Wissen Sie, was morgen für ein Tag ist?

Morgen ist der 1. Juli 2015, der 25. Jahrestag der „Währungsunion“.
Ein Nachbarland wurde einverleibt (vulgo: annektiert), die westdeutsche Währung wurde dort eingeführt, als ob das mal so einfach ginge. Folge war, daß eine Volkswirtschaft zusammenbrach.
Der wirtschafts- und währungspolitischen Entscheidung lag keine nüchterne Kalkulation zugrunde, ökonomischer Sachverstand spielte keine Rolle. Umso mehr der Kalte Krieg. Ideologische Verblendung und marktwirtschaftlicher Heilsglauben tobten sich aus. Darum führte die Entscheidung in die Katastrophe. Gucken Sie sich diese „blühenden Landschaften“ doch mal an.

Dieselben Scharlatane, die auf Verluste keine Rücksicht nehmen, sind jetzt damit beschäftigt, „Griechenland zu retten“.
Vor einem Jahr wurden die Renten halbiert, weil die Verkünder der Marktwirtschaft meinten, die Renten wären zu hoch. Letzte Tage in einer dieser TV-Talkshows sagte der Wirtschaftsguru Sinn: in Griechenland sind die Renten zu hoch.
Denen fällt nichts Neues ein. Die Renten sind zu hoch, nicht nur in Griechenland, und nicht nur die Renten, sondern vor allem die Löhne.
Folgt man den Wirtschafts-Pappnasen, dann kommt die riesige Staatsverschuldung daher, daß die einfachen Leute „über ihre Verhältnisse gelebt haben“. Staatsschulden im Kapitalismus sind systembedingt, und wer etwas anderes behauptet, ist ein Idiot.
Und genau das ist der Punkt: Wir haben es mit Vollidioten zu tun.
Wer predigt, die Programme, die jahraus jahrein das Elend nur vergrößert haben, müßten unbedingt fortgesetzt werden, der ist verrückt – wie der Brüsseler ARD-Korrespondent Krause, der sie nicht mehr alle auf dem Kastenmänneken hat.
Wie sieht es eigentlich mit der Staatsverschuldung in Deutschland aus?
Die EU-Wirtschaftspolitiker samt ihren pseudowissenschaftlichen Zuträgern wollen Griechenland nicht „retten“, sondern ihre marktwirtschaftlichen Wahnvorstellungen ausbreiten.
Die Sparpolitik wird die Schulden nicht senken. Die Sparpolitik soll die Schulden nicht senken, sondern die Renten.
Die Anti-Griechenland-Politik läßt erkennen, was den Politikern, die unser Land regieren, zuzutrauen ist.
Und die griechische Regierung? Die tut einfach nicht, was „wir“ ihr befehlen. Wo „wir“ es doch nur gut mit ihnen meinen.
Auch die Anti-Griechenland-Politik der EU hat was mit Kaltem Krieg zu tun. Warten Sie mal ab, wenn in Athen die Konservativen an der Regierung sind, wie dann die Geldquellen wieder sprudeln; und dem Schäuble, dieser schwarzen Null, kann es dann gar nicht schnell genug gehen, seinen griechischen Parteifreunden das Geld überall hineinzuschieben.
Lesen Sie das und das.
Und lesen Sie auch das.

Wissen Sie, was heute für ein Tag ist? Heute ist der Tag meines Rentenbescheids.

Wirklicher Bruch

Eine Erklärung der KKE (Kommunistische Partei Griechenlands) wurde mir zugesandt.
Ich weiß ja nicht, was Sie davon halten. Ich weiß ja noch nicht einmal, was ich davon halte:

MITTEILUNG DES POLITBÜROS DES ZK DER KKE
Athen, 23. Juni 2015
Nein zu der neuen Vereinbarung!
Schluss mit den Erpressungen und den Täuschungsmanövern der Regierungen und der Gläubiger!
Bruch mit der EU, mit dem Kapital und ihrer Herrschaft!
Die nach dem Gipfeltreffen sich abzeichnende Vereinbarung der Regierung mit den Gläubigern führt zu neuen Maßnahmen, die für Werktätige und Rentner, für die Menschen aus den Volksschichten vernichtende Auswirkungen haben werden. Diese Maßnahmen kommen zu den der vergangenen Regierungen hinzu, die die SYRIZA-ANEL-Koalitionsregierung aufrechterhält. Weiterlesen

Neu in der Weltbühne

Wolfgang Kruse (Hg.): Die Französische Revolution. Programmatische Texte von Robespierre bis de Sade. Promedia Verlag (Edition Linke Klassiker). 176 S. 12,90 Euro
Mit Texten von Babeuf, Boissy d’Anglas, Brissot, Condorcet, Olympe de Gouges, Marquis de Sade, Dubois-Crancé, Hérault de Séchelles, Lanthenas, Marat, Maréchal, Paine, Robespierre, Sieyès u. a..

