Ein Mann ein Wort

Fußball, Saisoneröffnung: Erste Hauptrunde des DFB-Pokals. Eines der 32 Spiele: Hallescher FC gegen Spielvereinigung Fürth. Das Spiel endete 0:1.
In der Pressekonferenz nach dem Spiel brachte der Trainer der Fürther Mannschaft, Alexander Zorniger, einen rassistischen Vorfall zur Sprache.
Der dunkelhäutige Spieler Julian Green, aus den USA stammend, wurde während des Spiels von einem Zuschauer mehrmals beleidigt.
„Das Stadion war zu 95 Prozent ausgelastet, es waren genug Leute da, die hätten eingreifen können,“ bemerkte Alexander Zorniger in der Pressekonferenz. Er appellierte an die Zivilcourage eines jeden, es gehe darum, „dass wir Charakter zeigen“.
Der Trainer weiter:
„Ich will es nicht glauben, dass in unserem Land tatsächlich immer noch jemand denkt, er sei mehr wert als ein anderer, […] so etwas gehört sich nicht. Wir sind ein tolles Land – und dementsprechend müssen wir uns auch präsentieren. Wenn wir das nicht machen, dann bekommt das braune Gesockse, das auch noch im Bundestag sitzt, immer mehr Oberwasser. Das darf nicht passieren.“
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Sie schämen sich nicht. Antifaschismus als Feindbild. Die neue Harzburger Front entfesselt Hetzkampagne.

Politiker von CDU/CSU und AfD (!) haben Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) angegriffen, weil sie vor einem halben Jahr einen Beitrag in der Zeitung Antifa der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) veröffentlicht hatte. Einige von ihnen forderten Faesers Rücktritt.
In dem Beitrag schrieb die hessische SPD-Chefin, die damals noch nicht der Bundesregierung angehörte, über ihre Sorgen wegen einer Serie rechtsextremer Drohschreiben. „Der Kampf gegen Faschismus und Rechtsextremismus, gegen Rassismus und völkische Ideologien gehört zur politischen DNA meiner Partei, der SPD.“
Im rechten Spektrum wird moniert, die VVN-BdA werde im Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes als „bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus“ genannt. Im Bericht des Bundesverfassungsschutzes wird die VVN-BdA nicht aufgeführt.
Skandalisiert worden war der Artikel von der Jauchegrube der Neuen Rechten, der Wochenzeitung Junge Freiheit. Wie gewohnt ohne Schamgefühl griff die Bildzeitung den Vorgang auf. Darauf (t)witterte der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer: „Eine Bundesinnenministerin, die noch vor einem halben Jahr einen Gastbeitrag für ein Linksextremisten-Blatt geschrieben hat, hat sich für ihr Amt völlig disqualifiziert.“
Der hessische CDU-Generalsekretär Manfred Pentz schrieb in einer wirren Stellungnahme, Faeser könne nicht für eine Organisation schreiben, „die unsere parlamentarische Demokratie ablehnt und für faschistisch hält“.
Die Reihen fest geschlossen, tönt AfD-Vizechef Stephan Brandner, die Innenministerin stehe „ganz offensichtlich nicht mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes“.
Rückendeckung erhielt Faeser aus den Reihen von SPD, Grünen, FDP und Linken. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil twitterte: „Gut, dass wir jetzt eine Innenministerin haben, die den Kampf gegen rechts ernst nimmt.“
Faeser selbst kommentierte: „Die von der ,Jungen Freiheit’, der AfD und anschließend der ,Bild’-Zeitung und CDU-Abgeordneten erhobenen Vorwürfe sind durchschaubar. Ich habe immer klare Kante gegen Rechtsextremismus und alle Feinde der offenen Gesellschaft gezeigt – und werde das auch weiterhin tun.“
In der Frankfurter Rundschau kommentierte Pitt von Bebenburg:
„Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat einen treffenden Artikel darüber geschrieben, wie wichtig der Kampf gegen rechtes Gedankengut, rechte Drohungen und rechte Gewalt ist. Die Kampagne, die mehrere Monate nach dem Erscheinen von der publizistischen und politischen Rechten gegen diese Veröffentlichung inszeniert wird, belegt, wie wichtig eine solche Warnung ist.
Da finden sich ungeniert etliche Leute von CDU und CSU auf der Seite eines extrem rechten Blatts, der größten Boulevardzeitung und der AfD wieder. Sie regen sich auf und fordern teilweise Faesers Rücktritt, weil sie ihren Text für eine antifaschistische Publikation geschrieben hat.
Nancy Faeser: Union im Einklang mit der AfD.
Die aktuelle Kampagne zeigt, wie schwer sich die Union mit der Oppositionsrolle tut und welche Gratwanderung damit verbunden ist. Sie findet sich plötzlich im Einklang mit der AfD und mit einem rechten gesellschaftlichen Umfeld wieder. Hans-Georg Maaßen, der ganz nach rechts abgedriftete Ex-Verfassungsschutzpräsident, lässt grüßen.
Offenkundig ist vielen in der Union jeder Anlass recht, um die Tätigkeit der Ampel-Regierung zu skandalisieren. Die Besonnenen in CDU und CSU müssen aufpassen, dass sie dabei nicht auf eine ganz schiefe Bahn nach rechts geraten.“
Als absurd und gefährlich bezeichnete die Ko-Vorsitzende der Partei Die Linke, Janine Wissler, die Kampagne: „Die VVN-BdA war und ist eine wichtige Stimme gegen das Vergessen, für Erinnerungsarbeit, gegen alte und neue Nazis. Viele Verfolgte des Naziterrors waren dort engagiert und Mitglied, wie die kürzlich verstorbene Esther Bejarano“.
Auf ein paar Hintergründe wird auf telepolis aufmerksam gemacht:
„Faeser war jahrelang Obfrau im Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags zur Mord- und Anschlagsserie des ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘ (NSU). Dort musste sie Verfassungsschutzmitarbeitern, die möglicherweise mit den Mördern auf Tuchfühlung waren, ständig unangenehme Fragen stellen. Auf deren Gefühlswelt Rücksicht zu nehmen, wäre nicht im Interesse der Aufklärung gewesen. Dass sie von Geheimdienstlern, die tief in den NSU-Skandal verstrickt waren und bis heute mauern, nicht geliebt wird, dürfte ihr klar sein.“
Die VVN-BdA verurteile die Kampagne gegen Faeser als „Versuch, diejenigen einzuschüchtern, die sich gegen rechte Bedrohungen, Faschismus und Rassismus aussprechen. Dieses Ansinnen geht nach hinten los: Über das Wochenende habe es bereits 176 Neueintritte in die VVN-BdA gegeben und stündlich würden es mehr“, erklärte Pressereferentin Hannah Geiger.

