einkaufen, ich brauche kaum raus aus dem Viertel. Es gibt ja auch noch die Straßenbahn.“
„Du kriegst jetzt ALG 1?“
„Ja.“
„Und wenn du ALG 2 bekommen willst, nehmen die dir dann nicht das Haus weg und verfrachten dich nach Marxloh oder Bruckhausen?“
„Mich kriegt hier keiner weg. Dann sollen die doch ihr ALG Hartz einszwodreivier behalten und mich am Arsch lecken. Ich hab gut verdient, sehr gut verdient und gespart. Und viel brauch ich nicht. Das Haus gehört mir, ich bezahle keine Miete. Und einiges hole ich mir aus dem Garten. Gemüse, sogar Kartoffeln, und Obst natürlich. Ich hab noch nie Marmelade gekauft. Und ‘n Hühnerstall hab ich auch noch.“
Sie erzählt: „Ich hab nie mit einem Mann zusammengelebt. Ich war immer Single.“ Sie erzählt: „Einige Zeit habe ich – wie soll ich sagen – die Männer verschlissen. Aber sei mir nicht böse. Unglücklich gemacht hab ich sie nicht. Schon deshalb nicht, weil ich nie mit einem zusammengezogen bin. Früher hatte ich öfter was mit Frauen, mit Mädchen besser gesagt. Das hat mir mehr Spaß gemacht.“
„Ein bißchen bi schadet nie.“
„Ein bißchen bi, hihihi! Fünf Jahre war ich mit einer Frau zusammen, hier unter diesem Dach, mit allem drum und dran – wenn du weißt, was ich meine. Bis die sich ein anderes Modell gesucht hat“, sagt sie mit etwas Wehmut und etwas Zorn. „Wir sind gerade mal einen Monat auseinander. Prost!“
Sie erzählt, daß sie früher ein- oder zweimal in der Woche im Finkenkrug war.
„Im Finkenkrug? Das ist keine hundert Meter von meiner Wohnung entfernt.“
„Du wohnst in Neudorf?“
„Ja, auf der Finkenstraße. Das war immer mein Traum. Neudorf!“
„Das Intellektuellenviertel.“
„Ist auch nicht mehr das, was es mal war.“
„Aber Neudorf paßt zu dir.“
Sie hat, nun schon zum dritten Mal, von dem Birnenwein nachgeschenkt.
„Du mußt doch nicht noch gleich fahren, oder?“
„Neinnein. Ich bin auch ein Straßenbahnbenutzer. Aber transportiert die DVG auch Besoffene?“
„Soweit muß es ja nicht kommen. Hör mal, ich erzähl dir alles von mir, jetzt red du mal, du Rechtsabweichler oder Linksabweichler! Ich weiß gar nicht mehr, was für‘n Abweichler wir dich damals genannt haben. Bist du noch bei der Fahne? Bist du in einem Verein? Los! Rechenschaftsbericht! Erzähle!“
„Jaaa. Ich bin in einem Verein. Ich bin in der DKP.“
„Waas? Duu? In der Dekapée? Hahaha! Nee, is‘n Scherz, oder?“
„Kein Scherz.“
„In‘ner Dekapée! Ausgerechnet du! Du bist wohl auch nicht aus Schaden klug geworden. Aber beruhig dich. Ich hab euch immer gewählt. Die UZ werde ich jetzt doch nicht abbestellen, versprochen. Vielleicht lese ich die sogar mal dir zuliebe, du – Abweichler du!“
Sie hat wieder nachgegossen und hebt ihr Glas: „Auf die Genossen! Auf die Standhaften und ihre Gesichter!“
Kling!
Kling!
„Aber deine Party, deine Par! Tei! ist doch nicht dein ganzes Leben.“
„Also: Ich habe mir einiges vorgenommen: Einmal im Leben…“
„…Einmal im Leben ein Haus bauen, einen Baum pflanzen, einen Sohn zeugen und einen Mann erschießen?“
„…Und in ein fremdes Land einmarschieren? Nichts davon! Einmal im Leben ein Buch schreiben. Einmal im Leben eine Schallplatte machen. Einmal im Leben einen Beitrag in Konkret unterbringen. Einmal im Leben in einer Rock-and-Roll-Band sein. Einmal im Leben einen Film machen. Einmal im Leben als Kabarettist vor Publikum auftreten. Das hab ich alles gemacht. Ich mußte es einmal machen und durfte es öfter machen. Ich habe ein paar Bücher geschrieben, ein paar Schallplatten gemacht – CDs, ein paar Filme gemacht – DVDs, bin unzählige Male als Kabarettist aufgetreten.“
„Hör mal, du hast doch auch mal so ein Blättchen herausgegeben mit so einem komischen Namen: Fritz oder Karl oder Otto.“
„Nein: ‚Der Metzger‘ heißt das.“
„Ach ja! ‚Der Metzger‘! So hieß das.“
„Das mache ich immer noch.“
„Immer noch? Immer noch ‚Der Metzger‘?“ Sie beugt sich zu mir vor und tippt mir auf die Nase. „Ich habe dich unterschätzt!“ Sie plumpst wieder in ihren Sessel. „Und du schreibst?“
„Früher schrieb ich lange Aufsätze. Heute schreibe ich eher Glossen und Geschichten.“
„Zum Beispiel über sowas wie die Begegnung mit einer alten Freundin?“
„Jjjjjjja, das könnte ich mir vorstellen, so eine Geschichte zu schreiben.“
Sie will einiges mehr wissen über meine Arbeit, und auch über meine Ökonomie.
„Wir haben beide diese Stadt nicht verlassen“, sage ich, „da wundert es mich, daß wir uns nie begegnet sind. Warst du eigentlich nie im Eschhaus?“
„Doch, ein paar mal.“
„Und wir sind uns nie begegnet?“
„Da war so‘n kleiner Buchladen drin. Hattest du damit was zu tun?“
„Das kann man wohl sagen. Das war mein Laden.“
„Ach! Da hab ich mir ab und zu mal einen Arm voll Bücher gekauft.“
„Dann verdanke ich also dir meinen Reichtum.“
„Da war immer so‘n großer Dicker in den Laden.“
„Das war der Eppler.“
„Eppler. Aha.“
„Und jetzt habe ich immer noch einen Buchladen. In Neudorf auf der Gneisenaustraße.“
„Ach, davon habe ich gehört. Das ist dein Laden? Ich muß wohl mal vorbeikommen.“
„Es wird die höchste Zeit.“
„Na hör mal! Du hast dir auch nicht wenig Zeit gelassen, du Abweichler!“

FORTSETZUNG FOLGT.