Lenin hatte andere Pläne

Als Lenin im April 1917 aus dem Exil in Zürich nach Petrograd zurückkehrte, wurde er von seiner Frau Nadeschda Krupskaja und seiner Sekretärin Inessa Armand gedrängt, beim Zwischenstopp in Stockholm mit ihnen ein Warenhaus aufzusuchen. Als er nicht nur Anzug und Schuhe, sondern auch noch einen Mantel anprobieren sollte, war es ihm zu viel: „Ich fahre nicht nach Rußland, um die neueste Herrenmode vorzuführen.“
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Neu in der Weltbühne: Lucas Zeise über das Finanzkapital

In der verdienstvollen Reihe „Basiswissen“ im Papyrossa Verlag ist ein neuer Titel erschienen:

Lucas Zeise: Finanzkapital. PapyRossa Verlag 2019. Reihe Basiswissen. 136 S. 9,90 €
Dass in Gelddingen demokratische Regeln nichts gelten, wurde uns am Beispiel Griechenland drastisch vor Augen geführt: Auf das überwältigende Nein der Bevölkerung zum Diktat der Troika folgte das Ja der von ihr gewählten Regierung. Auch wenn es im Alltag parlamentarischer Republiken nicht immer offensichtlich ist, wird in Krisen deutlich, wie die Herrschaft des Finanzkapitals funktioniert. Wer ist dieses Finanzkapital, das Rudolf Hilferding 1909 und Lenin 1917 untersucht haben. Und wie herrscht es heute? Besonders interessiert Lucas Zeise dabei die Rolle des Geldkapitals, der Banken, Versicherungen, Hedgefonds und Schattenbanken. Wie kommt es, dass die Gläubiger-Schuldner-Beziehung die politischen Verhältnisse dominiert? Wie kommt es, dass sich die politisch Mächtigen unter dem Druck der Finanzmärkte befinden? Wer reguliert diese oder unterlässt es, sie zu regulieren? Wie funktioniert international die Hackordnung unter den Finanzkapitalisten? Warum dominiert immer noch der Dollar und wird er als dominante Währung abgelöst?
„Lucas Zeise war jahrzehntelang dicht dran am großen Geld. Sein Buch belohnt uns daher mit prallen Geschichten und einer herausragenden Tiefenschärfe.“ (Hermannus Pfeiffer, neues deutschland).
„Wer in knapper Form wissen will, was im Maschinenraum und auf der Kommandobrücke des heutigen Kapitalismus vor sich geht (auf ökonomischer Ebene, nicht im politischen Mechanismus), greife zu diesem Bändchen.“ (Arnold Schölzel, junge Welt).

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Strukturen der Aufklärung müssen gerettet werden. Weltbühne muß bleiben.

Good old everlasting Sternbuschweg. Mai 2019


Ja, was sehen wir denn da?
Das ist einfach erklärt.
Auf meiner Reise im Entenfang-Express (August 2011) von Entenfang bis Hauptbahnhof habe ich alle paar Sekunden ein Foto aus dem Zugfenster gemacht. Und so erwischte ich just den Moment, in dem der Express-Zug auf einer jener Brücken, die die Welt bedeuten, den Sternbuschweg überquerte. Links unten im Bild ist übrigens der Anbeginn vom Kalkweg zu sehen.
Soso. Aha. Und? (wird jetzt vielleicht mancher ungeduldig fragen).
Ich sage nur: Entenfang-Express! Der wird uns in den nächsten Tagen noch beschäftigen.

P.S.: „Geduld ist die wichtigste Eigenschaft des Revolutionärs“, sagte Lenin.
Ich füge hinzu: Ungeduld ist die lästigste Eigenschaft der Leute, die sich für schlau halten.

„Kritik und Kriminalität“

Auszüge aus einem Text aus dem Jahre 2007 über einen Vorgang, der im Jahre 1968 ausgelöst wurde.
Hintergrund: Am 2. April 1968, heute vor 50 Jahren, brannte es in Frankfurt in zwei Kaufhäusern.

