25. August 1933: Die erste Liste der Ausgebürgerten

Am 25. August 1933, heute vor 90 Jahren, wurde im amtlichen Reichsanzeiger die erste Liste von Personen veröffentlicht, denen auf ganz scheinlegale Art die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen wurde. Es folgten in den nächsten Jahren weitere Listen.
Die genannten Personen waren im Reichsgebiet rechtlos. Da ihr im Inland aufzufindendes Vermögen geraubt („beschlagnahmt“) wurde, waren sie mittellos.
Im „Deutschen Club“ in London wurden wurden Bilder der 33 Ausgebürgerten ausgestellt mit dem Zusatz „Wenn ihr einen trefft, schlagt ihn tot!“. Der niedrigste Instinkt war mit der Staatsmacht eine enge Allianz eingegangen.
16 der 33 „Ausgebürgerten“ haben das Ende des NS-Regimes noch erlebt. Deren „Ausbürgerung“ war mit dem 8. Mai 1945 keineswegs null und nichtig. Sie blieben Staatenlose.
Die Namen auf dieser Liste dürfen nicht vergessen werden.

Bücherverbrennung – heute vor 90 Jahren

Der Tag heute vor 90 Jahren war ein markantes Datum in der deutschen Kulturgeschichte. Es war der 10. Mai 1933, der Tag, an dem in Deutschland Bücher angezündet wurden.
Es waren Leute, die sich sehr als Deutschmenschen sahen – vorweg deutsche Studenten, die sie Flammen entfachten. Ihre Parole lautete: „Gegen undeutschen Geist – für Zucht und Sitte in Familie und Staat“ – die Rebellion des Bauches gegen den Kopf, die Abwehr des wildgewordenen Konformismus gegen den (wie Goebbels es nannte) „jüdisch-spitzfindigen Intellektualismus“, der Aufstand des Unverstandes gegen das Unverstandene.
Die Autorenliste der verbrannten Bücher ist eine Ehrenliste. Einer der deutschen Schriftsteller vermisste seinen Namen darauf: Oskar Maria Graf.

Oskar Maria Graf gemalt von Georg Schrimpf

Oskar Maria Graf (1894-1967) wurde und wird als bayerischer Heimatdichter gesehen, und er sah sich wohl auch selbst so. Aber er hat die Heimat nicht romantisiert und erst recht nicht ein völkisches Bild davon gezeichnet, sondern er hat das harte Leben der armen Landbevölkerung aufgezeigt.
Hatte er sich nicht immer den Kolleginnen und Kollegen auf der Schwarzen Liste zugehörig gefühlt? Hatte er nicht immer die Wahrheit gesagt? Nun fühlte er sich wie ein Lügner dargestellt.
Er schrieb einen Protestbrief an Joseph Goebbels: „Verbrennt mich!“ Schon im Exil, übergab er seinen Offenen Brief der Wiener Arbeiterzeitung.
„Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, daß meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbanden gelangen!
Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein, wie eure Schmach!“
Die Heimat des Heimatschriftstellers blieb für sein weiteres Leben das Exil. Er lebte in New York und hatte die US-Staatsbürgerschaft erlangt. In seine Heimat kam er nur noch zu Besuchen.
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Hundert Jahre Georg Kreisler

Heute, am 18. Juli 2022, ist der hundertste Geburtstag von Georg Kreisler – geboren am 18. Juli 1922 in Wien. 1938 nach dem „Anschluß“ Österreichs an Nazi-Deutschland Flucht der jüdischen Familie in die USA.
Kreisler fand in Hollywood Verbindung zum Film, arbeitete mit Charlie Chaplin und Hanns Eisler zusammen. 1943 US-amerikanische Staatsbürgerschaft und gleich Einziehung in die Armee, dort ausgebildet als Übersetzer und Verhör-Spezialist. Gleich nach Kriegsende lernte er Deutschland von seiner unappetitlichsten Seite kennen: Er begegnete den festgenommenen Hermann Göring und Ernst Kaltenbrunner, er verhörte Julius Streicher.
Kreisler wollte nicht als Österreicher gesehen werden. Auch wenn er nach 1945 in Europa lebte, stellte er sich als Bürger der USA vor.
Man kann dagegen einwenden, daß Kreisler sehr österreichisch wirkte, wenn man seinen Namen in eine Reihe stellt mit Landsleuten wie Karl Kraus, Peter Altenberg, Helmut Qualtinger, Joseph Roth, Egon Fridell, Georg Stefan Troller, André Heller, Helmut Zenker, Fritz Muliar, die das NEIN als Element österreichischer Kultur garantieren. Allerdings bemerkte Kreisler:
„Aber auf keinen Fall bin ich Österreicher, denn im Jahre 1945, nach Kriegsende, wurden die Österreicher, die 1938 Deutsche geworden waren, automatisch wieder Österreicher, aber diesmal nur diejenigen, die die Nazizeit mitgemacht hatten. Wer unter Lebensgefahr ins Ausland geflüchtet wurde, also auch ich, bekam seine österreichische Staatsbürgerschaft nicht mehr zurück.“

Man sollte Georg Kreisler nicht vergessen, man sollte ihn hören.
Ich weiß immer noch nicht, was ein Bluntschli ist. Es wurde mir oft erklärt, aber ich glaube, daß keine der Erklärungen zutrifft.
Georg Kreisler soll, seine Kunst bilanzierend, sinngemäß gesagt haben: Man hat es heute schwerer, wenn man erreichen will, daß die Leute vor Ende des Konzerts den Saal verlassen und beim Hinausgehen die Tür zuknallen.

