Völkerrecht: nota bene!

Die Europäische Union verhängt Sanktionen gegen Rußland, weil in Donezk Gebäude der ukrainischen Regionalverwaltung von prorussischen Demonstranten besetzt wurden.
Die Europäische Union schenkt den neuen Machthabern in Kiew eine Milliarde Euro, weil Gebäude der demokratisch gewählten Regierung von antirussischen Demonstranten besetzt wurden.
Die neuen Machthaber in Kiew sind zwar durch einen Bruch der Verfassung an die Macht gekommen, aber dafür sind Faschisten an der „Übergangsregierung“ beteiligt. Darum genießen sie das Wohlwollen der Europäischen Union.
Nota bene: Die Verfassung ist ein Gesetz, an das man sich nicht halten muß, wenn es einem gerade mal nicht in den Kram paßt.
Unterdessen mehrt sich die Unzufriedenheit über steigende Preise. Ja, so ist das. Nationalstolz muß man sich schon was kosten lassen, zumal dann, wenn die Tarife im Kleingedruckten der EU-Richtlinie stehen.
Nota bene: In der Planwirtschaft wird der Brotpreis von der Planungskommission festgesetzt, in der freien Marktwirtschaft vom Internationalen Währungsfonds.
Der Majdan ist ein asphaltierter Platz in der Innenstadt von Kiew. Seitdem er aber nicht mehr bloß eine Verkehrsfläche ist, sondern in den Herzen herumgetragen wird, heißt er „Euromajdan“. Die Grünen hierzulande sind davon vor Ehrfurcht ergriffen. Die Leute vom „Euromajdan“ können einfach nicht verstehen, daß es schlimme Folgen hat, wenn man verrückt spielt. Die Grünen auch nicht. Das zeigt, daß sie sich in veritable Realpolitiker verwandelt haben.
Nota bene: Die westlichen Medien „informieren“. Die russischen Medien „suggerieren“. (Hörte ich heute im Radio).
„Verrückt spielen“ ist die richtige Bezeichnung. Hören Sie sich mal eine Rede von Julia Timoschenko an. Daß die sie nicht mehr alle auf der Latte hat, merkt man, auch wenn man kein Wort Ukrainisch versteht. Man sieht es. Julia Timoschenko hätte gern einen Atomkrieg. Darum wurde sie von der Bundeskanzlerin empfangen.
Etwas Besseres zu wollen als die Irren von Kiew ist kein Kunststück. Die prorussischen Demonstranten wollen also was Besseres. Aber sind sie darum besser? Diese nützlichen Fanatiker? Sie demonstrieren ja auch nicht gegen steigende Brotpreise, sondern gegen die paneuropäische Homo-Ehe.

Rechte für Putin

Für die ukrainischen Nationalisten ist Putin der Leibhaftige. Für die Ultra-Nationalisten erst recht.
Da es zwischen ukrainischen und hiesigen Rechtsextremen Verbindungen gibt (immer wieder wird der Besuch einer Swoboda-Delegation bei der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag erwähnt), könnte man Übereinstimmung vermuten. Doch weit gefehlt!
„Etwa 400 Deutsche und Russen haben am 30. März 2014 im Herzen Berlins für die deutsch-russische Freundschaft demonstriert. An der […] hervorragend organisierten Demonstration nahmen Mitglieder verschiedener deutscher und russischer politischer Vereinigungen und Künstlergruppen teil.“
Dies meldete die rechtspopulistische Partei „Pro Deutschland“. Bei den „deutschen und russischen politischen Vereinigungen“ handelte es sich z.B. um die rechtsesoterischen „Reichsbürger“ und weitere kleine rechte Gruppen – und die russische „Große Vaterlandspartei“, die sich als „Gegner des Liberalismus“ zu erkennen gibt.
Die deutschen Rechten werfen ihren ukrainischen Gesinnungsfreunden vor, die hätten sich von der EU und der NATO, diesen Bastionen des westlichen Liberalismus, vor den Karren spannen lassen.
Über eine Demonstration in München wurde berichtet:
„Dort rief eine Bürgerinitiative für Frieden und Abrüstung am 20. März zu einer Demonstration ‚Gegen Rohstoffkriege der Nato‘ auf. Deren Homepage macht den Eindruck, als handele es sich um ein Relikt der Friedensbewegung der 1980er Jahre. Die weiße Taube auf blauem Grund ist dort ebenso vertreten wie Hinweise auf den nächsten Ostermarsch. Doch auf der Kundgebung konnte auch das NPD-Mitglied Karl Richter, der für die Bürgerinitiative Ausländerstopp im Münchner Rathaus sitzt, reden. Richter spricht in einer Pressemitteilung von einer ‚erfolgreichen Querfrontaktion‘: ‚Statt der erwarteten 300 Versammlungsteilnehmer fanden sich dann allerdings nur rund 60 auf dem Stachus ein, die meisten aus dem linken Spektrum.'“

Aus der Geschichte der Musik: Der Gartenoffizier oder An der Theke ist der schönste Klatz