[…] Es ist oberflächlich und ungerecht, Ulrike Meinhof einzig und allein mit der RAF zu assoziieren. Sie hat eine Fülle von niedergeschriebenem Material hinterlassen, und fast alles stammt aus der Zeit bevor sie sich der Roten Armee Fraktion anschloß. Man könne von den zwei Leben der Ulrike Meinhof sprechen, oder, noch überspitzter, daß es zwei Personen namens Ulrike Meinhof gab: Die Journalistin, die für den Rundfunk arbeitete, Kolumnen in Konkret schrieb, zeitweise Chefredakteurin dieses Blattes war, deren Kommentare zu den scharfsinnigsten gehörten, die in den 60er Jahren geschrieben wurden, und die Teilnehmerin an bewaffneten Aktionen als Mitglied der RAF. Diese zweite Phase ist eine Verneinung der ersten.
[…] Indem ich Ulrike Meinhof zitiere, nehme ich für sie Partei. Ich mache sie wieder diskutabel. Ich beschütze sie – nicht vor denen, die sie kritisieren, aber vor denen, die sie verteufeln. Schließlich beschütze ich sie vor sich selbst, die eine vor der anderen, die Journalistin vor der „Terroristin“.
Die zwei Personen, als die Ulrike Meinhof uns Zeitgenossen entgegentrat, sind allerdings nicht scharf voneinander zu trennen. So sehr ihr Eintritt in die RAF überrascht haben mag, so erscheint er beim Studium ihrer Kolumnen im Nachhinein nicht ganz zufällig. Das, worin die Journalistin Vorzeichen für ihre spätere „terroristische“ Wendung erkennen ließ, hat seinerzeit nicht nur mich irritiert.
Ihren Namen las ich zum ersten Mal, als ich 16 Jahre alt war. Der Vorsprung der Autorin vor ihrem Leser war beträchtlich. Den Einfluß der meinhofschen Kommentierung auf den lernbereiten Leser überschätze ich nicht. Ich hing ihr nicht an den Lippen, ich habe ihre Texte nicht verschlungen, sondern mit Interesse gelesen. Da gab es was zu lernen über Zusammenhänge (etwa über das Verhältnis von „politisch“ und „privat“). Aber der Abstand verringerte sich kaum. Die radikale Kritikerin radikalisierte sich mit der zunehmenden Radikalisierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen (die Rede ist von der Zeit zwischen 1966 und 1969). Ihre Radikalisierung verlief über Stationen, die nicht immer nachzuvollziehen waren:
Im Februar 1969 erschien in Konkret eine Kolumne, mit der sie ihre Arbeit und das Feld, auf dem sie ihre Arbeit leistete, in Frage stellte: „Kolumnismus“.
„Kolumnisten haben Entlastungsfunktionen… Seine eingezäunte Unabhängigkeit gibt der Zeitung den Geruch der Unabhängigkeit. Seine Extravaganz gibt ihr den Geruch von Extravaganz. Sein gelegentlicher Mut zu unpopulären Ansichten gibt ihr den Geruch von Mut zu unpopulären Ansichten… Davon kein Wort, daß der Kolumnist der beste Untertan des Verlegers ist, der Geld bringt, Prestige und regelmäßig so tut, als könnte man alle Themen der Welt auf immer der gleichen Länge abhandeln. Kolumnisten sind … Feigenblatt, Alibi, Ausrede… Kolumnismus ist Personalisierung. Die Linke Position z.B., erarbeitet von vielen … wird im Kolumnismus wieder zur Position Einzelner, Vereinzelter runtergespielt, auf den originellen, extravaganten, nonkonformistischen Einzelnen reduziert, der integrierbar, weil als Einzelner ganz ohnmächtig ist… Eingezäunte Spielwiesenfreiheit für den Kolumnisten … ist … marktkonformes Verhalten, … ein Leserbetrug, ein Selbstbetrug… Opportunismus ist, wenn man die Verhältnisse, die man theoretisch zu bekämpfen vorgibt, praktisch nur reproduziert… konkret ist weniger eine linke als eine opportunistische Zeitung.“
Inwieweit hier die Arbeits- und Produktionsbedingungen des von Röhl geleiteten Konkret treffend geschildert sind, ist nebensächlich. Man mußte kein Prophet sein, Weiterlesen

Besser bescheidwissen über die Oktoberrevolution

Gerade wird die Oktoberrevolution abgehakt. Das hat mit dem 40. Jahrestag dieser Briefmarke zu tun.

