An den katholischen Hochfesten, die in den Frühling fallen, wenn es lange hell bleibt, und die zudem gesetzliche Feiertage sind (wie auch der Fronleichnamstag am letzten Donnerstag), suche ich das Weite. Die Weite mißt sich nicht an der Strecke, sondern am Radius. Und weniger die Suche nach dem Unbekannten treibt mich an als die Suche nach dem Bekannten.
Daß man „nicht zurück“, sondern „nach vorn schauen soll“ gehört zu den dummen Sprüchen. Nein, man soll in alle Richtungen schauen! Das Wieder-Finden ist eine besonders ergiebige Erkenntnisquelle: Sich mit dem Vergessen nicht abfinden!
Ich habe mich diesmal wieder in den südlichen Stadtteilen aufgehalten (von wo ich ja komme, wie Sie wissen), unterwegs mit dem Fotoapparat, der ein Gerät ist, mit dem man die Zeit anhalten kann (alter Menschheitstraum).
Man muß sie suchen, aber man findet sie dort noch: die Auen-Landschaften, wo dem Gras erlaubt wird, erwachsen zu werden, und wo der Blick in die Weite, die man gesucht hat, nicht versperrt wird…
… und wo sich die Bebauung an den Horizont zurückzieht.
A! Das hätte ich ja nicht gedacht, daß mir eigens eine Begrüßung an die Wand gemalt wird! (Als „Wand“ lasse ich einen Verteilerkasten gern gelten).
Je weiter nach Süden, desto kleiner die Häuskes (hier: Mündelheimer Straße). Irgendwann schreibe ich einen Roman, der unter solchen Dächern beginnt.
Den Roman schreibe ich vielleicht nie. Aber den Satz schreibe ich noch oft.
„Butterblumen“ sagte man. Man hat uns erzählt: Aus dem Gras (das die Kühe fressen) wird Milch. Aus den Butterblumen wird Butter.
Man muß von nix ne Ahnung haben, um alles zu erklären.
(Lassen Sie sich nicht täuschen).
Recte: Gelber Hahnenfuß.
Ich weiß noch (so um 1960 war‘s), wie an der Mündelheimer Straße eine katholische Kirche gebaut wurde, und die Leute sich darüber aufgeregt haben: Weil das ja gar nicht wie eine Kirche aussah, sondern irgendsowat Modernes!
Ja, über sowas regten die Leute sich furchtbar auf: über alles.
Hier war ich Briefträger. In dem Haus an der Ecke war ein Lebensmittelgeschäft, und dem Ladeninhaber brachte ich jede Woche die Deutsche Volkszeitung (DVZ). Das erklärte sich von selbst. Die Mannesmann-Werkssiedlung hatte ich gerade hinter mir, wo ich einige UZ für die linken Arbeiter zugestellt hatte. Hier lieferte ich dann die Wochenzeitung für den linken Mittelständler.
Der linke Lebensmittel-Laden ist spurlos verschwunden. Aber die Deutsche Volkszeitung gibt es ja noch. Die heißt jetzt Freitag – ist aber heute ganz anders, nicht mehr so eine alte Tante.
Welche Zeitung möchte eigentlich noch eine alte Tante sein?
Wenn man hier steht, dann weiß man: Hier ist Endstation (der Straßenbahnlinie 8). Und wenn man sich umdreht …
… steht man vor Mannesmann Tor 2.
Als ich bei Mannesmann war, durchquerte ich das Tor kurz vor 6 Uhr (zur Frühschicht) bzw. kurz vor 2 Uhr (zur Spätschicht). Da war ich einer von 12.000.
Die Lehrlinge von Mannesmann haben in Gemeinschaftsarbeit dieses Mahnmal geschaffen, das gegenüber von Tor 1 steht und an die Zwangsarbeiter erinnert, die aus den Ländern verschleppt wurden, die von der faschistischen Wehrmacht überfallen worden waren.
Ein paar Schritte weiter erinnert dieser Findling an die Unterkunft, in der die italienischen Zwangsarbeiter zusammengepfercht waren.
WIRD FORTGESETZT.
In eine Kirche, die aussieht wie ein Pferdestall mit daneben stehendem Feuerwehr-Übungs-Kletterturm wäre ich nie gegangen. In eine andere auch nicht.