Schon in frühen Kindertagen stellte sich heraus, daß ich sehr musikalisch bin. Gerade des Sprechens fähig, schmetterte ich mit lauter Stimme, was ich im Radio gehört hatte: „Man müßte nochmal zwanzig sein“, „Der schönste Klatz ist immer an der Theke“ und „Das machen nur die Beine von Dolores, daß die Senores nicht schlafen gehen“. Unter einer Dolores konnte ich mir ebenso wenig vorstellen wie unter Senores,.
Meine Musikalität fiel auf. Ich mußte immer meine Tanten unterhalten mit „La Poloma ohé“ und „O Sohle mio“ und erntete Beifall dafür.
Das Radio war ein Zauberkasten. Die Radio-Fritzen setzten wohl jeden Tag eine Melodienfolge von Ralph Benatzky ins Programm. Hätten sie sich klar gemacht, daß der Komponist des „Weißen Rößl“ von den Nazis verfolgt worden war, hätten sie es vielleicht nicht getan. Aber so hörten wir immer wieder „Mein Mädel ist nur eine Verkäuferin in einem Schuhgeschäft mit 80 Franc Salair in der Woche, doch sie gibt mir für viele Millionen Glück“ beziehungsweise „Es muß was Wunderbares sein, von dir geliebt zu wärdän, denn meine Liebe die ist dein, solang ich leb‘ auf Ärdän. Ich kann nichts Schöneres mir dänkän, als dir mein Herz zu schänkän“ beziehungsweise „Ich lade Sie ein Fräulein zu einem Glas Wein Fräulein, zu einem Glas Sekt Fräulein, zu einem Glas Punsch“.
Ich stelle mir das gerade vor, was der Tenor mit dem Fräulein anstellt: Erst ein Glas Wein. Dann ein Glas Sekt. Dann ein Glas Punsch. Die muß alles durcheinander trinken, was man doch gar nicht soll.
„Dann kommt das Desseeeert.“ – „Und was kommt nachheeeeer?“ – „Dann lad ich Sie ein Fräulein zu einem Glas Wein Fräulein, zu einem Glas Sekt Fräulein, zu einem Glas Punsch“ – das ganze nochmal von vorn, ist der Mann denn bescheuert?
Ein Schlager, den man in den 50er Jahren oft hörte, zeigte die ganze Dramatik des Geschlechtslebens im Angestellenmilieu in Zeiten des Wirtschaftswunders:
„In einer kleinen Konditorei da saßen wir zwei bei Kuchen und Tee. Du sprachst kein Wort kein einziges Wort, und ich wußte sofort, daß wir uns verstehn. Und das elektrische Klavier das klimpert leise eine Weise von Liebe Leid und Weh. In einer kleinen Konditorei da saßen wir zwei bei Kuchen und Tee.“
Das muß man sich mal vorstellen: Die einzige Verständigungsbasis ist die Stummheit. Denn sie sprach kein Wort kein einziges Wort, und er wußte sofort, daß sie sich verstehen. Sobald sie ein Wort sagt, verstehen sie sich nicht mehr. Aber an diesen Sonntagnachmittag im weißen Hemd (er) und mit Hütchen auf dem Kopf (sie) werden sie sich ihr Leben lang erinnern – es war der Höhepunkt. Zum Kuchen trinken die Tee! Die halten auf sich und sind zu Opfern bereit. Gewöhnliche Proleten wie wir trinken ordinären Kaffee.
Zum Glück verstand ich damals nicht, was die sangen. Welcher Schaden hätte in der Kinderseele entstehen können, wenn sich dort die Vorstellung eingeschlichen hätte, die Liebe fände keinen besseren Platz als den in einer kleinen Konditorei, in der ein elektrisches Klavier eine Weise von Liebe Leid und Weh leise klimpert. Dem aufkommenden Rock and Roll begegnete Peter Alexander mit dem Vers: „Damit haben Sie kein Glück in der Bundesrepublik. Wir tanzen lieber Tango.“
Nein, ich blieb von dem verschont, was sie meinten. Mißverständnisse schützten meine Seele. Man spielte oft im Radio aus dem „Weißen Rössel“: „Im Salzkammergut da kann man gut lustig sein“. Vom Salzkammergut wußte ich nichts, und so verstand ich: „Im Salz kann man gut, da kann man gut lustig sein.“ Ich stellte mir Leute vor, die im Keller in mit Salz gefüllten Fässern sitzen, mit dem Kopf aus dem Salz rausragen und sich angeregt unterhalten. Was für eine Musik, die erst im falschen Verständnis ihre Sprengkraft entfaltet!
Man spielte im Radio auch oft den Schlager von Robert Stolz: „Leb wohl, mein kleiner Gardeoffizier, leb wohl, leb wohl und vergiß mich nicht und vergiß mich nicht!“ Unter einem Gardeoffizier konnte ich mir nichts vorstellen, und so verstand ich „Gartenoffizier“. Ich glaubte, es seien Gartenzwerge oder so etwas ähnliches gemeint. So war mir durch dieses Musikstück mehr klargeworden als es dem Urheber lieb sein konnte.

500! Neu in der Weltbühne: Nation – Ausgrenzung – Krise

Das Amore-e-Rabbia-Notat Nr. 500 ist eine Buchempfehlung.
Sebastian Friedrich / Patrick Schreiner (Hg.): Nation – Ausgrenzung – Krise. Kritische Perspektiven auf Europa. edition assemblage 2013. 240 S. (NB1263) 18 Euro
FriedrichSchreinerNationAusgrenzungKriseDer Verlag stellt sein Buch vor:
Ausgrenzendes Denken und nationalistisches Denken stehen in einem engen wechselseitigen Zusammenhang mit Kapitalismus und Neoliberalismus. Die mittlerweile schon Jahre andauernde Finanz- und Wirtschaftskrise macht dies deutlich: Als „Schuldige“ an der Krise werden immer die „Anderen“ identifiziert – sie werden als „faul“, als „unfähig“ oder als „Last“ beschimpft. Seien es soziale Gruppen innerhalb der europäischen Staaten (wie etwa Migranten, Transferleistungsempfänger oder Niedriglöhner) oder seien es gleich ganze Länder (wie etwa die südeuropäischen) – die nationalistische und ausgrenzende Unterscheidung zwischen einem guten „Wir“ und einem schlechten „Sie“ ist längst zu einem festen Bestandteil der Diskussionen in Medien und Politik geworden. Der Sammelband „Nation – Ausgrenzung – Krise“ fragt nach den Formen und den Auswirkungen dieses ausgrenzenden und nationalistischen Denkens in Europa.
Mit Beiträgen von: Moritz Altenried, Umberto Bettarini, Christoph Butterwegge, Alessandro Capelli, Anna Curcio, Frank Eckardt, Patrick Eser, Sebastian Friedrich, Bernd Kasparek, Anika Kozicki, Sara Madjlessi-Roudi, Maria Markantonatou, Sibille Merz, Davide Schmid, Ingo Schmidt, Patrick Schreiner, Mariana Schütt, Sava? Ta?, Vassilis Tsianos, Torben Villwock, Ute Weinmann u.a.
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Buchhandlung Weltbühne, eine gute Angewohnheit.