In diesen Tagen werden die bürgerlichen Mythen wieder aufgewärmt, etwa, daß der Sturm auf das Winterpalais gar nicht stattgefunden hätte (WAZ) bzw. daß nicht mehr passiert sei, als daß ein paar Soldaten den Weinkeller des Zaren entdeckt und leergetrunken hätten uns sonst nicht viel (Jungle World). Arno Widmann urteilt, die Oktoberrevolution sei ein Verbrechen gewesen (an der Menschheit). Der hat nämlich auch mal in jungen Jahren in den Kommunismus hineingefaßt und ist von einem nie endenden Waschzwang ergriffen.
Diese Publizisten (so nennt man diese Leute) merken nicht, daß sie nichts über ihr Thema offenbaren, sondern ihr Thema über sie.
Von den Gewalttaten, Repressionen und Irrwegen, die der Revolution von 1917 folgten, von dem unnachgiebigen Willen der Bolschewiken, ihre errungene Macht zu erhalten, wird viel geredet. Nicht die Rede ist dabei von der Brutalität und Bestialität der Konterrevolution, die gipfelte und nicht endete im Zweiten Weltkrieg. Aber der war ja ein Schlag des Schicksals, heißt es immer.
Für die Gewaltförmigkeit der geschichtlichen Auseinandersetzungen ist nicht der Fortschritt verantwortlich zu machen, sondern der Versuch, den Fortschritt zu verhindern.

Auf ein Buch habe ich Euch schon aufmerksam gemacht:

Eine Auswahl weiterer Bücher zum Thema, die nicht nur den Besuchern der Buchhandlung Weltbühne zur Verfügung stehen, sondern auch denen, die die Buchhandlung Weltbühne als Versandbuchhandlung nutzen wollen:

Stefan Bollinger: Lenin. Theoretiker, Stratege, marxistischer Realpolitiker. PapyRossa Verlag, Reihe Basiswissen. 147 S. 9,90 Euro.
Angefeindet, bekämpft, verteufelt und schließlich angeschossen wurde der Revolutionär, Theoretiker und Realpolitiker Lenin, der es 1917 unternahm, einen völkermörderischen Krieg zu beenden und eine sozialistische Gesellschaft zu errichten. Er hasste den Krieg, Kriegstreiber und „linke“ Helfershelfer des Krieges. Er wollte den Bruch mit Zarismus, Kapitalismus und der Herrschaft von Adel wie Bourgeoisie. Das erreichte er in Russland, von der Linken im Westen im Stich gelassen. Unter seiner Führung waren ein unverschuldeter Bürgerkrieg und die Intervention ausländischer Mächte, der Wiederaufbau eines zutiefst rückständigen, armen, zerstörten Landes zu meistern. Unter schier aussichtslosen Umständen suchte und fand er Lösungen und öffnete den Weg in eine neue Zivilisation. Unter seinen Nachfolgern ging diese Chance verloren. Umso mehr sind seine Denkweise und sein politisches Handeln zu rekonstruieren, um zu überprüfen, was davon auch heute noch für eine grundlegende gesellschaftliche Umgestaltung, für den Kampf gegen Krieg und die Sicherung des Friedens nützlich sein könnte.

Alfred Schröder, Heiner Karuscheit: Das Revolutionsjahr 1917. Bolschewiki, Bauern und die proletarische Revolution. VSA 2017. 176 S. 17.80 Euro
Die Autoren arbeiten die Eigenarten der russischen Gesellschaft und des Revolutionsverlaufs 1917 heraus und gelangen zu einer Neubewertung der Oktoberrevolution, die das »kurze« 20.Jahrhundert prägte.

100 Jahre Oktoberrevolution. Irrweg oder Ausweg? Herausgegeben von Daniel Bratanovic. edition berolina 2017. 160 S. 9,99 Euro.
Verlagstext:
Wie steht es um das programmatische Erbe der Oktoberrevolution? Kann der Blick auf das Werk der Bolschewiki etwas anderes sein als nostalgische Verklärung einerseits oder Verdammung andererseits? Ein Chor von renommierten Historikern, die Daniel Bratanovic hier versammelt, beantwortet jenseits aller emotionalen Aufgeregtheiten auf vielschichtige Weise die Frage, ob und, falls ja, wie die Oktoberrevolution und ihre Errungenschaften auch 100 Jahre danach immer noch als Maßstab zum Verständnis gegenwärtiger Krisen dienen können. Die Umstände, mit denen
die Bolschewiki konfrontiert waren und für die sie eine Lösung suchten (und nicht immer fanden), herrschen heute – in deutlich anderer Form, im Kern unverändert – erneut. Nicht in erster Linie historische Ereignisgeschichte wird hier aufbereitet, sondern die Autoren präsentieren einen vielstimmigen Debattenbeitrag zur Frage: Wie aktuell ist die Oktoberrevolution heute noch?

