Die hässlichen Schönen

Jetzt sind viele Leute überrascht: Nazigegröle auch in der Bar dieser Stammgäste, wo es diese teuren Getränke gibt und wo man eingeübt hat, für reich & schön gehalten zu werden? Sylt, wie es singt und grölt.
Da hatte man sich doch eine ganz andere Erklärung zurechtgelegt: Die Not der abgehängten fleißigen Deutschen, die in der Inflationskrise (in der Kriseninflation) in die Röhre gucken und die Heizung nicht mehr bezahlen können, während man den Migranten die Zahnarzt-Termine vorn & hinten reinschiebt.
Das Cliché (sagte ich: Erklärung?) ist populär. So schiebt man die Problematik von sich fern, und dem Prekariat in die Schuhe. Das ist die Verharmlosung des Faschismus als fehlgeleiteter sozialer Protest – man müßte dem Prekariat bei der Orientierungsfindung nur mal auf die Sprünge helfen.
(Ein anderes Wegschiebe-Cliché ist die Reduzierung des Faschismus als bloße kapitalistische Herrschaftsform. Auch damit schiebt man ihm aus der Alltäglichkeit in die Ferne).
Nicht nur die gegen die Fremden, gegen die „anderen“, insbesondere gegen die Juden aufhetzbaren Prolos sind eine Tradition, auch die schnöseligen Söhnchen einflußreicher Herrschaften, denen ihrer Meinung nach ein Platz in der Elite zusteht (wofür sie, außer Herkunft, nichts zu leisten hätten). Zum Typus des Wegbereiters gehörten dereinst die Corps-Studenten: Die Nase hoch, die Reihen fest geschlossen.
Heute bin ich zufällig auf ein Zitat gestoßen:
„Ein Herrenvolk von Untertanen“ nannte der Schriftsteller Heinrich Mann die Deutschen im Kaiserreich: nach oben hin buckeln und nach unten hin treten, Kadavergehorsam und Herrenmenschentum. Wir sehen mit der Rede eines „Herrenvolk(es) von Untertanen“ bestimmte Mechanismen angesprochen, die auf den vielschichtigen Komplex der Selbstunterwerfung hinweisen: die Konstruktionen und Vorstellungen von „Herrenvölkern“ dienen nicht nur dazu, andere Länder, Kontinente und Menschen draußen in der weiten Welt zu unterwerfen und auszubeuten. Nach „innen“ – auf die eigene Gesellschaft gerichtet – produzieren sie gleichzeitig wohlwollende und mehr oder weniger gefügige „Untertanen“, die sich selbst in der Hoffnung auf eine Teilhabe an der kolonisierenden Macht als „Herren“, als „Herrschaften“ entwerfen.
Das ist der Klappentext eines antiquarischen Buches, das ich heute verkauft habe:
Foitzik, Andreas / Leiprecht, Rudi / Marvakis, Athanasios / Seid, Uwe (Hg.): „Ein Herrenvolk von Untertanen“. Rassismus – Nationalismus – Sexismus. Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) 1992 (DISS-Studien). 208 S. Pb.
DISS ist gut für euch, erkundigt euch nach ihm.

Gisela May

Gisela May (1924-2016) wußte, was sie tat und warum.

Ich hörte sie nicht nur auf Schallplatten, sondern auch live im Audimax der Duisburger Universität, das war eine Veranstaltung der Duisburger Akzente 1987 (Einblicke. Kultur und Kunst aus der Deutschen Demokratischen Republik. Erbe und Gegenwart). Da erzählte sie, wie Hanns Eisler 1957 der jungen Sängerin riet: „Das sollten Sie weiter machen.“ Sie folgte seinem Rat. Seit 1962 gehörte sie dem Berliner Ensemble an.

Gisela May bei der Probe zu Mutter Courage mit Regisseur Manfred Wekwerth Foto: Bundesarchiv

Gisela May bei der Probe zu Mutter Courage mit Regisseur Manfred Wekwerth
Foto: Bundesarchiv

1977 spielte sie in dem DEFA-Film „Die Verführbaren“ nach dem Roman „Ein ernstes Leben“ von Heinrich Mann. Den sah ich im Fernsehen. Ein Kriminalkommissar mußte einen Mordfall aufklären, und das gelang ihm auch und die Gerechtigkeit nahm einmal Überhand, und da sprach er den klassischen Satz eines zutiefst pessimistischen Menschen, wenn doch mal was Gutes passiert: „Manchmal packt das Schicksal in seiner Blindheit auch mal an die richtige Stelle.“ Der Satz ist schön, weil er klug ist, und trotzdem will ich ihn nicht glauben.