Die Gedenkfeiern haben begonnen oder Bezwinge sich wer kann

In diesem Jahr jährt sich zum hundertsten mal der Beginn des Ersten Weltkriegs. Auf dem Duisburger Kaiserberg (vormals: Duisserner Berg, dann in nationaler Gefühlsaufwallung in „Kaiserberg“ umbenannt, und so heißt er heute noch) befinden sich einige Monumente fragwürdigen Heldengedenkens (siehe Notat vom 13. Juni 2013).
„Bezwinge sich wer kann. Die Feder reicht nicht mehr, man muß zum Tintenfaß greifen.“ Oder zur Farb-Sprüh-Dose. So geschehen Ende Januar.
Kaiserberg07Kaiserberg06Kaiserberg05
Berichterstattung der WAZ am 31. Januar:
„Vandalen verunstalten Friedhof“.
Wie auch immer man die Leute bezeichnen mag, die der Nation ein Menetekel an die Wand schrieben: Die Zeitungsschlagzeile ist irreführend. Der eigentliche Friedhof, das Gräberfeld der 801 um ihr Leben gebrachten Soldaten blieb unberührt. Nur auf dem Feld davor wurden Parolen angebracht.
In dem WAZ-Artikel wird die in Stein gemeißelte, übersprühte Verhöhnung der Toten zitiert:
„Glücklichen Auges seid ihr gestanden, Brüder, geliebte, in feindlichen Landen“.
„Der Staatsschutz prüft nun,“ heißt es weiter, „inwiefern ‚…eine Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates‘ oder auch eine ‚verfassungsfeindliche Verunglimpfung‘ vorliegt“. Indem dem Staat, der mal Deutsches Reich hieß und jetzt Bundesrepublik Deutschland heißt, das Recht abgesprochen wird, dann und wann mal eine Generation zu verheizen, fühlt er sich gefährdet.
„1921 wurde die Siegfried-Statue“ (Foto) „aufgestellt. Sie war vom Meidericher Bürger Hermann Ingenhamm in Erinnerung an seinen Sohn Johannes gestiftet worden. Johannes Ingenhamm liegt in Grab 102.“
Das ist ein Beispiel für das, was Mitscherlich „die Unfähigkeit zu trauern“ genannt hat. Für die deutschen Heldenväter sollten die Krepierten noch im Grab den Helden spielen.
„Was die Vandalen offenbar nicht wußten: Auf dem Ehrenfriedhof am Kaiserberg liegen nur Soldaten, die in Ersten Weltkrieg gefallen oder in Duisburger Lazaretten gestorben sind“, lautet die altkluge Belehrung durch die WAZ-Berichterstatter. Was die offenbar nicht wissen, ist, daß die Soldaten nicht irgendwie hingefallen, sondern im Dreck krepiert sind, und daß die Weihestätte verlogener Weihen seit Jahr und Tag Wallfahrtsort von Neonazis und nationalistischen Stolz-Deutschen ist. Solche haben – siehe Foto oben – mit schwarzweißrotem Tuche reagiert.

Zusammenfassung:
Vandalismus fand nicht auf dem Friedhof statt, sondern auf den Schlachtfeldern.
Auf dem Friedhof fand auch keine Schmiererei statt, sondern in der Zeitung.

Nachtrag:
Kaiserberg08Nur ein paar Stunden später: Es kann der frömmste Stolzdeutsche nicht in Kriegslüsternheit schwelgen, wenn es dem pazifistischen Vandalen nicht gefällt. Plötzlich war die Fahne weg!

Kaisergerg09Das ist der Teutoburger Wald,
Den Tacitus beschrieben,
Das ist der klassische Morast,
Wo Varus steckengeblieben.

Hier schlug ihn der Cheruskerfürst,
Der Hermann, der edle Recke;
Die deutsche Nationalität,
Die siegte in diesem Drecke.

(Heinrich Heine)

Werner P. oder Ein Nachruf aus der Randgruppe

Man gönnt sich seine Extravaganzen. Im Bekanntenkreis macht sich ein Paradiesvogel ganz gut (vielleicht auch ein zweiter, höchstens ein dritter). Damit nicht alles so glatt abgeht, gönnt sich die Familie auch ihr schwarzes Schaf.
Und weil das so ist, und weil ich ein verständnisvoller Mensch bin (unter den Satirikern der Sanftmütigste), habe ich der jungen Welt ihren Werner Pirker immer gütig nachgesehen.
Die junge Welt geht aber anders damit um. Pirkers wöchentliche Kommentare bringt sie nicht als Stolpersteine gegen die Eintönigkeit des Alltags, nicht als schwer verdaulichen Kontrapunkt in Erinnerung:
„Er hat … mit seinen Analysen dieser Zeitung ein klares politisches Profil gegeben.“ (jw am 16.1.2014).
„Seine Wut und Klarheit haben diese Zeitung auf Kurs gehalten.“ (jW am 17.1.2014).

Über Tote soll man nichts Schlechtes sagen. Jürgen Elsässer hält sich aber nicht an diesen Grundsatz. Er schreibt:
„Kommunistisch und national: Ein großer Mann ist von uns gegangen … Werner war ein Prachtkerl der alten Schule. Ein Kärntner Grantler, mit viel Liebe zum Volk und galligem Spott für die neulinke Randgruppenpolitik. Er gehörte zu den altmarxistischen Sauriern, die im Dschungel der 68er nie heimisch geworden sind … Die Inhalte kommen zuerst. Das Persönliche ordnet sich dem unter. Psycho-Gequatsche und Befindlichkeiten spielen keine Rolle … Als sich junge Welt spaltete, blieb er dabei, ich hingegen zog mit Jungle World und KONKRET weiter auf dem Sendero Luminoso des Antinationalismus … Werner … schloss sich früh der österreichischen KP an. Die war damals betont national, und so war auch er, ein österreichischer Patriot. Werner verkämpfte sich schon Anfang der 1970er Jahre gegen die zionistischen Einflussversuche in der Linken … In der Jungen Welt war er Chefkommentator. Seine Texte waren die Kleinode unter vielem politisch-korrekten Ramsch … Meine dezidierte Hinwendung zu einer nationalen Orientierung hat ihn gefreut …“

Ja, so ist das, meine lieben Kollegen von der jungen Welt. Wenn man sich den Werner Pirker als „Chefkommentaror“ leistet, hat man sich das Lob von Jürgen Elsässer selbst eingebrockt.
Ich hab mal einem von der jungen Welt gesagt: Wenn ihr den Pirker rausschmeißt, habt ihr einen Kolumnisten weniger und einen Abonnenten mehr.

P.S.: Was in Österreich unter „national“ zu verstehen ist, ist eine Frage, die auch in den nächsten hundert Jahren nicht beantwortet wird.