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Gneisenaustraße 226, 47057 Duisburg (Neudorf)
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Da war was: Oktoberrevolution


In diesem Jahr feiern wir nicht nur den 40. Jahrestag dieser schönen Briefmarke, sondern auch den hundertsten Jahrestag der révolution d’octobre.

Und da hab ich ein gutes Buch für Sie:

Frank Deppe: 1917 / 2017. Revolution und Gegenrevolution.
VSA 2017, 256 Seiten. 19.80 Euro
Zum 100. Jahrestag der Revolution in Russland legt Frank Deppe eine Analyse ihrer Entstehungsbedingungen, ihrer globalen Folgen und ihres Scheiterns vor.
Der Autor stellt die Oktoberrevolution in den Zusammenhang des langen Revolutionszyklus, der mit der Französischen Revolution im Jahr 1789 eröffnet wurde und mit dem Sieg der Bolschewiki 1917 (schließlich auch mit der chinesischen Revolution) immer wieder die Frage nach der Bedeutung der „Großen Revolutionen“ bzw. der „Leitrevolutionen“ für die Entwicklung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft aufgeworfen hat.
Der Zyklus des Aufstiegs und Niedergangs der Sowjetunion wird im Kontext der großen weltpolitischen und weltgeschichtlichen Widerspruchskonstellationen des 20. Jahrhunderts untersucht. Was Revolution in den Ländern des entwickelten Kapitalismus heute heißen kann, ist Gegenstand des abschließenden Kapitels.
Frank Deppe ist emeritierter Professor für Politikwissenschaften an der Philipps-Universität Marburg. Von ihm ist im VSA: Verlag in 4 Bänden das Politische Denken im 20. Jahrhundert (Neuauflage 2016) erschienen.

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War schön: UZ-Pressefest (13-20). Wer war denn alles da?

UZFest2016-13Rote Fahnen sieht man besser.

UZFest2016-14
UZFest2016-15Auf dem Leninplatz war es schön. Das große Zelt der Jungen Welt war gut für den Rückzug bei Regen. Und der Himmel hängt schon wieder voller Vieldeutigkeit.

UZFest2016-16Das freut uns: Die DFG-VK, mit Felix und Rekordbart-Johannes.

UZFest2016-17Großes Papieraufgebot des Freidenkerverbandes. Das war nicht verkehrt, zum Bundesverband Arbeiterfotografie räumliche Distanz zu wahren. Viele sind gegen Ansteckung nicht immun.

UZFest2016-18Links im Bild: Die Tudeh Partei. Sie hat sich schwere Lasten aufgeladen. Daneben: Die KKE, Ackermanns Lieblings-KP.
Dahinter: Der See.

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Aha. Der Vorsitzende der DKP Patrik Köbele war auch da.

UZFest2016-20„Der Himmel ist blau, und es leuchtet ein Rot“, heißt es in einem Lied von Fasia.