DRINGENDER APPELL:
Informiert Euch über die VVN-BdA.
Unterstützt die VVN-BdA.

Hundert Jahre Ulysses

Am 2. Februar vor hundert Jahren, am 2. Februar 1922, feierte James Joyce seinen 40. Geburtstag. Und an diesem Tag, vor hundert Jahren, erschien sein Roman Ulysses. Möglich wurde das, weil die junge Pariser Buchhändlerin Sylvia Beach das von mehreren Verlagen abgelehnte Werk verlegte.
Der Roman beschreibt einen Tag im Leben des Anzeigenwerbers Leopold Bloom, und zwar den 16. Juni 1904 in Dublin. Jedes Jahr wird in Dublin der 16. Juni als Bloom’s Day gefeiert. James Joyce ging ein in die Liste der berühmtesten Schriftsteller, die nicht den Nobelpreis erhielten.
„Ulysses“ muß der im Sinn gehabt haben, der mir, dem jungen Mann, der Schriftsteller werden wollte, lapidar riet: Geh einmal um den Häuserblock, da ist genug Stoff vorhanden für einen Tausend-Seiten-Roman.
Ulysses gehört zu den Romanen, die als unverfilmbar galten und verfilmt wurden (1967 von Joseph Strick, mit Milo O’Shea in der Hauptrolle).
Ulysses gehört zu den Romanen, die als unübersetzbar galten. Die (Neu-)Übersetzung von Hans Wollschläger von 1975 gilt zurecht als kongenial.
Der Suhrkamp-Verlag hat eine Jubiläums-Ausgabe herausgebracht in der Reihe Suhrkamp Taschenbücher, 1000 Seiten für 18 Euro.

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Es wird erklärt (in Wikipedia): „Joyce schildert nicht nur die äußeren Geschehnisse, sondern auch die Gedanken seiner Protagonisten mit allen ihren Assoziationen, Erinnerungsfetzen und Vorstellungen. Die Sprache wird dabei ungeordnet und bruchstückhaft verwendet, ‚wie es der Person gerade durch den Kopf geht‘. Dieses von Verfassern wie Arthur Schnitzler bekannte Stilelement, der sogenannte Bewusstseinsstrom, wird hier erstmals zentrales Gestaltungselement eines Romans.“
In der Zeit, in der dieser Roman entstand, am 7. November 1917, hielt Max Weber einen Vortrag zum Thema „Wissenschaft als Beruf“. Er sprach von der „Entzauberung der Welt“. Es gebe „keine geheimnisvollen, unberechenbaren Mächte“ mehr. Man sei vielmehr so weit, alle Dinge durch Berechnen beherrschen zu können.
Dazu kommentiert Arno Widmann in der Frankfurter Rundschau: „Der Ulysses ist kein werk der Aufklärung, kein Beitrag zur Ent-, sondern zur Verzauberung der Welt.“ James Joyce selbst: „Ich habe so viel Rätsel und Geheimnisse hineingesteckt, daß es die Professoren Jahrhunderte lang in Streit darüber halten wird, was ich wohl gemeint habe.“
Zur gleichen Zeit hat ein Wiener Professor in die tiefsten Abgründe des Unbewußten hineingeleuchtet, die größten Rätsel der Gedankenfetzen und der rätselhaften Assoziationen gelöst und die Träume wissenschaftlich gedeutet.
Und jetzt: Übersetzen Sie mal den Namen Joyce ins Deutsche.

