Ich fahre in einem dieser alten Doppeldecker-Busse durch Neudorf, und zwar die Oststraße entlang. Ich kann mich nicht erinnern, eingestiegen zu sein. Meines Wissens verkehren diese Doppeldecker-Busse doch schon lange nicht mehr, und die Oststraße entlang fährt auch gar keine Buslinie. Aber dieser Bus hat zwei Stockwerke und fährt die Oststraße entlang, und ich sitze drin, und zwar in dem oberen Stockwerk. Dort ist für die Fahrgäste ein Fernsehapparat aufgestellt. Zur Zeit läuft arte. Jemand wird interviewt. Er redet über die 60er Jahre und über die APO und die Neue Linke. Dieser Mann auf dem Fernsehschirm kommt mir bekannt vor. Ich kenne dieses Gesicht von früher. Aber wer ist das?
Ich frage die junge Frau neben mir: „Können Sie mir sagen, wer das ist?“
Die Frau schaut mich an, als ob sie sagen wollte: „Sagen Sie bloß, daß sie den nicht kennen!“ Und dann sagt sie: „Das ist Karl Heinz Roth.“
Ich antworte: „Nein, das kann doch nicht Karl Heinz Roth sein. Der sieht doch ganz anders aus.“
Die nächste Station meines Weges ist eine Arztpraxis auf der Düsseldorfer Straße. Ich warte unruhig auf das, was der Arzt mir sagen wird. Hat er eine schlechte Nachricht für mich?
Diese Arztpraxis ist tatsächlich die Praxis von Dr. Karl Heinz Roth. Der frühere SDS-Anführer und angesehene Sozialforscher vom Hamburger Institut für Sozialgeschichte ist ja Arzt, und das ist seine Praxis.
Im Wartezimmer sind viele Leute. Niemand, den ich kenne. Aber es tut sich eigentlich gar nichts. Ich warte schon lange, aber in der ganzen Zeit ist niemand ins Sprechzimmer gerufen worden. Ich stehe auf und gehe auf und ab. Dann, nach langer Zeit, passiert endlich etwas: Die Leute im Wartezimmer werden bewirtet. Es werden belegte Brötchen serviert, dazu Kaffee, wie bei einer Geburtstagsfeier. Es werden auch Torten aufgetragen.
Ich bin nicht in der Stimmung, um gemeinsam mit wildfremden Leuten Kaffee zu trinken und Torten und belegte Brötchen zu verspeisen. Was soll ich hier? Mir reicht’s. Ich gehe.