Fast Endzeit

Ich war in der Quinta oder in der Quarta, also im Alter von 11 oder 12 Jahren, da biß ich in mein Pausenbrot (auf dem Schulhof in der ersten oder zweiten großen Pause). Ein Mitschüler fand das nicht gut. Denn es war ein Wurstbrot, und es war Freitag.
Ich weiß nicht, ob Sie es wissen (und ich weiß auch nicht, ob Sie es glauben), daß es katholischen Christen untersagt ist, freitags Fleisch zu essen (ebenso: Wurst).
Dieses Gebot steht zwar nirgendwo in der Bibel, wird aber nach der katholischen Glaubenslehre den anderen neun Geboten gleichgestellt. Nun gibt es (glauben Sie es ruhig) in der Bibel auch keine „zehn Gebote“, sondern eine lange Liste von Geboten, die der Liebe Gott dem Moses auf dem Berg Horeb schriftlich übermittelt haben soll (ohne dabei die Wurst zu erwähnen). Irgendein Vorkämpfer des Dezimalsystems versuchte, diese Gebote in zehn Kapitel einzuteilen, kam aber nur auf neun. Da mußte noch ein zehntes her.
Vielleicht tagte die zuständige Kongregation und mußte, nachdem sie verboten hatte, den Sonntagsgottesdienst zu versäumen oder falsche Zeugnisse auszustellen, der Vollständigkeit halber noch was verbieten. Da war die Verlegenheit groß, aber, wie oft in solchen Lagen, die Stimmung nicht schlecht. Und so überlegte man: Sollen wir Rauchen in Einbahnstraßen verbieten? Oder Singen während des Handstands? Oder im Auto auf dem Rücksitz über das Wetter zu reden? Schließlich einigte man sich: Freitags kein Fleisch. Denn darüber wurde am meisten gelacht, vor allem, als dann noch gesagt wurde: Fisch darf man.
Dem Neuen Testament ist zu entnehmen, daß Jesus in die Wüste gegangen ist, um 42 Tage lang zu fasten. (Warum tat der das?). Dabei erschien ihm „der Versucher“. Das ist schon tollkühn, zu versuchen, ausgerechnet Jesus, den Messias zu „versuchen“. Vielleicht wußte der Versucher auch nicht, wen er vor sich hatte. Oder: Jesus hatte vom Fasten Halluzinationen (kommt vor) und hat sich den Versucher bloß eingebildet.
Fasten ist sicherlich nicht bloß eine religiöse Selbst-Kasteiung. In früheren Zeiten, vor der Erfindung des Kühlschranks, haben die Leute im Winter viel Gepökeltes und Geräuchertes gegessen. Gegen die Schlacken des Winters ernährte man sich im Frühling von frischen Früchten und jungem Gemüse, also weniger üppig. Da die Hühner mit ihrem Eierlegen sich nicht an die Fastenzeit hielten, wurden die Eier hart gekocht, um sie haltbar zu machen. So sind die Ostereier entstanden.
In der modernen Zeit, in der man neben dem Kühlschrank noch über weitere Mittel der Frischhaltung von Nahrungsmitteln verfügt, hatte das Fasten seine Bedeutung eingebüßt. Doch neuerdings ist es wieder ein Thema. Nicht nur, daß der alleingelassene Mensch unserer Tage stets der Erhaltung seiner Verwertbarkeit eingedenk ist und für den ganzen Wellness-Trallala sich den einen oder anderen Genuß verkneifen zu müssen glaubt. Der die Sinnlosigkeit seines Daseins erahnende Homo facebookensis ist stets auf der verzweifelten Suche nach Angesagtem. So kommen Phänomene zustande, daß Leute grundlos einen Eimer Wasser über ihrem Haupte entleeren, oder daß ein Tag auserkoren wird, an dem Idioten beiderlei Geschlechts unterhalb der Gürtellinie unvollständig bekleidet die U-Bahn benutzen.
Fasten als Flashmob. In Smartphone-Zeiten fastet man sich gegenseitig was vor.

