Maria adio


Nun ist es weg, es hinterläßt nur ein Schild eines Immobilienmaklers: Das italienische Restaurant auf der Oststraße.
Ein Sterne-Restaurant war es nie. Aber man konnte dort gut und preisgünstig essen gehen. Es war nicht groß, nur vier Tische. Aber ein Tisch am Fenster war immer frei. Mit wem ich dort essen gegangen bin!
Es hat wohl öfter den Besitzer gewechselt. Aber es war immer von befriedigender Qualität.
Sehr oft sind wir dort gar nicht gewesen, manchmal für ein paar Jahre nicht, aber doch immer wieder.
Nicht nur mein Schreibtisch, mein Regal, mein Schrank, das Zimmer, die Küche sind meine Umgebung, in der ich wiederfinden will, was ich brauchen kann: Auch die Straßen, auch das Viertel.
Ich will meine Stadt zurück!

Die schönsten europäischen Einfahrten (13)


Wilhelmshöhe, am Kaiserberg. Berühmtes Lokal für Familienausflüge, Betriebsfeiern, Gesellschaften etc.
Wie oft bin ich in der Gegend spazierengegangen und wurde aus herankommenden Autos gefragt, wie man zur Wilhelmshöhe kommt.
Und was ist geblieben? Die Einfahrt.
Und daß man erfährt, wie es nach 21 und wie es nach 23 geht.
Und daß die Anlieger ihre Freiheit immer behalten.

Wie sich das gehört

PizzaGrabenstr1So selten ist das gar nicht, daß ein Laden zumacht, bevor die Ankündigung der Neueröffnung entfernt werden konnte, wie hier zu sehen auf der Grabenstraße. Da hängt NOCH „Neueröffnung“, und da hängt SCHON „Ladenlokal zu vermieten“.
Ob die fremdsprachige Mitteilung „Best Pizza in Town“ von zu wenigen verstanden wurde? Ob manche dachten, wenn es hier nur eine beste Pizza gibt, dann ist die bestimmt schon gegessen? Ob die prahlerische Selbstanpreisung in großsprecherischem Anglismus eher verstörend wirkte? Lauter Gedanken, die man sich nicht zu machen braucht.
Lange Zeit war in diesem Laden, weniger neonhaft anspringend, ein griechisches Imbißlokal, ausstaffiert mit lauter kallipygischen Venus-Statuen, wie sich das gehört – gipserne Reminiszenzen an marmorne Huldigungen, wie sie sonst auch oft …
PizzaGrabenstr2… in italienischen Gasthäusern zu betrachten sind.
Und ganzganz früher war hier eine Bäckerei drin. Da gab es guten Baumkuchen und guten Nußkuchen. Wir hofften doch auf das bescheidene Glück nicht weniger als auf das große.
Da sind wir dann manchmal sonntags hingegangen, wie sich das gehört.
Ach ja!

Alles war, nix is mehr (3)

Im vorigen Jahr bin ich nur einmal im Wald gewesen. Dann kam ein Sturm, und in den folgenden Monaten wurde wegen der Gefahr durch herunterstürzende Äste vom Betreten des Waldes (mehr oder weniger administrativ) dringend abgeraten. Erst im Spätherbst wurde der Wald wieder „freigegeben“, aber dann gehe ich kaum in den Wald, weil es dann so früh dunkel wird.
In diesem Jahr kam der Frühling wieder mit einem Sturm, der Äste zerbrach. Wieder hieß es: Meiden Sie erstmal den Wald.
Also verlegte ich meine Erkundungsgänge vollends in die besiedelten Teile meiner Heimatregion – ohne Bedauern, weil für mich seit je das Erkunden zwischen Mauern dem Erkunden zwischen Bäumen mindestens gleichrangig ist.
Allerdings birgt auch die Großstadt Ast-Gefahren (erinnern Sie sich an Ödön von Horváth).

nixis11Hohe Straße, also in „bester City-Lage“: Hinter den gelben Klinkersteinen war der erste (und eigentlich auch einzige jemalige) Head Shop, gegründet 1971 von Lutz Ringer (Bröselmaschine). Monatsmiete: 500 Mark. Zwei Räume. In den hinteren Raum drang nur die informelle Tee-Gesellschaft vor. Der Laden hieß „Knubbels Garten“, weil er Teil des Törn-Projekts „Knubbel Afa“ war. In der Zeit seines Bestehens an dieser Stelle (!) war Knubbels Garten einer meiner Lieblings-Aufenthaltsorte.