Vom Löschen des Durstes

Das Fußballspiel zwischen dem Duisburger Spielverein und Eintracht Gelsenkirchen im Wedaustadion, Zweite Liga West, Saison 1962/63, sah ich gemeinsam mit meinem Cousin und meinem Onkel. Ein spannendes Spiel übrigens, das letzte der Saison. Der Gewinner würde in die neugegründete Regionalliga aufsteigen, der Verlierer in die Amateurklasse absteigen. Es ging ruppig zu auf dem Spielfeld, drei Platzverweise, Duisburg gewann 2:1.
In der Halbzeitpause wurde ich auserkoren, drei Coca zu holen. Coca Cola. Mittlerweile bezeichnet man die coffeinhaltige Brause als „Cola“. Damals sagte man zu dem braunen Erfrischungsgetränk schlicht „Coca“, was die konkurrierenden Marken Afri Cola und Pepsi Cola ins Hintertreffen brachte.
Drei Coca also. Man bekam sie an einem Getränkestand für ein paar Groschen, abgefüllt in kleinen Fläschchen aus Weißglas, mit Pfand, wie sich das gehört.
Um den Getränkestand herum standen viele Männer, die alle finster dreinblickten, weil es ja ein spannendes Fußballspiel war. Auch der Getränkemann schaute finster. Viele waren vor mir dran, und ich mußte warten, bis sie alle ihr Getränk bekommen hatten. Es gab nicht nur Cola, sondern noch was anderes.
„Wat willz du?“
„Ne Fanta.“
„Un wat kriss du?“
„Ne Coca – ach nä, gib ma lieber auch ne Fanta.“
Der nächste. „Coca oder Fanta?“
„Ach, gib ma ne Fanta.“
„Fanta“ hörte und sah ich an diesem Tag überhaupt zum ersten Mal. Das mußte wohl sowas ähnliches wie „Bluna“ sein, eine Orangenlimonade. Die Fantafläschchen, genauso groß wie die Colafläschchen, waren bräunlich und ließen darin eine orangefarbene kohlensäurehaltige Flüssigkeit vermuten. Und diese Limonade gewann hier in Windeseile das Wohlgefallen der um ein Erfrischungsgetränk Anstehenden.
„Ach, gib ma keine Coca, gib ma lieber ne Fanta.“
Fanta war der Bestseller des Tages.
„Coca? Nä, laß ma. Gib ma ne Fanta.“
„Nää! Immer dat Coca-Zeug! Gib ma ne Fanta!“
„Richtig!“ rief einer. „Gib ma ne Fanta.“
Irgendwann war ich an der Reihe. Und ich bestellte:
„Drei Coca.“
Alle drehten sich nach mir um. Was war geschehen? Da hatte doch so’n 13jähriger Lümmel am Getränkestand tatsächlich drei Coca Cola bestellt! Wo doch all die deutschen Männer sich gefunden hatten, um tapfer entschlossen zu sein, Fanta zu trinken, weniger um ihren Durst zu löschen, sondern um nicht Coca zu trinken!
Ich, mit der ganzen Schlichtheit meines Gemütes, fand mein Verhalten gar nicht ungewöhnlich. Ich kaufte ein Produkt, das hier angeboten wurde. Ich war in der dezidierten Absicht hierhergekommen, drei Cola zu kaufen, und in dem allgemeinen Aufwallen einer Stimmung sah ich keinen Anlaß, mein Kaufbegehren zu revidieren. Ich tat nichts anderes als das, was ich mir vorgenommen hatte, ohne Rücksicht darauf, daß über die anderen etwas gekommen war, was mir, das spürte ich deutlich, als Fehlverhalten angekreidet wurde, ein „Fehler“ übrigens, den ich im Laufe meines Lebens immer wieder beging.
Ich bekam auch meine drei Coca Cola, niemand legte dagegen Einspruch ein, aber ich meinte, ein unzufriedenes Brummen zu vernehmen. Mit drei Flaschen in zwei Händen bahnte ich mir den Weg durch die Umstehenden, deren Seitenblicke ich als bedrohlich empfand. Ich übertreibe nicht. Immerhin war ich inmitten entschlossener Coca-Verschmäher aus der Reihe getanzt.
Ich hatte, wie auch später in meinem Leben immer wieder, mich von einer nationalen Aufwallung nicht mitreißen lassen, die an jenem Tage Gestalt fand darin, daß deutsche Männer sich dem Zwang widersetzen, nach dem verlorenen Krieg Coca Cola trinken zu müssen. Meine Treue zu der coffeinhaltigen Brause bestätigte den Argwohn, daß mit der „Jugend von heute“ kein Krieg zu gewinnen sei, was – zumindest in meinem Fall – ja auch stimmte und immer noch stimmt.
Die Nachgeborenen werden das kaum verstehen, aber so war das damals wirklich. Es war die Zeit, in der Straßenbahnschaffner nicht Bedienstete eines Dienstleistungsunternehmens waren, sondern zur Obrigkeit gehörten. Der Erwerb einer Eisenbahnfahrkarte nach Kassel war gleichbedeutend mit dem Ersuchen an den Staat, nach Kassel reisen zu dürfen.
In einer Straßenbahn erlebte ich, wie der Schaffner mit seiner Losung „Noch jemand ohne Fahrschein?“ durch den Waggon patrouillierte und einen bestimmten Fahrgast eines Staatsverbrechens verdächtigte: „Hast du einen Fahrschein?“ Dieser Fahrgast, der in jener Zeit die Unverfrorenheit besaß, 15 Jahre alt zu sein, zeigte frohgemut seinen gültigen Fahrschein vor. Daraufhin der Schaffner: „Da hast du aber gerade nochmal Glück gehabt.“
Wem nichts vorzuwerfen war, der hatte „gerade nochmal Glück gehabt“.
Ich habe das erlebt: Ich saß in der Straßenbahn. Es regnete. Die Bahn hielt an einer Haltestelle, wo ein paar Leute in dem Wartehäuschen sich untergestellt hatten. Der Schaffner herrschte die Leute in dem Wartehäuschen an: Sie sollten entweder einsteigen oder weggehen. Das Wartehäuschen ist nicht für alle da, sondern nur für die Leute, die auf die Bahn warten. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder einfach…
Ich habe das erlebt: Ich stand am Schalter im Postamt. Vor mir war einer dran, der wollte 100 Briefmarken zu 10 Pfennig. Der Schalterbeamte: „Wofür brauchen Sie die?“ Er hat dem Mann die Briefmarken nicht gegeben, weil der in einem Akt des zivilen Ungehorsams Weiterlesen

Der Erdenwunder schönstes?

Die Krokodilstränentage werden über das Jahr verteilt: 17. Juni, 13. August, 3. Oktober, 9. November (die letzteren beiden für die Krokodilsfreudentränen).
Hier mein Kommentar zum morgigen 13. August (geschrieben 2011, zum 50jährigen).