Nichts für mich

Die Rote Armee Fraktion (RAF) ist also wieder in Erscheinung getreten. So weit ist es schon, daß selbst die Scharfmacher beschwichtigen: Die beiden gescheiterten Versuche, Geldtransporte zu überfallen, hätten nicht dem Zweck dienen sollen, weitere Terror-Taten zu finanzieren, sondern der Sicherung des Lebensunterhalts von drei ehemaligen Mitgliedern der ehemaligen Organisation.
1999, so wird berichtet, hätte dieses RAF-Kommando (kann man diesen Ausdruck verwenden?) in Duisburg (!) beim Überfall auf einen Geldtransport mehr als eine Million Mark erbeutet. Das Geld ist jetzt wohl verbraucht; das Leben im Untergrund, sofern auch noch nach einem gefahndet wird, ist teuer.
Mit Ablauf des Jahres 2019, also in nicht allzu ferner Zeit, wäre diese Straftat verjährt gewesen.
Wieso hat die RAF eigentlich keinen Pensionsfonds eingerichtet?
RAF-Logo.svgUnd wieso haben die Leute sich nicht in all den Jahren mal Gedanken darüber gemacht, wie man auf ganz unspektakuläre, gar legale Art an Geld rankommt, ohne viel Risiko, so janz höösch, wie der Düsseldorfer sagt: irgendwas mit Ebay, oder irgendwas mit Flohmärkten.
Aber auf sowas kommen die gar nicht. Die denken wahrscheinlich: Wir, als deutsche Terror-Typen, wenden standesgemäß Karacho-Methoden an. Die denken wahrscheinlich: Auf ganz legale Art sich Geld zu verschaffen ist zu unauffällig. Die hatten es nämlich schon immer mit ihren Fanalen. Wenn die RAF mal eine Bank überfallen hatte, wurde das auch überall herumposaunt: „Wir waren das!“ Da kann man ja gleich beim Generalbundesanwalt anrufen, damit der auch wirklich alle Heldentaten in die Anklageschrift hineinschreibt. Man könnte glatt den Eindruck gewinnen, die Aktionen der RAF waren weniger von dem Motiv angetrieben, die kapitalistische Herrschaft zu zerbrechen, sondern mehr von dem Bedürfnis nach Selbstbestätigung.
Bei Markus Wolf habe ich gelesen: Eine Geheimdienstaktion ist dann wirklich erfolgreich gewesen, wenn die Gegenseite überhaupt nichts davon merkt. Könnte das nicht auch für Untergrundorganisationen gelten? Ich meine: Eine Untergrundarmee veranstalten kann man ja ruhig. Aber muß der Staat (das BKA, die Bundesanwaltschaft, der Verfassungsschutz) und müssen die Medien das mitkriegen? Man stelle sich vor: Die RAF agiert jahrelang im Geheimen, und zwar wirklich im Geheimen. Dann hätte es irgendwann mal geheißen: „Huch! Wo ist denn der Arbeitgeberpräsident geblieben? Der ist auf einmal weg, und wir wissen nicht wieso.“ Dann wäre auch leichter gewesen, an Geld ranzukommen. (Man hätte beim BKA anrufen können: Herr Herold, wir sind die kalabrische Mafia. Für hundert Mark lassen wir den Schleyer wieder frei. Das hätte weniger Kollateralschaden angerichtet als die Aktion in der Weise, wie sie durchgeführt wurde).
Alles in allem kann ich sagen: Mein Entschluß, mich der RAF nicht anzuschließen, war richtig. Nicht moralische Bedenken haben mich abgehalten. Der Einwand, daß gegen das Leninsche Prinzip verstoßen wurde, wonach der erste Schuß erst abgegeben werden darf, wenn die Revolution beginnt, hätte zwar schon gereicht. Aber ausschlaggebend war: Das wäre mir alles doch viel zu stressig.
Alte Freunde treffen, auf vertrauten Wegen gehen, Lieblingsorte – alles das hätte ich aufgeben müssen. Stattdessen: die Einengung des Bekanntenkreises auf eine – sagen wir mal – kleine Zahl von unter ständigem Verfolgungsdruck stehenden Mitmenschen aus einer sehr einseitig orientierten Kategorie, die Aufgabe von Betätigungsfeldern, auf denen ich mich nicht nur wohlfühle, sondern auch nützlich machen kann, die Preisgabe von Fertigkeiten, die als Beitrag zur Überwindung der herrschenden Verhältnisse nicht unterschätzt werden sollten, die Einschränkung der Kommunikation – das wäre nichts für mich gewesen – von den Auswirkungen auf das Liebesleben gar nicht zu reden.
Und: Geldtransporte überfallen – aus dem Alter bin ich doch nun wirklich raus.

1914 in der Litreratur (3)

Nicht ein ganz neues Buch, aber in diesen Monaten wieder aktuell:

