Wo waren Sie im Kriege, Herr -? (2)

Als die Druckerschwärze um den Tod Paul Cassirers haushoch aufspritzte, gewann eine nationale Zeitung über sich, dem Toten einen schwarzweißroten Lappen ins Grab nachzufeuern: der schwärzeste Tag in seinem Leben sei der gewesen, wo man ihn in den feldgrauen Rock habe stecken wollen; da habe er den Tod gefürchtet, der ihm jetzt so willkommen gewesen sei. In goldenen Lettern leuchte auf diesem Grabstein: Drückeberger.
Ich weiß nicht, was Paul Cassirer im Kriege getan hat, und es ist mir auch ganz und gar gleichgültig. Weil ich aber weiß, was die meisten Deutschen – auch Pazifisten – antworten, wenn man ihnen die Frage stellt, wo sie denn im Kriege gewesen seien, so scheinen mir einige Bemerkungen angebracht.
Für einen anständigen Menschen gibt es in bezug auf seine Kriegshaltung überhaupt nur einen Vorwurf: daß er nicht den Mut aufgebracht hat, Nein zu sagen. Einem Pazifisten zu erzählen, er sei kein begeisterter Soldat gewesen, ist ungefähr so, wie einem Vegetarier vorzuwerfen, daß er auf einem Schlachtfest gekniffen habe. Aber im Pazifismus, in der Demokratie, unter der Opposition gibt es leider so viel Halbseidene, die dem Gegner den Gefallen tun, auf etwas, was ein Lob ist, als auf einen Vorwurf hereinzufallen. Sie verteidigen sich, anstatt anzugreifen.
Neben der großen Masse der Indifferenten hat es, besonders zu Anfang des Krieges, viele junge Leute gegeben, denen schlechte Schulbildung, mangelnde Erziehung, die Hetzarbeit von Universität, Presse und Kino eine Erkenntnis des modernen Krieges nicht ermöglicht haben. Sie glaubten ganz ehrlich, einer guten Sache zu dienen; sie glaubten fest daran, daß Deutschland überfallen worden sei, so, wie die Franzosen und die Russen dasselbe von ihren Ländern glaubten – diese jungen Leute meldeten sich freiwillig und gingen in den sinnlosesten Tod. Für sie hatte er Sinn. Ihre umnebelten Gehirne, ihre niedergehaltenen Instinkte sahen hier das Abenteuer, Buntheit, Sport, Gefahr – und die niedrigste Menschensorte, die Feldpfaffen der drei großen Konfessionen, versicherten ihnen, daß ihr Tun nun auch noch, zu allem Überfluß, moralisch sei. Die Opfer dieser Massenbesoffenheit sind nicht zu tadeln, sondern zu bedauern. Wer im Kriege gefallen ist, ist für einen Dreck gefallen. Wie verhalten sich nun bei einer solchen Sachlage viele Pazifisten, wenn man sie fragt: „Wo waren Sie im Kriege – ?“
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Sie drehen sich. Sie winden sich. Sie reden sich aus. Sie wollen ihren ethischen Standpunkt nicht verlassen, wollen aber auch nicht zugeben, feige gewesen zu sein. Im Gegenteil: es gibt sogar manche, die noch stolz auf ihre Mordtaten sind und erklären: Durch diese Morde habe ich erst das Recht erworben, Pazifist zu sein. Ich war ein tapferer Soldat – hier meine Orden, meine Kriegsandenken, meine Papiere – : ich war kein Drückeberger.
Es gibt Ausnahmen. So hat der tapfere Sekretär der republikanischen Beschwerdestelle einer Provinzzeitung in Braunschweig die richtige Antwort erteilt, als die aufschäumte: crimen laesae rei militaris! Der Sekretär schrieb ihnen, er tue der Uniform noch viel zu viel Ehre an, wenn er sie „Militärkostüm“ nenne, und das Blättchen fiel vor Schreck aus der deutschen Grammatik. Aber dieser Republikaner ist ein bißchen allein. Andre paktieren.
Ich halte diese Taktik und diese Halbheit für falsch. Man kann, wie die Schönaich und Schützinger, sagen: Wir haben damals nicht gewußt – heute wissen wir. Wir waren im patriotischen Dämmer – heute sehen wir klar. Verzeiht uns, daß wir getötet haben! Daß aber erst Grabenkampf und vertiertes Soldatensein zum Antimilitarismus legitimieren, will mir nicht einleuchten. Was hier fehlt, ist Zivilcourage.
Ich habe mich dreieinhalb Jahre im Kriege gedrückt, wo ich nur konnte – und ich bedaure, daß ich nicht, wie der große Karl Liebknecht, den Mut aufgebracht habe, Nein zu sagen und den Heeresdienst zu verweigern. Dessen schäme ich mich. So tat ich, was ziemlich allgemein getan wurde: ich wandte viele Mittel an, um nicht erschossen zu werden und um nicht zu schießen – nicht einmal die schlimmsten Mittel. Aber ich hätte alle, ohne jede Ausnahme alle, angewandt, wenn man mich gezwungen hätte; keine Bestechung, keine andre strafbare Handlung hätte ich verschmäht. Viele taten ebenso.
Und das nicht, weil wir etwa, im Gegensatz zu den Feldpredigern, Feldpastoren, Feldrabbinern, die Lehren der Bibel besser verstehen als sie, die sie fälschten – nicht, weil wir den Kollektivmord in jeder Form verwerfen, sondern weil Zweck und Ziel dieses Krieges Weiterlesen

