DER METZGER Nr. 106!

Soeben erschienen ist die Ausgabe Nr. 106 des satirischen Magazins DER METZGER
metzger106-titelDas steht drin:

Ulrich Sander: Das Problem heißt Rassismus und Militarismus. Eine Betrachtumg nach der Pro-NPD-Entscheidung im Bundestag und zum Beginn des NSU-Prozesses in München. Der Umgang der „Mitte“ mit den Rechten ist von vielen gemeinsamen Schnittmengen geprägt. Das Bindeglied zwischen Mitte und Rechts ist der Rassismus.

Renate König: Die Lage des weiblichen Geschlechts in Indien.

Helmut Loeven: Merkel soll nicht bleiben, bleibt aber. Die SPD verliert nicht, weil der Steinbrück dauernd in irgendwelche Fettnäpfchen hineintritt, sondern: weil die SPD verliert, ist alles, wo der Steinbrück hineintritt, ein Fettnäpfchen. Zum hundertfünfzigsten Jahrestag auch noch eine Erinnerung an die Agenda 1919.

Lina Ganowski: La Notte – Themen der Nacht. Diesmal: Die Wohlfühl-Empörer. Der Furor um das Treiben des Daniel Cohn-Bendit im antiautoritären Kindergarten.

Mac Duff: Richter Azdak in Düsseldorf. Muß Annette Schawan ihren Doktortitel zurückgeben? Richter Azdak spricht ein Urteil.

Helmut Loeven: Das philosophische Kabarett. Diesmal: Hoch die Tasse(n) (und dat Pickdingen); Gesundheitsgefahren durch Nichtrauchen; Flasche gefunden – und was nun?; Die Linkspartei (in Duisburg) ist derzeit kein Ort zum Wohlfühlen; Komische Häuser, komische Vorschläge; Soll man in Bissingheim einen Bürgersteig nach Adolf Sauerland benennen?; Derrick war bei der SS?

Marvin Chlada und Florian Günther sprechen über Literatur und Fotographie, das Reisen und die Frauen, den Tod und das Leben …

Ostermarsch 2013 in Duisburg. Bilder, die alles sagen.

„Wollen die etwa alle zu Pelikan?“ Das Bühnenjubiläum – um ein halbes Jahr und eine halbe Stunde verschoben. Aber was dann kam, dafür hat es sich gelohnt, hinzugehen.

Carl Korte: Ausflug mit Direktor Lall. Mottes Reporterkolumne.

Paul Hafemeister. Erinnerung an einen Genossen.

Lütfiye Güzel: Meine Lieblingsbuchhandlung. Welche wohl?

Das Heft kostet 3 Euro. Es ist in der Buchhandlung Weltbühne erhältlich (auch im Versand. Es wird sofort geliefert).
Wer schlau ist, hat abonniert und kriegt das Heft in den nächsten Tagen zugeschickt.
Ein Abonnement von DER METZGER kostet 30 Euro für die nächsten 10 Ausgaben oder 50 Euro für alle zukünftigen Ausgaben.
Die Ausgaben ab Nr. 18 (1972) sind noch erhältlich (komplett im Sammelpaket oder einzeln). Die Ausgaben Nr. 1-17 (1968-1972) sind vergriffen.

Paul Hafemeister

Hafemeister3Er war der „Lesende Arbeiter“ in dem Gedicht von Brecht.
Ich sah ihn nicht zum ersten Mal, aber hörte ihn zum ersten Mal reden bei einer Veranstaltung in einer Schulaula im April 1969, zwei Tage vor dem Ostermarsch. Das war eine heftige Veranstaltung, auf der sich auch Gegner der Linken laut bemerkbar machten. Da hielt er eine spontane Rede, mit knappen, deutlichen Formulierungen und so aufgebaut und klar gegliedert, wie sie kein Redenschreiber besser hätte hinkriegen können. Es war ein knapper Abriß über die Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland im Zwanzigsten Jahrhundert, und: warum die Arbeiter die Mitbestimmung brauchen.
Ich dachte, wenn er so gut reden kann, dann ist er vielleicht Rechtsanwalt oder so etwas. Aber er war Lokführer bei der Werkseisenbahn, und überzeugter und überzeugender Gewerkschafter.
Ich spreche von einer Zeit, in der „die für uns“ bloß „Revisionisten“ und „wir für die“ bloß „Chaoten“ waren. Die nächste Begegnung war bei einem Infostand auf der Königstraße. Er sprach mit mir geduldig, unaufgeregt, interessiert daran, „wie ich das sehe“. „So verschieden sind wir doch gar nicht.“ Er war einer, der beim Diskutieren zuhörte, Antworten gab. Er nahm die ernst, mit denen er sprach. Er hat mir den Weg zur Partei gezeigt.
Wenn wir bei Veranstaltungen in Erscheinung traten, verließen wir uns einfach darauf: „Der Paul wird das schon machen.“ Er wird sich zu Wort melden und mit knappen, deutlichen, durchdachten Formulierungen die Zuhörenden – mindestens – zum Nachdenken bringen.
Auf ihn traf ein weiterer Vers aus einem Gedicht von Brecht zu: „Diese sind unentbehrlich.“
Am 23. Mai 2013 ist unser Genosse Paul Hafemeister 84jährig gestorben.

