DER METZGER wird 100: Atmosphäre der Beobachtung (Beobachtung der Atmosphäre)

Ein weiterer Auszug aus „‚Über sowas könnte ich mich kaputtlachen.‘ 33 1/3 Fragen an den METZGER-Herausgeber Helmut Loeven, ersonnen von A.S.H. Pelikan und Heinrich Hafenstaedter“ in DER METZGER Nr. 100 (Mai 2012):

Foto: Hafenstaedter

Hafenstaedter: Im Verfassungsschutzbericht des Bundes über das Jahr 1973 wird in einer Collage linker Zeitschriften auch ein Ausschnitt des Titelblatts des METZGER Nr. 19 mit dem behördlichen Zusatz „Anarchistische Blätter“ abgebildet. Hast du eine Ahnung, wie es dazu kam? Hatte dieses staatliche Stigma damals irgendwelche Auswirkungen positiver oder negativer Art? Gab es unabhängig von diesem Ereignis später direkte staatliche Repressionen gegen den METZGER, z.B. im sogenannten deutschen Herbst?

Zunächst würde ich ja gerne mal erfahren: Wie ist eigentlich das Bundesamt für Verfassungsschutz in den Besitz dieses Heftes gekommen? Nun, in der Zeit war die Auflage hoch. Vielleicht haben die irgendwelche linken Buchhandlungen abgeklappert. Vielleicht war auch irgendein Abonnent Mitarbeiter des Bundesamtes. Und dann ist die Frage: Wie kommen die auf „anarchistisch“? Bei Wikipedia wird DER METZGER auch als eine Zeitschrift mit anarchistischer Tendenz geführt. Und ich war auch überrascht, daß die anarchistischen Archive wie z.B. von Stowasser und von Schmück in ihren Bibliografien und in ihren Sammlungen diese Zeitschrift auch führen. Ich hab den Stowasser auch gefragt: Wieso, ist das denn eine anarchistische Zeitschrift? Paßt das denn dazu? Und dann schrieb der mir zurück: Jaja, das lassen wir als anarchistisch gelten. Aber ich hab mich ja nie zum Anarchismus bekannt. Allein schon deshalb, weil die Gralshüter des Anarchismus mich erschrecken mit ihrem Dogmatismus. Ich bin ja nie Anarchist gewesen, ich war immer Stalinist.
Ich finde, Anarchismus ist als Lebenskonzept eine gute Sache. Daß man sich von keinem befehlen läßt und niemandem befiehlt. Das ist ein gutes Lebenskonzept, aber ein miserables Gesellschaftskonzept. Das ist ja nicht auszuhalten.
Die Frage ist auch, wie lange dauerte denn der Deutsche Herbst? Nicht so lange wie ein meteorologischer oder botanischer oder astronomischer Herbst, nicht drei Monate. Der dauerte eigentlich ein ganzes Jahrzehnt. Schon Anfang der 70er Jahre gab es eine Repressionswelle, und es gab eine sehr aggressive Tätigkeit der Polizei und der Sicherheitsbehörden. Und dann ist die Frage: Was bedeutet in dem Zusammenhang der Begriff „anarchistisch“? Ich erinnere daran, daß der erste Steckbrief, mit dem die RAF-Mitglieder gesucht wurden, die Überschrift hatte „anarchistische Gewalttäter“. Das waren ja gar keine Anarchisten. Die richtigen Anarchisten haben die RAF als „Leninisten mit Knarre“ bezeichnet, abfällig. Der Begriff „anarchistisch“ war kein geistesgeschichtlicher Begriff, sondern ein Kampfbegriff, nach dem Motto: Das sind die Allerschlimmsten. Und deshalb ist es dann schon sehr brisant, wenn man in diese Kategorie eingeordnet wird.
Ich wurde in den 70er Jahren vom Bundeskriminalamt beobachtet. Die haben sich auch nicht die geringste Mühe gegeben, ihre Beobachtung geheimzuhalten, die haben sich auffällig benommen, sind z.B. mit Fotoapparat in Nachbars Garten herumgestapft, um um mich herum eine Atmosphäre der Observation zu schaffen. Es gab auch die „Beobachtende Fahndung“, in Zeiten, in denen der Computer noch nicht eine so große Rolle spielte wie später, hat man da schon Methoden der Rasterfahndung entwickelt. Wer in der „Beobachtenden Fahndung“ war, das waren etliche tausend Leute, der konnte sicher sein, beim Grenzübertritt rausgewunken zu werden. Wir sind früher oft nach Holland gefahren, um da billig Tabak und billig Kaffee zu kriegen. Wenn man nicht durchgewunken wurde, sondern der Ausweis vorgezeigt werden mußte, dann wurden wir rausgewunken, und der Wagen wurde von oben bis unten durchsucht.
Die Herren vom Bundeskriminalamt haben sich mir auch vorgestellt. Die sagten: Guten Tag, wir sind vom Bundeskriminalamt, wir sind beschäftigt mit der Terrorbekämpfung.
Eine Autorin meiner Zeitung, die Erika B., die damals in der Emma-Redaktion arbeitete, erzählte mir, sie wäre in Köln bei der Polizei gewesen, da ging es um irgendwas Polizeiliches, aber da haben die gleich die Gelegenheit genutzt, die zu befragen: Sagen Sie mal, Frau B., Sie haben doch die und die Zeitungen und Zeitschriften abonniert, und Sie kennen doch auch den Herrn Loeven aus Duisburg. Sie sind doch die Geliebte von dem. Die wollten gar nichts wissen. Die haben nichts gefragt. Die haben nur gesagt: Wir wissen alles über Sie. Pikant ist ja, daß sie ihre Verbindung mit mir zwar vor ihrem Gatten geheimgehalten hat, aber vor dem Bundeskriminalamt war das nicht geheimzuhalten. Das sollte eigentlich nur dem Zweck dienen, so eine Atmosphäre der Fahndung und Beobachtung zu schaffen, zu provozieren, Leute vielleicht zu Kurzschlußhandlungen zu provozieren oder zu radikalisieren.
Als die Schleyer-Entführung war, da hab ich schon geahnt, daß da jetzt was losgeht, und da ging ja auch was los. Ich hab an dem Nachmittag und an dem Abend schnell verfängliche Sachen aus meiner Wohnung entfernt, und zwar gar nicht die politisch brisanten Geschichten, sondern persönliche Sachen, Tagebücher, Liebesbriefe. Und in der Tat, um 4 Uhr nachts schellte es an der Tür. Und dann kam einer mit einer Maschinenpistole rein, und die fragten mich nach meinem Alibi. Und die haben auch tatsächlich mein Alibi überprüft.
Natürlich hatte das auch damit zu tun, daß sowohl gesellschaftlich als auch behördlich die Gelegenheit genutzt wurde, diese ganze Szene durchzukämmen und alles, was irgendwie abwich, unter die Lupe zu nehmen, auch wenn man gar nichts mit der RAF zu tun hatte. Irgendwelche kriminalistischen Bemühungen waren da nicht zu erkennen. Sondern Leute zu provozieren und sie zu stigmatisieren und auszugrenzen.
Nach der Schleyer-Entführung habe ich gedacht, die werden jetzt jede Kommune, jede Wohngemeinschaft und alles durchkämmen. Aber hinterher war ich erstaunt: Die waren in der Tat nur bei mir. Nicht bei anderen (in Duisburg).
Ich hab mich gefragt, wieso eigentlich? Nun hab ich mich nie distanziert – weil ich denke, wieso soll ich mich distanzieren? Distanzen ergeben sich von selber. Ich habe nie an diesen Distanzierungsritualen teilgenommen, das fand ich unwürdig. Ich habe ja nie die Strategie der RAF propagiert. Aber ich hab gesagt: Diese Gesellschaft und dieser Staat, die sind auch nicht besser. Die sollen sich mal bloß nicht als moralische Instanz aufführen. Pragmatiker sollen nicht den Moralisten markieren.
Aber eine konkrete Behinderung der Arbeit, die hat es nicht gegeben. Ich wurde nie an meiner Arbeit behindert. Da ist es anderen schlechter ergangen, die ständigen Hausdurchsuchungen oder ähnlichem ausgesetzt waren.

