Ein Samstag im Jahre 1969

Das war gar nicht im Jahre 1969, fällt mir gerade ein. Das war im Jahre 1970, und zwar im Februar. Es hätte aber auch im Jahre 1969 sein können, dann aber im November, denn im November ist ein ähnliches Wetter wie im Februar. Jedenfalls ging man damals mit den Samstagen um, als gäbe es genug davon.
Wir waren an diesem Samstag am frühen Nachmittag verabredet, um uns in die Politische Ökonomie einzuarbeiten. Das wurde „Schulung“ genannt. Die „Schulung“ sollte stattfinden bei Dietmar Ernst, also in Neudorf. Der Dietmar Ernst paßte in unsere KPD/ML-Gruppe genauso wenig hinein wie die meisten von uns. Leute wie ihn pflegte man als „zornige junge Männer“ zu bezeichnen. Er war ein paar Jahre älter als ich, wohl schon Mitte 20, trug wie fast alle männlichen KPD/ML-Mitglieder dieses Alters einen Stalin-Schnurrbart, war wirklich ein „zorniger junger Mann“, lachte nie, brachte aber unentwegt andere zum Lachen mit seinen kunstvoll vorgetragenen Sarkasmen. Er wohnte auf der Blumenstraße in einem riesigen Altbau (Foto) im Dachgeschoß, das ebenfalls riesig war, bestehend aus sehr vielen kleinen Zimmern.


Wir hatten uns also zu fünft dort eingefunden, vier Männer und eine Frau. Anne fehlte noch. Sie wollte etwas später kommen. Ich sollte sie zur verabredeten Zeit von der Straßenbahnhaltestelle abholen.
Anne war meine Freundin. Sie war die hübscheste von allen. Sie hatte wunderschönes langes dunkelbraunes Haar. Jedem gefiel sie, mancher begehrte sie, aber mich hatte sie erhört. Niemand hatte gewußt, daß ich in sie verliebt war, aber alle hatten gewußt, daß sie in mich verliebt war, bloß ich nicht. Wir haben dann aber doch zueinander gefunden und waren ein richtiges Traumpaar.
Anne war sehr gescheit und von unbändiger Neugier auf alles, was man wissen und erfahren kann. Man hätte ihr über alles mögliche etwas erzählen können, über Astronomie, über Geologie oder über isländische Literatur – sie hätte sich das alles aufmerksam angehört.
Sie hatte eine Schwäche: Sie hatte Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Den Weg von ihrer Haustür zur Straßenbahnhaltestelle fand sie zwar, auch gelang es ihr, an der richtigen Station aus der Bahn auszusteigen. Aber den Weg von der Haltestelle Neudorfer Straße zur Blumenstraße (etwa hundert Meter geradeaus) konnte sie nur finden, wenn man sie an der Hand nahm und führte. Sie hatte mir eingeschärft, sie zur verabredeten Zeit an der Haltestelle abzuholen.
Ich ging also zur Haltestelle. Aus der Bahn, mit der sie kommen wollte, stieg sie aber nicht aus. Sie wird sie wohl verpaßt haben, dachte ich, und wartete auf die nächste. Mit der nächsten kam Anne auch nicht, auch nicht mit der übernächsten. Es wurde ein langes Warten.
Während ich wartete, fand sich an der Haltestelle ein alter Mann ein, der – das war leicht zu vermuten – zu denen gehörte, die über keine Wohnadresse verfügen. Sein Mantel war sehr abgetragen, die zahlreichen Plastiktüten, die er mit sich trug, enthielten wohl all seine Habseligkeiten. Auf dem Haupt hatte er kaum noch Haare, dafür hatte er einen langen Bart. Für die Comic-Figur „Herr Natürlich“ von Robert Crumb hätte er das Modell sein können.


Als die nächste Straßenbahn eintraf, begann er, hastig die Plastiktüten aufzuheben. Als dann endlich all seine Tüten hochgehoben waren, war die Bahn schon abgefahren, und er ließ sie wieder zu Boden sinken. Das wiederholte sich noch ein paar mal. Nie war er schnell genug mit dem Zusammenraffen der Tüten, immer fuhr die Bahn ohne ihn ab. Mir fiel auf, daß die Bahnen, in die mit seinen Tüten einzusteigen er nie schaffte, von verschiedenen Linien waren und auf verschiedenen Wegen zu verschiedenen Stationen fuhren. Er wollte mit der Straßenbahn wegfahren, und es kam ihm offensichtlich nicht darauf an, mit welcher und wohin.
Nachdem er auf diese Weise wohl schon ein halbes Dutzend Straßenbahnen verpaßt hatte, begann er, mit durchdringender Stimme und in erheblicher Lautstärke ein Lied zu singen, das auch nach der vierzigsten Strophe noch nicht zu Ende war. Der Text war dermaßen bescheuert, daß er nur selbstgedichtet gewesen sein konnte. Die erste Zeile lautete:
„Was ist das Leben heut‘ so schwer! Man findet keine Ruhe mehr!“
Die Botschaft des Liedes läßt sich etwa so zusammenfassen: Wie man es auch dreht und wendet, das Leben bringt doch nur Verdruß.
„Hast du einen kleinen Laden, hast du auch so deine Plagen!“
Die beiden älteren Damen, die da auch auf eine Straßenbahn warteten, sagten zwar nichts, aber die Indigniertheit über den lautstarken Balladenvortrag war ihnen anzumerken. Als der Sänger dessen gewahr wurde, stellte er sich vor eine der beiden Damen hin, nahm eine Boxerstellung ein, tänzelte mit erhobenen Fäusten vor ihr hin und her und ließ die Fäuste durch die Luft sausen, immer die Nase der Dame knapp verfehlend. Die Damen waren fassungslos über das Geschehen. Weniger fürchteten sie sich, von einem Boxhieb getroffen zu werden. Aber es war ihnen furchtbar unangenehm, daß da einer sich dermaßen aufführte.
Ich verbrachte wohl eine Stunde an der Haltestelle und entfernte mich dann, so daß ich nicht weiß, wie die Geschichte mit den vergeblichen Abreiseversuchen ausging, und ich Ihnen nicht sagen kann, welche Wendung schließlich dazu führte, daß der Mann mit seinen Tüten jetzt nicht mehr an der Haltestelle steht. Anne war nicht gekommen; es wird ihr wohl – so vermutete ich – etwas dazwischengekommen sein. Ich ging also wieder dorthin, wo nun mit Verspätung die Schulung auf der Grundlage des Lehrbuchs der Politischen Ökonomie (Dietz-Verlag 1955) beginnen sollte.
Als wir uns in das Studium der Produktionsweise in der Urgemeinschaft eingearbeitet hatten, klingelte es. Dann stand Anne in der Tür. Sie sah zu mir hin mit einem so vorwurfsvollen Blick, wie ich ihn nie zuvor und auch nie danach in meinem Leben im Angesicht eines Menschen wahrgenommen habe. Sie sagte kein Wort. Warum ich nicht auf sie gewartet hatte, wollte sie gar nicht wissen. Da gab es nichts zu erklären, nichts auf der Welt hätte meinen frevelhaften Akt der Untreue rechtfertigen können, und auch dafür, daß ich mich jetzt nicht einfach vom Erdboden verschlingen ließ, gab es keine Entschuldigung.
Ein halber Samstag Studium der Politischen Ökonomie ist überaus anstrengend und erschöpfend. Um acht Uhr wurde was von der Pommesbude geholt und um viertel nach acht kam im Fernsehen ein Miss-Marple-Film. Den sahen wir uns an, das mußte einfach sein. Anne aß nichts und schaute völlig desinteressiert auf den Fernsehbildschirm. Ebensogut hätte sie anderthalb Stunden lang vor einem ausgeschalteten Fernsehapparat sitzen können.