Jutta Ditfurth – Glückwunsch zum Siebzigsten!

Foto (C) Wikimedia Commons

Wie sähe diese Gesellschaft aus, wenn es die Arbeiter:innenbewegung, die Frauenbewegung, die außerparlamentarische Opposition und die Ökologiebewegung nicht gegeben hätte? Mit anderen gemeinsam habe ich die Anti-AKW-Bewegung der 70er Jahre aufgebaut. Anfangs war die Mehrheit der Bevölkerung einschließlich der Linken für Atomenergie. Unter der CDU/FDP-Regierung 1965 waren 128 Atomkraftwerke geplant. In den 1970ern unter SPD/FDP dann allen Ernstes 598 Atomreaktoren bis 2050. Am Ende wurden es weniger als 30, jeder einer zu viel. Mit aufklärerischen Aktionen und militanten Kämpfen in Wyhl, Brokdorf, Grohnde und Gorleben, die die ganze Gesellschaft erfassten, haben wir diese Mehrheitsmeinung gebrochen. Bis heute. Und zwar damals ohne einen einzigen Abgeordneten, allein außerparlamentarisch.

Bewegt hat sie sich, vor – und zurück. Kein sozialer Kampf ist in dieser Gesellschaft je endgültig ausgefochten. Wir haben 1975 die Kampagne gegen das Abtreibungsverbot doch nicht gemacht, damit sich in den 1990ern SPD und Grüne in „Kompromissen“ der Ideologie der organisierten Abtreibungsgegner:innen unterwerfen und statt sachlicher Begriffe wie Embryo und Fötus ideologische Begriffe wie „ungeborenes Leben“ im Gesetz verankern! Die „Lebensschützer“ haben damit heute einen Andockpunkt, um Mädchen und Frauen die selbstbestimmte Entscheidung zu erschweren. Nach mehr als 150 Jahren greift der Staat immer noch massiv in das Leben von Frauen ein. Vergleichbares gegen Männer ist unvorstellbar.

Es ist ein Irrtum naiver Klimaschützer:innen, dass Politik und Eliten über das Klima „aufgeklärt“ werden müssen. Die Klügeren wissen alles, aber sie haben andere Interessen als wir. Ökologische Bewegungen müssen sich auch mit der Kritik der kapitalistischen Ökonomie befassen, sonst verstehen sie nicht, in welcher Welt wir leben.

Wenn Annalena Baerbock sexistisch attackiert wird, verteidige ich sie. Aber ihre Kapitalismusgläubigkeit und Nato-Treue kritisiere ich.

Zitate aus: Interview in der Frankfurter Rundschau 27.9.2021.

„Revolutionen kommen nicht immer wie gerufen“

Es kam einmal eine junge Frau in den Laden, stellte sich vor mich hin, holte tief Luft und sagte: „Ich bin ein französisches Mädchen. Ich möchte ein Buch um lernen zu kennen deutsche Menschen.“
Auf solche Wünsche bin ich vorbereitet und empfehle dann:
Kästners „Fabian“,
Heinrich Böll „Ansichten eines Clowns“,
oder, wie in diesem Fall, Heinrich Mann „Der Untertan“.
Das sind drei Bücher (nicht die einzigen ihrer Art), die die deutsche Misere darstellen, letzteres, wie für diesen Anlaß geschrieben, erschien, als das deutsche Kaiserreich zusammenkrachte, und es führt vor Augen, was danach unausrottbar als Grundton deutscher Mentalität erhalten blieb.
Der 150. Geburtstag von Heinrich Mann (gestern) wurde im Feuilleton wenig beachtet. Er „steht im Schatten“ seines Bruders Thomas Mann. Reich-Ranicki äußerte wenig Lob über Heinrich Mann. Ich finde aber, ohne Thomas Mann abwerten zu wollen: Heinrich Mann hat uns Wichtigeres zu sagen.
In der Frankfurter Rundschau erschien am Samstag ein längerer Artikel von Wilhelm von Sternburg „Zum 150. Geburtstag des Schriftstellers und weitsichtigen Humanisten Heinrich Mann“ mit der Überschrift „Wir wollen an die Zunahme der Menschlichkeit glauben“.

P.S.: Reich-Ranicki befand, das beste an dem Roman „Der Untertan“ sei seine Verfilmung.
Das beste an dieser Rezension ist, daß man sie als Empfehlung eines Films von Wolfgang Staudte verstehen kann.