Pelikan: Außer dieser Sache nachts um 4 ist da ähnliches nie wieder passiert.

Das ließ dann doch spürbar nach.

Hafenstaedter: Hatte das auch einen positiven Effekt, daß man dann als besonders gut galt, weil man den Verfassungsschutz am Hals hatte, oder wurde das gar nicht zur Kenntnis genommen?

Doch, das wurde zur Kenntnis genommen. Damals wurde ich ja noch zur Kenntnis genommen. Das gab es schon, daß manche so sagten „Donnerwetter, donnerwetter! Sieh an! Sieh an! Ich kenn auch einen Sympathisanten.“ Das gab‘s durchaus. Ich fand das nicht gut.
[…]
Ich erinnere mich an eine Anekdote. Peter-Paul Zahl – der wurde ja verehrt, von vielen wahrscheinlich nicht, weil er ein bemerkenswerter Schriftsteller war, sondern weil er im Gefängnis war als politischer Gefangener – hat mal bei einer Lesung im Eschhaus vom Podium runter gesagt, durch die Beiträge, die er für den METZGER geschrieben hat, wäre er erst bekannt geworden. Da haben sich einige geärgert im Publikum.
Aber das fand ich schon interessant, weil der doch vorher eigentlich nicht unbekannt war. Eine Zeitlang hat der die meisten Beiträge für den METZGER geschrieben. Also am kontinuierlichsten in dieser Zeitschrift, sonst nur mal hier mal da. Aber eine gewisse Kontinuität nur da. Das hat mich gefreut, daß die sich alle geärgert haben.

Pelikan: Es hat eine Zeit gegeben, wo es ein Privileg war, für den METZGER zu schreiben?

Das ist immer noch ein Privileg.

Das ganze Gespräch ist auf Papier nachzulesen in DER METZGER Nr. 100.
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Die Ausgaben ab Nr. 18 (1972) sind noch erhältlich. Die Ausgaben Nr. 1-17 (1968-1972) sind vergriffen.

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