nixis12Gegenüber davon: Damals war das ein Pommes-Restaurant: Nix als eine Pommes-Bude, aber groß wie ein Restaurant. Hieß: „Pferdestall“ (wohl wegen der rustikalen Holz-Innenarchitektur) und war ein „Szene-Treff“ (wie man heute sagen würde). Ja: die „Freaks“ ernährten sich teilweise auch von Pommes Frites und Curry-Freakadellen und derlei. Da war man noch ganz unverkrampft.
Später war da drin dann ein Französisches Restaurant. Die hatten sogar einen Michelin-Stern.
Und jetzt ist das da. Kurz nachdem ich das Foto aufgenommen hatte, ging da so’n Kerl rein mit Kampfhund. Wenn der ohne den Hund gewesen wäre, hätte ich gedacht: Jetzt fehlt nur noch der Kampfhund.

nixis13Rudi Kalamees zog mit seinem einträglichen Schallplattenladen „Disc“ auch auf die Hohe Straße, in den Eck-Laden am Buchenbaum. Der hatte mehr Platz als er brauchte und einen zweiten Eingang. Also zog Knubbels Garten ein paar Häuser weiter als Rudis Untermieter (Monatsmiete jetzt 300 Mark). Knubbels Garten war, wo jetzt „Sun Express“ drüber steht.
Niedrigere Miete klang verführerisch. Und von dem viel frequentierten Plattenladen (nur Freak-Musik) kam man direkt in den Head Shop, ohne trennende Tür dazwischen. Aber so gut war das nicht. Man kam sich plötzlich vor wie in einer Kneipe, in der aber nichts richtig funktioniert. Außerdem: Nachbar zur Rechten war das berüchtigte Prosesse (was ein Anagramm von „Espresso“ ist) für Hardcore-Freaks. Da war es mit der Ruhe vorbei.
Und: Rudi Kalamees war ein Katastrophen-Mensch. Katastrophen Menschen leben nicht nur in der Katastrophe, sondern ventilieren sie auch.
Den Plattenladen machte er zu und stattdessen dort eine Kneipe auf mit dem phantasievollen Namen „Pub“. Da wurde er aber bald ausgebootet, nachdem er den Lutz und seinen Head Shop ausgebootet hatte. Die Frühgeschichte enthält nicht nur Ruhmestaten.
Der wohnte da auch nicht mehr über dem Laden. Da wohnte dann der Karl Hellbach (Bruder von dem Bröselmaschine-Schlagzeug-Tushita-Mike Hellbach). Der hatte sein Zimmer (Fenster über der Kneipentür) ganz schwarz tapeziert. Das machte nichts, denn ich mußte da ja nicht länger bleiben als ab und zu mal zu Besuch.

Knubbels Garten ging kaputt durch zu viel Kollektivität (jawohl!). Außerdem hatte Inhaber Lutz sich auf den Weg gemacht zu einem längeren Auslandsaufenthalt, ohne die Vertretung zu regeln. Ich war damals mit meinem Zivildienst noch nicht zu Ende und hatte tagsüber keine Gelegenheit, den Laden unter eigener strenger Regie zu leiten. Ich hätte erstmal die ganzen Schnorrer rausgeschmissen, die immer die Einnahmen des Vortages verfrühstückten.
Exkurs: Den Eschhaus-Buchladen habe ich als eine Chance gesehen, die kurze Tradition von Knubbels Garten wieder aufzugreifen. Aber da haben wir (Magda und ich) gesagt: Da lassen wir uns von keinem reinreden! Hier herrscht die Autokratie der Künstler! Das haben manche uns übelgenommen.

SpiegelAnneDer Spiegel berichtete sogar über das ins Chaos abgleitende Projekt. Aber darüber habe ich hier ja schon mal berichtet (ja! Klicken Sie!). Der türkise Pfeil zeigt auf Anne.

nixis14An der Ecke war ein Espressomaschinen-Café. Und was ist da heute drin? Ein Friseurladen. Natürlich.

nixis15In der Galerie Kugel sind Originale von Uecker ausgestellt. Echte Ueckere!

nixis16Wenn ein Flachdach-Gebäude im Kantpark steht, wird Karl Kraus zitiert.
Ganz früher war hier die Stadtbibliothek drin, später das „Heimatmuseum“ (heute: Stadt- und Kulturhistorisches Museum). Jetzt sind da Räume für die Bildende Kunst.

nixis17Gegenüber: Was ist jetzt eigentlich da drin, wo früher das Shalom drin war? Natüüürlich! Ein Friseurladen. Was sonst!

nixis18Eine Tür weiter. Das ist die Kneipe, in der im November 1972 die Eschhaus-Initiative gegründet wurde. Warum die Tür, die ursprünglich weiter rechts war, zugemauert wurde und eine neue Tür an der jetzigen Stelle eingerichtet wurde, verstehe ich nicht.

nixis19Alles war, nix is mehr. Man kann kaum noch schnell genug fotografieren, wo blinde Zerstörungswut tobt.
Oberbürgermeister Sören Link ist ein Gauch.
Da hätten wir den Sauerland ja gleich behalten können.