Wissen Sie was? Ich rauch‘ nicht mehr. Ja, ist wahr, kann man sich gar nicht vorstellen: Ich ohne Zigarette! Ich! Ist aber so. Aber schon seit November. Und auch, wenn in ein paar Tagen gesungen wird: „Christ ist erstanden von der Marter alle“, fange ich nicht wieder damit an.

Mit dem Hut ins Theater. Das ging.

Es ist also über die Bühne gegangen – über die Theater-Bühne am Sonntag, das Konzert der Peter Bursch All Star Band zur Feier des hundertjährigen Bestehens des Duisburger Stadttheaters. (Siehe Eintrag vom 17. Oktober).
„Bursch & Co ließen es so richtig krachen“, stand heute in der WAZ. „Musikalische Überraschungen gab es kaum, aber dafür sind solche Abende ja auch nicht da.“ Richtig. Gleichwohl wage ich zu sagen: sowas hatte das Stadttheater in hundert Jahren noch nicht erlebt.

Konzertfotos von den Acoustic Nights 2011

Die All Star Band, die es seit 20 Jahren gibt, ist spezialisiert auf Cover-Versionen von Rock-Klassikern (an diesem Abend solche der 70er Jahre). Die Cover-Versionen brauchen sich hinter den Originalen nicht zu verstecken. Da sind Vollblut-Musiker am Werk, „in die Jahre gekommen“, also zur Reife gelangt, die dem Publikum großes Können darbieten. Überraschung des Programms war das Mitwirken des Streichquartetts der Duisburger Philharmoniker bei zwei Stücken.
Das Lob der Sängerin Birgitt Theiss an das ganz besondere Duisburger Publikum war nicht bloß eine Höflichkeitsfloskel. Es stimmt. Mich erinnerte das an unsere „Heimspiele“ der Bröselmaschine.
Das Theater, der Tempel der Hochkultur, büßte nichts von seiner Noblesse ein, als es „so richtig krachte“. Wir haben nämlich die Welt verändert.
Noch ein Klassiker (wenn ich so sagen darf), ein optischer war mein Filmchen „Kö“, das in Endlosschleife auf drei Monitoren im Foyer lief. Da standen tatsächlich Scharen von Leuten staunend und amüsiert davor. Dabei ist da doch nix anderes zu sehen als eine Straße immer wieder rauf und runter.

Hut-Film „Kö“

Hinterher Empfang auf der Bühne. Alles schwarz, der Boden, die Decke, die Wände, und riesig: eine Halle um ein Vielfaches größer als der Zuschauerraum, so funktional (und darum so schön) wie eine Fabrikhalle. Soetwas habe ich zum letzten Mal gesehen, als ich bei Mannesmann war. Man fühlt sich wohl in einer Atmosphäre der Leichtigkeit nach der Anspannung.

Da ist man ja froh, wenn man zum Ehrenmann befördert wird, in dem Eintrittspreis von nulleuronullundnullzig die Gebphren enthalten sind und man dann noch in einem Raum eingeladen wird, in dem ein Büffet steht. Spargel gab es natürlich nicht.

„Du kommst doch auch zum Weihnachtskonzert“, fragte mich der Akkordeonspieler der Band Barney Brands (gemeint: die Acoustic Nights 2012 im Steinhof). Würde ich gern. Mal sehen, was sich ergibt.

 

Mit einem Teller voll Spargel im Theater

Aufgrund eines Mißverständnisses ging ich mit einem Teller voll Spargel ins Theater. Das konnte nicht ohne Folgen bleiben. Am nächsten Abend wurden während der Pause im Foyer drei oder vier Herren gesichtet, die einen Teller voll Spargel vor sich hertrugen.
Am Abend danach haben fast alle Herren, die die Theatervorstellung besuchten, einen Teller voll Spargel bei sich gehabt.
Seither jedoch wurden kaum noch Personen mit Spargel im Theater gesehen.