Wer nichts zu verbergen hat ist ein Idiot

In der Sendung von Anne Will ist immer einer dabei, der für das Quatschreden zuständig ist. Meistens nimmt man dafür Arnulf Baring. Der erfüllt diese Rolle zuverlässig, und nach spätestens 40 Minuten flippt er aus. Letztens, beim Thema Terrorgefahr, war es Don Jordan, Deutschlandkorrespondent, Deutschlandkenner, US-Amerikaner und Patriot. Als solcher hat er für den patriot act was übrig. Die Deutschen, so meinte er, bräuchten den patriot act ja nicht wortwörtlich zu übernehmen. Aber, so sagte er, „zu sozial ist unsozial und zu liberal ist auch unsozial“. Es wäre doch besser, mal auf ein paar Grundrechte zu verzichten als in die Luft zu fliegen. Und wer nichts zu verbergen hat…
Der Argwohn, daß Freiheit unsicher mache, begleitet die Patrioten ebenso durchs Leben wie die Idee, daß Sicherheit durch den Verzicht auf so ein paar lumpige Grundrechte zu erreichen sei und daß die Nation einem so viel wert sein müßte, daß man ihr seine persönliche Freiheit gern in den Rachen schmeißt. Es will mir allerdings nicht einleuchten, daß ich die Gefahr, in die Luft zu fliegen, dadurch heraufbeschwöre, daß ich in meinen vier Wänden mache was ich will, und daß die Gefahr, in die Luft zu fliegen, dadurch gebannt werden könnte, daß die Regierung weiß, mit wem ich wann und wie oft und wie lange telefoniert habe. Die Formel je-mehr-Freiheit -desto-weniger-Sicherheit-und-je-weniger-Freiheit-desto-mehr-Sicherheit ist nicht nur unsympathisch, sondern auch illusionär. Und wer nichts zu verbergen hat ist ein Idiot.
Freiheit und Demokratie sind nicht sehr beliebt beim deutschen Menschendurchschnitt. Denn die Freiheit stellt Ansprüche. Freiheit strengt beim Denken mehr an als Unfreiheit. Die Freiheit der Meinung schützt zwar vor der Zensur, aber nicht vor der Kritik. Die Freiheit der Meinung ist die Freiheit der Intelligenz, die als störend oft empfunden.
Der legendäre Kleine Mann hat an der Freiheit der Meinung keine rechte Freude, weil sie mir die Freiheit gibt, ihm das Herumschwadronieren seiner Gehässigkeiten übel zu nehmen. Dann mault er: „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ Soll heißen: „Das wird man doch nicht kritisieren dürfen“.
Eine bestimmte Sorte Mensch, die im Inneren des Landes keineswegs eine kleine Randgruppe bildet, kann sich mangels besserer Einsicht unter der Freiheit der Meinung nichts anderes vorstellen als das Recht, Sauereien von sich zu lassen. Und dann wird dauernd gefragt, ob die Menschen, die den schnauzbärtigen Haßprediger verachten, sein Machwerk überhaupt gelesen haben. Nein. Ich habe das Buch von Thilo Sarrazin nicht gelesen. Ich muß es auch nicht lesen. Es ist viel daraus zitiert worden, und ich kann mich nicht entsinnen, daß der Autor jemals reklamiert hätte, seine Kernthesen seien falsch dargestellt worden. Darum bin ich befugt, das, was ich über das Buch von Hörensagen kenne, beim Wort zu nehmen.
Es ist auch Quatsch, wenn der Duisburger Museumsdirektor Raimund Stecker erzählt, man dürfe „diese Themen nicht totschweigen“ und dem Sarrazin im Lehmbruck-Museum ein Forum bietet (WAZ: „Bühne für Haß“). Über das Indiskutable nicht zu diskutieren hat nichts mit Totschweigen zu tun. Ich diskutiere auch nicht mit einem Handtaschenräuber darüber, wem die Handtasche gehört.
Die Phrasen des Stammtisches und solche Ansichten wie der Herr Sarrazin von sich gibt waren noch nie der Zensur unterworfen. Darum hat der legendäre Kleine Mann gegen Zensur nichts einzuwenden.
Viele sind bereit, auf Freiheit zu verzichten. Nicht weil sie mehr Sicherheit wollen, sondern weil sie weniger Freiheit wollen.

aus DER METZGER 93 (2011)

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