Anne mit 15, hier sehr freundlich

Als wir etwa um zehn Uhr das Haus verließen, hatte ich erstmals wieder Gelegenheit, mit dieser Unerbittlichen Worte zu wechseln. Ich war darauf gefaßt, die halbe oder die ganze Nacht damit zuzubringen, sie zu besänftigen, hoffte aber, auf dem kurzen Weg zum Taxistand am Osteingang des Hauptbahnhofs die Sache halbwegs geradebiegen zu können. Denn ich wollte in der Nacht noch „Nummer Sechs“ sehen. Das war eine TV-Serie, die war noch schräger und abgefahrener als „Mit Schirm, Charme und Melone“, noch undurchsichtiger und mit psychedelischem Anhauch. Und an jenem Tag sollte der letzte Teil kommen, in dem sich alles auflöst. Würde es mir gelingen, meine Anne zurückzugewinnen und mich dann noch rechtzeitig allein vor den Fernsehapparat zu setzen? Heutzutage, wo man alles auf Video aufzeichnen kann, erscheint einem eine solche Überlegung vielleicht unvorstellbar.
Immerhin: sie öffnete den Mund. Und sie erklärte, daß sie ja vielleicht mal darüber nachdenken könne, ob sie es sich vielleicht überlegt, vielleicht in Betracht zu ziehen, es vielleicht doch noch mal mit mir zu versuchen. Sie gestattete mir sogar, im Taxi mitzufahren. Mehr war an diesem Abend wirklich nicht mehr rauszuholen.

aus Der Gartenoffizier. 124 komische Geschichten. Situationspresse 2008. 268 S. 16,50 Euro. ISBN 978-3-935673-24-2

P.S.: Als Anne diese Geschichte las, machte sie mir Vorwürfe. Sie war richtig ungehalten: „Das stimmt doch gar nicht! So habe ich dich nie behandelt! Ich war zu dir nie ungehalten, und ich habe dir nie Vorwürfe gemacht! Wie konntest du nur sowas schreiben? Ich fasse es nicht! Was bist du überhaupt für ein Mensch?“

Allgemeine Karikaturenkunde: „Genosse Stalin“

Ich bin auf die Idee gekommen, diese Karikatur zu zeichnen, nachdem ich die Homepage „kommunisten-am-rande-des-nervenzusammenbruchs.de“ besucht hatte.
Dort stand: Die Revisionisten erkennt man daran, daß die immer gegen den Revisionismus predigen – zum Schein! Die tarnen sich ganz raffiniert! Nämlich, indem sie sagen, sie kämpfen gegen den Revisionismus, um auf diese Weise den Revisionismus in Schutz zu nehmen.
Davon unterscheiden sich solche tapferen Recken der Arbeiterbewegung wie der Genosse Stalin. Die sind ja die Echten.
Wenn dann Stalin zitiert wird, dann heißt es, Stalin hätte „ausgeführt“.
Wenn die anderen, die zum Schein etwas Korrektes sagen, aber was Unkorrektes meinen, wodurch wir ja alle getäuscht werden sollen, zitiert werden, dann heißt es immer, sie haben „gefaselt“.
Dadurch ist es eigentlich ganz einfach, die Echten von den Falschen zu unterscheiden. Man muß nur darauf achten, ob die ausführen, oder ob die faseln.
Stalin jedenfalls führt aus.
Wuff.

Nach der Revolution gibt es Kaffee und Kuchen

16 Bilder aus dem Film von 1975.
„Nach der Revolution gibt es Kaffee und Kuchen“ war mein erster fertiggestellter Film, produziert von der „Hut Filmproduktion“, uraufgeführt im Eschhaus. Er dauert 10 Minuten.

 

Anlaß war, daß Friedhelm Ripperger, den alle nur unter seinem Spitznamen Obelix kennen, gerade wieder in die Freiheit entlassen worden war. Da er über ein Jahr wegen Dope eingesessen hatte, sahen wir ihn als politischen Gefangenen. Darum wurde er von der Roten Hilfe betreut (die Duisburger Rote Hilfe galt als sehr eigenwillig und „freakig“ und wurde von einigen anderen Rote-Hilfe-Gruppen beargwöhnt).
Der Film darf als ein Manifest der hedonistischen Linken aufgefaßt werden. Der Utopie einer „Gleichheit in Kargheit“ wird widersprochen.

Das gehört noch zum Vorspann: Der Regisseur trinkt Kaffee.

Magda Gorny und Wolfgang Strähler.

Friedhelm Ripperger, genannt Obelix.

Das letzte Bild ist ein Foto aus der Portugiesischen Revolution („Nelkenrevolution“), die das faschistische Regime beseitigte. Grund zum Feiern.

Das schöne rote Nachspannband ist Teil des Films! Das ist der Moment der Ruhe nach der Geschichte. Ich kann die Leute nicht leiden, die im Kino, sobald der Nachspann beginnt, aufspringen und aus dem Kino rennen, als wären sie auf der Flucht.
Über den Film ist im Internet ein Kommentar von Mario Weißenfels zu lesen. Die Folkband Ship of Ara verwendete den Film für einen Videoclip .


„Nach der Revolution gibt es Kaffee und Kuchen“ ist auf der DVD „Der 11. Mai und andere Kurzfilme von Helmut Loeven“ enthalten (für 12,50 € in der Buchhandlung Weltbühne – auch im Versand – erhältlich).

Alice Schwarzer rettet dem Dativ

Alice Schwarzer und die deutsche Sprache – eine auf Gegenseitigkeit beruhende Abneigung!
In der März-April-Ausgabe 2010 von Emma hat die Anführerin der deutschen Damenbewegung geschrieben: „Jedes der sieben Kinder hat eierförmig seinen Fotokopf ausgeschnitten und aufgeklebt – damit Muttern nicht vergisst, wie sie aussehen.“ Damit wem nicht vergißt?
Sie verwendet eine antiquierte Form des Dativ, wie es zu Zeiten von Goethen und Schillern üblich war. Sie will wohl ihrem Text eine Farbe geben. Hemdsärmeligkeit kann man das schlecht nennen, eher ist so eine Art Küchenschürzigkeit beabsichtigt. „Muttern“ – das klingt irgendwie nach „Berliner Schnauze“, jovial und anbiedernd. Allerdings, das sollte sie wissen, steht das Subjekt eines Satzes im Nominativ.
Es scheint ein März-April-Phänomen zu sein; Emma-Ausgabe März-April 1993: „Fortan hielt der Liebling den Mund und hörte zu – zumindest solange Muttern lebte.“ Solange wem lebte?
Geärgert hat sie sich in Emma März/April 2006, weil ein jugendliches Liebespaar nicht bei ihr angefragt hatte, ab welchem Alter sexuelle Aktivität statthaft sei und eine „Muttern“ noch Beihilfe leistete: „Die Geschichte ihrer tollen Nachbarin …, deren 15-jähriger Sohn ein Verhältnis mit einer 13-Jährigen hat, und dem Muttern immer fürsorglich Kondome besorgt.“
Dem wem Kondome besorgt?
Wenn sie sich ärgert, wird sie kathoolsch. Hier liest man ja nicht zum ersten Mal davon, daß Fürsorglichkeit in Gestalt von Kondomen einer Moral widerspricht, die ein Übel – sei es die Ausbreitung von Aids, sei es die unerwünschte Schwangerschaft einer 13jährigen – lieber in Kauf nimmt als dessen „unmoralische“ Verhütung. Die unerwünschte Schwangerschaft einer 13jährigen soll eher hingenommen werden als deren Verhütung mit „unmoralischen“ Mitteln, weil nicht sein darf was nicht sein darf.


