„Das starke Geschlecht sucht seine neue Rolle“, stand auf dem Cover vom Spiegel der letzten Woche. Muß es denn unbedingt eine Rolle sein?
„Männerdämmerung: Ist das männliche Geschlecht vom gesellschaftlichen Wandel überfordert? Jungen versagen in der Schule, Männer verlieren ihren Job, Kinder wachsen ohne Vater auf. Gesucht wird der moderne Mann.“ (Inhaltsverzeichnis).
Männerdämmerung? Ich habe viele Männer erlebt, denen nie was gedämmert hat.
In Kindertagen erschien mir die Aussicht, ein Mann zu werden, nicht sehr verheißungsvoll. Die Männer, die ich mit Kinderaugen beobachtete, taugten nicht als Vorbild. In der „jungen“ Bundesrepublik (die doch in Wirklichkeit eine Gerontrokratie war) waren die hauruckmäßigem Durchschnittsmänner unsensibel, empathielos, verständnislos, phantasielos, unerotisch, unmusikalisch, absichtsvoll begriffsstutzig, gedankenlos entschlossen, unfähig, sich leise auszudrücken. Die Fähigkeit zum Mitgefühl war bei denen – gelinde gesagt – unterentwickelt. (Mitfühlende Menschen sind weniger gut verwertbar). Mitgefühl galt als Schwäche, und Schwäche galt als Schande. Sie waren in der HJ und in der Wehrmacht erzogen worden.
„Gelobt sei, was hart macht“ hörte ich aus ihren Mündern oft. Sie lobten und liebten die Unannehmlichkeit. In der Sexualität waren sie verklemmt und grob zugleich, zotig und prüde.
Was mir in Aussicht gestellt war und was anscheinend von mir erwartet wurde, gefiel mir nicht. Auch ich sollte ein „richtiger Mann“ werden. Ich wollte kein „richtiger Mann“ werden, sondern ein echter. Ich sollte „groß und stark“ werden. Ich wollte lieber schlau werden.
In meiner Kinderzeit waren die meisten alten Frauen Witwen – und verängstigt. Sie meinten, es würden nachts immer irgendwelche „Kerle“ ums Haus schleichen. Ja, wenn doch ein Mann im Hause wäre!
Meingott! Sollte es eines Tages meine Aufgabe sein, fortwährend irgendwelche nachts ums Haus schleichenden „Kerle“ in die Flucht zu schlagen?
Zur völligen Verständnislosigkeit meiner Mitwelt machte ich mir nichts aus Schneeballschlachten, Lagerfeuern und gemeinsamen atonalen Gesängen. Die Bücher von Karl May, die ich unbedingt zu lesen hatte, fand ich langweilig. Ich mied jede Rauferei. Ich kletterte nicht auf Bäume, weil die Gefahr des Abstürzens mir bewußt war. Bewußtheit und Bewußtsein war nicht so sehr gefragt während des Wirtschaftswunders. Fassungslos mußte meine Mitwelt mit ansehen, daß ich mich gut mit mir selbst beschäftigen konnte und gern allein war.
Abstoßend erschien mir die Ouvertüre des Mann-Seins: das Militär. Es war ja wieder eine Armee aufgestellt worden. Die Nation mußte ja unbedingt der Welt beweisen, daß sie aus zwei Weltkriegen nichts gelernt hatte.
„Da muß man durch!“ Nein, da muß man nicht durch. Da muß man drumrumkommen. Die Unterbringung im Acht-Mann-Zimmer, diese dampfende „Männerkameradschaft“, und Leuten zu gehorchen, die dümmer sind als ich – das war nicht erstrebenswert.
Stellen wir also fest: Ein „richtiger Mann“ bin ich nicht geworden.
Allerdings: ein „anderer Mann“, einer von den „neuen Männern“, die „das Land braucht“, will ich auch nicht sein.
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