KruseFranzRevolutionDie Französische Revolution war ein Experimentierfeld für die Neugestaltung der modernen Gesellschaft. Auf allen gesellschaftspolitisch relevanten Ebenen wurden neue Praktiken ausprobiert und emanzipatorische Neuordnungsmodelle entworfen. Dieses „Musterbuch der Moderne“ experimentierte mit der politischen Ordnung, neuen ökonomischen und sozialen Beziehungen und Geschlechterverhältnissen sowie mit der politischen Kultur insgesamt.
Der hier vorgelegte Band versucht, die ganze Spannbreite dieses programmatischen Aufbruchs in eine neue Epoche einzufangen. Dafür werden prägnante Originaltexte erläutert und dokumentiert, die für gesellschaftliche Entwicklungen bis heute relevant sind. Die Vielzahl der Themenbereiche umfasst: Aufstand und Revolution, Verfassung und Demokratie, Emanzipation und Demokratisierung der Gesellschaft, Sozialreform und Sozialismus, Antimilitarismus und Völkerrecht, schließlich auch programmatische Abgründe der Revolution.
Das politische Spektrum der Autoren reicht vom gemäßigten Liberalismus eines Sieyès über demokratische Republikaner wie Brissot, Condorcet, Peine oder Robespierre bis hin zu Vertretern von sozialrevolutionären Projekten wie Babeuf und Maréchal. Es spiegelt damit zugleich die Entwicklung der politischen Linken wider, die sich im dynamischen Prozess der Revolution auf rasante Weise bewegt und in der Regel die radikalsten, am weitesten in die Zukunft reichenden Emanzipationsprojekte entworfen hat. Auch die Problematik der Dialektik von Neugestaltung und gesellschaftspolitischer Herrschaft findet angemessene Berücksichtigung.
Die meisten der Texte wurden eigens für diesen Band ins Deutsche übersetzt.
Der Herausgeber: Wolfgang Kruse, Jahrgang 1957, ist Professor am Historischen Institut der Fern-Universität in Hagen, Lehrgebiet Neuere und Europäische Geschichte. Er arbeitet zur Geschichte der Französischen Revolution, des Ersten Weltkriegs, der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung sowie des modernen politischen Totenkults in Deutschland.

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Frauen, die Fußball spielen

Die letzten Monate meines Zivildienstes leistete ich im Unfallkrankenhaus in Duisburg-Buchholz ab (mitten im Wald gelegen). Eine der Schwestern auf der Station war Fußballspielerin. Das war Schwester Gilda. Frauenfußball war gerade eingeführt worden.
Schwester Gilda war kleinwüchsig, dunkel- und kurzhaarig, flink, änderte nie ihren Gesichtsausdruck, lachte nie, war nie betrübt, sondern war von einer permanenten stillen Entschlossenheit. Nein, das war nicht eine von den „Power-Frauen“, die vor dem Spiegel ihre „Power“ einstudierten. Das hatte die nicht nötig.
Es gab noch eine zweite Fußballspielerin in der Klinik, eine Schwester von einer anderen Station. Die war Torhüterin, und die sah so aus, daß bei der nur selten mal ein Gegentor vorkam. Die beiden spielten aber nicht bei Viktoria Buchholz (wo es meines Wissens auch eine Frauen-Mannschaft gab), sondern beim Duisburger SC Preußen, und sie waren es gewohnt, ihre Spiele zweistellig zu gewinnen.
Frauenfußball war damals – wie gesagt – etwas ganz neues, und das offiziell/inoffizielle Gezeter, Frauenfußball sei unästhetisch, unmoralisch, unweiblich, unschicklich, ungesund war noch längst nicht verhallt (und ist es bis heute immer noch nicht ganz). Zusammen mit dem Frauenfußball kamen – in unglücklicher Gleichzeitigkeit – die „Hot Pants“ in Mode, die „Heißen Höschen“. Schwester Gilda mußte sich immer wieder „originelle“ Erörterungen anhören, wie sie wohl in „Heißen Höschen“ aussehen würde (denn zur Fußball-Arbeitskleidung gehören ja kurze Hosen), ohne daß dies bei ihr eine Veränderung des Gesichtsausdrucks bewirkt hätte.
Ich hatte bei Schwester Gilda einen „Stein im Brett“, und ich führe das darauf zurück, daß ich mich zu Frauenfußball nie äußerte. Weder war von mir das reaktionäre Gezeter über Unästhetik, Unmoral etc. zu befürchten, noch süffisante Spötteleien. Ich belästigte meine Kollegin auch nicht mit gönnerhaften Elogen, als würde von meinem Wohlwollen irgendetwas abhängen. Sondern: Ich sagte: Nichts.
Was hätte ich auch sagen sollen? Ich dachte: Wenn die Fußball spielen wollen, dann sollen die doch Fußball spielen. Und wie hätte mein Schweigen auch sonst interpretiert werden sollen?
Schwester Gilda lohnte es mir mit einer sich von selbst verstehenden Sympathie. Die wurde nie in Worte gefaßt; es war nur spürbar, daß die mich leiden konnte. Immerhin legte sie Wert darauf, daß ich, wenn sie Frühschicht hatte, die Frühstückspause mit ihr im Schwesternzimmer zubrachte. Wir fanden das angenehm, gemeinsam zu frühstücken.

