Was lese ich da? Film über Grateful Dead?

Das meldet der Rolling Stone:
„Jonah Hill spielt Jerry Garcia in Martin Scorseses Grateful-Dead-Film“.
Die eigentlche Nachricht ist also:
Martin Scorsese plant einen Film über Grateful-Dead.
Die ehemaligen Grateful-Dead-Mitglieder Bob Weir, Phil Lesh, Mickey Hart und Bill Kreutzmann werden als ausführende Produzenten an dem Projekt mitwirken, ebenso Trixie Garcia, die Tochter des 1995 verstorbenen Jerry Garcia. Da die Band beteiligt ist, kann die Musik der Gruppe im Film beliebig verwendet werden. Rolling Stone: „Details zur Handlung wurden noch nicht bekannt gegeben. Wahrscheinlich ist, dass der Film vor allem die Gründung der Gruppe 1965 und die Entstehung des 1967 erschienen Debütalbums porträtieren wird.“
Was Film & Musik betrifft, kann man sich auf Martin Scorsese verlassen.
Das Sujet liegt in olympischen Sphären. Neben Grateful Dead trifft man dort wohl nur noch Zappa und Jimi Hendrix. Selbst die Rolling Stones, die Beatles und The Who erreichen nicht diese Höhe.

P.S.:
„What you read in the Rolling Stone has really come to be.“ (Jefferson Airplane).
„Wir spielen nicht wegen des Geldes und nicht für den Ruhm, sondern aus anderen Gründen. Wir wissen genau, welche. Aber wir haben keine Bezeichnung dafür.“ (Jerry Garcia).

Plastic People

Das war abzusehen, da hätte man Gift drauf nehmen können, darauf hätte man wetten können. Die „Wohlfühl-Empörer“, die „besorgten Bürger“, die wachsamen Nachbarn, die Aufpasser, die Emanzen und die ihnen hörigen Musterknaben, die Amokläufer der Moral, die Heuchler sind immer bereit, Entrüstung abzuliefern – und von ihren Mitmenschen Mit-Entrüstung einzufordern. Beim Verteufeln des Eros müssen und wollen sie alle (und sollen wir) nicht abseits stehen.
Denen werde ich nicht den kleinen Finger reichen. Tun Sie es auch nicht.

Die Reklame der Netto-Supermarktkette ist von einer geradezu rührenden Harmlosigkeit. Die könnte man, wenn es ein Film wäre, doch ab 6 Jahre freigeben. Aber alles, was irgendwie an Sex erinnert, führt zu reflexhaften Abwehr-Reaktionen. Alles, was irgendwie an Sex erinnert, ist „sexistisch“. Unterschiede werden nicht gemacht; jedes Maß für Verhältnismäßigkeit geht verloren.

Plastic People – oh Baby now you‘re such a Drag.

Kennt noch jemand Rolf-Ulrich Kaiser?

Der Mann hat mich fasziniert, ich habe ihn geradezu bewundert (als ich so etwa 20 Jahre alt war). Er war Journalist, Artikel von ihm erschienen in vielen Zeitungen, in Tageszeitungen, aber auch in progressiven Blättern wie Konkret oder Song. Er schrieb über genau die Themen, die mich sehr interessierten – das Schnittfeld von emanzipatorischer Politik und progressiver Kunst (hauptsächlich Musik). Man suchte nach einem Begriff und kam auf „Underground“.
Kaiser kannte sich aus. Er kannte auch viele Leute. In den USA klapperte er die wichtigen Leute ab, z.B. Zappa, Kupferberg, Sanders, Leary. Der Informationen waren solide. Die Themen waren Neuland. Er brachte den US-Underground mit hiesigen Underground-Tendenzen in Verbindung. Er schrieb auch einige Bücher, die in verschiedenen Verlagen erschienen.
Zum Beispiel:
Das Song-Buch. (1967),
Protestfibel. Formen einer neuen Kultur. (Scherz 1968),
Zapzapzappa – das buch der mothers of invention. (Kinder der Geburtstagspresse 1968)
Fuck the Fugs – das buch der fugs. (Kinder der Geburtstagspresse 1969),
Underground? Pop? Nein! Gegenkultur! Eine Buchcollage. (Kiepenheuer und Witsch 1969),
Fabrikbewohner. Protokoll einer Kommune und 23 Trips. (Droste 1970).