Ich habe die mit der Industrialisierung entschwundene Bezeichnung „Gauch“ genutzt. Ich wollte durchaus nicht „Gauck“ schreiben. Ich will ja niemanden beleidigen.

nixis20Ach! Sieh an!

Wir waren auf der Dritten Libertären Medienmesse

Und da wir auch schon vor zwei Jahren bei der zweiten Messe (damals: Bochum) dabeiwaren, hatten wir allen Grund zur Vorfreude.

Limesse-2014-01Diesmal fand die Messe in der Zeche Carl in Essen-Altenessen statt.

Limesse-2014-02Alles Positive, was ich von der zweiten Messe vor zwei Jahren berichtet habe, könnte ich wörtlich wiederholen: Es gab keine Nervosität, keine Hektik und keine Pannen. Das Publikum war auch sehr angenehm. Überhaupt lag Freundlichkeit in der Luft. Eine von A bis Z erfreuliche Veranstaltung. Man muß sich mal vorstellen: Drei Tage lang lauter linke Leute – und kein Zoff! Keinerlei Berührungsängste, kein kleinlicher Fraktionismus, keine Verkündung der „Reinen Lehre“, keinerlei eitle Selbstdarstellung und Besserwisserei. Stattdessen: Unaufgeregtheit, Kollegialität der Aussteller, Interesse des Publikums. Hier hat sich die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß Verschiedenheit unsere Stärke und gut zu ertragen ist.
Das Organisationsteam lasse ich hochleben! Vom großen Wurf bis zum kleinsten Detail alles gelungen!

Limesse-2014-03Voriges Mal hatten wir den letzten Stand ganz hinten, diesmal den ersten ganz vorn, direkt am Einhang.

Limesse-2014-04Als ich was erzählte, wurde ich fotografiert.

Limesse-2014-05Und beachten Sie auch unsere gewagten Obszönitäten („It’s not only physical“).

Limesse-2014-06Limesse-2014-07Ab und zu muß man dann an die frische Luft gehen und sich bewegen. Da hinten ist ein Park, der aus Gestrüpp und wildwuchernden Gräsern besteht.

Limesse-2014-08Wenn man durch diese Tür hindurchgeht, kommt man in ein schönes Restaurant.

Limesse-2014-09Blick nach oben.

Limesse-2014-10

Limesse-2014-11-var„Im kleinen Saal beginnt jetzt die Lesung von Helmut Loeven aus dem philosophischen Kabarett“, scheint sie zu sagen. Und das hat sie auch gesagt.
Die Frau mit dem Megaphon habe ich sehr bewundert.

Limesse-2014-12Und so sieht das aus, wenn ich vorlese. Viel Publikum, viele darunter wohl vierzig Jahre jünger als ich.

Limesse-2014-13Zucker-Akkumulation an einem kaffeereichen Wochenende.

 

Die Farbe des Geldes (3)

geldschein4Über das Geld haben wir oft nachgedacht, meistens darüber, wie man an Geld kommt.
Obelix hatte eine Idee.
Nein, ich spreche nicht von der Comic-Figur, sondern ich meine den Ripperger.
Der Ripperger hatte die Idee, auf der Königstraße einen Maggi-Ausschank zu eröffnen.
Viele Leute, die in der Innenstadt arbeiten, meinte er, essen mittags in der Kantine. Da kann es passieren, daß der Suppe die Würze fehlt. Da könnten die Leute doch mit dem Teller zu ihm kommen und sich für fünf Pfennig einen Spritzer Maggi in die Suppe tun lassen.
Um mehr Profit zu machen, überlegte er, könnte man den Maggi-Ausschank mit einem Umrühr-Service verbinden. Wenn jemand im Café Ernst (oder Kolkmann oder Dobbelstein oder Heinemann) eine Tasse Kaffee bestellt hat, sich Milch und Zucker reintut und dann merkt, daß die Kellnerin vergessen hat, einen Kaffeelöffel dazuzulegen, dann kann er mit der Tasse kommen und sich den Kaffee umrühren lassen.
Ich habe dem Ripperger von seinem Vorhaben nicht abgeraten. Denn ich dachte: Der macht das ja sowieso nicht.

