Am 31. Oktober ist immer Reformationstag, heute sogar in ganz Deutschland gesetzlicher Feiertag wegen 500-Jahre-Jubiläum. Dabei ist die Reformation gewiß kein Tagesereignis gewesen. Ob an jenem 31. Oktober 1517 der Augustinermönch und Theologieprofessor Dr. Martin Ludher (später: Luther) überhaupt ein Plakat mit 95 Thesen an das Hauptportal der Schloßkirche zu Wittenberg angeschlagen hat, ist nicht gesichert. Die älteste belegte Aussage über den Thesenanschlag stammt von dem Reformator und Luther-Anhänger Philipp Melanchthon. Da war Luther nicht mehr am Leben. Luther selbst hat sich nie dazu geäußert. Sicherlich wurde der Text der Thesen vervielfältigt und war schon vor jenem Datum in Umlauf, auch denen, die durch das Thesen-Papier angegriffen wurden, schon bekannt.
Luther wandte sich gegen das Ablaßwesen der (später sogenannten katholischen) Kirche. Den Gläubigen wurde einsuggeriert, daß man durch den Kauf eines Ablaßbriefes Vergebung der Sünden erwerben und so die Dauer der Seele im Fegefeuer abkürzen könnte. Mehr noch: auch die Vergebung noch nicht begangener Sünden im voraus wurde versprochen.
Es wird immer gesagt, die Einnahmen aus dem Ablaßwesen hätten der Finanzierung des Petersdoms in Rom gedient. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Albrecht von Hohenzollern, Markgraf von Brandenburg (als solcher: Kurfürst) hatte ein ungewöhnliches Hobby. Er sammelte Bistümer. Er war u.a. Erzbischof von Magdeburg und Bischof von Halberstadt. Dann wurde er auch noch Kardinal und Erzbischof von Mainz (als solcher: nochmal Kurfürst, sozusagen ein Kurdoppelfürst oder Kurkurfürstfürst).
Bistümer waren eine einträgliche Einnahmequelle. Aber um ranzukommen mußte man zuerst ordentlich was hinblättern. Das Geld lieh sich Albrecht bei den Fuggern. Von den Einnahmen aus den Ablässen schickte der nur die Hälfte zum Vatikan, von der anderen Hälfte stotterte er seine Schulden bei den Fuggern ab. Man sieht: Die Kirche war am Ende des Mittelalters zu einer durch und durch korrupten Bagage geworden.
Dr. Martin Luther begnügte sich nicht damit, die Korruption in der Kirche anzuprangern. Sondern mit deutscher Gründlichkeit machte er in eine theologische Grundsatzfrage daraus. Er widersprach der Auffassung, daß man für seine guten Taten im Himmel belohnt und für seine bösen Taten in der Hölle bestraft wird. In Wahrheit lasse sich Gott durch menschliches Handeln gar nicht beeinflussen. Der einzige Weg der Erlösung ist Gottes Gnade. Der einzige Weg, die Gnade zu erlangen (sich für sie zu rechtfertigen) ist der Glaube. Die protestantische Ethik besagt eben nur: Man soll sich gottgefällig verhalten, weil sich das gehört, und nicht um im Himmel Pluspunkte zu sammeln.
Kirchenspaltungen hatte es vor der Reformation schon viele gegeben, die ersten schon im ersten Jahrhundert. Die Reformation des frühen 16. Jahrhunderts verdankte ihre historische Wirkung vor allem der Erfindung des Buchdrucks. Die neuen Ideen verbreiteten sich in Windeseile. Luther hat die neuen Medien für seine Sache zu nutzen gewußt.
Luthers Bibelübersetzung war nicht die erste Ausgabe der Bibel in deutscher Sprache. Ihre Bedeutung erlangte sie nicht allein durch die technisch möglich gewordene schnelle Verbreitung, sondern auch durch die sprachschöpferische Kraft des Übersetzers. Luther hat mit der Bibelübersetzung und mit eigenen Schriften (ebenso übrigens wie sein Zeitgenosse Adam Riese mit seinen Rechenbüchern) einen Beitrag zur Vereinheitlichung der deutschen Sprache geleistet. Luther verdanken wir übrigens auch solche Ausdrücke wie „singen und klingen“, „der böse Bube“, „Feuertaufe“, „Bluthund“, „Selbstverleugnung“, „Machtwort“, „Schandfleck“, „Lückenbüßer“, „Gewissensbisse“, „Lästermaul“, „Lockvogel“, „Perlen vor die Säue werfen“, „ein Buch mit sieben Siegeln“, „die Zähne zusammenbeißen“, „etwas ausposaunen“, „im Dunkeln tappen“, „ein Herz und eine Seele“, „auf Sand bauen“, „Wolf im Schafpelz“, „der große Unbekannte“.
Das alles habe ich gestern im Café einem Kollegen erzählt. Der meinte: „Du kennst dich aber gut aus.“
Ich sagte: „Ich bin ja auch Atheist.“