Luciano Canfora: August 1914. Oder: Macht man Krieg wegen eines Attentats? Papyrossa Verlag 2010. 118 S. 9,90 Euro
Canfora1914Der Verlag stellt sein Buch vor:
Luciano Canfora legt dar, daß Kriege nicht mit einem Einzelereignis zu erklären sind, und sei es ein noch so spektakuläres Attentat. Deshalb schildert er, um die Ursachen des Ersten Weltkriegs sichtbar zu machen, wie sich die Interessengegensätze zwischen den rivalisierenden Großmächten zum gordischen Knoten geschürzt hatten. Obwohl er die abenteuerliche Politik des Deutschen Kaiserreichs hervorhebt, bezeichnet Canfora die These von dessen Alleinschuld am Krieg als Alibi für alle anderen: Auch sie können nicht freigesprochen werden. Die sozialistischen Parteien – allen voran die deutsche Sozialdemokratie – ebneten den Weg in den Abgrund, indem sie sich vor den Karren ihrer Regierungen spannen ließen. Am Beispiel des Ex-Sozialisten Mussolini einerseits, der „Deutschen Vaterlandspartei“ als Vorläuferin der NSDAP andererseits zeigt Canfora, daß der Erste Weltkrieg bereits die Wiege des Faschismus war. Dagegen standen jene Kräfte, die – zunächst als isolierte Minderheit – von Anfang an gegen den Krieg opponierten und in Lenin ihren bekanntesten Vertreter hatten. Sie traten dafür ein, der „grauenhaften Schlächterei“ – so Papst Benedikt XV. – ein Ende zu setzen und eine Wiederholung auszuschließen.
Prof. Dr. Luciano Canfora (Jg. 1942), Altphilologe und Historiker, lehrt an der Universität Bari. Sein Buch „Eine kurze Geschichte der Demokratie“ hat in der Bundesrepublik für Furore gesorgt.

Wenn Ihr das Buch bestellen wollt, erinnert Euch bitte an die Lebensregel:
LIEBE leute BESTELLT bücher IN der BUCHHANDLUNG weltbühne UND sonst NIRGENDS.
Weltbühne muß bleiben.

Äpfel, Pflaumen, Birnen (Dritter Teil)

