Mit der Einrichtung von Bundesamt und Landesämtern für Verfassungsschutz 1950 begann eine Chronik der Skandale und Merkwürdigkeiten. Eine Übersicht (Stand: Februar 2012).
1953: Die „ Vulkan-Affäre“. Aufgrund eines Dossiers des Verfassungsschutzes wurden in einer Operation mit dem Decknamen „Vulkan“ über dreißig Personen verhaftet, denen Wirtschaftsspionage für die DDR vorgeworfen wurde. Die Vorwürfe erwiesen sich als haltlos. Einer der zu Unrecht Verdächtigten beging in der Haft Selbstmord.
1954: Die John-Affäre: Otto John, erster Chef des Verfassungsschutzes, floh in die DDR. Johns Motive wurden nie geklärt. John kehrte in die BRD zurück und erklärte – wenig glaubhaft –, er sei entführt worden.
Sein Nachfolger, Hubert Schrübbers, wurde in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, weil seine Verwicklung in die Terrorjustiz des Naziregimes herausgekommen war.
1956 ff: Das KPD-Verbot. Das vom Bundesverfassungsgericht erlassene Verbot der KPD wurde von herrschenden Kreisen in der BRD dazu genutzt, den Kalten Krieg im Inneren des Landes zu führen und alle oppositionellen fortschrittlichen Bestrebungen zu kriminalisieren (siehe DER METZGER 78 et al). Hunderttausende Ermittlungsverfahren wurden eröffnet, tausende Verhaftungen durchgeführt. Die Verfassungsschutzämter versorgten Polizei, Justiz und Presse mit „Informationen“.
1963: Die Telefon-Affäre. Das Kölner Amt hatte widerrechtlich Telefon- und Briefkontakte prominenter Politiker, auch der CDU, kontrolliert. Bundeskanzler Adenauer vermutete, auch er würde am Telefon abgehört.
1968/69: Die Urbach-Affäre: Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke besorgte Peter Urbach, V-Mann des Berliner Landesamtes und Agent Provocateur im Auftrag des Innensenators (SPD), Molotowcocktails, deponierte Sprengstoff in der Kommune I und versorgte die entstehende RAF mit Waffen. Er lieferte eine Bombe an eine irre gewordene linke Berliner Terrortruppe für einen Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus. Der Zünder versagte. Über Urbach kannte die Polizei die Täter. Aber die Staatsanwaltschaft erhob keine Anklage, wohl weil Urbachs Rolle und die der Behörden sonst bekannt geworden wäre.
1972 ff: Der Radikalenerlaß. 1,4 Millionen meist junge Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden in der Folge auf ihre „Verfassungstreue“ hin überprüft. Das Material besorgte der Verfassungsschutz, darunter Listen von Studenten, die für linke Gruppen bei Universitätswahlen kandidiert hatten Eine Atmosphäre von Gesinnungsschnüffelei breitete sich aus.
1974 ff: Die Schmücker-Affäre. (Siehe DER METZGER 67). Der Berliner Student Ulrich Schmücker war Mitglied der „Bewegung 2. Juni“, wurde verhaftet und als V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes angeworben. 1974 wurde er im Berliner Grunewald erschossen. Kurz zuvor hatte der Verfassungsschutz ihn noch beobachtet und sich dann zurückgezogen. Die Tatwaffe landete im Panzerschrank der Berliner Behörde.
1976 begann der Prozeß wegen Mordes gegen sechs Angeklagte. Er dauerte 15 Jahre, es war der längste in der Geschichte der Bundesrepublik, immer wieder behindert durch den Verfassungsschutz. Die Pistole blieb im Schrank, Zeugen erhielten Aussageverbot, und die Verteidiger wurden überwacht. 1991 wurde das Verfahren eingestellt mit der Begründung, das Landesamt für Verfassungsschutz habe bei der Tat mitgewirkt und auf den Prozeß eingewirkt. Das Ganze war, wie Heribert Prantl kürzlich in der Süddeutschen Zeitung schrieb, das Werk eines „außer Rand und Band geratenen Geheimdienstes“.
1977: Die Affäre Traube, aufgedeckt durch den Spiegel („Verfassungsschutz bricht Verfassung. Lauschangriff auf Bürger T. – Atomstaat oder Rechtsstaat?“). Der Physiker Klaus Traube wurde verdächtigt, daß er möglicherweise radioaktives Material an Terroristen weitergeben könnte. Traube war befreundet mit einer linken Anwältin in Frankfurt, die Kontakte zur RAF hatte, und außerdem ist seine Mutter Mitglied der KPD gewesen. Das Kölner Bundesamt ließ Agenten in sein Haus eindringen, man brachte Wanzen an und hörte ab. Die Verdächtigungen erwiesen sich als haltlos. Innenminister Werner Maihofer (FDP) trat zurück.
1985: Die Tiedge-Affäre. Hansjoachim Tiedge, zuständig für die Abwehr der DDR-Spionage, hatte psychische Probleme und hohe Schulden. Er setzte sich in die DDR ab und erzählte dort alles, was er über die Spionage gegen die DDR wußte. Viel Neues konnte er dem MfS allerdings nicht offenbaren, weil es fast alles schon von Tiedges Vorgesetztem Kuron erfahren hatte. Der Präsident des Amtes, Herbert Hellenbroich, der von Tiedges Problemen gewußt hatte, trat zurück.
1986: Das Celler Loch. Es kam heraus, daß der niedersächsische Verfassungsschutz 1978 ein Loch in die Mauer der Celler Justizvollzugsanstalt hatte sprengen lassen, um die versuchte Befreiung eines RAF-Gefangenen vorzutäuschen. In dessen Zelle hatten Verfassungsschutzmitarbeiter vorher Ausbruchswerkzeug geschmuggelt.
2011: Der Thüringische Verfassungsschutz. Zehn Jahre lang beobachtete er die Rechtsextremen, beobachtete, wie mindestens drei Neonazis untertauchten, unterstützte die Szene offensichtlich noch mit Geld (illegale Parteienfinanzierung) und hat „nicht bemerkt“, daß die drei mithilfe von Gesinnungsfreunden eine Terrorzelle gründeten und zehn Menschen ermordeten, außerdem noch etliche andere schwere Verbrechen begingen.
Durch das Netz der „V-Leute“ scheiterte das Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht.
2012: Abgeordnetenüberwachung. Es wurde bekannt, daß der Verfassungsschutz, und zwar entgegen allen Beteuerungen auch durch Bespitzelung, mehrere Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKE überwacht, darunter der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi, die Vizepräsidentin des Bundestages Petra Pau und pikanterweise der Abgeordnete Steffen Bockhahn, der im Bundestag Mitglied des Vertrauensgremiums ist, das für die (Finanz-)Kontrolle der Geheimdienste zuständig ist.
aus DER METZGER 99.
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