Besuch bei Brecht

So ganz ohne Sehenswürdigkeiten sollte meine kurze Berlin-Reise nicht bleiben. Die eigentliche Sehenswürdigkeit, meine Gastgeberin nämlich, fuhr also mit mir in der U-Bahn in den Osten.
Als wir in Steglitz in den Untergrund hinabgestiegen waren, war es noch hell gewesen. Aber im November sind die Nachmittage kurz und die Abende beginnen früh.
Als wir an der Chausseestraße wieder hinaufstiegen, war der Himmel über Ostberlin schon dunkel. Den Hugenottenfriedhof würden wir also nicht besuchen können und nicht bei Bertolt Brecht, Helene Weigel, Hanns Eisler, Wolfgang Langhoff, John Heartfield, Elisabeth Hauptmann, Heinrich Mann, Anna Seghers, Johannes R. Becher, Arnold Zweig, Herbert Marcuse verweilen, sondern gleich zum Brecht-Haus gehen, zu dem Haus, in dem Brecht die letzen Jahre seines Lebens wohnte und arbeitete.
Das Haus liegt nicht gerade ruhig. Die Chausseestraße ist sehr belebt. Die Straßenbahn zockelt geräuschvoll an dem Haus vorbei. Man kann die Straße mit der Wanheimer Straße in Hochfeld vergleichen, sie ist ebenso geschäftig und laut.
Das Brecht-Haus steht rechts neben dem Hugenottenfriedhof. Durch eine Toreinfahrt kommt man auf den großen gepflasterten Hof. Es war stockfinster, man sah kaum etwas. Aber unter dem Fenster zu stehen, aus dem Brecht einst hinausschaute, ließ mich die Luft anhalten.
In der spärlich beleuchteten Toreinfahrt hängen Bilder von Brecht, und eine Tafel verkündet die Besichtigungstermine. Um 18 Uhr findet eine Führung statt. Bis dahin ist es noch knapp eine halbe Stunde.
Meine Begleiterin ist ein bißchen ungeduldig: „Ich habe Hunger.“
„Wir können ja nach der Besichtigung in das Restaurant gehen.“
Das Restaurant im Brecht-Haus befindet sich im Keller. Es öffnet um 18 Uhr und bietet „Wiener Küche nach Art Helene Weigels“. Aber meine Begleiterin will so lange nicht warten: „Soll ich etwa so lange warten? Ich habe jetzt Hunger. Ich muß jetzt was essen! Wie behandelst du mich?“
Ach, Anne! Du Schönste der Schönen! Du Sonne meiner Jugend! Ich tu alles was du willst!
„Ich habe jetzt Hunger. Wir sind eben an einem Bistro vorbeigekommen.“
Also guuut! Zum Bistro (die Zeit wird aber knapp).
Im Bistro bemerkt Anne: „Das ist hier alles viel zu teuer. Hier bleiben wir nicht. Gegenüber vom Brecht-Haus ist in italienisches Restaurant. Da gehen wir jetzt hin.“
Also guuut! Zum italienischen Restaurant. Wenn sie das sagt, dann tun wir das.

Anne B. „Bella Donna!“

Der Wirt des italienischen Restaurants begrüßte uns voller Freude und in vielen Sprachen: „Buona Sera, guten Abend, good evening, bon soir!“ Wenn man von einer schönen Frau begleitet wird, muß man sich in einem italienischen Restaurant auf eine sehr lange und sehr ausführliche Begrüßung gefaßt machen: „Bella Donna!“
Als dann die Spaghetti (ich) bzw. die Lasagne (sie) auf dem Tisch standen, war die Minute gekommen, in der die Führung durch das Brecht-Haus beginnen sollte.
Schnell essen ist nicht meine Art. Ich lasse mir lieber Zeit dazu, auch dann, wenn ich dadurch etwas anderes versäume. Brecht hätte wahrscheinlich gesagt, daß in dem Moment, in dem das Essen auf dem Tisch steht, es nichts Wichtigeres gibt als das Essen, das auf dem Tisch steht.
Die Besichtigung versäumten wir also mit Gleichmut.
Meine Begleiterin ermahnte mich: „Achte mal darauf, daß du dich nicht zu sehr isolierst. Verkriech dich nicht. Du mußt mal öfter raus aus deinen vier Wänden.“
„Ich hab schon damit angefangen. Ich bin ein paar Tage zu dir nach Berlin gekommen.“
Wir gingen nochmal über die Straße zum Brecht-Haus und stellten fest: Es war noch immer alles stockfinster. In keinem Fenster war Licht. Hier fand jetzt bestimmt keine Führung statt. Wir hatten also nichts versäumt. Der einzige Teil des Hauses, der zugänglich war, war das Restaurant im Keller, das gerade aufgemacht hatte. Aber da sind wir nicht reingegangen. Wir waren ja stattdessen in dem italienischen Restaurant gegenüber gewesen.
Eine historische Stätte konnten wir dann allerdings doch noch aufsuchen. Wir gingen noch das kurze Stück zum Ende der Chausseestraße. Dort, in dem letzten Haus, wohnte einst der berühmte Tierstimmenimitator Wolf Biermann.

aus: Helmut Loeven: Der Gartenoffizier. 124 komische Geschichten. Situationspresse Duisburg 2008. 268 S. Pb. ISBN 978-3-935673-24-2