Flohmarkt in Ruhrort. Siebziger Jahre. Es ist noch früh, noch gar nicht richtig hell. Viel heller wird’s auch nicht. Es hat geregnet, und der Himmel hängt immer noch voller dunkelgrauer Wolken. Es ist usselig. Es ist kühl. Man steht da in seinem Regenzeug und friert ein bißchen.
Da kommt noch ein Jüngsken angelaufen, klein, schmal, strähnige Haare, große Nase. Der findet zwischen zwei Ständen Platz, wo er eine Decke auf dem Boden ausbreitet, auf der er seine Waren legt. An sich kein Grund, davon besonders Notiz zu nehmen.
Bis Strähler mich aufmerksam macht: „Äh, hast du gesehen, was der da liegen hat?“
Ja, tatsächlich! Das ist doch ein Ding! Der hat da lauter Hitlerbilder und Naziklamotten.
Wolfgang Eppler und sein Bruder haben das auch gesehen: „Der packt Naziklamotten aus.“
Wir stellen uns zu viert um den Knaben herum und schauen uns das eine Minute an, wie er Stück für Stück weitere Hitlerporträts, Orden mit Hakenkreuz und „Mein Kampf“ aus seiner Kiste holt.
Dann ergreife ich das Wort: „Äh!“
Der Knabe schaut verwundert hoch. „Ja?“
„Pack dat weg!“
„Was?“
„Dat Nazizeug.“
„Warum?“
„Weil wir dat sonst wegpacken.“
Wir haben vom Regen und Wind zerzauste Haare. Strähler hat um seine Glatze einen buschigen Haarkranz. Wir tragen Friesennerze, an unseren Schuhen klebt Matsch. Eppler ist von uns der Größte, und sehr breit. Sein Bruder ist klein, aber sehr drahtig. Wir haben alle eine selbstgedrehte filterlose Zigarette im Mundwinkel und schauen sehr ernst.
Augenblicklich beginnt der Knabe, Stück für Stück seine Naziklamotten wieder einzupacken. Eine halbe Minute später hat er das Feld geräumt. Das hätten wir erledigt.
Später wird uns gewahr, daß der Knabe am anderen Ende des Platzes doch noch seinen Stand aufgebaut hat. Epplers Bruder schlendert zu ihm hin und kommt bald darauf wieder zu uns. Der Nazi-Knabe hat seine Sachen wieder gepackt und ist endgültig verschwunden.
„Wie hast du das denn gemacht?“
„Ich hab dem gesagt: ‚Hör mal, ich geb dir‘n guten Rat. Die Jungs da eben, die sind von der ganz harten Sorte. Die lassen überhaupt nicht mit sich spaßen. Es ist besser, du verschwindest jetzt.‘“
Diese Geschichte erschien in dem Buch „Der Gartenoffizier – 124 komische Geschichten“ (Situationspresse 2008). Der darin erwähnte Wolfgang Eppler erzählte gern von diesem Vorfall. Diese Geschichte ist nicht nur komisch, sondern auch typisch: Ernst nie ohne Unernst, Unernst nie ohne Ernst.
Wolfgang Eppler begann seine Tätigkeit als Buchhändler im Eschhaus-Buchladen. Später war er tätig im Buchladen Die Brücke (erst Ruhrort, dann Hochfeld). Nach der Vereinigung mit der Buchhandlung Agora (am Dellplatz) machte er sich als Antiquar selbständig, einige Zeit auf dem Pulverweg in dem Laden, in dem jetzt der traditionsreiche Musikladen Die Schallplatte residiert. Ich erinnere mich gern an die Gespräche und Fachsimpeleien dort im Hinterzimmer.
Es wurden nicht nur Geschichten und Erfahrungen ausgetauscht. Wolfgang Eppler war immer mit engagierter, wirksamer, uneigennütziger kollegialer Hilfe bei der Hand. Die Buchhandlung Weltbühne hat ihm viel zu verdanken.
Vorgestern, am Silvestertag, ist Wolfgang Eppler, unser Kollege und Genosse, 66jährig nach langer schwerer Krankheit gestorben.
*leise* Du fehlst mir so, du doofer alter Sack. Hab zu spät gemerkt, wie bunt meine Routine mit dir war. Jetzt…ist alles trist.
Du hattest unrecht. „Aaaaach, ist doch alles nicht so wichtig.“
Doch. Is‘ ja woohl.
Du.
Du bist wichtig.
Auch ein Jahr später fehlst du. -.-
Ich trink einen Punsch auf dich.
Alles Liebe
Amari