Es ist manchmal – mal mit diesem, mal mit jenem Unterton – gesagt worden, sehr viele (oder sogar: die meisten) Fußballspielerinnen wären lesbisch.
Schwester Gilda war eine bekennende Lesbe. Und das schon 1971!
Man hätte es auch vermuten können, weil Schwester Gilda gern einer jungen Kollegin, der Schwester (wie hieß die noch?) auf den Hintern klatschte. Ich fand das sehr sympathisch, denn Schwester Gilda tat ja einfach das, was ich mich nicht traute (damals! Bei einer Fremden!).
Schwester Wieheißtdienoch war eine hochgewachsene, hochlaszive Person. Die es gern hatte, wenn ihr auf den Hintern geklatscht wurde. Ich erinnere mich an das Leuchten in ihren Augen und die Seligkeit in ihrem Lächeln, als Gilda sie mal wieder gepatscht hatte – und dann war sie etwas erstaunt und ein wenig enttäuscht, weil ihr „bloß“ von einer Geschlechtsgenossin auf den Hintern geklatscht worden war.

Ein Diagramm, das uns nicht gefällt

NDAuflageAuch Ihnen wird dieses Diagramm nicht gefallen, sobald Sie wissen, was damit dargestellt wird. Es handelt sich um die Auflagenentwicklung der Tageszeitung Neues Deutschland.
Gewiß gewiß! Bei den Printmedien generell ist die Auflage rückläufig. Aber das Neue Deutschland ist die Tageszeitung mit dem prozentual höchsten Auflagenverlust.
Das ist schade, denn aus dem ehemalige Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands ist eine Qualitätszeitung geworden. Und wem muß ich erklären, wie sehr sich eine sozialistische Tageszeitung als Gegengewicht zur Verblödungsindustrie nützlich machen kann.
Und über die journalistische Qualität hinaus besitzt dieses Blatt doch auch noch das gewisse Odium… Nicht wahr?
Klicken Sie doch einfach mal unter diesem Notat auf das Schlagwort Neues Deutschland.

LoevenLiestND2Es ist doch gar nicht so schwer der Aufklärung ein Quäntchen Energie zu verschaffen. Man kann ja, wenn man mal zufällig am Bahnhof entlang geht, am Bahnhofskiosk das Neue Deutschland besorgen, so drei- oder viermal im Jahr. Das wäre doch schon mal wenigstens etwas.
Gewiß gewiß. In fast allen Zeitungsverkaufsstellen (Supermärkte, Warenhäuser) findet man keine Qualitätszeitungen, also auch nicht das Neue Deutschland. Aber am Bahnhof kommt doch jeder mal vorbei, so drei- oder viermal im Jahr.

Wenn Sie allerdings zu den Warum-nicht-gleich-Typen mit dem Wenn-schon-denn-schon-Bewußtsein gehören, dann können Sie auch hier anklicken.