Beitrag von Rolf-Ulrich Kaiser in Konkret 11/1968, daneben ein Inserat von Melzer.

Die Verbindungen in alle Richtungen machten den großen Wurf möglich: Die Internationalen Essener Songtage 1968. Das Programm war so weit wie nie wieder: Von Zappa bis Hanns-Dieter Hüsch, von Tangerine Dream bis Süverkrüp. von Alexis Korner bis Erich Fried.
Ein Jahr später gründete Kaiser das Musik-Label „Ohr“ für die Alben von Floh de Cologne, Tangerine Dream, Ash Ra Tempel, Klaus Schulze, Guru Guru, Amon Düül, Embryo, Witthüser & Westrupp, Birth Control u.a.

Das Programmheft der Essener Songtage (224 Seiten) ist eine antiquarische Rarität.

Am spannendsten fand ich sein Projekt „Kinder der Geburtstagspresse“, eine völlig neuartige Kombination von Verlag und Versandhandel. Es galt damals in der Branche noch die strikte Trennung von Verlag und verbreitendem Buchhandel (der Börsenverein wachte darüber). Da aber wurden Eigenproduktionen angeboten sowie Kaisers Bücher, die in verschiedenen Verlagen verstreut erschienen waren, und noch so’n paar Sachen, Schallplatten, Poster – und ein paar US-amerikanische Undergroundzeitschriften.
Sowas in der Art schwebte mir mit meiner Situationspresse auch vor: Im Versand und auf Büchertischen ein Programm aus den Eigenproduktionen und dazu ein übersichtliches Angebot sehr genau ausgewählter Titel. (Daß daraus dann doch eine veritable Buchhandlung wurde – was will man machen?).

Das von Lothar Franke entworfene Cover der Bröselmaschine-LP. Als CD heute noch in der Buchhandlung Weltbühne erhältlich.

Ins Blickfeld des Plattengurus geriet bald auch die Bröselmaschine. Im Jahre 1972 erschien eine LP. Ich kann vorweg sagen, daß die Band froh sein konnte, aus der Verbindung mit Kaiser unbeschadet wieder rauszukommen.
Ich war wohl das einzige Bandmitglied, das den langen Plattenvertrag genau durchgelesen hat. Schön war das nicht. Am harmlosesten war ja noch, daß Kaiser sich das Recht sicherte, einzelne Musikstücke ungefragt und unhonoriert für Sampler oder Single-Auskoppelungen zu benutzen. Schlimmer war die Zusage, für die LPs zu werben, was zu fragwürdigen und unzutreffenden Presse-Promotions führte. Man sollte uns für romantisch-weltentrückte Landpomeranzen halten. Die der Band zugesicherten Tantiemen pro verkaufter Platte war sehr gering. Geld kam stattdessen rein durch den eigenen Verkauf der Platte bei Konzerten. Aber das lief über meine Rechnung. Sicherlich habe ich an der Platte mehr verdient als die anderen Bandmitglieder zusammen.
Der Klops aber war, daß unsere LP gar nicht unter dem renommierten Label „Ohr“ erschien, sondern da wurde ein zweites Label gegründet namens „Pilz“, von dem natürlich noch keiner was gehört haben konnte.
Später gründete Kaiser noch ein drittes Label: „Kosmische Kuriere“, wo elektronisch/psychedelische Musik von Ash Ra Tempel, Tangerine Dream u.ä. veröffentlicht wurde. Da war Kaiser schon total auf dem ultrakosmischen Törn. Er hätte sich lieber öfter mit dem Drogengegner Zappa als mit dem Drogen-Scharlatan Leary unterhalten sollen. Für Kaiser war der Trip schließlich wichtiger als das Geschäft, weshalb sich die meisten Musiker verärgert von ihm abwandten. Er zog sich schließlich völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Nur als „seine“ Alben später auf CD neu erschienen, tauchte er noch mal kurz auf, hatte aber an den Werken die Rechte längst verloren.

Das legendäre Foto der Band von Eckart Gräfen (1972). Unten rechts neben Jenny: ich. Man war früher sparsam mit Material und hat ein Fotopapier für mehrere Bilder genommen.