Sie will noch mehr wissen: „Über die Liebe und so.“ Und ich kann ihr, ohne gar zu sehr ins Detail zu gehen, auch darüber etwas erzählen.
„Und du? Auch ein bißchen bi?“
„Bi? Nie! Ich bin Ultra-Hetero!“
Ich sage ihr dann noch (an dieser Stelle vielleicht etwas deplaziert?): „Ich muß sagen, Ingrid, ich war damals nicht wenig beeindruckt von dir. Du standest da immer so souverän im Getöse. Mit deinen flammenroten Haaren warst du ein Wahrzeichen. Du warst durch nichts aus der Ruhe zu bringen, hast alles überblickt, und du hattest so ein überlegenes, manchmal spöttisches Lächeln auf den Lippen.“
„Ja. Beeindruckt warst du. Und du hast mir immer auf den Hintern gestiert. Bei jeder Gelegenheit. Meinst du, ich hätte das nicht gemerkt? Hast du doch vorhin auch wieder getan. Hör mal, das ist aber jetzt kein Grund, um rot zu werden! Mann! Das steht dir schließlich zu! Mann!“ Sie sieht zum Fenster und sagt leise: „Eigentlich fand ich das irgendwie nett von dir. Außerdem habe ich dich auch gern angesehen. Du hattest so schööne Häände.“
„Es ist doch erstaunlich, mit wie wenig die Frauen sich zufriedengeben.“
„Sag das nicht!“ sagt sie laut. „Eine schöne Hand ist wie ein Elefant.“
„Was??“
„Das ist zwar Unsinn, aber es reimt sich.“
Sie sieht mich scharf an: „Und? Dein Urteil? Gut in Form?“
„Was?“
„Das Urteil des Paris! Sprich!“
„Das Urteil?“
„Das! Wo! Du! Immer! So! Gern! Hin! Schaust! Und! Vorhin! Auch! Wieder! Hingeschaut! Hast!“
„Hm. Hm. Ich würde sagen: Kallipygisch!“
„Kalli…? Ist wohl ein Kompliment?“
„Das bedeutet ins Deutsche übersetzt das, was du hören wolltest.“
„Hm! Hm, hm, hm! hmhmhm! Wir haben uns, als die Zeit dafür am besten war, zu wenig mit den wesentlichen Dingen beschäftigt.“
„Ja! Es ging in Wirklichkeit doch gar nicht um die richtige Losung, sondern um das richtige Leben.“
„Ja! Das richtige Leben!“
„Ich meine: mit allem drum und dran.“
„Mit allem drum und dran. Mit allem Pipapo. Mit Pipa und: Po!“
Kling!
Kling!
Plötzlich schweigen wir. Ist es Verlegenheit? Täusche ich mich? Es kommt mir vor, als wäre sie jetzt den Tränen nahe. Es kommt mir vor, als hätte sie es nicht gern, wenn ich sehe, wenn sie weint.
„Was ist mit deinem alten Zimmer?“
Sie wacht auf. „Mein altes Zimmer! Ja! Komm! Ich zeig es dir. Komm mit rauf. Wir nehmen die Gläser mit. Die Flasche ist leer. Ich nehm diese mit: Pflaumenwein. Aber komm erst mit in die Küche. Hier, steck dir das ein: Pflaumenmus. Und Birnenkompott, mit ein bißchen Honig, viel Zimt und wenig Nelken. Du erinnerst dich?“
„Erinnern ist meine Hauptbeschäftigung.“
„Die Gläser muß du mir zurückbringen. Jedes Einweckglas in diesem Haus ist mindestens hundert Jahre alt.“
Sie geht mir voraus die Treppe hinauf. Wir kommen in ihr Zimmer.
„Hier ist ja gar nichts verändert.“
„Nicht ganz. Schau mal da.“
Da hängen die Plakate von Dutschke und Che, und dazwischen ein leerer DIN-A-2-Bogen.
„Ich habe den MLern geschworen, das Mao-Bild nie von der Wand zu nehmen. Da hab ich es einfach verkehrt herum aufgehängt, mit dem Gesicht zur Wand. Soll der sich doch die Tapete näher ansehen. Außerdem: Mao ist tot. Die beiden anderen leben noch.“
Jetzt füllt der Pflaumenwein die Gläser.
„Auf Mao!“
„Auf den Großen Steuerberater!“
Kling!
Kling!
„Die haben ein Theater gemacht die MLer damals, weil hier noch ein Bild von Dutschke hing. Bei Che waren sie sich nicht sicher. Aber Dutschke: unmöglich! Ich dachte: Jetzt muß ich denen noch etwas über Juliette Gréco erzählen, damit sie darauf noch wütender werden. Die mußten mich rausschmeißen, konnten aber nicht. Ich habe viele Rote Morgens verkauft, von denen ist keiner jemals einen Roten Morgen losgeworden. Weil die wußten, daß sie mich brauchten, habe ich mir einige Frechheiten erlaubt. Ich mußte mal ein Referat halten in einer öffentlichen Versammlung. Ich habe mir den Spaß gemacht, über was ganz anderes zu reden, ein völlig zusammenhangloses Referat. Es war schlimm, daß ich das in einer öffentlichen Versammlung gemacht habe, obwohl gar keine Öffentlichkeit gekommen war, bloß der eine, der nicht in die Partei eintreten durfte, damit wir eine Massenbasis haben, eine Ausstrahlung nach außen. Ich hatte aber mit einem Lenin-Zitat begonnen. Gegen Lenin konnten sie ja nichts sagen.“ Und ganz plötzlich ist sie wieder ernst und melancholisch: „Ich hab mich so allein gefühlt. Ich hätte einen Komplizen gebraucht.“
„Wir hätten es weitertreiben müssen. Wir hätten eine gefälschte Roter-Morgen-Ausgabe in Umlauf bringen müssen, mit der Schlagzeile: ‚Eine schöne Hand ist wie ein Elefant‘.“
Sie lacht mehr als dieser Witz wert ist. Die Apfel-Pflaumen-Birnen-Weine haben uns schon weit getragen.
„Ach Ingrid! Warum haben wir eigentlich nicht geheiratet?“
„Ja, stimmt“, sagt sie nachdenklich, „das haben wir kein einziges mal gemacht. Wenn ich mich richtig erinnere, warst du aber schon in festen Händen.“
„Warum haben wir nicht einfach trotzdem geheiratet?“
„Du hast mir ja auch nie einen Antrag gemacht, trotz meiner Calypso-Vorzüge oder wie du das genannt hast, du Poet! Du Komplize, der nicht da war! Ich bin auf der Treppe vor dir her gestiegen, für dich Genießer! Aber nur schauen, nicht anfassen, heute noch nicht. Ich schpräsche als Antanz- als An-Stanz-Tante – danke – als Stanz-Dame in eigener Sache.“
Täusche ich mich? Es kommt mir so vor, als hätte sie es lieber, wenn mein Besuch nun nicht länger dauert, jetzt, wo ihre Haltung und ihr Sprechen ins Schwanken gekommen sind. Sie führt mich wieder nach unten, aber nicht zurück ins Zimmer, sondern zur Tür.
Wir stehen in der offenen Haustür und schauen zum verdunkelten Himmel dieses Frühherbsttages.