Wer kann die Pyramiden überstrahlen?
Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower?
Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen
Der Erdenwunder schönstes war die Mauer.
Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren.
Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren.
Peter Hacks

Am 6. Oktober 1961 war in der Frankfurter Allgemeinen zu lesen: „Noch in ihrem bisher kräftigsten Unternehmen haben diese Schriftsteller nachdrücklich bewiesen, daß für viele von ihnen die Beschäftigung mit dem Zustand unserer Republik nichts anderes ist als der Drang, um sich zu schlagen und den Krieg Zuständen zu erklären, die sie selber so dämonisieren, daß man sich fragt, was für Vorteile diese Republik gegenüber der Ulbrichts noch habe. Wir sehen bei ihnen unsere Republik nicht mit den Augen der Kritik, sondern mit denen des Hasses betrachtet.“
Was war das bis dahin kräftigste Unternehmen dieser Schriftsteller gewesen, wodurch hatten sie sich das Attest eingehandelt, „unsere Republik“ mit den Augen des Hasses zu betrachten?
Zwanzig Autoren hatten in einem gemeinsamen Aufruf den Bürgern der Bundesrepublik empfohlen, bei der Bundestagswahl am 17. September 1961 ihre Stimme für die SPD abzugeben. Das war ein kräftiges Unternehmen. Ein starkes Stück! Sie konnten sich einen besseren „Zustand unserer Republik“ vorstellen als daß Adenauer Bundeskanzler bleibt. Ein Jahrzehnt nach der Einführung der zweiten bürgerlich-demokratischen Verfassung hatte diese Demokratie gerade das Niveau erreicht, daß die Aufforderung, eine nicht regierende Partei zu wählen, als Symptom des Hasses auf „unsere Republik“ gewertet wurde.
Tatsächlich ist dieser Kommentar der FAZ ein Symptom dafür, daß die Bundesrepublik sich in keinem normalen Zustand befand. Es ist ohnehin fraglich, ob deutsche Zustände jemals das Prädikat der Normalität verdient haben. Deutschland hat das Niveau einer normalen bürgerlich-liberalen Demokratie westlichen Zuschnitts nie erreicht. Stattdessen waren immer Gesellschaftskonzepte mehrheitsfähig, die gegen Freiheit und Gleichheit gerichtet waren.

M094Die Abnormalität war besonders gesteigert in dem Jahr, in dem die Berliner Mauer gebaut wurde. Wer sich erinnert, der weiß noch, daß der 13. August nicht in eine stille Beschaulichkeit hineinplatzte. Es herrschte eine erhitzte, eine überhitzte Stimmung im Westen. Es war eine Saison der Brandreden. Die von „Wiedervereinigung“ sprachen, vom „unteilbaren Deutschland“ und von den Brüdernundschwestern, waren von dem Empfinden angetrieben, die Entscheidungsschlacht um die DDR wäre nun im Gange, die DDR wäre sturmreif, es wäre eine Sache von Wochen, bis die DDR der Bundesrepublik als Beute in die Hände fiele. Die Brandredner wollten mehr. Sie wollten die „Ostgebiete“ zurück, sie wollten die Grenzen verschieben. Sie wollten Vertreibung. Sie wollten das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges revidieren. Sie wollten Atomwaffen für die Bundeswehr. Sie hatten keine Skrupel, die Flammen, die von deutschen Kriegsverbrechern angezündet worden waren und in denen das Deutsche Reich verbrannt war, wieder auflodern zu lassen. Der Springer-Kolumnist William S. Schlamm schlug gar vor, Westberlin zu evakuieren, um die DDR mit Atombomben auszulöschen. Berlin sei einen Krieg wert. Wer so etwas schreibt, ist ein Verbrecher.
Der NDR zitierte in einer Rundfunkreportage am 10. Oktober 1961 einen DDR-Bürger: „Was ist denn mit eurer Politik der Stärke? Warum habt ihr denn aufgerüstet, wenn ihr nicht mit der Armee von Ulbricht fertig werdet? Lieber im Atomkrieg zugrunde gehen als unter Ulbricht weiterleben.“ Wer so etwas sagt, ist ein Idiot.
Wer sich erinnert, wird nicht ruhigen Gemütes von der Hand weisen können, daß im Sommer 1961 der Frieden in Europa in Gefahr war.
Auch daran ist zu erinnern: Nach dem 13. August prangerte die Bildzeitung in Riesenlettern „den Westen“ an: de Gaulle und MacMillan hatten am 13. August keinen Anlaß gesehen, ihren Sommerurlaub zu unterbrechen. Kennedy schickte seinen Vizepräsidenten Johnson, der auch nicht viel mehr von sich gab als Worte der Betroffenheit. Die Amerikaner ließen Panzer durch Berlin rollen, aber die stoppten vor der (nunmehr befestigten) Grenze zum sowjetischen Sektor.
Das hätte man mitkriegen können: Die USA hatten der Sowjetunion signalisiert, sie würden stillhalten, wenn Westberlin vom sowjetischen Sektor abgeriegelt würde. Der US-Außenpolitiker Senator Fulbright hatte in einem Interview Moskau geradezu gedrängt, die gefährliche Lage in Berlin doch endlich zu beenden. Er könne es gar nicht verstehen, daß Moskau da nicht einen Riegel vorschiebt. Ja, es stimmt, wenn gesagt wird: An der Berliner Mauer hat der Westen mitgebaut.
Zwar hat der Westen, wie sich erwiesen hat, Weiterlesen

Steinbart-Gymnasium: Fragwürdige Traditionspflege (2)