Streif (2015)

Streif15-1STREIF ist erschienen, die Kulturzeitschrift aus Duisburg. Das Heft ist aufwendig gestaltet unter Nutzung der Möglichkeiten der Druck-Kunst. Es wird ein ganzes Jahr an einer Ausgabe gearbeitet.
„Streif geht auf Streife in Duisburg. Streift durchs Revier. Mit den Streifen unserer Mannschaft. Streif ist ein Querschnitt unserer Stadt. Ein Streifzug. Ein Streif von vielen Streifen in Duisburg.
Schriftsteller, Dichter, Künstler, Fotografen zeigen ihre Werke, erzählen ihre Geschichten – aus Duisburg.
Streif 2015 ist unsere zweite Ausgabe mit einer neuen Mischung von Gedichten, Kurzgeschichten, Essays, Fotos, Zeichnungen, und Comics. Eine Gegenüberstellung von etablierten Künstlern und neue Talenten, lieblich und schräg,
Lob und Kritik, damals und jetzt.
Streif erscheint einmal im Jahr.“
Streif Duisburg
c/o Stacey Blatt
Martinstr. 16
47058 Duisburg
E-Mail: kontakt@streif-duisburg.de
www.streif-duisburg.de

Ich bin auch drin, obwohl weder „etablierter Künstler“ noch „neues Talent“ auf mich zutrifft. „Lieblich und schräg“ dafür umso mehr.

Streif15-2So zeichnete Friederike Huft die Buchhandlung Weltbühne (rechts). Links: Das Syntopia in Hochfeld. Zwei von fünf Orten, die „ein bißchen unterm Radar fliegen“.

Streif15-3Texte, die ganz zu Bildern werden. Sowas gefällt mir.
„Mobile Drawings“ von Fee Brandenburg.

Streif15-4Susanne Gwisdalla ist mit ihren Fenster-Einblicken auch dabei.

Streif15-5Die dramatiche Dichtung über das Tausendfensterhaus von Werner Muth. (Zeichnung von Abigail West).

Streif15-6Eine von den beiden Obelix-Geschichten, mit denen ich in STREIF Nr. 2 präsent bin.
Die ganze Redaktion ließ sich dadurch zu einer Pommes-Orgie an Walters historischer Pommes-Stätte inspirieren.

STREIF Nr. 2 (2015) 70 Seiten durchgehend farbig ist für 7 Euro in der Buchhandlung Weltbühne erhältlich (im Versand zuzüglich Versandporto).

Helfen Sie mir auf die Tube

ChladasNeudorf-1„Mein Neudorf-Film ist fertig“, schrieb mir Marvin Chlada. Der „Neudorf-Film“ mit dem Titel „Neudorf“ ist Teil 1 einer Materialienreihe für eine Psychogeographie von Duisburg.
Das Anliegen, daß hier darüber informiert wird, ist legitim.
Ebenso legitim ist das Eingeständnis, darüber gar nichts sagen zu können. Damit ist dem Künstler kein Tort angetan. Ich stelle mir vor, ich würde so angesprochen. Ich würde doch erfreut ausrufen: „Endlich mal einer, der mich nicht versteht!“

Gucken Sie sich das einfach mal selber an:

Während in luftigen Höhen ein Handtuch im Wind flattert (oder ein Teppich) geht einer durch Neudorf (Gneisenaustraße, Sternbuschweg, Oststraße) und hat dabei fast ununterbrochen den Blick zum Boden gerichtet. Wir folgen jemandem, der meint, es käme im Leben am meisten darauf an, zu wissen, wo man hintritt. Dabei wird allerdings das Spezifische des Stadtteils Neudorf aus dem Blick verloren.
Ich gehöre nicht zu den Blödmännern, die die blödsinnige Phrase loslassen, daß man „nach vorn schauen soll“. Nein, ich meine, man soll in alle Richtungen schauen, nach vorn, nach hinten, zur Seite, zur anderen Seite, nach oben, und auch nach unten. Aber doch nicht nur nach unten! Das Spezielle, ich möchte sagen: die Seele Neudorfs erschließt sich durch den Wechsel der Perspektive.
Ich stelle mit Bedauern fest: Der Film-Autor hat die Schönheit unseres gemeinsamen Heimat-Stadtteils, der seit Jahrzehnten Künstler, Dichter, Intellektuelle anzieht, nicht wirklich herausgearbeitet. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das überhaupt seine Absicht war.