Buchholz03„Weißt du noch, als wir Kinder waren, sagte man uns: wenn der Himmel am Abend rot ist, dann backt das Christkind Plätzchen für Weihnachten.“
„Ja. Da drüben im Westen, hinter den Bäumen. Wenn bei Mannesmann Abstich war, leuchtete der Himmel. Das Abendrot unserer Heimat.“
„Du kannst ja nochmal zu mir kommen“, sagt sie leise. „Besuch mich. Aber nicht zu oft. Nicht jeden Tag. Nicht oft. Es könnte … ich würde … vielleicht … Ich mag dich. Aber versteh mich bitte.“
Trotzdem gebe ich ihr einen Kuß auf die Wange, schau sie an, und dann bin ich schnell verschwunden, auf der Straße zu der Eisenbahnbrücke, die in der Dämmerung kaum noch zu sehen ist.

Offener Brief an den Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung

Sehr geehrter Herr Reitz.
In der Ausgabe Ihrer Zeitung vom 30. August 2012 auf der letzten Seite (der Kinderseite) ist zu lesen: „Wie wird gewählt? Die Menschen in den USA wählen den Präsidenten nicht direkt. Sie stimmen für sogenannte Wahlmänner. Diese Vertreter wählen später den Präsidenten. Damit die Amerikaner den Präsidenten bekommen, den sie haben wollen, müssen sie sich bei der Wahl für Wahlmänner entscheiden, die später in ihrem Sinne stimmen werden.“
Wie können Sie es dulden, daß in Ihrer Zeitung ein solcher Blödsinn verzapft wird? Dazu noch auf der Kinderseite! Kinder mit falschen Informationen zu verwirren gehört sich nicht.
Bei der Wahl zum Präsidenten können die als Wähler registrierten Bürger der USA einem Kandidaten ihre Stimme geben. Die eigentliche Wahl des Präsidenten erfolgt danach durch Electors („Wahlmänner“. Es können auch Frauen sein). Jeder Bundesstaat hat so viele Electors wie Abgeordnete im Kongreß (Repräsentantenhaus und Senat). Hinzu kommen drei Electors für den Distrct of Columbia (Hauptstadt Washington), der zu keinem Bundesstaat gehört.
Die Electors werden nicht gewählt, sondern ernannt, und zwar vom Parlament ihres Bundesstaates. Electors dürfen nicht Abgeordnete und Regierungsmitglieder sein und in kein Amt gewählt sein (Sheriff, Ankläger, Richter etc.). Die Wähler haben keinen Einfluß darauf, wer als Elector den Präsidenten wählt.
Die Electors treten nach der Wahl in der Hauptstadt ihres Bundesstaates zusammen und geben ihre Stimme ab. Die einzelnen Abstimmungsergebnisse werden in die Hautstadt Washington übermittelt und dort zusammenaddiert.
Es ist Tradition, daß alle Electors ihre Stimme dem Kandidaten geben, der – ob mit deutlicher oder mit knapper Mehrheit – in ihrem Bundesstaat die meisten Stimmen von den Wählern bekommen hat, und so geschieht es in der Regel. Es geschieht aber auch immer wieder, daß einzelne Electors eine abweichende Stimme abgeben und einen anderen Kandidaten wählen – oder sogar jemanden, der gar nicht kandidiert hat. Dazu sind sie in fast allen Bundesstaaten berechtigt. Nur in wenigen Bundesstaaten sind sie gesetzlich verpflichtet, sich an das Votum des Wahlvolks zu halten.
So ist das und nicht anders. Aber wenn ich solche Nachrichten wie die zitierte lese, dann könnte ich vor Wut die Wand hochgehen, aber nicht bei mir, sondern in Ihrem Büro. Dazu müßten wir einen Termin vereinbaren.
Bis dahin sollten Sie Ihre Leser richtig informieren und zumindest die zuständigen Ressorts in Ihrem Hause anhalten, keine falschen Sachverhalte zusammenzuphantasieren.
Und da wir schon mal dabei sind:
Nein, Rainer Langhans hat nicht die Kommune I gegründet, Ronald Biggs war nicht der Anführer der Posträuber, Lenin hat nie gesagt „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ und in der Bibel gibt es keine heiligen drei Könige und keine zehn Gebote.