Samstags nach der zweiten Stunde versammelte sich die „Schulgemeinde“ nebst stolzen Eltern, Ehemaligen, Löbenichtern, Jubilaren in der Aula zu einem würdevollen Spektakel mit Schulorchester.
Bei der traditionellen Abiturfeier fanden sich neben den Abiturienten und deren Eltern, dem Lehrerkollegium, den Schülern (ab Untertertia), den 25- und 50jährigen Abiturjubilaren und einigen Honoratioren auch die Löbenichter ein. Das Steinbart-Gymnasium unterhielt eine Schulpartnerschaft mit dem Löbenichter Realgymnasium in Königsberg.
Dieses Realgymnasium war eines allerdings nicht: real. Es war ein Erinnerungsposten. Aber die Verbundenheit wurde bei feierlichen Anlässen beschworen bzw. bekräftigt. In der Redaktion der Schulzeitung Steinbart-Blätter gab es ein Ressort „Löbenichter“. Der zuständige Redakteur hatte nichts zu tun. Was soll man schon über ein Irreal-Gymnasium berichten? Im Schulgebäude gab es sogar ein Löbenichter-Zimmer. Vielleicht gibt es das heute noch, und es wurde nur vergessen, wer den Schlüssel dafür hat. Vielleicht denkt man heute, das wäre früher das Extra-Lehrerzimmer für die Herren des Kollegiums gewesen, die nie gelobt haben.
Aber zu meiner Zeit durften die Löbenichter noch aufmarschieren. Jeder Abiturient wurde nach Überreichung des Abiturzeugnisses weitergereicht an den Löbenichter Ehrenpräsidenten, einen schon etwas hinfällig wirkenden Herrn, der den Abiturienten eine goldene Nadel, die sogenannte Alberte, an die Brust heftete. Der Mann war berüchtigt, weil er das An-die-Brust-Heften wohl wörtlich nahm.
Als ich zur Entgegennahme des Abiturzeugnisses schritt (1969), blieb mir das Erlebnis der unter die Haut gehenden Verbundenheit erspart. Das Zeugnis steckte in einer Klarsichthülle, und die Alberte war dem beigelegt. Ich war nur eine halbe Stunde lang Besitzer einer Alberte, von der ich mich leicht trennte, weil ich in ihr ein Symbol des Revanchismus sah. Beim anschließenden Empfang merkte mein Klassenkamerad Hartmut Pawlik, daß ihm die Alberte wohl aus der Hülle gefallen war, und ich sagte: „Da! Kannz meine haben.“

Steinbart-Gymnasium: Fragwürdige Traditionspflege (1)

Diesen OFFENEN BRIEF bitte ich zu beachten:

Gegen Geschichtsverfälschung am Duisburger Steinbart-Gymnasium – Für eine kritische Aufarbeitung der Schulgeschichte
Mit Entsetzen mussten wir, die diesjährigen AbiturientInnen des Steinbart-Gymnasiums, feststellen, dass unsere Abiturzeugnisvergabe für rechtsextreme und geschichtsrevisionistische Propaganda missbraucht wurde. Dabei wurden uns sogenannte „Albertinanadeln“ ausgehändigt, gemeinsam mit einem Informationsblatt, in dem von deutschen Gebietsansprüchen in Russland und Polen die Rede ist. Aus spontanem Protest verweigerten einige von uns die Annahme und stellten Nachforschungen im ebenfalls ausgehändigten Buch „Das Steinbart-Gymnasium zu Duisburg 1831 – 1981“ an.
Der Inhalt schockierte uns: Von den ermordeten und deportierten jüdischen SchülerInnen war keine Rede, dafür aber u.a. von der „nationalsozialistischen Revolution“, dem alliierten „Terrorangriff vom 13. Mai 1943“, einem „Bekenntnis zum deutschen Osten“ – mit dem Gebiete in Polen und Russland gemeint sind – seitens des Steinbart-Gymnasiums und einer totalen Verdrehung der Realität vom Kriegsende als „Katastrophe von 1945“ samt „seinem unglücklichen Ausgang“. Den Widerstandsaktionen des Antifaschisten und Steinbart-Abiturienten Harro Schulze-Boysen, den sein Engagement sein Leben kostete, wird in der Publikation ein „landesverräterischer Charakter“ unterstellt und behauptet, seine Verurteilung zum Tode durch die NS-Richter sei Ergebnis eines „in einwandfreier Form“ durchgeführten Prozesses gewesen.
Wir sind zutiefst empört. Diese Art von Geschichtsverfälschung steht im Gegensatz zu den Grundwerten einer offenen, antifaschistischen und demokratischen Gesellschaft. Schulen sollten diese Werte vermitteln und pflegen und uns zu mündigen Menschen erziehen. Wir fühlen uns daher verpflichtet, auf diesen Skandal aufmerksam zu machen und fordern eine klare Aufklärung. Dies wollen wir gemeinsam mit der Duisburger Zivilgesellschaft erwirken. Eine einfache Stellungnahme, mit dem Verweis auf das Alter des Textes lehnen wir ab: Die Auflage ist aus dem Jahre 2000, die abgedruckte AbiturientInnenliste sogar bis zum Jahrgang 2011 aktualisiert worden. Auch die Ausrede, es handele sich um ein authentisches Zeitdokument, können wir nicht gelten lassen, da mit dieser Begründung jedwede Propaganda und Literatur verbreitet werden kann.
Von der Schulleitung des Steinbart-Gymnasiums fordern wir daher:
– Eine Distanzierung von dem geschichtsrevisionistischen Inhalt des Buches „Das Steinbart-Gymnasium zu Duisburg 1831 – 1981“, sowie dessen kritische Überarbeitung nach antifaschistischen und demokratischen Werten
– Eine Aufarbeitung der Schulgeschichte im Nationalsozialismus, mit besonderem Hinblick auf ihre jüdischen und antifaschistischen Opfer
– Ein klares Bekenntnis zum antifaschistischen Widerstandskämpfer Harro Schulze-Boysen – dabei anerkennen wir die ersten bereits gemachten Schritte
Unterzeichner:
– Verschiedene SchülerInnen und Ehemalige des Steinbart-Gymnasiums
– Duisburger Netzwerk gegen Rechts
– Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN – BdA) Kreisverband Duisburg
– Jüdische Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen K.d.ö.R.
– DIE LINKE. Kreisverband Duisburg
– Friedensforum Duisburg
– Deutsche Friedensgesellschaft (DFG-VK) Duisburg
– DKP Kreisorganisation Duisburg

Harro-Schulze-Boysen-GedenkmarkeKritische Nachfragen nimmt die Schule sicher gerne hier entgegen.

Der Krieg soll verflucht sein!

Was ist denn hier passiert?
Kaiserberg03Der Klotz auf dem Kaiserberg zum Gedenken an die „Helden“, die im Ersten Weltkrieg „auf den Schlachtfeldern Frankreichs“ abgeschlachtet wurden, ist zerlegt!
Der Heldengedenkklotz hatte schon Risse bekommen. Jetzt wurde er ordentlich auseinandergenommen. Unter dem granitenen Pathos kamen ordinäre Ziegelsteine zum Vorschein.
Der Klotz ist beziehungsweise war eins von einigen militaristischen Monumenten auf dem Kaiserberg. Er blieb nicht unversehrt – nicht nur von der Witterung, die an dem Stein nagte. Ein paar Jahre ist es her, da wurde er mit leuchtender Farbe beschriftet:
„Es gibt keine Helden im Krieg.“
Das wäre eine würdige Neugestaltung des Gedenkens gewesen. Doch wie man sich denken kann, wurde diese Inschrift alsbald entfernt. Antimilitarismus vollzieht sich in diesem Lande – auch nach einem zweiten Weltkrieg – stets am Rande der Legalität, oder jenseits davon.
Es gibt keine Helden im Krieg. Nur viele, die elend krepieren oder gerade noch davonkommen (wenn sie Glück haben mit beiden Beinen), und einige, die sich am Krieg dumm und dämlich verdienen – und die vielen, die nichts daraus lernen.
Dieser Steinhaufen, mit Bauzaun, sollte so bleiben als „Kriegerdenkmal“: als ein Häuflein Elend.
Doch bestimmt kommt da ein neuer Klotz hin. Dafür wird die SPD schon sorgen.

