In Erinnerung an den Menschheitspionier Neil Armstrong, der 2003 hundert Jahre als geworden wäre, wenn er 1903 geboren worden wäre.
Bekanntlich hat „der Mensch“ im Jahre 1969 den Mond betreten. Eigentlich waren es ja nur wenige Leute, die auf dem Mond beschwerlich herumgetappst sind, aber der erste von ihnen betrat den Mond mit einer in poetischen Worten formulierten Beteuerung, es stellvertretend für die ganze Menschheit zu tun. Kann es vielleicht sein, daß diese in poetischen Worten formulierte Beteuerung auch dazu diente, die Frage nach dem wissenschaftlichen Nutzen des Apollo-Programms gar nicht erst aufkommen zu lassen? Wenn Sie es wissen, brauchen Sie es mir nicht zu sagen. Ein Jahr vor der Mondlandung war der Film „2001 Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrick in die Kinos gekommen. Das Jahr 2001 ist inzwischen vorbei, und wir haben wahrnehmen können: die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war. 2001 wäre niemand auf die Idee gekommen, zu sagen: „Wir empfangen rätselhafte Signale vom Jupiter, da fahren wir mal hin und gucken uns das mal an.“ Denn im wirklichen Jahr 2001 waren die Reisekostenetats schon arg zusammengestrichen. So wissen wir also, was die Abkürzung NASA bedeutet: Nothing achieved since Apollo.
In Nordkorea, so höre ich, haben die Leute bis heute nicht erfahren, daß „der Mensch“ den Mond betreten hat. Anderswo hat man es fast schon vergessen. Aber in den Jahren nach 1969 war der moderne Mensch in erstaunlicher Weise fähig, die Mondlandung auf das eigene Leben zu beziehen. Sie diente ihm keineswegs als Symbol für den Fortschritt, sondern als Symbol für die Unvollkommenheiten des Daseins. „Auf den Mond können sie fliegen, aber…“ war eine gebräuchliche Redewendung. Wenn irgendwo ein Loch im Asphalt war, das nach anderthalb Jahren immer noch nicht ausgebessert war, wurde gesagt: „Auf den Mond können sie fliegen, aber die Straße ausbessern können sie nicht!“ Oder man hörte: „Auf den Mond können sie fliegen, aber mal dafür sorgen, daß die Papierkörbe im Stadtpark geleert werden, das können sie nicht!“ Dabei blieb unberücksichtigt, daß diejenigen, die die Mondlandung zuwegebrachten, keineswegs für das Ausbessern von Schlaglöchern zuständig waren, beziehungsweise daß die, die sich als unfähig erwiesen hatten, die Papierkörbe im Stadtpark zu leeren, wohl auch das Apollo-Projekt zum Scheitern gebracht hätten. Man dachte damals eben, daß das Leeren von Papierkörben ein Menschheitsprojekt ist. Manch einer hatte sich von der Mondlandung versprochen, daß dadurch die Straßen besser werden, und sah sich anschließend enttäuscht. So können Illusionen zerplatzen!
Wie komme ich eigentlich darauf? Ich wollte doch etwas ganz anderes erzählen. Seit Urzeiten denken die Philosophen darüber nach, was zuerst da war: Der Dosenöffner oder die Konservendose. Wir wissen nicht zuverlässig, ob die Menschheit erst vor Regalen voller Konservendosen stand und sich fragte: „Wie kriegen wir die Dinger bloß auf?“, oder ob der Mensch mit dem Dosenöffner in der Hand dastand und rief: „Auf den Mond können sie fliegen, aber die Konservendose erfinden, das können sie nicht“. Egal! Ob der Mensch zuerst mit der Dose oder mit dem Öffner allein war: erst die Erfindung des Anderen machte das Eine zum Segen.
Die Erfindung der Schrift nutzte dem Menschen nicht viel. Kaum hatte er begonnen, etwas aufzuschreiben, war das Blatt auch schon zu Ende. Das war die Epoche der kurzen Mitteilungen, etwa: „Der Kaffee schmeckt köstl“ oder „Was du heute kannst bes“ oder „Verboten W“. Erst mit der Erfindung des Zeilenumbruchs begann die Epoche, in der die Gedanken zu Ende geführt werden konnten, und die Menschheit erfuhr endlich, daß der Kaffee köstlich schmeckt, daß es verboten ist, Walküren zu kneifen und daß das, was du heute besorgen kannst, getrost auf morgen verschoben werden darf. Es war ein simpler Trick, aber die Idee, bei Erreichen des rechten Randes auf der Seite einfach eine Zeile darunter am linken Rand weiterzuschreiben, mußte natürlich gegen massiven Widerstand durchgesetzt werden. Es hieß: „Wenn man immer wieder links anfängt, wo kommen wir da hin!“
Die Erfindung des Zeilenumbruchs sollte nicht geringer geachtet werden als die Erfindung der Schrift selbst. Damit sind aber nicht alle Schwierigkeiten beim Schreiben bewältigt.
Das Schreiben bleibt, auch mit Zeilenumbruch, ein linearer Akt. Man schreibt auf einer gedanklichen Geraden. Dabei macht es große Schwierigkeiten, daß das Tempo des Denkens und das Tempo des Schreibens verschieden sind. Gemessen am Schreiben geht das Denken viel zu schnell, und gemessen am Denken geht das Schreiben viel zu langsam. Vor allem aber haben Denken und Schreiben verschiedene Dimensionalität. Das Denken ist keineswegs linear. Aber ist ein Gedanke, der sich nicht niederschreiben läßt, überhaupt ein richtiger Gedanke?
Das sind die Umstände, die das Schreiben so schwierig machen. Mir zum Beispiel fällt das Schreiben schwer. Ich bin mir allerdings sicher, daß jemand, dem das Schreiben leichtfällt, niemals als Schriftsteller etwas taugt.
Einer hat die Schwierigkeiten mit der Verschiedendimensionalität von Schreiben und Denken auf eigenwillige Weise überwunden: Arno Schmidt mit „Zettels Traum“. Mit seiner nichtlinearen Schreibweise hat er allerdings die Last, die er sich als Schreiber ersparte, dem Leser aufgeladen.
Dieser Text ist eine große Glosse für mich, aber nur eine kleine für die Menschheit.