Die „Journalistin aus Leidenschaft“ glaubt leider, daß Leidenschaft die Fertigkeiten des Berufs verzichtbar macht. Zu solchen Fertigkeiten gehört die Grammatik, also auch die Fähigkeit, die Casus des Substantivs voneinander zu unterscheiden. Die leidenschaftliche Journalistin, die es fertigbringt, mit allem, was sie sagt, falsch zu liegen, drückt das Falsche auch noch falsch aus.
Um es frei nach Goethen zu sagen: Es irrt der Alice Schwarzern, solang ihr schreibt.

Hat der Wald auch etwas mit Bäumen zu tun?

Es kann der größte Quatsch sein: Wenn er 150 mal erzählt wurde, wird er bestimmt auch noch zum 151. Mal zu Protokoll gegeben.
Zum Beispiel in der Leserbriefspalte der Frankfurter Rundschau:
Ines Schumann aus Göttingen schreibt: „Noch einmal fürs Protokoll: Vergewaltigung hat nichts mit Sex zu tun.“
Ein Sexualdelikt soll nichts mit Sexualität („Sex“) zu tun haben?
Demnächst behauptet noch jemand: Ein Banküberfall hat nichts mit Geld zu tun.

*

Kann mich mal jemand aufklären:
Ist nur verdientes Geld Geld? Ist geklautes Geld kein Geld? Ist gefundenes Geld Geld?

*

Die Göttinger Protokollfüllerin ist bestimmt schlau und erwidert: Ja, Vergewaltigung hat sicherlich mit Se-xu-a-li-tät etwas zu tun. Aber nicht mit Sex.
Aha.
Dann hat also Sex nichts mit Sexualität zu tun?

*

Wenn A mit B und B mit C zusammenhängt, dann hängt auch A mit C zusammen.
Davon bin ich sowieso nicht abzubringen: Alles hängt mit allem zusammen. Alles Seiende bildet einen einzigen komplexen, unauflöslichen Zusammenhang. Das nennt man kohärentes Denken.
Der Beweis dafür ist das Kreuzworträtsel. Würde keine Wupper in den Rhein fließen und wäre der Rabe kein schwarzer Vogel, dann würde der Gustav nicht mehr Gustav heißen, sondern bloß noch Gstv.

Allgemeine Witzkunde (Nachtrag)

Noch ein jüdischer Witz – auch diesmal wieder der Ausnahmekategorie jener jüdischen Witze zugehörig, die in Israel spielen:
David Ben Gurion wird von einer jungen Israelin gefragt:
„Herr Ministerpräsident, kann es sein, daß Sie zum katholischen Glauben übergetreten sind?“
„Zum katholischen Glauben übergetreten? Ich? Nein! Wie kommen Sie darauf?“
„Ich habe doch selbst gesehen: Als Sie heute früh Ihr Haus verlassen haben, da haben Sie sich bekreuzigt.“
„Ach so! Nein! Das haben Sie mißverstanden. Sie müssen bedenken: Ich bin ein alter Mann, manchmal schon etwas vergeßlich. Ich muß mich morgens immer vergewissern: Hab‘ ich Hut? Hab‘ ich Hose zu? Hab‘ ich Brieftasch‘? Hab‘ ich Brill‘?“
Daß den Zumutungen durch die Religion (ob der eigenen oder einer verwandten) am besten gerade mit mildem Spott am besten beizukommen ist, wird hier demonstriert. Zudem läßt sich mit diesem Beispiel verdeutlichen, daß ein Witz nicht nur durch seine Pointe wirkt, sondern auch durch seinen Klang, seinen Rhythmus. Da wird nicht gefragt „Habe ich auch meinen Hut nicht vergessen?“, sondern: „Hab‘ ich Hut?“. Beachten Sie bitte die witzverstärkemde Wirkung des Apostroph, der dem Witz die vorteilhafte Kürze (Würze) verleiht: Nicht „Brieftasche“ und „Brille“, sondern „Brieftasch‘“ und „Brill‘“!
Daß nicht irgendwer fragt, sondern eine junge Israelin, sollten Sie beim Weitererzählen unbedingt beachten.

Der größte Chefkoch aller Zeiten! oder Et gibt nix, wat et nich gibt

Schon die alten Griechen wußten: Einen Fels kann man zerkleinern. Die geschicktesten unter ihnen nutzten diese Naturgegebenheit für die Bildhauerei. Wenn man einen Apollo oder eine Aphrodite in Stein darstellen will, muß man von dem Stein mithilfe von Hammer & Meißel alles das entfernen, was nicht Apollo bzw. Aphrodite ist, und übrig bleibt: Apollo bzw. Aphrodite und ein Haufen Steine. Den Apollo bzw. die Aphrodite stellt man auf einen Sockel. Aber was macht man mit dem Haufen Steine? Die Steine könnte man, zumindest hypothetisch, in kleinere Steine zerlegen, und die kleineren Steine in noch kleinere. Das hat zwar keinen Sinn, und darum tut man es nicht, aber man kann es sich vorstellen. Man kann sich vorstellen, aus den ganz kleinen Steinchen Sandkörner herzustellen und aus groben Sandkörnern feine Sandkörner, und aus den feinen noch feinere. Man kann aus Sandkörnern Staubkörner machen, und das kann man fortsetzen ad infinitum. Doch nein, sagte Demokrit. Irgendwann ist Schluß. Irgendwann hat man vor lauter Zerkleinerei ein Materieteil vor sich, das so klein ist, daß es nicht mehr zerkleinert werden kann. Dieses nicht mehr zerkleinerbare Materieteil nennt man Atom. Aus Atomen ist alles zusammengesetzt.
Die Idee des Demokrit war grundlegend für die Wissenschaft von der Materie. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes elementar. Die Weltanschauung, in die die Überlegung von den elementaren Bestandteilen der Materie einfloß, nennt man Materialismus.
Die Hypothese von den Atomen hat sich durch die Jahrtausende gehalten. Seit etwa hundert Jahren gibt es naturwissenschaftliche Erkenntnisse darüber, daß die kleinsten Bestandteile der Materie in sich strukturiert, d.h. aus Protonen, Neutronen und Elektronen zusammengesetzt sind. Dem Bohrschen Atommodell zufolge besteht das Atom aus einem Kern, bestehend aus einer – je nach Element – verschieden großen Zahl von Protonen und Neutronen, und einer Hülle, bestehend aus Elektronen, die den Kern umkreisen.
Eine Zeichnung dieses Atommodells hat jeder schon einmal gesehen. Aber diese Darstellung ist sehr schematisch. Sie gibt nicht die wahren Größenverhältnisse wieder. Wenn wir uns vorstellen, der Atomkern hätte die Größe einer Erbse, dann wäre die Umlaufbahn des Elektrons vielleicht zehn Meter von diesem Kern entfernt. Und dazwischen?
Tja. Das ist die Frage, von der ich bisher nicht ahnte, welch große Rolle sie für alle Angelegenheiten des Daseins spielt. Fast hätte ich gesagt: Dazwischen ist nichts. Wie leichtsinnig!
Auf den Boden der Materie zurückgeholt hat mich ein Artikel in der Roten Fahne. Das ist, wie Sie wissen, das Wochenblatt des Freizeitvereins MLPD, was soviel wie MüllPD bedeutet, aber selbst gern „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ genannt werden will. Diese Vereinigung fühlt sich nicht einfach bloß dem Vermächtnis der Klassiker des wissenschaftlichen Sozialismus, in aufsteigender Linie Marxengelslenin, Stalin, Mao verpflichtet, sondern vor allem dem Vermächtnis des Lehrmeisters der Klassiker. Und das ist? Sagen Sie bloß, Sie wissen es nicht! Willi Dickhut.
Der Roten Fahne verdanke ich die Einsicht, daß das Bohrsche Atommodell ein raffinierter Propagandatrick der Kapitalisten ist, die der Arbeiterklasse einreden wollen, daß die Materie größtenteils aus leerem Raum besteht. Aber wo kämen wir da hin! Der fundamentale Satz der Lebenserkenntnis, der da lautet „Et gibt nix, wat et nich gibt“ wird in der Roten Fahne auf geradezu dialektische Weise zu der These erhoben: Nichts gibt es nicht. Überall ist etwas. Also auch zwischen Atomkern und den Elektronen befindet sich Materie. Die Arbeiterklasse soll sich bloß nicht mit so’n bißchen Atomkernen und Elektronen abspeisen lassen!