In den Boden eingelassen, in den Weg zum Klotz: Auftragsarbeit für einen Steinmetz.
Da wird der Spaziergänger zum Wanderer pathetisiert, und „Steh“ ist die Wanderervariante von „Stillgestanden“.
Kaiserberg04Für mich muß keiner töten.
Für mich muß keiner sterben.

„Keine Lösung“ oder 60 Jahre 17. Juni


Brecht reagierte auf den fragmentarischen Abdruck seines Briefes mit einem zweiten Brief, den das Neue Deutschland am 23.6.1953 veröffentlichte: „Ich habe am Morgen des 17. Juni, als es klar wurde, daß die Demonstrationen der Arbeiter zu kriegerischen Zwecken mißbraucht wurden, meine Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei ausgedrückt. Ich hoffe jetzt, daß die Provokateure isoliert und ihre Verbindungsnetze zerstört werden, die Arbeiter aber, die in berechtigter Unzufriedenheit demonstriert haben, nicht mit den Provokateuren auf eine Stufe gestellt werden, damit nicht die so nötige Aussprache über die allseitig gemachten Fehler von vornherein gestört wird.“ Daß Walter Ulbricht an solcher Art von Loyalität, die das Eingeständnis von Fehlern verlangt hätte, interessiert war, darf man bezweifeln.
Der bekannteste Kommentar von Bertolt Brecht zum „17. Juni“ ist das Gedicht „Die Lösung“ aus den Buckower Elegien. Es ist oft zitiert worden, meist in der Absicht, den Anspruch der DDR, ein demokratischer Staat zu sein, ebenso als ein Ding der Unmöglichkeit hinzustellen wie die Verbindung Brechts mit der DDR. Antikommunisten wollen den Klassiker literaturgeschichlich auf ihre Seite ziehen.

Dank euch, ihr Sowjetsoldaten!

Dank euch, ihr Sowjetsoldaten!

Foto: Bundesarchiv Wikimedia Commons


Die sozialistische Demokratie sollte die bürgerliche Demokratie übertreffen. Wo die bürgerliche Demokratie aufhört, geht die sozialistische Demokratie weiter. Sie darf also hinter die bürgerliche Demokratie nicht zurückfallen. Zu den Standards der Demokratie gehört, daß die Regierung vom Volk gewählt wird, dem Volk Rechenschaft schuldet, um das Vertrauen des Volkes bemüht sein muß und dann, wenn sie dieses Vertrauen nicht verdient, abgelöst und durch eine andere Regierung ersetzt werden kann. Das ist der normale Fall. Es fragt sich allerdings, ob dieses Volk, das deutsche, ein normaler Fall ist. Der Gedanke, daß ein Volk, das erst wenige Jahre zuvor zu zwei bis drei Dritteln hinter Hitler hergelaufen ist, mißtrauisch macht und durch nützliches Handeln wenigstens einen Teil des Schadens, den es angerichtet hat, wieder gutmachen sollte, erscheint mir nicht ganz abwegig. Vertrauen ist gut. Aber Kontrolle ist besser. Das hat Lenin zwar nie gesagt, aber es ist richtig, angesichts der Bilanz von 1945. Zu einem solchen Eingeständnis war auch die SED nicht in der Lage. Sie hatte – glaubte sie – dem Faschismus in Deutschland (Ost) die politisch-ökonomische Grundlage entzogen, und das Sein bestimmt das Bewußtsein. Ja. Aber wie schnell? Schon nach 8 Jahren?
Brechts zweiter Brief an die SED nimmt vorweg, was in dem Buch von Stefan Heym „Sechs Tage im Juni“ ausgeführt wurde: Der 17. Juni hatte einen Doppelcharakter. Die Arbeiter in Berlin (und anderswo) hatten Grund zur Unzufriedenheit. Sie demonstrierten und streikten zurecht. Aber dann mischten sich Provokateure unter die Streikenden. Geheimdienstagenten, Saboteure, Halbstarke und antikommunistische Terrorzirkel nutzten die Gunst der Stunde. Selbstverständlich war es so! Die DDR, in die man durch das Brandenburger Tor einfach so hineinspazieren konnte, war bis zum Mauerbau und danach auch noch ein Tummelplatz von Spionen und Saboteuren, die eines Auftrags der westdeutschen Regierung nicht bedurften, aber immer deren Wohlwollen genossen. Sie handelten ganz im Einklang mit der westlichen Politik im Kalten Krieg, der von der „Eindämmung“ zum „Roll back“ übergegangen war.
Gegenüber der offiziellen Lesart im Westen, wo der 17. Juni als Nationalfeiertag begangen wurde, war die Darstellung in Heyms Buch ein großer Fortschritt. Ja, der 17. Juni hatte auch eine reaktionäre, eine faschistische Dimension. Man muß allerdings bezweifeln, daß es wirklich möglich war, die „berechtigte Unzufriedenheit“ und die Provokateure säuberlich voneinander zu „isolieren“. Man muß bezweifeln, daß die antikommunistischen Hetzparolen den Demonstranten souffliert werden mußten.