„Brennende Ruhr“

„Brennende Ruhr“ ist der Titel eines Romans von Karl Grünberg, in dem die bewaffneten Auseinandersetzungen im Ruhrgebiet nach dem Ersten Weltkrieg dargestellt werden. Die Rote Ruhr Armee kämpfte gegen die kaiserlich-reaktionären Freikorps, die Keimzellen von SA und SS.
„Brennende Ruhr“ ist der Titel einer Veranstaltung der FDJ am Freitag, 10. Mai 2013, 18 Uhr in der Zeche Carl, Wilhelm-Nieswandt-Allee 100, 45326 Essen:
„Brennende Ruhr. Vor Hundert Jahren Freikorps – Heute die Heimatschutzkompanien“
Aus der Einladung:
„Es waren die Krupps von der Villa Hügel und Konsorten, die den 1. Weltkrieg begonnen hatten. Wegen des Profits, gegen die Konkurrenz von ihresgleichen aus den anderen Ländern. Es waren die Krauses und ihre Kinder, die dafür in den Krieg zu ziehen hatten gegen ihresgleichen drüben in den Gräben auf der anderen Seite. Und letztere waren es auch, die zu Millionen mit dem Leben bezahlten.
Und erstere waren es, die nach dem verlorenen Krieg die Freikorps bezahlten. Das Offiziersgesindel, das außer Krieg kein Handwerk gelernt hatte. Damit diese die Krauses und ihre Kinder, die nicht mehr in den Krieg ziehen wollten, niederkartätschten. Damit diese wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten auf Demokraten schossen.
Damit diese den Generalstreik der Arbeiter blutig beendeten. Soldaten gegen Demokraten? Soldaten gegen streikende Arbeiter? Das war einmal …? Das ist lange her? Das kommt nicht wieder?

Seit dem letzten Jahr (wurde) begonnen, in der gesamten Republik aktive Kommandos aus Reservisten aufzustellen. In Kompaniestärke, also jeweils an die 100. Für den Anfang sollen es bundesweit ca. 30 werden. In NRW 3: In Ahlen, Düsseldorf und Unna. Auftrag: Heimatschutz.
Heimatschutz. Das war auch die Losung der Freikorps …
Am 14. Juni soll der Aufstellungsappell für NRW … auf der Zeche Zollverein stattfinden. So heißt es in einem Dokument der Streitkräftebasis des Landeskommandos der Bundeswehr mit dem Stand vom 7. März 2013.

Daher machen wir anlässlich des 61. Jahrestag der Ermordung des Kommunisten und FDJler Philipp Müller, der in Essen auf einer Demonstration gegen die Aufstellung der Bundeswehr von der Polizei erschossen wurde, eine Veranstaltung unter der Überschrift „Brennende Ruhr. Vor Hundert Jahren Freikorps – Heute die Heimatschutzkompanien“.
Freikorps„Heimastschutz“ war schon damals die Losung. Und so sollte er aussehen.
Berlin, Gustav Noske beim Freikorps HülsenHoher Besuch bei den Mördern. Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) besichtigt das konterrevolutionäre Freikorps Hülsen, Januar 1919. Foto: Bundesarchiv.

Siehe auch in DER METZGER Nr. 99 (2012):
Ulrich Sander: Zivilmilitärische Zusammenarbeit. Zusammenspiel von Polizei, Geheimdiensten und Militär. Was haben Politiker mit uns vor, die die NPD nicht verbieten wollen? Die Bundesregierung hält sich alle Optionen für den Militäreinsatz im Inneren offen. Der Sicherheitsstaat wird in dem Maße aufgerüstet, in dem der Sozialstaat abgewickelt wird.

Einladung zur Subskription: Kurt Gossweiler

Im Juni erscheint:
Kurt Gossweiler: Großbanken, Industriemonopole und Staat. Ökonomie und Politik 1914 bis 1932. PapyRossa Verlag, ca. 400 Seiten.
gossweiler_grossbanken1971 erstmals veröffentlicht, haben die Forschungsergebnisse von Kurt Gossweiler zur deutschen Wirtschaftsgeschichte in Kaiserreich, Erstem Weltkrieg und Weimarer Republik nichts an Bedeutung verloren. Es geht um die Frage, wie die Industrie- und Finanzkonzerne ihre ökonomische in politische Macht umsetzten, wie sie um Einfluss auf den Staatsapparat konkurrierten, welche unterschiedlichen Strategien sie in der Innen- und Außenpolitik verfolgten und wie ihre grundsätzlichen Interessen trotz aller Gegensätze zu gemeinsamen Zielsetzungen führten. Wie stets auf ein enormes Archivmaterial gestützt, geht Gossweiler Problemstellungen nach, die in der aktuellen Geschichtsschreibung vernachlässigt werden, und deckt die Wurzeln für Entstehung und Entwicklung unterschiedlicher Gruppierungen im deutschen Finanzkapital auf. Besonderen Wert legt er auf die oft vernachlässigte Rolle der Großbanken und den Einfluss des US-Finanzkapitals und einer an ihm orientierten Fraktion in den deutschen Wirtschaftseliten.
Das Buch ist vom Verlag zu einem Subskriptionspreis von „ca. 19,20 Euro“ (bis 30.4.2013) angekündigt. Ab dem 1. Mai soll es „ca. 24 Euro“ kosten. Auf jeden Fall bekommt man das Buch, wenn man es jetzt bestellt ca. 5 Euro billiger. Die Buchhandlung Weltbühne bittet um Vorbestellungen.
gossweilerKurt Gossweiler, der als 95jähriger immer noch in die politischen Diskussionen dezidiert eingreift, gilt zurecht als ein besonders harter Knochen. „Stalinist“ wäre noch untertrieben. Seine profunden Sachkenntnisse als Historiker können nicht bestritten werden.
Kurt Gossweiler steht auch auf der Liste der Metzger-Autoren (Nr. 48: Faschismus aus der Mitte der Gesellschaft. Kurt Gossweiler antwortet Siegfried Jäger).