Mithilfe des Bohrschen Atommodells versuchen die Kapitalisten, die Kampfkraft der Arbeiterklasse zu schwächen.

Die Rote Fahne veröffentlichte einen Briefwechsel mit dem Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle. Der schrieb, sinngemäß: Es ist ja sehr schön, daß Sie in Ihrer Zeitung auch naturwissenschaftliche Themen behandeln, aber so wie Sie das darstellen, ist das falsch. Doch die Rote Fahne konnte auftrumpfen: „In den 40er Jahren wurde die Existenz dieser Materieebene von W. Dickhut umfassend aus dem damaligen Stand der Physik abgeleitet und als kontinuierliche Materie gekennzeichnet.“
Donnerwetter! Er hat also nicht nur, was wir ja schon wußten, dem Karl Marx das Kapital erklärt und auf Lenins Frage „Was tun?“ die Antwort gegeben. Mehr noch: Er hat Einstein und Newton vom Kopf auf die Füße gestellt! Wir können also neue Hoffnung schöpfen, daß auch noch die letzte Frage „Wo kommen die Löcher im Käse her?“ abschließend beantwortet wird.

aus DER METZGER 72 (2005)

Allgemeine Witzkunde (2)

Was ist eigentlich das Komische an einem Witz?
Zweiter Teil: „Binnijet“ oder Warum könnte ein Mensch sich wünschen, in der Mitte zu gehen?

In mißlicher Lage und gewitzt genug, sich daraus zu winden, sind immer wieder die Protagonisten jüdischer Witze, wie etwa der, der zum Militär einberufen werden soll und vor dem Musterungsarzt steht:
Der Musterungsarzt will das Sehvermögen testen und zeigt auf die Tafel an der Wand: „Lesen Sie mir mal die Buchstaben in der ersten Reihe vor.“
„Es tut mir leid, ich kann keine Buchstaben erkennen.“
„Was? Die großen Buchstaben auf der Tafel können Sie nicht erkennen?“
„Es tut mir leid, ich sehe keine Tafel.“
„Was sie sehen noch nicht einmal die Tafel? Sie sind ja fast blind! Untauglich!“
Am selben Abend geht der Mann ins Kino, sucht seinen Platz in der dritten Reihe und trifft dort ausgerechnet auf den Musterungsarzt. Was nun? Er fragt den Musterungsarzt: „Ach entschuldigen Sie bitte, gnädige Frau, ist das der Bus bis Tel Aviv?“
Netter Witz, nicht wahr? Aber auch nicht gerade umwerfend. Die Pointe braucht eine Verstärkung, und die erhält sie dadurch, daß nicht nach dem Bus nach Tel Aviv, sondern bis Tel Aviv gefragt wird. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, daß kein anderer Ort als Tel Aviv dem Witz die Würze geben könnte. Da dürfen wir auch getrost das Postulat, das die Gelehrten verkündeten, außer acht lassen, nämlich, daß jüdische Witze sich nie in Israel zutragen, sondern in der Diaspora.
Der folgende Witz, der eine Ahnung davon vermittelt, daß der jiddischen Sprache ein Element des Widerstands von unten innewohnt, spielt notwendig im deutschen Sprachraum, mußte aber nach Polen verlegt werden, um den Umstand auszunutzen, daß die Währung in Polen „Zloty“ heißt. Ein Geld „Zloty“ zu nennen ist komisch. Das hört sich an wie „Bluntschli“.
Ein Generaldirektor läßt sich von seinem Chauffeur in seiner Limousine die Landstraße entlang chauffieren. Plötzlich bleibt der Wagen stehen. Motorschaden. Der Chauffeur läuft in die nächste Ortschaft und findet dort einen jüdischen Automechaniker. Der kommt, klappt die Motorhaube auf und schaut sich einen Moment lang den Motor an. Dann zieht er ein winziges Hämmerchen aus der Tasche und klopft damit ganz leicht gegen den Motor. Der Motor springt sofort wieder an.
„Das macht 50 Zloty.“
„Was? 50 Zloty?“ ruft der Generaldirektor. „Das müssen Sie mir aufschreiben.“
Der Monteur zieht einen Block und einen Bleistiftstummel aus der Tasche und schreibt auf:
„Gegeben e Klopp: 1 Zloty.
Gewußt wo: 49 Zloty.“
In der jiddischen Sprache werden die (Neben-)Sätze zuweilen anders konstruiert. Statt „Wenn die Sonne scheint, dann…“ heißt es „Scheint die Sonne, dann…“. „Ich will“ heißt auf jiddisch „Will ach“. Das klingt wie Villach in Kärnten, Österreich.
Ein jüdischer Herr tritt an den Fahrkartenschalter und sagt:
„Will ach Posen.“
Der Schalterbeamte versteht nicht und fragt: „Villach oder Posen.“
Antwort:
„Will ach Villach, will ach Villach. Will ach Posen, will ach Posen. Will ach Posen.“
Der Vorteil dieses Witzes besteht darin, daß nicht nur der Schalterbeamte nix versteht, sondern auch der, dem man den Witz erzählt.
Eine weitere Kategorie ist – als problematisch oft empfunden – der „Irrenwitz“, der in den frühen 60er Jahren auftauchte und bald wieder verschwand. In den besseren Exemplaren seiner Art lehnt er sich gegen die elementare Logik auf, doch zumeist dreht er eine Situation so, daß sich der Psychiater oder der General de Gaulle als der eigentlich Verrückte erweist. Der Gedanke, daß eigentlich nur der „Verrückte“, der Spleenige, der Außenseiter eine Hoffnung für die Welt verkörpern könnte, kommt im Irrenwitz allerdings kaum zum Tragen. Die Irrenwitze enthalten wenig subversive Kraft und sind zurecht aus der Mode gekommen.
Zwei Verrückte gehen die Straße entlang. Sie gehen nebeneinander. Nach 20 Minuten sagt der eine:
„So, jetz binnijet aber leid. Jetz will ich au‘ ma inne Mitte geh’n.“
Daß, wenn zwei nebeneinandergehende Personen ihre Positionen tauschen, jeder wieder in die Randlage, niemals aber in die Mitte gerät, beziehungsweise daß die Mitte zwischen zwei nebeneinandergehenden Personen die Lücke zwischen den beiden ist, durch den Tausch der Positionen von keinem der beiden ausgefüllt werden kann, ist schon alles, was die Pointe enthält. Allenfalls dem Zeigefinger bietet die Geschichte noch etwas, nämlich eine „Moral“: daß der Andere das, was man ihm neidet, selber nicht hat.
Als mir dieser Witz im Jahre 1968 erzählt wurde, habe ich wie üblich einen Moment zu früh gelacht. Ich fand es lustig, wie die Wortfolge „bin ich es“ zu einem schlanken „binnejet“ zusammenfloß. Daß es aber überhaupt jemanden so sehr danach drängt, unbedingt „in der Mitte“ gehen zu wollen, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben.