Daß der Mann Pionierarbeit geleistet hat und es durchaus verdient, mit Leuten wie Werner Pieper und Josef Wintjes in einem Satz erwähnt zu werden, will ichg gar nicht bestreiten.

Bei meiner ersten Begegnung (in der alten Kommune-Wohnung auf der Friedenstraße) sprachen wir kurz darüber, welche die beste deutschsprachige Undergroundzeitschrift ist. Ich meinte: Hotcha!. Er meinte: Love. Da merkte ich schon, daß er in die esoterische Richtung geriet.
Später fiel mir sein unduldsamer, anherrschender Ton mit den Musikern auf. Aber immerhin überließ er mir einen beträchtlichen Stapel unverkaufter US-Undergroundzeitschriften, die ich bei Konzerten verkaufte, um etwas voranzubringen, was etwas Ähnliches wie die „Kinder der Geburtstagspresse“ werden sollte.

Es soll ihn noch geben. Darum darf er heute, am 18. Juni 2018, irgendwo seinen 75. Geburtstag feiern.

(Siehe auch: „Wie kommt der Broder in meine Zeitung?“).

Wir waren auf der Dritten Libertären Medienmesse

Und da wir auch schon vor zwei Jahren bei der zweiten Messe (damals: Bochum) dabeiwaren, hatten wir allen Grund zur Vorfreude.

Limesse-2014-01Diesmal fand die Messe in der Zeche Carl in Essen-Altenessen statt.

Limesse-2014-02Alles Positive, was ich von der zweiten Messe vor zwei Jahren berichtet habe, könnte ich wörtlich wiederholen: Es gab keine Nervosität, keine Hektik und keine Pannen. Das Publikum war auch sehr angenehm. Überhaupt lag Freundlichkeit in der Luft. Eine von A bis Z erfreuliche Veranstaltung. Man muß sich mal vorstellen: Drei Tage lang lauter linke Leute – und kein Zoff! Keinerlei Berührungsängste, kein kleinlicher Fraktionismus, keine Verkündung der „Reinen Lehre“, keinerlei eitle Selbstdarstellung und Besserwisserei. Stattdessen: Unaufgeregtheit, Kollegialität der Aussteller, Interesse des Publikums. Hier hat sich die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß Verschiedenheit unsere Stärke und gut zu ertragen ist.
Das Organisationsteam lasse ich hochleben! Vom großen Wurf bis zum kleinsten Detail alles gelungen!

Limesse-2014-03Voriges Mal hatten wir den letzten Stand ganz hinten, diesmal den ersten ganz vorn, direkt am Einhang.

Limesse-2014-04Als ich was erzählte, wurde ich fotografiert.

Limesse-2014-05Und beachten Sie auch unsere gewagten Obszönitäten („It’s not only physical“).

Limesse-2014-06Limesse-2014-07Ab und zu muß man dann an die frische Luft gehen und sich bewegen. Da hinten ist ein Park, der aus Gestrüpp und wildwuchernden Gräsern besteht.

Limesse-2014-08Wenn man durch diese Tür hindurchgeht, kommt man in ein schönes Restaurant.

Limesse-2014-09Blick nach oben.

Limesse-2014-10

Limesse-2014-11-var„Im kleinen Saal beginnt jetzt die Lesung von Helmut Loeven aus dem philosophischen Kabarett“, scheint sie zu sagen. Und das hat sie auch gesagt.
Die Frau mit dem Megaphon habe ich sehr bewundert.

Limesse-2014-12Und so sieht das aus, wenn ich vorlese. Viel Publikum, viele darunter wohl vierzig Jahre jünger als ich.

Limesse-2014-13Zucker-Akkumulation an einem kaffeereichen Wochenende.

 

Warum mit mir nicht zu rechnen ist, wenn zu den Waffen gerufen wird

Bei der Lesung am 17. Dezember in der Spinatwachtel habe ich diesen Text vorgelesen:
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„Statt zu klagen, daß wir nicht alles haben, was wir wollen, sollten wir lieber dafür dankbar sein, daß wir nicht alles bekommen, was wir verdienen.“
Dieter Hildebrandt