ChladasNeudorf-2Der doppelte Chlada macht mich ratlos.

ChladasNeudorf-3Aber es bleibt dabei: Wer den Metzger liest, kann eigentlich nichts falsch machen.

Ein hübsches Stückchen Landschaft, nicht wahr?

HuckingenFeldEin hübsches Stückchen Landschaft, nicht wahr?
Auf dem kurvigen Weg dort ist man unterwegs zwischen Großenbaum und Huckingen.
Doch jetzt habe ich in der Zeitung gelesen: Dort, genau dort soll gebaut werden (Wohnungen der Luxusklasse). Die Linken und die Grünen sind dagegen. SPD und CDU sind dafür.
Da das Angebot an Bauland im Düsseldorfer Norden die Nachfrage dort nicht befriedigt, spekuliert man darauf, daß die Leute in den Duisburger Süden gelockt werden können. Das halte ich für Quatsch. Die Leute wollen nicht in Düsseldorfer Norden wohnen, weil sie es im Düsseldorfer Norden so schön finden, sondern um nicht in Duisburg zu wohnen. Und das ist auch gut so.
Man soll an die infantilen Raff-Instinkte doch nicht appellieren („Will ich auch haben!“. In diesem Kontext: „Da will ich auch wohnen!“). Bringt den Leuten bei, daß eine Landschaft schön bleibt, wenn man sie verläßt und nach Hause geht, und nicht, wenn man sich in ihr ansässig macht und sie zu dem Behufe mit Baugeräten penetriert.
In einer Stadt, deren Einwohnerzahl in den letzten 40 Jahren um mehr als 100.000 zurückgegangen ist, weiterhin Fläche zu verbrauchen, ist eine imponierende Leistung in der Kunst des Nichtskönnens.
Die CDU ist dafür. Das wundert mich nicht. Die CDU ist immer für alles, was falsch ist.
Die SPD ist dafür. Auch das wundert mich nicht. Das liegt an der Beton-Affinität des sozialdemokratischen Kommunalpolitikers.
Der normale Politiker mißt seinen Erfolg an Direktmandaten oder Ehrendoktorhüten. Der sozialdemokratische Kommunalpolitiker mißt seinen Erfolg in Kubikmetern Betong. Sozialdemokraten tragen sogar Unterwäsche aus Beton.

MilserHotelGewichtIch bin es leid! Jetzt greife ich auch mal in die Landschaft!
Das Milser-Hotel wird farblich von Grund auf umgestaltet. Da kann der Milser noch so viele Gewichte hochheben!

Von unbekannten Wesen

Was zu den Annehmlichkeiten von Neudorf, wo ich seit 39 Jahren wohne, gehörte: daß alles in einem Umkreis von 5 Minuten zu Fuß zu erreichen ist: Aldi, Edeka, Tante-Emma-Laden, Bäckerei, Haltestellen, Bibliothek, Park, Wald, Drogerie, Apotheke, Café, Papierwarenladen, Universität, noch eine Bäckerei, Postamt, Sparkasse, Laden für Künstlerbedarf, Gemüsemann, Delikatessengeschäft, Textilgeschäft, Kurzwarenladen, Chinarestaurant, Balkanrestaurant, italienisches Restaurant, Fahrradladen, mehrere Trinkhallen und noch ein paar Bäckereien. Und das ist noch längst nicht alles. Das Lebensglück wird dann – na, ich will nicht sagen: vollendet, aber frisch gestrichen, wenn zu alle dem noch Dinge hinzukommen, die man eigentlich gar nicht braucht, z.B. ein Fachgeschäft für Modelleisenbahnen oder die Niederlassung eines Lesezirkels, also Dinge, die einen nicht stören und die Rubrik „Was es nicht alles gibt“ ausfüllen.
Ich muß mir eingestehen, daß Neudorf (wenn auch immer noch das qualitätvollste Viertel von Duisburg) in den letzten 39 Jahren an Qualitäten eingebüßt hat. Letztes Opfer der Stadt-Uniformierung ist der „Lesezirkel Astoria“, schräg gegenüber auf der Gneisenaustraße.

Lesezirkel1Lesezirkel2Eines Tages waren die Paneelen, die das (überflüssige) Schaufenster bedeckten, entfernt, und man sah in einem leeren Raum, wo auch der Putz von den Wänden entfernt war – auf den Fotos schlecht zu erkennen. Man erkennt auch nicht, wie riesig dieses Geschäftslokal war, eine Flucht von Hinterräumen.