P.S.: Wetten, daß jetzt irgendein sich für einen Revolutionswächter haltender Aufpasser aufgrund dieses Notats mich als Zionist, als „antideutschen“ Israel-Sympathisanten „entlarvt“ und daß Heerscharen von Weitererzählern ungeprüft und ohne Kenntnis der Primärquelle, aus der dieser Vorwurf geschöpft wird, diesen weitererzählen werden? Das kennt man.
Die Aufpasser beider Richtungen können jedoch gleichermaßen be(un)ruhigt sein. Addiert man zusammen, was die, die noch nie eine Zeile von mir gelesen haben, über mich wissen, dann ist längst erwiesen, daß ich ein zionistischer Antisemit und ein antisemitischer Zionist bin.

Empfehlung aus der Weltbühne: Alles Pop?

Ich empfehle:
Marvin Chlada / Gerd Dembowski / Deniz Ünlü: Alles Pop? Kapitalismus und Subversion. Alibri Verlag 2003. 356 S. (NB1222) 19 Euro

Wie funktioniert Pop in der Warengesellschaft? Mit ihrer zentralen These, daß Pop ähnlich wie der kapitalistische Markt Subversion integriert, stellen die Autoren die Auffassung in Frage, daß innerhalb des Massenkonsums so etwas wie Widerstandspotential aufrechterhalten werden kann. Anhand von Interviews mit bekannten Musik- und Literaturgrößen wie Jim Avignon, Schorsch Kamerun (Goldene Zitronen), Tomas D oder F.M. Einheit (ehem. Einstürzende Neubauten), die über ihre Stellung (oder Nische) im Pop-Markt, über den eigenen Anspruch und entgegenstehende Zwänge Auskunft geben, können die theoretischen Aussagen an der Pop-Realität gewissermaßen abgeglichen werden.
Mit Beiträgen von Marvin Chlada, Gerd Dembowski, Deniz Ünlü, Simon Güntner und Romuald Leonhardt, Wiglaf Droste, Thomas D, Ira Cohen, Ralf Bentz, Klaus Walter und Marcus S. Kleiner.
„Gut, daß wir darüber geredet haben, noch besser, daß es trotz allem noch Künstler zu geben scheint, die überhaupt über Politik nachdenken.“ (Susann Sax in Scheinschlag, September 2003)
„Eine politische Linie verfolgen die Herausgeber nicht wirklich. Schlaglichtartig lassen sie unterschiedliche Autorinnen zu unterschiedlichsten Kulturfeldem Gedanken entwickeln. Das hat den Vorteil, daß die Aufsätze auch für sich allein zur Kenntnis genommen werden können, daß vielfaltige Betrachtungsweisen geboten werden. Allerdings bekommt das ganze damit auch eine ziemliche Beliebigkeit. Aber wenn einem die Sonne ohnehin das Hirn wegbrennt, ist das vielleicht auch nicht schlimm. Alles Pop?“ (Analyse und Kritik, August 2003)

Von Zeit zu Zeit werden Sie an dieser Stelle über Standardtitel in der Buchhandlung Weltbühne informiert – nicht immer das Neueste, aber immer empfehlenswert.
Wenn Sie bestellen wollen, dann hier. Erinnern Sie sich stets an den Slogan:
„LIEBE leute BESTELLT bücher IN der BUCHHANDLUNG weltbühne UND sonst NIRGENDS.“
Weltbühne muß bleiben.

Allgemeine Witzkunde (1)

Erster Teil: Tünnes un Schäl gingen übber de Rheinbrück.

In Erinnerung an den alten Hell.

Dieser Witz wurde erzählt:
Ein Lehrer trifft einen ehemaligen Schüler wieder und erfährt, daß dieser Schüler es als Geschäftsmann zu was gebracht hat. Darüber ist er verwundert.
„Daß Sie es zu so viel Geld gebracht haben, wo Sie doch im Rechnen der Schwächste in der Klasse waren.“
„Och, das ist ganz einfach. Ich kaufe Kisten ein für fünf Mark, und die verkauf ich dann für acht Mark. Und von die drei Prozent leb ich.“
Der Witz ist einfach erklärt: Diesem ehemaligen Schüler gereicht seine Rechenschwäche im Erwerbsleben nicht etwa, wie man vermuten könnte, zum Nachteil, sondern zum Vorteil, indem er – haha! – die Prozentrechnung mit der Subtraktion durcheinanderbringt und er sich zwar verrechnet, aber zu seinen Gunsten. Man könnte, ganz witz-analytisch, hinzufügen, daß der Lehrer die verblüffende Erfahrung macht, daß die Erfolgsgeschichte seines ehemaligen Schutzbefohlenen gerade im Mißerfolg seiner unterrichtlichen Bemühungen begründet ist. Man könnte dies als Beispiel dafür anführen, daß der Witz ein Element der Auflehnung gegen Autorität und Zwang enthält, auch gegen den Zwang der mathematischen Logik. So hätte man den Witz erklärt, und man wäre dabei davon ausgegangen, daß die Komik dieses Witzes in seiner Pointe liegt. Ich finde aber, daß dieser Witz sich auch als Beispiel dafür eignet, daß die Komik gerade nicht in der Pointe kulminieren muß. Im Gegenteil. Die Pointe ist zwar nett, aber der Witz würde viel von seiner Komik verlieren, ließe man das Detail außer Acht, daß der Satz, der die Pointe enthält, offenbart, daß der ehemalige Schüler nicht nur im Rechnen, sondern offensichtlich auch in Grammatik schwach war.
Ähnlich verhält es sich mit dem Witz, der durch Jürgen von Manger überliefert wurde. In „Der Unteroffiziersunterricht“ kommt dieser Dialog vor:
„Womit wäscht sich der Soldat?“
„Mit Seife, Herr Unteroffizier.“
„Nein. Mit nackten Oberkörper.“
Der Witz-Analytiker wäre mit der Erklärung bei der Hand, daß hier in der Umstandsbestimmung zwei Sprachebenen aneinanderschrammen, was immer einen komischen Effekt hat. Und wieder ist eine Person im Spiel, die Autorität verkörpert, der Unteroffizier, der, ebenso wie der Lehrer, keine allzu hohe Autorität darstellt. Er ist kein wirklicher Herrscher, sondern einer, dem ein bißchen Autorität von oben runterdelegiert wurde. Ein ordentlicher Witz also. Aber richtig in Schieflage gerät des Geschehen doch erst dadurch, daß auch hier mal wieder der Akkusativ schon den Platz besetzt hatte, der dem Dativ zusteht. Wer diesen Witz in grammatikalisch korrektem Wortlaut erzählen würde, würde die Komik glatt halbieren.
Ich bin mir sicher, daß Jürgen von Manger diese Geschichte nicht erfunden hat. Das sind die Witze, die das Leben erzählt. Die Komik der Pointe repräsentiert (oder: erhellt) lediglich Weiterlesen

Meine Schwierigkeiten mit den Frauen

Meine Berliner Freundin hat mich zurechtgewiesen:
„Sag doch nicht sowas wie ‚Die zue Tür‘.“
„Aber ich hab‘ doch vor der zuen Tür gestanden!“
„Schlimm genug, sowas zu sagen. Aber so schreibst du ja auch.“
„Ich bin ein deutscher Schriftsteller. Ich bin Sprachschöpfer. Ich setze die Maßstäbe. Wenn ich ‚Draht‘ mit ‚i‘ schreip, dann is dat richtich.“
„Die ‚zue Tür‘ ist ja schon schlimm. Aber ‚aufe Tür‘ geht wirklich nicht.“
„Hast du mich denn nicht eben durche aufe Tür kommen seh‘n? Wenn ich so schreip, dann is dat Litteratur.“
Sie findet, meine großzügigen Formulierungen würden Leute verwirren, die Deutsch als Fremdsprache sprechen. Sie geht viel mit Ausländern um und spricht mehr Englisch als Deutsch.
Mit mir spricht sie jetzt gar nicht mehr. Das „ane Radio“ war ihr zu viel. Ich verstehe das. Denn sie heißt Anne.