Was ich 1967 in die Begründung meines Antrags auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen hineingeschrieben habe, weiß ich nicht mehr.
Wäre ich gezwungen, meine Entscheidung, den Dienst in der Bundeswehr zu verweigern, noch einmal zu begründen, würde ich auf folgende Zeitungsmeldung verweisen:
„Schwarzer Postbote in Thüringer Dorf schikaniert. Wegen seiner schwarzen Hautfarbe mußte die Post einen Briefträger in Vachdorf im Süden Thüringens versetzen. Bewohner des 800-Einwohner-Dorfes hatten den Afrikaner immer wieder bei seiner Arbeit behindert; u.a. schickten sie ihn wissentlich in falsche Richtungen, wenn er nach dem Weg fragte. Anschließend beschwerten sich die Bürger über den Boten. Daraufhin versetzte die Post den Mann aus Mosambik mit dessen Zustimmung zum Fahrdienst. Der Mann werde bei der Post als zuverlässige und gute Arbeitskraft geschätzt, betonte eine Sprecherin.“
Daß der gute Mann den Wunsch hatte, in diesem Loch nicht mehr Dienst zu tun und für diesen Abschaum der Menschheit keine Post mehr auszutragen, ist nur zu gut zu verstehen. Daß dieses Kaff aber nicht zur Strafe in Dreckdorf umbenannt und für drei Monate vom Postverkehr ausgeschlossen wird bei anschließender Verdoppelung des Portos, ist mir unbegreiflich.
Das Dorf liegt im Süden Thüringens, befand sich also 40 Jahre lang außerhalb des Geltungsbereichs jener Freiheit, die die Soldaten der Bundeswehr unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen haben. In dem Unrechtsstaat DDR waren die Bewohner dieses Dorfes 40 Jahre lang gezwungen, auf die Völkerfreundschaft Eide zu schwören; und die Stasi kam gucken, ob die auch wirklich schwören. Das haben die dann auch getan und dabei mit den Zähnen geknirscht. Aber ungebrochen blieb ihre Hoffnung, eines Tages der Freundschaft der Völker abzuschwören und endlich zu ihrem nationalen Wesen zurückzukehren, welches seinen höchsten Ausdruck darin findet, daß sie jemanden, der nach dem Weg fragt, absichtlich in die Irre führen.
Was muß daran verteidigt werden? Müßte nicht in jedem vernünftigen Menschen die Sehnsucht wachsen, daß dieses Dorf mitsamt dem Pack, das darin haust, ugandischen, birmanischen oder peruanischen Truppen in die Hände fällt?
Jahrzehntelang wurde uns in besorgtem Ton vorgehalten, unsere Bundesrepublik mitsamt ihrer Freiheit (Wege falsch zu beschreiben) sei von bösen Feinden bedroht, die nur darauf warten, hier einzumarschieren und uns unter ihre Herrschaft zu zwingen.
Diese deutsche Nation, die zwei Weltkriege vom Zaun brach und Millionen Menschenleben vernichtete, diese deutsche Nation, die die größte Gefahr darstellt, die die Menschheit je gekannt hat, entblödet sich nicht, sich selbst als Opfer einer Gefahr darzustellen. Diese Nation, der ich zutraue, daß sie zu einem dritten Weltkrieg bereit sein könnte und abermals Millionen Menschen vernichten würde, weil sie von dem Drang besessen ist, die Welt unter ihre Leidkultur zu zwingen, sorgt sich ernsthaft, unter fremde Herrschaft gezwungen zu werden. Das allein ist ein Aberwitz.
Aber selbst wenn es stimmen würde, selbst wenn andere Gewehr bei Fuß stehen würden, um über Deutschland ihre Herrschaft zu errichten – wäre das wirklich so schlimm?
Deutschland hat Fremdherrschaft erlebt. Vor 2000 Jahren waren es die Römer. Sie brachten uns die urbane Kultur und die Wasserleitung – und übrigens auch die wunderschöne Hauskatze. Sie bereicherten unsere Sprache mit Wörtern wie Nase, Name, Nummer, Mauer, Fenster und Schrift und führten hier solche Grundsätze ein wie „nulla poena sine lege“ und „dubio pro reo“.
Vor knapp 200 Jahren kam der Kaiser Napoleon mit seinen Franzosen. Sie brachten uns die Müllabfuhr, das Zivilrecht und die universellen Ideen von Freiheit und Gleichheit, auf die die Germanen nie von selbst gekommen wären. Napoleons Vorboten, die Hugenotten, haben den Deutschen doch erst das Essen mit Messer und Gabel gezeigt (was die Deutschen den Franzosen niemals verzeihen werden). So wie die Römer in Germanien die Steinzeit beendeten, beendete Napoleon in Deutschland das Mittelalter, seine Herrschaft hinterließ hier wenigstens den Hauch einer Vorstellung von gutem Essen, gutem Wein und guten Manieren. Die Franzosen haben uns Deutschen doch erst Kultur beigebracht.
Mag sein, daß die, die über dieses Land Fremdherrschaft errichteten oder errichten wollten, dies nicht uneigennützig taten. Aber für uns ist immer etwas Gutes dabei abgefallen. Den Kaffee verdanken wir der Belagerung Wiens durch die Türken.
Gewiß: Die verteidigungsbereiten Herrschaften werden das abtun als Schönfärberei. Fremdherrschaft sei schließlich keine Weihnachtsbescherung. Die Wirklichkeit sähe doch ganz anders aus. Ja, stimmt. Aber hier haben wir das Phänomen, das jeder Psychologe kennt: Von sich auf andere schließen. Wenn je im Zwanzigsten Jahrhundert Fremdherrschaft die Hölle war, dann war es die Herrschaft der Deutschen über andere. Das ist der Alptraum der Deutschen: daß andere mit ihnen umspringen könnten wie sie es mit anderen tun beziehungsweise tun würden wenn sie könnten. Würden – nach dem, was Deutsche der Menschheit im Zwanzigsten Jahrhundert zugefügt haben – andere über dieses Land eine Fremdherrschaft errichten, die die Protagonisten der Vaterlandsverteidigung an die Wand malen: bedauerlich wäre es. Aber ungerecht könnte ich es nicht finden.