Biedermänner als Brandstifter
Am 16. und 17. Juni 1953 haben Aufständische in (Ost-)Berlin und Weiterlesen

Zuviel Ergo

In der Frankfurter Rundschau fand ich gestern den Nachruf auf Christian Semler. Er ist am 13. Februar 74jährig gestorben.
Christian Semler wurde 1938 in Berlin geboren. Sein Vater war Fabrikant, seine Mutter die Schauspielerin und Kabarettistin Ursula Herking („Münchener Lach- und Schießgesellschaft“, auch gemeinsam mit Werner Finck in der „Katakombe“). Semler war einer der führenden Köpfe im SDS. An die Spitze des Verbandes kam er in der Phase des Zerfalls. 1970 wurde der SDS aufgelöst.
Ein Zerfallsprodukt war die „Kommunistische Partei Deutschlands – Aufbauorganisation“ (KPD-AO), deren Chef Semler wurde. Anders als die konkurrierende KPD/ML hatte die KPD-AO keinerlei Beziehung zur Tradition der kommunistischen Bewegung in Deutschland. Und anders als die KPD/ML brachte die „AO“ noch nicht einmal eine unfreiwillig-komische Folklore-Show zustande. Sie war in ihrer Aufdringlichkeit schlichtweg langweilig, weshalb man sie auch gern als „KPD-A-null“ bezeichnete. Außer einem halben Dutzend Verirrter dürften dieser „Avantgarde der Arbeiterklasse“ auch keine Arbeiter angehört haben, weshalb sie sich die Verbalhornung ihres Namens als „KPD-OA“ (ohne Arbeiter) gefallen lassen mußte.
Den Gipfel der Frechheit erklomm die AO, als sie den Namenszusatz AO fallen ließ und sich fortan den Namen „KPD“ anmaßte. (Und der Gipfel der Verwirrung wurde erreicht, als nach der Auflösung dieser „KPD“ 1980 die KPD/ML ihrerseits den Namen „KPD“ usurpierte – woraufhin eine Abspaltung von ihr sich wiederum „KPD/ML“ nannte).
Die AO als Sekte zu bezeichnen ist schon darum sinnfällig, weil sie sich von der Linken strikt abgrenzte und – wie man so sagt – „lieber im eigenen Saft schmorte“. Anders als später die MLPD schmiß sie sich nicht an alles ran, was sich regte, sondern wollte unter sich bleiben. Das entschuldigt aber nicht das Verwirrspiel mit ihrem angemaßten Namen.
Zitat aus dem Parteistatut: „Voraussetzung für die Aufnahme eines Kandidaten in die Partei ist die feste Entschlossenheit“. Undsoweiter. Das Wortgeschepper entschuldigt mit seiner Komik nicht den Psychoterror, den die Organisation auf ihre Mitglieder ausübte, die sie in die Eindimensionalität führte. Um sich „nicht von den Massen zu isolieren“ wurde den Mitgliedern verboten, Bärte und lange Haare zu tragen, in Wohngemeinschaften zu wohnen und unverheiratet zusammenzuleben.
Reinweg gar nichts an dieser „KPD“ war progressiv oder irgendwie links. Sie machte sich die maoistische „Drei-Welten-Theorie“ zueigen. Ihr zufolge war die „sozialimperialistische“ Sowjetunion der „Hauptfeind“. Ergo war alles gut, was nicht links war: CSU, NATO, das Vaterland, der Antikommunismus. KPD-A-null, das waren glattrasierte Nationalisten in gebügelten Hemden.
Über die Auflösung der KPD-A-null 1980 konnte man sich gar nicht so richtig freuen. Denn nur Jargon und Taktik wurden verändert. Und nun strömten sie raus aus ihrem Ghetto, hinein in die entstehende Partei „Die Grünen“. Als die KPD-AO sich auflöste, bekamen die Grünen ihren rechten Flügel.
Ach ja: Christian Semler! Über ihn schrieb Thomas Schmid (auch so einer!) in der Frankfurter Rundschau: „Anders als viele seiner politischen Weggefährten wurde Semler nie ein Renegat.“ Man weiß gar nicht, wie man das angesichts eines so verdrehten Lebenslaufs verstehen soll. „Er blieb … ein Linker.“ Blieb? Oder: wurde wieder? Jedenfalls landete er bei der Taz. Zwei oder drei Artikel von ihm habe ich gelesen. Na ja. Nicht ganz falsch und nicht ganz unklug, was er da geschrieben hat.

„Ich bin ein deutscher Dichter“

„Ich bin ein deutscher Dichter“ ist der Titel meiner Heinrich-Heine Lesung – und zugleich der Titel meiner Heinrich-Heine-CD (Studioaufnahme).
hl-cd-heine„Ich bin ein deutscher Dichter“
Helmut Loeven liest und kommentiert Heinrich Heine
Situationspresse 2007. Audio-CD 62 Minuten. ISBN 978-3-935673-17-4.12 Euro
„Ich habe gesagt, daß bei unseren Teutomanen der affichierte Franzosenhaß ein doppelt falsches Spiel ist. Sie bezwecken dadurch zunächst eine Popularität, die sehr wohlfeil zu erwerben ist, da man dabei weder Verlust des Amtes noch der Freiheit zu befürchten hat. Das Losdonnern gegen heimische Gewalten ist schon weit bedenklicher. Aber um für Volkstribunen zu gelten, müssen unsere Teutomanen manchmal ein freiheitliches Wort gegen die deutschen Regierungen riskieren, und in der frechen Zagheit ihres Herzens bilden sie sich ein, die Regierungen würden ihren gern gelegentlich ein bißchen Demagogismus verzeihen, wenn sie dafür desto unablässiger den Franzosenhaß predigten.“
Wenn man das Wort „Franzosen“ durch einen aktuelleren Erbfeind und Erzfeind ersetzt, hat man das getreue Porträt eines bestimmten Intellektuellenmilieus unserer Tage, wo ein gerüttet Maß an Antikommunismus die Bedingung dafür ist, kritisches Bewußtsein mimen zu dürfen. Der Heinrich Heine scheint den Wolf Biermann und den Henryk M. Broder schon gekannt zu haben.
Wen meinte er, wenn er von den „Teutomanen“ sprach? Meinte er die schnarrenden Nationalisten? Nein, er meinte durchaus die liberalen, demokratischen, als fortschrittlich geltenden Kollegen.

Wenn Sie hier anklicken, sehen Sie das Inhaltsverzeichnis, und es erscheint ein Link zu einer Hörprobe.
Diese CD ist über den Buchhandel erhältlich (demnach also auch im Versand durch die Buchhandlung Weltbühne).
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Unerotisch, unmusikalisch (nochmal zu gestern)

„In der „jungen“ Bundesrepublik (die doch in Wirklichkeit eine Gerontrokratie war) waren die hauruckmäßigem Durchschnittsmänner unsensibel, empathielos, verständnislos, phantasielos, unerotisch, unmusikalisch, absichtsvoll begriffsstutzig, gedankenlos entschlossen, unfähig, sich leise auszudrücken.“

UNEROTISCH ist die Voraussetzung für die Männerherrschaft.
UNMUSIKALISCH ist die Voraussetzung für den Parademarsch.