Von dem Henryk M. Broder habe ich mal viel gehalten, weil der sich – so könnte man sagen – auf der Schnittfläche zwischen Politik und Subkultur betätigte. Zum Beispiel war er einer von denen, die die Internationalen Essener Song Tage (1968) organisiert hatten. Das war ein Festival, auf dem – von Zappa bis Degenhardt – der ganze Radius einer progressiven Kultur dargestellt war.
Eines Tages, 1971 war es, kam der Broder zur Goldstraße, weil er für das Dritte Fernsehprogramm des WDR einen Filmbericht über die Bröselmaschine machen wollte. Als der zur Tür reinkam, lag ich noch im Bett.
Ich hab mich an dem Tag etwa eine Stunde lang mit ihm unterhalten. Bei der Gelegenheit bat ich ihn um einen Beitrag für meine Zeitung, und diese Bitte hat er mir erfüllt. Ich dachte mir: Das wertet meine Zeitung auf.
Später dann sind wir in Richtung Bahnhof gegangen. Unterwegs haben wir uns verabschiedet, weil ich ein anderes Ziel hatte. Zum Abschied hob er die Faust – ein schon zu der Zeit in der kommunistischen Bewegung aus der Mode gekommenes Gruß-Ritual. Ich fand das albern, und er merkte, daß ich das albern fand.
Ein paar Wochen später wurde der Filmbericht im Fernsehen gesendet. Ich war entsetzt. Broder kommentierte, die Bröselmaschine habe so eine Art Teufelspakt mit dem Chemiekonzern Badische Anilin und Soda Fabriken geschlossen. Hintergrund: Wir hatten einen Plattenvertrag mit Rolf Ulrich Kaisers Ohr-Records. Das war die beste Adresse für progressive Musik in Deutschland (Xhol, Guru Guru etc. pp). Der Vertrieb lief über Metronom, und diese Vertriebsfirma gehörte wohl zu BASF. Broder konstruierte daraus, wir wären zu Kapitalistenknechten geworden, und überhaupt wäre die ganze Underground-Kultur nichts anderes als Geschäftemacherei von Konzernen. Broders Fazit: Jeder Protest gegen den Kapitalismus trägt zur Stabilisierung des Kapitalismus bei. Er ist später dann den Weg gegangen, den die Leute gingen, die damals so geredet hatten. Das konnte man damals schon erahnen. Nur ist er auf diesem Weg nach rechts noch weiter gegangen als andere.
Mein Kontakt mit Broder blieb aber noch einige Zeit bestehen. Es wurde korrespondiert (er verschickte immer Postkarten), und wir haben noch zwei- oder dreimal am Telefon miteinander gesprochen.
Ich hatte wohl irgendwie anklingen lassen, daß wir mit unserem Plattenproduzenten Rolf Ulrich Kaiser nicht so ganz und gar zufrieden waren und daß Witthüser und Westrupp sich den Kopf darüber zerbrachen, wie sie aus dem Vertrag mit Kaiser rauskommen könnten. Broder witterte eine Story. Ich sollte ihm alles erzählen, was Walter Westrupp Negatives über Kaiser gesagt hatte. Das gefiel mir gar nicht. Mir wollte gar nicht wohl dabei sein, den Inhalt eines Gesprächs unter Kollegen an einen storygeilen Journalisten weiterzutratschen. Ich wollte keine Rolle dabei spielen, wenn Mißhelligkeiten durch einen Pressebericht darüber zum Zerwürfnis werden. Broder hatte Kaiser bei den Essener Songtagen noch assistiert, und jetzt war er gierig darauf, ihn in die Pfanne zu hauen. Dafür ihn mit Stoff zu versorgen fiel mir nicht ein.
Broders öffentliches Wirken fand ich mit der Zeit immer geschmackloser. Er gefiel sich in der Rolle des Besserwissers, der mit allen aneckt (etwa nach dem Motto: „Alle doof außer mich“). Der hatte von nichts eine Ahnung, aber zu allem eine Meinung.
So kommentierte er in Pardon, die Gegner der Atomenergie würden doch nach dem Sanktflorians-Prinzip nur gegen das Atomkraftwerk vor der eigenen Haustür protestieren, das Atomkraftwerk fern von ihnen wäre ihnen egal. Und wer gegen Atomenergie sei, sollte doch auch so konsequent sein, auf eine Trockenrasur mit dem elektrischen Rasierapparat zu verzichten und sich stattdessen naß rasieren. Ich schrieb daraufhin in meinem Blättchen, daß ausnahmslos alle Bürgerinitiativen gegen Atomenergie generell für den Ausstieg aus der Atomenergie eintraten, daß durch die Warmwasser-Aufbereitung für eine Naßrasur 20 mal soviel Energie verbraucht wird wie für eine Elektrorasur, und ich ernannte Broder zum Schlaumeier.
Meine Freundin Erika, die damals in der Emma-Redaktion arbeitete, kannte den Broder auch, und sie berichtete mir, Broder habe sich über meine Glosse furchtbar geärgert. Das ist ja das Schöne, daß diese Leute sich auch wirklich über sowas ärgern. (Auch Alice Schwarzer – so erfuhr ich – ärgert sich jedesmal kaputt, wenn mal etwas Unfreundliches über sie geschrieben wird). Der Henryk M. Broder hat der Erika von mir abgeraten. Die Erika hat sich davon nicht beeindrucken lassen. Broder sagte zu ihr: „Der Helmut Loeven, der ist doch gegen alles.“ Ich finde, mit diesem Zitat läßt sich gut werben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch folgendes erwähnen: Bei Emma gab es tatsächlich einen Telefondienst rund um die Uhr. Wenn Erika allein in der Redaktion war und Telefondienst hatte, rief sie mich an. Wir haben dann auf Emmas Kosten halbe Nächte lang miteinander geredet. Was in diesen Nächten an Huldigung an mich, einen Angehörigen des männlichen Geschlechts, in das Emma-Telefon hineingehaucht wurde, das hält man nicht für möglich.
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