Dabei ist es doch noch in frischer Erinnerung, wie segensreich fremde Herrschaft über die Deutschen ist. Man braucht gar nicht auf die Römer, Türken und Napoleon zu verweisen. Wie war es, als die Weltkriegs-Alliierten in unser Land eindrangen? Es war ein Aufatmen! Schluß mit den Verdunkelungen und der Angst im Luftschutzkeller, Schluß mit der Allmacht der Blockwarte und den Einberufungsbefehlen für Kinder! Als Deutsche von deutschen Führern beherrscht wurden, gab es Entbehrung und „Durchhalten“. Als die Amis kamen, gab es Schokolade und Zigaretten.
Meine Tante hat mir, als ich ein Kind war, ihre erste Begegnung mit amerikanischen Soldaten geschildert. Sie saß an einem Tisch, um sie herum die Soldaten. Sie stellten ihr eine Büchse Ananas hin und legten einen Dosenöffner daneben. Sie grinsten und kicherten. Diese naiven, gutmütigen Jungens waren gerührt, als die junge Frau zum ersten Mal in ihrem Leben die unbekannte Frucht genoß, Ananas aus Hawaii.
Nie zuvor wurden Besiegte von den Siegern so human behandelt wie die Deutschen von den Amerikanern. Die Amerikaner hielten die Deutschen für fähig, Demokratie zu lernen.
Kann man sich vorstellen, daß zur Wahrung des Deutschtums das Hören guter Musik mit der Todesstrafe bedroht wurde? Unter fremder Herrschaft konnte man endlich das Radio aufdrehen. Der Badenweiler Marsch und die Sondermeldungs-Fanfare verschwanden. Man hörte „In the Mood“ und „Moonlight Serenade“. Ja, Glenn Miller war auch Militärmusik. Aber selbst darin war etwas von dem kostbarsten Geschenk der Amerikaner an die Welt: Der Blues.
Gewiß: mit der Niederlage, die ein Sieg der Menschlichkeit war, hat das Volk der Deutschen sich nie abgefunden, wie ein Blick in die Chronik der Jahre 1989/90 zeigt, jener Jahre, in denen die Rationalität der Nationalität weichen mußte. Mit der Gewißheit, daß die Niederlage keine endgültige war, ließ es sich gut einrichten. „Wir sind wieder wer“. Die Schinkenspeckgesichter spießbürgerlicher Selbstzufriedenheit kenne ich.
Kindheit im Jahrzehnt nach dem vorläufigen Zusammenbruch ist mir auch noch gut in Erinnerung. Daß Kinder überhaupt Rechte haben, ist eine Idee der jüdisch-bolschewistischen Frankfurter Schule, die die Nation immer noch ganze zwei Jahrzehnte sich vom Leibe zu halten verstand. Man muß sich mal Klassenfotos aus den 50er Jahren angucken: Als hätten sich die Erwachsenen an den Kindern für 1945 rächen wollen. Der Gang zum Friseur war ein Antreten zum Appell. Allein: Es klappte nicht. Die Generation der in der Mitte des Jahrhunderts Geborenen mißriet gründlich. Für sie kam alles Gute aus der Fremde: Von Donald Duck bis zu den Beatles, wehrkraftzersetzende Blue Jeans, und undeutsche Helden wie James Dean: Helden, die nicht trotzig ihr Kinn der Weltgeschichte entgegenreckten, sondern sich voller Melancholie herumdrückten. James Dean führte nicht vor, wie man siegt, sondern wie ein Loser seine Würde zu wahren versucht.
Das größte Werk der mißratenen Generation war der Massenimport volksfremder Kultur: Gangsterfilme, Comic-Strips, Urwaldmusik. Man vergleiche Hemingway mit Hans Habe, Erica Jong mit Hera Lind, Grateful Dead mit den Fischerchören, Zappa mit Heino, Groucho Marx mit Mario Barth, Columbo mit Derrick, Jeanne Moreau mit Ruth Leuwerik, Madonna mit Nina Hagen, die Französin Romy Schneider mit der Deutschen Marika Rökk, „Casablanca“ mit „Briefträger Müller“, Gershwin mit Wagner!
Ist also etwas dran, daß die sogenannten „68er“ diese Gesellschaft „gründlich zivilisiert“ haben? Komisch klingt dieses Zitat der Antje Vollmer vor allem deshalb, weil sie es just in dem Moment in die Welt setzte, als die arrivierten Teile der „68er“-Kultur sich der Wende zum Guten Deutschen anschlossen. Doch in der Tat hatte die deutsche Linke ihre vergleichsweise beste Phase, als sie – als veritabler Bürgerschreck – mit dem deutschen Gemüt ihren Schabernack trieb. Kritische Vernunft und Humanität können sich in dieser Gesellschaft nur entfalten, wenn sie sich am Nationalempfinden funkensprühend reiben. Sonst kommt nix dabei raus.
Daß die Leichtigkeit des Seins unerträglich wäre, ist eine Schnapsidee, die man eigentlich von einem deutschen Idealistenkopp erwartet hätte. Diese Leute basteln ja immer noch an dem Vorurteil, daß Kultur etwas Wichtigeres sei als Zivilisation. Dabei ist es gerade der Unernst, der hierorts gern als „Oberflächlichkeit“ mißverstanden wird, mit dem das Leben sich erleichtern läßt, jawohl: erleichtern. Klüger, als Schwierigkeiten zu trotzen, ist, sie überhaupt zu vermeiden. Bequeme Sitze in der Straßenbahn sind für das allgemeine Wohlergehen wichtiger als das tiefgründelnde Grübeln über die Frage, warum wir über den Sinn des Lebens nachdenken.
Abwehr gegen Fremdherrschaft war immer Abwehr gegen Versuche, die Germanen zu zivilisieren. Die anderen führten mit den Deutschen immer Besseres im Schilde als die Deutschen mit sich selbst.

