Der blaue Engel

Im Eschhaus wurden mittwochs Filme gezeigt. Kneipenkino ist eine interessante Sache. Ich kenne viele Filme teilweise, weil ich dort arbeitete und manchmal nur ab und zu einen Blick auf die Leinwand werfen konnte.
Eines mittwochsabends wurde „Der blaue Engel“ gezeigt, und das schuf eine ganz unwirkliche, geradezu psychedelische Atmosphäre. Man befand sich – sagen wir es ruhig – in einer Kaschemme, und auf der Leinwand zu sehen war eine Kaschemme. Es schien, als würde die Wand sich auftun. Der Film und die Wirklichkeit, in der er vorgeführt wurde, vermischten sich.
Marlene_Dietrich_in_The_Blue_AngelEs gab im Eschhaus einige politische Aktivisten, die jeden Mittwoch die Gelegenheit nutzten, vor dem versammelten Kinopublikum Proklamationen loszulassen, deren Schlußsatz stets begann mit: „Und wir fänden es gut, wenn möglichst viele Leute…“.
Im Anschluß an den „Blauen Engel“ ergriff also Michael van der Wielen (genannt Marinus) das Wort. Im selben Moment wurde ich von Wolfgang Esch angesprochen: „Ich bin mit‘m Auto hier. Ich fahr jetzt. Wenn ich dich nach Hause fahren soll, dann komm jetzt.“
Ich kriegte aber noch mit, was M-Punkt van der Wielen mitzuteilen hatte: In letzter Zeit, sagte er, wären immer wieder „Bullen in Zivil“ im Eschhaus gewesen. Die würden die Runde drehen und sich alles angucken. Dagegen müßten wir was unternehmen, und wir müßten überlegen, was.
Kaum hatte er seine Worte gesprochen, kamen auch promt zwei Herren von der Kriminalpolizei zur Tür herein. Das kriegte ich allerdings nicht mit, denn ich war damit beschäftigt, meine Siebensachen zusammenzuraffen, weil ich ja mit dem Auto mitgenommen werden sollte und der Fahrer auf mich wartete. Der hatte mich gedrängt: „Komm jetzt, sonst fahre ich ohne dich.“
Just in dem Moment, als ich mit der Tasche in der einen und dem Schlüssel in der anderen Hand aus dem Eschhaus-Buchladen gehen wollte, betraten die beiden Graumänner, von denen ich nicht wußte, daß sie Kripomänner waren, den Laden, den sie sicherlich nur allzu gern unter die Lupe genommen hätten. Wir stießen in der Tür fast zusammen.
„Wat? Nix! Nix! Nix! Feierabend. Raus!“ Die beiden Polizisten mußten rückwärts gehen, um nicht von mir über den Haufen gerannt zu werden. Auf Michael van der Wielens Gesicht regte sich der leise Anflug von einem Schmunzeln, was wahrscheinlich höchstens einmal im Jahr geschah.
Daß es sich bei den beiden Herren, die vor mir zur Seite springen mußten, um zwei Beamte der politischen Polizei handelte, habe ich, wie gesagt, erst danach erfahren. Aber das war in den nächsten Tagen im Eschhaus Gesprächsthema: „Hast du gesehen, wie der Loeven die Bullen verjagt hat?“

2 Gedanken zu „Der blaue Engel

    • Liebe Elke, danke herzlich für Deinen Geburtstagsgruß! Du hast mich noch in keinem Jahr vergessen, und diesmal sogar hier auf der Bühne!
      Kommst Du auch zu meiner Lesung am 5. November in der Spinatwachtel? Das ist ja für Dich kein weiter Weg.
      Alles Gute, Helmut

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