Erkundige dich nach Walter Benjamin

Heute, am 15. Juli 2022, ist ein Tag zur Erinnerung an Walter Benjamin, der am 15. Juli 1892, heute vor 130 Jahren in Berlin geboren wurde. Er starb am 26. September 1940 in Portbou, in den Pyrenäen auf der Flucht vor Hitler.

Wenn man über sein Leben und sein Werk referieren will, weiß man nicht, wo man anfangen soll, und man weiß, daß man so schnell nicht zu einem Abschluß kommt. „Philosoph“ trifft sicherlich zu, Kritiker, Theoretiker, Literaturwissenschaftler, Übersetzer französischer Literatur, Medientheoretiker – Theoretiker des Marxismus, der Pädagogik, der Ästhetik, der Kommunikation. Und: Emigrant. Und: Schachspieler (siehe unten).
Die Namensliste seines Bekannten- und Freundeskreises deutet in die Weite. Asja Lacis gehört dazu, Hannah Arendt, Gershom Scholem, Ernst Bloch, Ruth Berlau, Siegfried Kracauer. In engster Verbindung stand er mit Theodor W. Adorno und Bertolt Brecht.
Breit gefächert ist auch das Themen-Spektrum seiner Bücher und zahlreichen Zeitschriften-Beiträgen: von „Über Haschisch“ über „Berliner Kindheit um neunzehnhundert“, „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, „Der Surrealismus“, „Über Kinder, Jugend und Erziehung“ bis „Kapitalismus als Religion“. Und so weiter. Ein Denken aus vielen Richtungen in viele Richtungen. Seine Selbsteinschätzung lautete: „linkes Außenseitertum“. Das kann nichts anderes bedeuten und bedeutete bei Walter Benjamin: Erweiterung des Blickfeldes.
Gern gelesen habe ich in „Versuche über Brecht“, was mir den Einstieg in die Brecht-Forschung erleichterte.
Der vielseitige Denker passte gut in die sich formierende Gegenkultur der 60er-, 70er Jahre. Dort galt es, ihn zu entdecken. Dazu verhalf Helmut Salzinger mit seinem Buch „Swinging Benjamin“, das feast ausschließlich aus Zitaten bestand.
Schon während des Ersten Weltkrieges wählte Walter Benjamin das Exil. Den Beginn des Zweiten Weltkrieges erlebte er in Frankreich. Dort wurde er als deutscher Flüchtling interniert. Nach Spanien geflohen wurde ihm dort die Aufenthaltserlaubnis verweigert. Er setzte seinem Leben ein Ende.
Erschüttert von dieser Nachricht widmete ihm Bertolt Brecht ein Gedicht. Dort heißt es:

Ermattungstaktik war‘s, was dir behagte
Am Schachtisch sitzend in des Birnbaums Schatten
Der Feind, der dich von deinen Büchern jagte
Läßt sich von unsereinem nicht ermatten.

Versuchen wir es trotzdem!

„Revolutionen kommen nicht immer wie gerufen“

Es kam einmal eine junge Frau in den Laden, stellte sich vor mich hin, holte tief Luft und sagte: „Ich bin ein französisches Mädchen. Ich möchte ein Buch um lernen zu kennen deutsche Menschen.“
Auf solche Wünsche bin ich vorbereitet und empfehle dann:
Kästners „Fabian“,
Heinrich Böll „Ansichten eines Clowns“,
oder, wie in diesem Fall, Heinrich Mann „Der Untertan“.
Das sind drei Bücher (nicht die einzigen ihrer Art), die die deutsche Misere darstellen, letzteres, wie für diesen Anlaß geschrieben, erschien, als das deutsche Kaiserreich zusammenkrachte, und es führt vor Augen, was danach unausrottbar als Grundton deutscher Mentalität erhalten blieb.
Der 150. Geburtstag von Heinrich Mann (gestern) wurde im Feuilleton wenig beachtet. Er „steht im Schatten“ seines Bruders Thomas Mann. Reich-Ranicki äußerte wenig Lob über Heinrich Mann. Ich finde aber, ohne Thomas Mann abwerten zu wollen: Heinrich Mann hat uns Wichtigeres zu sagen.
In der Frankfurter Rundschau erschien am Samstag ein längerer Artikel von Wilhelm von Sternburg „Zum 150. Geburtstag des Schriftstellers und weitsichtigen Humanisten Heinrich Mann“ mit der Überschrift „Wir wollen an die Zunahme der Menschlichkeit glauben“.

P.S.: Reich-Ranicki befand, das beste an dem Roman „Der Untertan“ sei seine Verfilmung.
Das beste an dieser Rezension ist, daß man sie als Empfehlung eines Films von Wolfgang Staudte verstehen kann.