kaffeemannAus „Streiten Sie nicht mit einem Deutschen, wenn Sie müde sind“.

Zappa & Hartmann

Der Betreiber der nicht kommerzielle Fanpage www.vivavincent.de ist auf den Beitrag „Win A M.O.I. Dreamdate“ von Walter Hartmann in DER METZGER 24 (1975) gestoßen.
Walter Hartmann begleitete Frank Zappa auf seiner Deutschlandtournee und schrieb für den METZGER einen ausführlichen Bericht. Walter Hartmann ist seltener als Schreiber, häufiger als Gestalter tätig geworden. Zum Beispiel gestaltete er Buch-Einbände (Maro-Verlag), und der legendären Zeitschrift Gasolin 23, die er mit Jürgen Ploog herausgab, gab er ein Gesicht. Da lag es also nahe, daß er für seine METZGER-Reportage nicht nur den Text ablieferte, sondern auch das Layout.
Der Bericht in DER METZGER Nr. 24 gehört sicherlich zu den Highlights in der 45jährigen METZGER-Geschichte. Er kann auf der Homepage im Faksimile gelesen werden.
HartmannZappaSeite1HartmannZappaSeite6Wer lieber vom Papier liest, kann das Heft bestellen. es ist, wie alle METZGER-Ausgaben ab Nr. 18, noch erhältlich.