Ich weiß gar nicht, ob der Begriff „Lesezirkel“ heute noch den meisten geläufig ist. Die Lesezirkel vermieteten „Lesemappen“. Am ehesten begegnete man dieser Methode der Verbreitung von Druckschriften in Frisiersalons und Wartezimmern von Arztpraxen, wo in Pappumschläge eingeheftete Illustrierte herumlagen. (Ist der Begriff „Illustrierte“ den meisten heute noch geläufig?). Auch Privathaushalte konnten solche Lesemappen mieten, bestehend auch sechs oder sieben Illustrierten, die dann nach einer Woche wieder abgeholt wurden. Je älter diese Hefte waren und durch je mehr Hände sie schon gegangen waren, desto niedriger die Wochenmiete.
Wir hatten zu Hause auch eine Lesemappe, wohl weil die irgendwann mal vor oder nach der Währungsreform bestellt und nie abbestellt worden war. Aber der einzige, der sich wirklich für die Lesemappe interessierte, war ich.
Donnerstags kam die neue Lesemappe. Donnerstags nach der Schule hieß für mich: den ganzen Nachmittag diese sechs Wochen alten Illustrierten durchblättern. Einige, wie „Das grüne Blatt“ und die „Bunte“ waren völlig uninteressant, weil: spießig. Andere, wie „Neue Illustrierte“ und „Revue“ (später fusioniert), „Quick“ (mit Nick Knatterton und Loriot) und vor allem „Stern“ vermittelten eine gewisse Modernität in dieser unerträglich kleinkarierten Wirtschaftswunderrepublik. Die (meistens aus Frankreich kommenden) Filme und die Illustrierten galten als eine Flut der Unsittlichkeit, die über unser Vaterland hineinbrach.
Ich erzähle gern den Leuten, daß ich meine Bildung vor allem der Lesemappe zu verdanken habe. Und das ist gar nicht mal so weit hergeholt. Den Namen Sigmund Freud zum Beispiel las ich zum ersten Mal in einer Illustriertenserie, in der es um „die Frau das unbekannte Wesen“ ging.
Um Felder zu betreten, von denen der heimische Kirchturm nicht mehr zu sehen ist, war der 13-, 14- und 15jährige mit den Illustrierten nicht schlecht ausgerüstet. Ein anderer Wegweiser wäre das Kino gewesen. Aber da mußte man ja 18 sein, wenn man den unbekannten Wesen (also dem Wesentlichen) auf der Spur war. Keineswegs schädlich und bedenklich, sondern der seelischen Gesundheit dienlich waren für den 13-, 14- und 15jährigen die Fotos von den in Bikinis gekleideten Filmsternchen (richtig nackt kam ja erst später).
Die wertvollsten Teile des Bildungsfundus, den ich mir angeeignet habe, mußte ich gegen stupide und hysterische Widerstände von offiziellen oder selbsternannten Wächtern der Unlust und Unwissenheit erkämpfen – für mich und für andere. Das wertvollste Wissen sollte vor mir und vor anderen geheimgehalten werden. Ich bin einer der glücklichen Menschen, die „Aufklärung“ couragiertem Forschen verdanken und nicht peinlicher Drumherumreden, die mit einem verlegenen Räuspern beginnen, und ich erfuhr, daß das Geschlechtliche nicht viel mit Peinlichkeit, Ansteckung, Schuld und Schande und Sünde zu tun haben muß, sondern umso mehr mit Freude und Ästhetik zu tun haben kann. Darum auch meine tiefe Abneigung gegen Emanzen, die am liebsten alles wieder verbergen wollen, was wir freigelegt haben und alles mit Anschuldigungen zudecken wollen, was wir rehabilitiert haben.

Lesezirkel3Lesezirkel4Na ja. Life goes on. Mögen die Zeiten so sein, daß in diesem Satz Zuversicht zum Klingen kommt.

Die neue CD ist raus: Anleitung für Rundumschläger

Das neueste Produkt der Situationspresse ist diese Doppel-CD:

CD-HL-RundumHelmut Loeven: Anleitung für Rundumschläger. Das philosophische Kabarett live.

