„Mehrere hundert Tote“

Maggy Wösthoff (Seebrücke) schreibt:
Nach überwundener Sprachlosigkeit anlässlich der Katastrophen, die sich an den Außengrenzen der EU ereignen möchte ich an dieser Stelle mit euch gemeinsam den mehreren hundert ertrunkenen Menschen auf dem Fischerboot nahe der griechischen Küste gedenken. Vielleicht ist es ein Augenblick der Wut, der Trauer oder der Fassungslosigkeit . . .
Unterlassene Hilfeleistung der europäischen Behörden ist mit eine Ursache für das Kentern des Bootes sein.
Diese Katastrophe hat ein ganz konkretes Bild: das erschreckend überfüllte Boot, auf dessen Decks und jedem noch so kleinen Platz asylsuchende Menschen aus Afghanistan, Syrien, Palästina, Ägypten und Pakistan standen. Die Frauen und Kinder unter Deck können wir auf den Bildern nicht sehen.
Die Zahlen der Passagiere schwanken zwischen rund 500 und 750 Passagiere. Gerettet wurden 104 Menschen.
Seebrücke klagt an die Außenpolitik der EU: Auch diese Schiffskatastrophe hätte vermieden werden können.
Anlässlich des geplanten GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylgesetz) fanden bis jetzt in unserer Stadt Protestaktionen statt: von der Grünen Jugend und von der Syrischen Koordination in Zusammenarbeit mit Seebrücke Duisburg.
Mit solidarischen Grüßen
Maggy Wösthoff
für Seebrücke Duisburg

Redebeitrag von Seebrücke Duisburg
bei der Kundgebung „Nein zur Verschärfung des Asylrecchts“ am 19.06.2023 Veranstalter Grüne Jugend Duisburg

Europas Außenpolitik hat versagt – aktuelle Informationen zur Situation an den Außengrenzen. Die Situation für asylsuchende Menschen ist lebensgefährlich und wird immer dramatischer. Seit 2018 verfolgt Seebrücke die Maßnahmen, mit denen Europa sich mehr und mehr abschottet und ist wütend und erschüttert über die Politik der Abschreckung. Immer mehr Grenzzäune entstehen. Waren es im Jahr 2014 noch 314 km, die Europa vor Asylsuchenden abschotten sollten, sind es im Jahr 2022 inzwischen 2048 km.