Wie kommt der Broder in meine Zeitung?

Von dem Henryk M. Broder habe ich mal viel gehalten, weil der sich – so könnte man sagen – auf der Schnittfläche zwischen Politik und Subkultur betätigte. Zum Beispiel war er einer von denen, die die Internationalen Essener Song Tage (1968) organisiert hatten. Das war ein Festival, auf dem – von Zappa bis Degenhardt – der ganze Radius einer progressiven Kultur dargestellt war.
Eines Tages, 1971 war es, kam der Broder zur Goldstraße, weil er für das Dritte Fernsehprogramm des WDR einen Filmbericht über die Bröselmaschine machen wollte. Als der zur Tür reinkam, lag ich noch im Bett.
Ich hab mich an dem Tag etwa eine Stunde lang mit ihm unterhalten. Bei der Gelegenheit bat ich ihn um einen Beitrag für meine Zeitung, und diese Bitte hat er mir erfüllt. Ich dachte mir: Das wertet meine Zeitung auf.
Später dann sind wir in Richtung Bahnhof gegangen. Unterwegs haben wir uns verabschiedet, weil ich ein anderes Ziel hatte. Zum Abschied hob er die Faust – ein schon zu der Zeit in der kommunistischen Bewegung aus der Mode gekommenes Gruß-Ritual. Ich fand das albern, und er merkte, daß ich das albern fand.
Ein paar Wochen später wurde der Filmbericht im Fernsehen gesendet. Ich war entsetzt. Broder kommentierte, die Bröselmaschine habe so eine Art Teufelspakt mit dem Chemiekonzern Badische Anilin und Soda Fabriken geschlossen. Hintergrund: Wir hatten einen Plattenvertrag mit Rolf Ulrich Kaisers Ohr-Records. Das war die beste Adresse für progressive Musik in Deutschland (Xhol, Guru Guru etc. pp). Der Vertrieb lief über Metronom, und diese Vertriebsfirma gehörte wohl zu BASF. Broder konstruierte daraus, wir wären zu Kapitalistenknechten geworden, und überhaupt wäre die ganze Underground-Kultur nichts anderes als Geschäftemacherei von Konzernen. Broders Fazit: Jeder Protest gegen den Kapitalismus trägt zur Stabilisierung des Kapitalismus bei. Er ist später dann den Weg gegangen, den die Leute gingen, die damals so geredet hatten. Das konnte man damals schon erahnen. Nur ist er auf diesem Weg nach rechts noch weiter gegangen als andere.
Mein Kontakt mit Broder blieb aber noch einige Zeit bestehen. Es wurde korrespondiert (er verschickte immer Postkarten), und wir haben noch zwei- oder dreimal am Telefon miteinander gesprochen.
Ich hatte wohl irgendwie anklingen lassen, daß wir mit unserem Plattenproduzenten Rolf Ulrich Kaiser nicht so ganz und gar zufrieden waren und daß Witthüser und Westrupp sich den Kopf darüber zerbrachen, wie sie aus dem Vertrag mit Kaiser rauskommen könnten. Broder witterte eine Story. Ich sollte ihm alles erzählen, was Walter Westrupp Negatives über Kaiser gesagt hatte. Das gefiel mir gar nicht. Mir wollte gar nicht wohl dabei sein, den Inhalt eines Gesprächs unter Kollegen an einen storygeilen Journalisten weiterzutratschen. Ich wollte keine Rolle dabei spielen, wenn Mißhelligkeiten durch einen Pressebericht darüber zum Zerwürfnis werden. Broder hatte Kaiser bei den Essener Songtagen noch assistiert, und jetzt war er gierig darauf, ihn in die Pfanne zu hauen. Dafür ihn mit Stoff zu versorgen fiel mir nicht ein.
Broders öffentliches Wirken fand ich mit der Zeit immer geschmackloser. Er gefiel sich in der Rolle des Weiterlesen