Anne war das ane Radio zu viel

Meine Bonner Freundin redet schon lange nicht mehr mit mir. Das ist schade, denn ich hatte mir schon in frühester Jugend gewünscht, mal eine Freundin zu haben, die Erika heißt. Ich hab mich immer gefreut, wenn das Telefon klingelte und ich dann hörte „Hier ist Erika.“ Ich finde den Namen so schön.

Erika redet überhaupt nicht mehr mit mir. Ihr war alles zu viel.

Eine nach der anderen will von mir nichts mehr wissen. Bin ich denn so unerträglich? (Das habe ich meine Duisserner Freundin gefragt, und sie hat darauf nicht geantwortet).
Ich habe wirklich nicht mehr viel Glück in der Liebe. Vielleicht sollte ich jetzt mal einen Lottoschein abgeben.

Meine Essener Freundin, die Lina – ich glaube, die mag mich noch. Aber was nützt die relative Nähe dieses Freundinnen-Quartiers, wenn die dauernd in der Weltgeschichte herumgondelt und nie da ist!

Lina-Darling ist dauernd verreist.

Sie hat letztens in einem Internetforum geschrieben, die Materialität des Universums sei nicht beweisbar: „Indem ich denke, kann ich meine Existenz nur mir beweisen“, schrieb sie. Jaja, Descartes und so. „Ich denke, also bin ich.“ Vielleicht ist die ganze Welt nur geträumt. Wer denkt, der ist (und wenn er auch noch ißt, ist die Existenz nicht nur bewiesen, sondern auch gesichert).

Das erinnert mich an Jenny.

Jenny, oh, Jenny!

Die träumte einst, sie sei ein Schmetterling. Jenny ging sogar noch weiter als Descartes. Denn Jenny war sich nicht sicher: „Bin ich ein Mensch, der träumt, er sei ein Schmetterling, oder bin ich ein Schmetterling, der träumt, er sei ein Mensch?“

 
Lina, du Kluge, du Starke, du Schöne, ich weiß, daß du das liest! Sei es wie es sei, Mensch oder Schmetterling: Komm doch mal wieder nach Essen geflattert. Dann können wir uns wieder öfter sehen und an einem Sommertag wieder zum Entenfang gehen. Und in der danachen Sommernacht probieren wir dann, ob es die Existenz wirklich gibt.

Happening (1969)

Im März 1969, zwei Tage vor dem Ostermarsch, weilte der Generalinspekteur der Bundeswehr, Ulrich de Maizière, in Duisburg. Der Unternehmerverband Ruhr-Niederrhein hatte ihn eingeladen, im vornehmen Duisburger Hof einen Vortrag zu halten.
Wir fanden uns mit etwa 10 Leuten vor dem Duisburger Hof ein und veranstalteten ein Happening, mit dem wir gegen die Anwesenheit des Generals und gegen die Bundeswehr überhaupt unseren Protest zum Ausdruck zu bringen gedachten. Wir verteilten Flugblätter, trugen Papptafeln mit Slogans herum, einer trug einen Stahlhelm und eine Gasmaske. Bernhard Klaas trug ebenfalls einen Stahlhelm, an dem er zwei Haken angebracht hatte, mittels derer er ein Holzbrett an dem Helm befestigen konnte. Das war das „Brett vor dem Kopf des Bundeswehrsoldaten“.

APO-Happening 1969. 2. v.l.: ich. 3.v.l.: Anne! 4. v.l.: Baumeister. 2. v.r.: Hans Raßmes (mit Gasmaske). Rechts: Klaas (mit Brett vor’m Kopp).

Als der General im Mercedes vorgefahren kam, salutierte Klaas formvollendet. Der General – das muß man sagen – hatte Humor und lachte sich kaputt. Bernhard Klaas marschierte auf dem Bürgersteig hin und her, blieb vor dem Mercedes stehen, knallte die Hacken zusammen und salutierte, bis ich ihn darauf aufmerksam machte, daß der General längst ausgestiegen und ins Gebäude gegangen war.
„Wat?“ Klaas hob das Brett an und sah. „Ach so!“
Die Presse kam auch. Es gab damals noch die rasenden Reporter, die Happenings witterten. Der erste war ein Fotograf der UZ.
Auch einige Passanten blieben stehen und schauten sich das Treiben belustigt an. Mit der Zeit bildete sich das, was man eine „Menschentraube“ nennt. Diskutiert wurde auch. Die meisten Leute waren skeptisch, aber nicht ablehnend. Und wir versäumten es nicht, den Krieg der USA in Vietnam zu erwähnen.
Aus der Ansammlung der Zuschauer rief einer uns zu: „Warum geht ihr denn nicht bei Ulbricht demonstrieren?“
„Der Walter Ulbricht, ne“, rief ich zurück, „der ist nämlich auch gegen den Vietnamkrieg.“
Siegfried Baumeister, der bei uns als eine Art Wortführer galt, stand neben mir. Ihm war es eiskalt den Rücken runtergelaufen. „Bist du verrückt?“ zischelte er mir zu. „Das kannst du doch so nicht sagen!“
Aber das Publikum reagierte alles andere als „abgestoßen“. Heiterkeit breitete sich aus. „Wo er recht hat, da hat er recht“, rief einer. Die einen lachten, die anderen schmunzelten. Die Schlagfertigkeit meiner Antwort, die mir just eingefallen war, hatte beeindruckt.
Gewiß, das war nicht political correct gewesen. Ich hätte natürlich wortreich versichern müssen, daß wir ja auch was gegen Ulbricht haben, und ich hätte geflissentlich bekennen müssen, daß wir sowjetische Militärposten in Prag mindestens ebenso fürchterlich finden wie den Völkermord in Vietnam, und daß wir für Abrüstung in West uuund Ost sind, und ich hätte dieses Uuund uuunüberhörbar dem öffentlichen Bewußtsein zu Füßen legen müssen.
Das hatte ich aber nicht getan. Ich war 19 Jahre alt und von Politik, von Klassenkampf verstand ich noch sehr wenig. Mir fehlten noch viele Erfahrungen. Aber so viel verstand ich schon, daß ich – wenngleich auch uncorrect –, so doch – wie ich finde – richtig gehandelt habe.
Ich hatte die Lacher auf meiner Seite und habe somit Pluspunkte eingeheimst, und das hätte ich nicht geschafft, wenn ich gesagt hätte, was man von mir hören wollte.
Was hätte es denn gebracht, wenn ich mich wortreich in Beschwichtigungsritualen ergangen wäre? Das hätte man mir doch sowieso nicht abgenommen. Wer auf einen „wunden Punkt“ hingewiesen wird und sich dann windet wie ein Aal, überzeugt niemanden. Er steht dann da als einer, der sich ertappt fühlt und durch Distanzierung sich reinzuwaschen versucht. Dann doch lieber die Etiketten, die die Herrschenden uns ans Hemd kleben, stolz vorzeigen. Das imponiert mehr. Wer die Lacher auf seiner Seite hat, hat mehr erreicht als einer, der bei den Meinungsbegutachtern gerade noch eine Vierminus herausschindet.
„Seht her! So schlecht wie unser Ruf, so sind wir auch!“ Das ist das bessere Motto. Ich war 19 Jahre alt und von Politik, von Klassenkampf verstand ich noch sehr wenig. Mir fehlten noch viele Erfahrungen. Aber soviel verstand ich schon: Daß wir als „Everybody‘s Darling“ nichts gewinnen können, weil wir niemals „Everybody‘s Darling“ sein werden. Als kleine radikale Minderheit aber, als die stets unwillkommenen Störenfriede, als harter Kern haben wir vielleicht eine Chance. Als Alptraum der Spießer sind wir unübertroffen.
Und außerdem, das sollten Sie auch noch wissen: Die Aussage „Der Walter Ulbricht, ne, der ist nämlich auch gegen den Vietnamkrieg“ entsprach durchaus meiner Meinung. So sah ich die Dinge. In Walter Ulbricht und „seiner“ DDR sah ich einen Verbündeten unserer Sache. Wem hätte es genützt, wenn ich es verschämt verschwiegen hätte?
Bleibt noch zu erwähnen, daß Bernhard Klaas zwei Tage danach mit Stahlhelm auf dem Kopf als „Bundeswehrsoldat mit dem Brett vor dem Kopf“ den ganzen Ostermarsch mitgegangen ist.