Nicht nur Rundumschläger werden hier mit guten Ratschlägen versorgt. Auch die Liebhaber von Verschwörungen werden sich nach Abhören dieses Programms besser damit auskennen, wie die Fädenzieher an den Fäden ziehen.
Über den Frieden und Unfrieden der Geschlechter wird räsoniert und über den Vatermord als Methode, das Leben angenehmer zu machen. Außerdem erfährt man hier, daß es manchmal ganz angebracht ist, den Genossen Stalin hochleben zu lassen.
Und das ist ja noch nicht alles in 99 Minuten Kabarett auf zwei CDs.

Das Programm wurde aufgenommen am 13. Januar 2015 in der Spinatwachtel in Duisburg-Hochfeld.
Diese Doppel-CD ist zum Preis von 12,50 Euro durch den Buchhandel zu beziehen (ISBN 978-3-935673-38-9), am besten natürlich direkt in der Buchhandlung Weltbühne.

Neu in der Weltbühne: Der neue Sander

Heute empfehle ich:
Ulrich Sander: Der Iwan kam nur bis Lüdenscheid. Protokoll einer Recherche zur Zwangsarbeit
PapyRossa Verlag 2015. 238 S. 15,90 Euro

SanderIwanLuedenscheidDer Verlag stellt das Buch vor:
Ulrich Sander konnte rund 7.500 Personenakten von Zwangsarbeitern aus dem Raum Lüdenscheid erkunden und damit vermutlich 1.500 Überlebenden zu einer Entschädigung verhelfen. Mit Hilfe des Stadtarchivs erforschte er die Morde an einer unbekannten Zahl von Montenegrinern wie an Insassen des Arbeitserziehungslagers Hunswinkel. Dieser Teil seiner Tätigkeit gehört zu den düstersten Enthüllungsgeschichten seines Arbeitsjournals. Es zeigt auf, mit welchen Methoden und von wem die ohnehin mühsamen Nachforschungen erschwert wurden: durch örtliche Wirtschaft, konservative Politik, einen Einbruch mit Datenklau im Rathaus bis hin zur Verweigerung, an der Aufklärung mitzuwirken. Diese ist noch nicht abgeschlossen. Auf der Tagesordnung stehen Entschädigungen für sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mit Kriegsgefangenenschicksal, für die griechischen und italienischen Opfer der Wehrmachtsverbrechen sowie die ungesühnten Verbrechen der Reichsbahn.
Ulrich Sander, Jg. 1941. Journalist und freier Autor. Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN – BdA). Zahlreiche Bücher und Zeitschriftenbeiträge – regelmäßig Beiträge in DER METZGER.

Bitte bestellen Sie dieses Buch in der Buchhandlung Weltbühne. Suchen Sie im Neubücherverzeichnis auch nach den anderen Büchern von Ulrich Sander. Sie finden dort auch noch Titel, die bei den Verlagen vergriffen sind.

sander_arisierung_177x268Bitte unterstützen Sie die politische Haltung der Buchhandlung Weltbühne durch Ihre Aufträge! Weltbühne muß bleiben.

Gegen die Diffamierung der VVN

Diese Mitteilung gebe ich weiter:

Liebe Freundinnen und Freunde,
wir wenden uns mit einer Erklärung gegen die Nennung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten im Verfassungsschutzbericht des Freistaats Bayern.
Dafür bitten wir um Ihre und Eure Unterstützung.
Dies sind unsere Gründe:
70 Jahre nach der Befreiung durch die Alliierten sind Rassismus, Antisemitismus und Neofaschismus immer noch in unserer Gesellschaft präsent und eine Herausforderung für alle Demokratinnen und Demokraten.
Deshalb beteiligen sich viele von uns in Initiativen der Erinnerungs-und Gedenkarbeit, in Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und menschenverachtende Ideologien oder unterstützen deren Arbeit.
Eine der ältesten Organisationen, die sich in Deutschland gegen alte und neue Nazis engagiert, ist die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/ Bund der Antifaschisten – VVN/ BdA. Die Initiative für die Gründung der VVN ging unmittelbar nach dem Krieg von ehemals Verfolgten unterschiedlichster Herkunft aus. Über weltanschauliche und parteipolitische Grenzen hinweg waren Aufklärung und Mahnung, aber auch die Vertretung der Interessen der Opfer des Naziregimes die erklärten Ziele der VVN.
Auch heute noch sind einige bekannte Persönlichkeiten, die in der Nazizeit Verfolgung und Lagerhaft erdulden mussten, in der VVN/ BdA aktiv. Bundesweit bekannt ist Esther Bejarano, in Bayern besonders Ernst Grube, Hermann und Hugo Höllenreiner sowie Martin Löwenberg. Trotz hohen Alters klären viele von ihnen unermüdlich junge Menschen über die Barbarei der Nazis und deren Folgen auf. Für dieses Engagement werden sie hoch respektiert, geehrt, gewürdigt und sind vielfach ausgezeichnet.
Trotz dieses Engagements und trotz der anerkannten und respektierten Arbeit der VVN/ BdA in zivilgesellschaftlichen Bündnissen gegen Rechts wird der Verband in Bayern vom Verfassungsschutz als angeblich “linksextremistisch beeinflusst“ überwacht. In keinem anderen Bundesland ist das sonst der Fall.
Das ist einerseits eine Diffamierung der Arbeit der in der VVN/ BdA organisieren Überlebenden des Naziterrors und stellt sie auf die selbe Stufe wie die ebenfalls im Bericht genannten Rechtsextremisten. Es geschieht auch unter völliger Ausblendung der tatsächlichen Arbeit der VVN/ BdA. Es bedroht die VVN/ BdA in ihrer Existenz, da der Entzug der Gemeinnützigkeit droht und diffamiert auch alle, die sich seit Jahren und Jahrzehnten gemeinsam mit der VVN/ BdA gegen rechtsextreme Umtriebe engagieren. Die vom bayerischen Innenminister vorgebrachten Argumente für die Erwähnung der VVN/ BdA im Verfassungsschutzbericht sind weder überzeugend noch schlüssig. Sie sind weniger von Tatsachen geprägt als von der selben Ausgrenzungspolitik der Staatsregierung, mit der auch schon gegen das Münchner A.I.D.A.-Archiv vorgegangen wurde.
Man kann im Widerspruch zur Staatsregierung nur feststellen, dass sich die VVN/BdA große Verdienste um die Gedenk- und Erinnerungskultur und um das bürgerschaftliche Engagement für eine bunte und tolerante Gesellschaft, gegen Antisemitismus, Rassismus und Neofaschismus, erworben haben.
Man muss aber nicht Mitglied der VVN/ BdA sein oder deren Positionen in allen Punkten teilen, um die diffamierende Einschätzung des CSU-geführten Innenministeriums zurückzuweisen. Ich möchte Euch daher bitten, mit Eurer Unterschrift die gemeinsame Erklärung zur Streichung der VVN/ BdA aus dem Verfassungsschutzbericht zu unterstützen. Die VVN/ BdA war und ist Teil des demokratischen Engagements gegen nationalistisches und rassistisches Gedankengut, gegen Relativierung und Verharmlosung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und für eine lebendige Erinnerungskultur und ein weltoffenes Bayern.
Florian Ritter Mitglied des Bayerischen Landtags (SPD)
Bürgerbüro: Alte Allee 2 81245 München
Telefon 089 88998195 Telefax 089 88998197
buero@florian-ritter.de
www.florian-ritter.de

Die gemeinsame Erklärung „Für eine offene, demokratische Gesellschaft! Gegen die Diffamierung der VVN-BdA!“ kann man hier einsehen und
unterzeichen:

http://www.solidaritaet-vvn.de

1. Juni – geht spazieren!

Ich gratuliere allen, denen dieses Weblog lieb & teuer geworden ist, zu (bis gestern) 823 Notaten in genau 3 Jahren. Heute ist der 1. Juni, der dritte Jahrestag.
Den 1. Juni verbringe ich wie jedes Jahr auf dem Kaiserberg, als ganz persönlichen Feiertag, den wir früher zu zweit gefeiert haben und den ich seit einigen Jahren allein zubringe, nachdenklicher und verstörter und noch zurückgezogener als an allen anderen Tagen.
Den Leserinnen und Lesern empfehle ich, an diesem Tag, an dem von mir nichts Neues zu erfahren ist, hier herumzuflanieren, in dem sich weiterhin ausdehnenden Dschungel, damit dieser Schauplatz nicht als Lieferant für bloße Schlaglichter und Zufallstreffer mißverstanden wird. Viel Freude auf der Entdeckungsreise (der Suche nach dem Bekannten gewissermaßen).

Bis die Tage!