Vor 4 Tagen erreichte uns die Schreckensbotschaft, dass ein mit über 500 Geflüchteten besetzter Kutter wenige Kilometer vor der süd-westlichen Küste Griechenlands gesunken ist. Genaue Zahlen der Passagiere können nicht ermittelt werden. In manchen Quellen ist sogar die Rede von über 700 Menschen. Sie kamen aus Afghanistan, Syrien, Pakistan, Palästina und Ägypten.
Nach Informationen konnten 104 Menschen gerettet werden; 79 wurden tot geborgen, die anderen Asylsuchende werden vermisst. Es besteht jedoch nur noch sehr geringe Hoffnung auf Lebensrettung.
Dieses Unglück hätte aller Wahrscheinlichkeit nach vermieden werden können. Laut Alarm-Phone wurde ein SOS-Signal von dem Kutter aus gesendet und ignoriert. Neuen Erkenntnissen zufolge, soll die Küstenwache versucht haben, das überfüllte Fischerboot aus griechischen Gewässern zu ziehen. Laut LeaveNoOneBehind sind Abschleppaktionen von überfüllten Booten gefährlich und werden nicht bei Rettungsaktionen, sondern bei Pushbacks verwendet.
Sicher ist, dass sowohl Frontex als auch die Küstenwache das Boot gesichtet und beobachtet haben (Quelle: Solomon). Was allerdings genau die Ursache des Kenterns gewesen ist, bleibt weiterhin offen.
Dieser Schiffsbruch ist einer der schwersten auf der Fluchtroute über das Mittelmeer. Wenige Menschen konnten gerettet werden, zurückbleiben verzweifelte Angehörige.
Im WDR 5 wurde bekannt gegeben, dass die griechische Regierung eine 3tägige Trauerzeit anberaumt. Welch eine Heuchelei.
Es ist für uns unerträglich, dass die Europäische Staatengemeinschaft das grundlegende Recht auf Leben von Asylsuchenden missachtet. Lebensgefährliche Pushbacks zu Land und/oder auf dem Wasser sind an der Tagesordnung, Alarm-Signale werden ignoriert. Rettungsschiffen mit Asylsuchenden wird von dem neo-faschistischen Italien ein tagelang entfernter Anlegehafen zugewiesen. Damit wird zum einen den entkräfteten Passagieren eine zusätzliche Strapaze zugemutet und zum anderen steigen die Kosten für Diesel und Verpflegung. SOS Humanity versandte vor kurzem einen SpendenHilferuf. Dringend müsse der Kostenanstieg um rund 25% durch Spenden abgefedert werden, sonst müsse der nächstanstehende Rettungseinsatz ausbleiben.
Die Grenzschutzagentur Frontext ist dagegen finanziell gut aufgestellt: laut wikipedia soll das Budget der Agentur im Jahr 2021 1,6 Milliarden Euro betragen. Damit sollen auch eigene Schiffe, Autos, Drohnen und Ausrüstung finanziert werden. Aktuell blockiert das Auswärtige Amt von Ministerin Annalena Baerbock die Gelder für die zivile Seenotrettung.
Der Bundestag hat 2022 entschieden, United4Rescue & damit die zivile Seenotrettung mit jährlich zwei Mio. Euro von 2023-2026 zu fördern. Doch bislang wurde das Geld nicht ausgezahlt. Nach united4rescue will das Auswärtige Amt, dass die Mittel nicht für die zivile Seenotrettung verwendet werden, sondern für Projekte “an Land”. Das ist absurd, denn der Auftrag von United4Rescue ist: #gemeinsamretten! Offenbar wird die Freigabe politisch blockiert – und damit die Rettung von Menschenleben. Fakt ist, dass das Ministerium von Frau Baerbock die versprochene Zahlung an zivile Seenotrettung zurückhält. Aus welchem Grund auch immer: Was uns interessiert: werden Zusagen gehalten? Oder nicht.
Seenotretter:innen und Unterstützer:innen werden kriminalisiert. Das reichen von Wasser oder Thermodecken bei der Ankunft an Land wird als kriminelle Handlung gewertet. Ihnen wird Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Beihilfe zur illegalen Einreise und Geldwäsche, Urkundenfälschung und Spionage vorgeworfen; ein gerichtlicher Prozess droht, dessen Termin jedoch oft lange Zeit nicht bekannt gegeben wird. Mit diesem ständig präsenten angedrohten Verfahren sollen die Helfer:innen mürbe gemacht werden.
Neben der Kriminalisierung wird repressiv gegen die Dokumentierung von Menschenrechtsverletzungen auf Fluchtrouten vorgegangen. Der Verein mare liberum aus Berlin befindet sich seit dem 01.05.2023 in Auflösung. In der Auflösungserklärung heißt es: „Weder die Bundesrepublik noch andere EU-Regierungen setzen sich mit ernstzunehmendem Nachdruck für die menschenrechtskonforme Behandlung Geflüchteter an den EU-Grenzen ein. Systematische illegale Pushbacks, Gewalt, unwürdige Lager und die Kriminalisierung Geflüchteter sind an der Tagesordnung.“
Stacheldrahtumzäunte Hochsicherheitslager auf z.B. Kos existieren bereits seit mehreren Jahren. Hier werden Menschen festgesetzt; sie werden ihrer Freiheit beraubt. Sie warten auf ihre Asylbeantragung, das Verfahren, haben bereits eine Bewilligung oder Ablehnung erhalten. Der nächste Schritt müsste eingeleitet werden: Dies bedeutet für viele Menschen die Abschiebung in die Türkei. Demnach müssten die türkischen Behörden arbeiten – was jedoch häufig nicht erfolgt. Auf diese Weise sind die inhaftierten Menschen zur Untätigkeit gezwungen. Vor wenigen Tagen erreichte uns eine Hilferuf, dass auf Lesvos in dem Camp rund 500 Menschen nicht mehr mit Nahrungsmitteln versorgt würden. Was war geschehen? Aufgrund eines abgelehnten oder auch zugestimmten Asylantrags müssten jetzt einleitende Schritte erfolgen. Dazu ist es zum einen nicht gekommen, da länderübergreifende Kooperation nicht funktioniert. Zum anderen können sich die Menschen ohne Geld außerhalb des Lagers nicht bewegen.
In Anbetracht der menschenverachtenden, gescheiterten EU Außenpolitik und allem was kommen wird, ist es neben den politischen Forderungen und Benennung von Verantwortlichkeiten wichtig, dass wir uns selber organisieren. medico international spricht von Hilfe von unten. Und hier erleben wir, dass diese in Duisburg immer wieder und wieder hervorragend klappt. Dafür sagen wir allen Spenderinnen ein herzliches Dankeschön.

Seebrücke fordert ein Europa der Menschenrechte statt auf Abschottung und Abschreckung zu setzen.
Seebrücke fordert die konsequente Bekämpfung von Fluchtursachen – statt weiter nach kolonialistischem Vorgehen die Ausbeutung von Mensch, Bodenschätzen und Natur zu betreiben.
Seebrücke sagt Nein zu der Absenkung der Anforderungen an „sichere Drittstaaten“
Seebrücke sagt Nein zu der Weiterführung des gescheiterten Dublin-Systems
Seebrücke sagt Nein zu der Zustimmung zu den geplanten Asylrechtsverschärfungen innerhalb der EU
Seebrücke sagt Nein zu GEAS, dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem
Seebrücke sagt Nein zu Haftanlagen – keine Familien – keine Kinder – niemand darf in Sammelhaftanlagen kaserniert werden.

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