aus Der Gartenoffizier. 124 komische Geschichten. Situationspresse 2008. 268 S. 16,50 Euro. ISBN 978-3-935673-24-2

Angeblich

Frau Alice Schwarzer mimt mal wieder die Frauenrechtlerin:
„Ich bemerke, daß alle Menschen sehr empört sind, wenn über Türken bzw. Muslime biologistische Vorurteile verbreitet werden. Aber daß Frauen angeblich von Natur aus emotionaler und weniger rational sind oder schlechter einparken können etc. – das hat bisher niemanden gestört.“
Das hat bisher angeblich niemanden gestört.


Ich will mal sagen, was mich stört:
Daß viele Frauen (ich sage nicht: alle Frauen. Ich sage auch nicht: einige Frauen. Ich sage: viele Frauen) von ihrem Frau-Sein ein Privileg für sich herleiten, weniger rational sein zu müssen und schlechter einparken zu dürfen.
Das sind die Frauen, die für Alice Schwarzer schwärmen.

Auf einer Parkbank sitzen und ein Buch lesen, so wie früher

Wenn man durch den Duisburger Wald in nördliche Richtung geht, dann wird es erstmal richtig hügelig, und dann ist der Wald zu Ende, und man geht an Wiesen vorbei, auf denen Kühe weiden, und dann geht man über einen Steg, unter dem ein Bach fließt, und dann hat man auch die Weiden hinter sich gelassen und den großen Park am Solbad Raffelberg betreten.

Solbad Raffelberg, Park

Der Park ist immer, wenn ich da durchgegangen bin, menschenleer gewesen, so als hätte man vergessen, daß es ihn gibt. Aber einmal sah ich eine junge Frau auf einer Bank sitzen, die ein Buch las. Ich dachte mir: Das mache ich auch mal: auf einer Parkbank sitzen und ein Buch lesen, so wie früher. Warum bin ich nicht schon längst auf diese Idee gekommen?
Das ist jetzt schon zwei Jahre her. Ich gehe nur einmal im Jahr durch den Park am Solbad Raffelberg, und zwar immer an einem dieser Feiertage im Frühling, wenn es lange hell bleibt und man gut acht Stunden lang spazierengehen kann und dann immer noch im Hellen nach Hause kommt. Vor einem Jahr mußte ich auf das Vorhaben, im Park am Solbad Raffelberg ein Buch zu lesen, verzichten, denn es war an dem Tag windig und regnerisch, und bei so einem Wetter kann man wohl spazierengehen, aber nicht auf einer Bank verweilen. Und in diesem Jahr war es damit auch nicht gut bestellt, denn meine Lektüre war gerade die zweibändige Brecht-Biografie von Mittenzwei. Da ist ein Band 800 Seiten dick, und so ein schweres Buch wollte ich nicht den ganzen Tag auf meiner Wanderung mit mir tragen.
Dieses Jahr im Spätsommer bin ich dann endlich auf die Idee gekommen, mir für die Lektüre unter freiem Himmel den Botanischen Garten an der Schweizer Straße auszusuchen. Denn mein Weg dorthin ist nicht weit, und es ist nicht beschwerlich, ein dickes Buch dorthin und wieder nach Hause zu tragen.
Am letzten wirklich warmen Samstagnachmittag des Sommers begab ich mich also mit dem zweiten Band von Mittenzweis Brecht-Biografie in den Botanischen Garten. Auf der Galerie hinter dem großen Rasen fand ich einen Platz auf einer der vielen Bänke, um mich für ein paar Stunden der Lektüre und dem Tabakgenuß hinzugeben.

Botanischer Garten, die Galerie

Ab und zu ließ ich das Buch sinken, um den Blick aus der Enge der Zeilen auf das entspannende Grün des Rasens schweifen zu lassen. Hinter der großzügig angelegten Grasfläche ist das Café des Botanischen Gartens, auf dessen Terrasse sich viele, meist ältere Menschen eingefunden hatten. Es gehört zu den angenehmen Dingen, Leuten dabei zuzusehen, wie sie es sich gut ergehen lassen.


Irgendwann mußte ich die Lektüre abbrechen, denn ganz plötzlich hatte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben. Im Wetterbericht am Morgen war für den späten Nachmittag Regen angesagt worden, und der kündigte sich jetzt also an. Ich klappte das Buch zu. steckte es in meine Tragetasche und machte mich auf den Heimweg. Ich beeilte mich nicht. Der Botanische Garten ist kein Ort zur Beeilung. Als ich die Straßen entlangging, schien wieder die Sonne. Nur diese eine Wolke hatte sich kurz vor die Sonne geschoben, um dann wieder zu verschwinden.


Gerade war Hanns Eisler zur Tür reingekommen mit seinem Doktor-Faustus-Libretto unterm Arm. Da sollten noch ganz andere Wolken aufziehen.

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Wähler doof

Da haben die Wähler es einmal im Leben in der Hand, eine überflüssige Partei zu killen. Und dann kommt die FDP wieder hoch.
Wenngleich die Wähler aus den falschen Gründen die Üfdüpü gekillt hätten (weil sie sich von der Zerschlagung der Reste des Sozialstaates mehr versprochen hatten), wäre das Resultat reizvoll gewesen: Weg mit der FDP, die den Liberalismus durch das Präfix „Neo“ ad absurdum geführt hatte. Aber eine Staatspartei einfach so entsorgen? Nein, das tut man nicht. Die Gunst der Stunde nutzen, sowas gehört sich nicht.
Nicht die Parteien sind das eigentliche Problem in diesem Land, sondern die Wähler. Darum erlauben die Parteien den Wählern, sie zu wählen. Und die wählen, als würde ihnen jemand dabei zuschauen. Der Liebegott sieht alles.
Als das Bürgertum seine Fähigkeiten erkannte, war es entsetzt – und flüchtete in die Restauration. (Das sagte Friedrich Engels). Und die Bürger riefen: „Wir wollen unseren alten König Ludwig wieder haben!“
Gegenwärtig geben sie sich mit Philipp Rösler und Rainer Brüderle zufrieden.

Friedrich Engels

Atomwaffen: Hat es auch Methode, es ist doch Wahnsinn

Gestern meldete die WAZ auf der ersten Seite:
„US-Atomwaffen bleiben in Deutschland.
Die noch in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen werden ungeachtet der Bemühungen von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) offenbar vorerst nicht abgezogen. Berlin habe sich einverstanden erklärt, daß die Waffen im Land bleiben und sogar mit Milliarden-Aufwand modernisiert würden, berichtete die Berliner Zeitung unter Berufung auf Militärexperten.“
Im Kommentar auf Seite 2 heißt es: „Dabei weiß seit dem Ende des Kalten Krieges eigentlich niemand mehr, gegen wen diese Waffen eingesetzt werden sollen.“
Soll man diesen Satz so verstehen, daß Atomwaffen in einer bestimmten zeitgeschichtlichen Phase noch einen Sinn hatten, den sie nunmehr nicht mehr haben? Beziehungsweise: Daß die Atomwaffenstrategie der USA ihre Rationalität verloren hat (und demnach mal eine hatte)?
Man stelle sich vor, die Regierung würde beschließen, daß die Blindgänger des Zweiten Weltkrieges nicht mehr entschärft werden – und nicht nur das, sondern daß sie auch mit neuen Zündern versehen werden. Das wäre in der Tat irrsinnig. Etwas Ähnliches aber wird mit den Atombomben, den Blindgängern des Kalten Krieges, geplant. Sie sollen uns nicht nur erhalten bleiben, sie werden auch noch modernisiert.
Dem von den USA einseitig vorangetriebenen Wettrüsten haftete immer etwas Wahnhaftes an. Die Potentiale versetzten die Atommächte in die Lage, nicht nur den Gegner vollständig zu vernichten, sondern die Menschheit. Die Potentiale reichten aus, um gleich sechs bis sieben Menschheiten zu vernichten. Da liegt es nähe, vom „Rüstungswahnsinn“ zu sprechen. Wahnhaft ist auch die Vorstellung, durch „Abschreckung“ (also: durch immer mehr Rüstung) Krieg verhindern zu können. (Nicht durch Abschreckung, sondern nur durch Abrüstung ist der Frieden zu sichern).
Mit dem von den USA einseitig vorangetriebenen Wettrüsten war jedoch keineswegs beabsichtigt, ein „Rüstungsgleichgewicht“ zu erhalten. Die Rüstungsstrategie gründete sich auf die Voraussetzung, daß ein termonuklearer Krieg möglich, vorstellbar und vertretbar ist und daß er im klassischen Sinn gewonnen und verloren werden kann. Diese Doktrin gilt nicht nur für die Periode der Systemkonkurrenz. So irrational die Politik mit der Atombombe auch erscheint: ihr wohnt eine perfide Herrschafts-Rationalität inne.
Die USA wollen an der Option, ihre weltpolitischen Ziele mit Massenvernichtungsmitteln durchzusetzen, nicht aufgeben. Die Gefahr eines Atomkrieges besteht weiterhin.
Bitte lesen Sie den Kommentar der DFG-VK Duisburg „Das Zeitalter der Atombombe ist noch nicht beendet“.

Karikatur richtig verstanden. Eine Gebrauchsanleitung.

„Für deine Art von Humor braucht man eine Gebrauchsanleitung“, sagte Marita Bursch, als die diese Karikatur auf dem Tisch liegen sah (das Intro von DER METZGER Nr. 70). Sie warf einen kurzen Blick darauf und bemerkte lapidar: „Also, Helmut, für DEINE Art von Humor braucht man eine Gebrauchsanleitung.“

Damit sich die Komik, die in dieser Karikatur enthalten ist, nicht nur der mit meiner Art von Humor seit langem vertrauten Freundin, sondern auch anderen Personen erschließt, wird hiermit eine Gebrauchsanleitung nachgeliefert:
Man vergleiche zunächst die Darstellung mit der Überschrift. Da steht „drei Tenöre“, gezeigt werden aber nur zwei. Das ist ein Widerspruch, der dem Betrachter komisch vorkommen muß (drei Tenöre wurden angekündigt, aber nur zwei sind da).
Es fällt auf, daß sie zwar gleichzeitig singen, aber verschiedene Stücke. Wenn zwei verschiedene Lieder gleichzeitig gesungen werden, hört sich das komisch an. Man muß sich das Dargestellte akustisch vorstellen.
Dann muß man darauf achten, was sie singen.
Der eine singt „Isch möösch zefoos no Dortmund jonn“. (Ich möchte zu Fuß nach Dortmund gehen). Der Sänger greift ein bekanntes Lied von Willi Ostermann (1876-1936) auf, in dem es heißt „Isch möösch zefoos no Kölle jonn“. Aber hier steht vor uns einer, der nit no Kölle, sondern no Dortmund jonn möösch. Der Betrachter ist mit einer unerwarteten Wendung konfrontiert.
Woran denken wir, wenn jemand zu Fuß nach Dortmund geht? Richtig! An den Ostermarsch, der traditionsgemäß in Duisburg beginnt und in Dortmund endet. Ich habe schon mit Willi Hoffmeister und Felix Oekentorp gesprochen: Dieses Bild wird das offizielle Plakat für den Ostermarsch Ruhr 2013.
Der andere Sänger hat den Schlager „Was kann der Sigismund dafür, daß er so schön ist“ aus der Operette „Im weißen Rößl“ von Ralph Benatzky verändert. Er singt: „Was kann der Sigismund dafür, daß die Heizung so schön ist“. Hat man es je erlebt, daß eine Heizung wegen ihrer Schönheit gepriesen wird?
Also, wenn ich dieses Bild sehe, könnte ich mich kaputtlachen.

LSD ins Trinkwasser!

Auf einer Party kam ich mit einem ins Gespräch, den ich „von früher“ und „nur vom Sehen“ kannte. Er erkannte mich: „Ja, ich weiß noch, wie du uns immer geärgert hast, mit ‚LSD ins Trinkwasser!‘“.
Ja, das war Mitte der 70er Jahre an der Uni. Ich gehörte zu der kleinen, aber agilen Törn-Fraktion, von der ich mich nie (wie überhaupt noch nie von etwas) distanziert habe. Und er war im MSB-Spartakus. Und, so erfuhr ich nun, der MSB Spartakus sprang damals im Quadrat, weil ich offensiv und konsequent die Parole „LSD ins Trinkwasser!“ propagierte. Ich hängte ein Schild mit dieser Forderung über das Waschbecken. Ich schrieb die Parole mit Filzstift auf alle möglichen Plakate und auf die Wände, ich tippte die Parole mit der Schreibmaschine auf viele kleine Zettelchen und steckte die in die Manteltaschen in der Garderobe. Das wurde, so erfuhr ich nun, vom MSB Spartakus mißbilligt. Diese Forderung sei falsch. Diese Forderung wirke sich auf die Studentenschaft desorientierend aus.
Richtig schlimm wurde es, als ich einen Aushang des MSB Spartakus veränderte. Die hatten eine Erklärung zur Hochschulpolitik ausgehängt, die in einem Forderungskatalog gipfelte. Unter der Überschrift „Wir fordern:“ wurden sieben Forderungen aufgezählt, und ich schrieb mit Kugelschreiber darunter: „8. LSD ins Trinkwasser“.
Ich war für die der Chaot, der Anarchist aus‘m Eschhaus, überhaupt: der Inbegriff. Vor mir mußte gewarnt werden.
Ich möchte mal gern wissen, was aus denen später geworden ist.