Fotos: DFG-VK

Fotos: DFG-VK

Das war Tradition, das ließ er sich nicht nehmen. Jedes Jahr trug er das Ostermarsch-Transparent voran. Nur in diesem Jahr, da konnte er nicht mehr.

Zur Erinnerung an Gerd Deumlich

Gerd Deumlich 1929 - 2013

Gerd Deumlich
1929 – 2013

Bert Brecht, der Dichter, hatte wohl recht, als er uns die Mahnung hinterliess, aktiv auf den Frieden bedacht zu sein, denn; „Das Gedächtnis der Menschheit an erduldete Leiden ist erstaunlich kurz.“ Da ist es gut, durch einen Antikriegstag die Erinnerung wachzuhalten an die Menschheitsbedrohung, die vor 7 Jahrzehnten begann, als das faschistische 3.Reich den 2. Weltkrieg vom Zaune brach. Diese Erfahrung gebar die verpflichtende Maxime: NIE WIEDER FASCHISMUS – NIE WIEDER KRIEG !
Heute ist zu fragen: was ist daraus geworden?
Nie wieder Faschismus? Wir haben keinen Faschismus – sonst könnten wir uns hier nicht versammeln. Aber wir plagen uns herum mit dem demagogischen bis mörderischen Treiben von Neonazis. In Dortmund wollten sie wieder zu ihrem „nationalen Antikriegstag“ aufmarschieren mit der entlarvenden Losung: Nie wieder Krieg – nach unserem Sieg.
Was müssen die sich noch leisten, bis man sich endlich zu einem NPD-Verbot entschließt?
Da ist es schon ein Erfolg für die antifaschistischen Kräfte, dass erstmals das Bundesverfassungsgericht ein Verbot von Naziaufmärschen bestätigt hat.
Nie wieder Krieg? Den haben wir längst seit sich Deutschland 1999 an dem NATO-Krieg auf dem Balkan beteiligte. Und der damalige Militärminister wollte uns einreden, dass Deutschland dadurch „endgültig in der Gemeinschaft der westlichen Demokratien angekommen ist“. Krieg ist gut für Demokratie?
Wollen wir uns damit abfinden, dass eine uralte militaristische Maxime – das vorgeblich natürliche Recht des Staates, Krieg zu führen – als Normalität für Deutschland wiederhergestellt worden ist?
Deutschland nimmt aktiv am Krieg in Afghanistan teil, der schon länger dauert als die zwei Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts. Gehen Auslandseinsätze der Bundeswehr in Ordnung, weil das Kriegsgeschehen sich nicht mehr auf dem Territorium Europas austobt? Ist die Welt dadurch friedlicher geworden?
Leitet etwa der angekündigte Abzug der NATO-Kampf-Truppe, auch der Bundeswehr, vom afghanischen Kriegsschauplatz eine friedliche Periode ein?
Keinesfalls! Die Strategie der NATO, der Deutschland verpflichtet ist, richtet sich erklärtermaßen auf weitere Kriege ein. Für Syrien wird eine nichtmilitärische Lösung ausgeschlossen, Deutschland trägt durch maritime Aufklärung zum Bürgerkrieg dort bei. Als drittgrößter Rüstungsexporteur liefert Deutschland schwere Waffen in die kriegsschwangere Krisenregion Naher Osten.
Das sind keine guten Nachrichten zu einem Antikriegstag.
Bei seinem Antrittsbesuch an der Führungsakademie der Bundeswehr äußerte Bundespräsident Gauck sein Erstaunen: „Die Bundeswehr auf dem Balkan, am Hindukusch und vor dem Horn von Afrika … wer hätte es etwa vor 20 Jahren möglich gehalten?“ Eben.
Aber Herr Gauck will das nicht etwa korrigieren, sondern lobt, dass unsere Soldaten „heute ausgebildet werden mit der klaren Perspektive, in solche Einsätze geschickt zu werden.“ Und Minister de Maizière erklärt: „Prinzipiell gibt es keine Regionen, in denen Deutschland nichts zu suchen hat“.
Soll das unwidersprochen zur heutigen Normalität in Deutschland gehören? Dann würden wir uns auf eine ungute Zukunft einlassen.
Noch besteht die Chance, eine Perspektive der Abrüstung und friedlicher Lösungen durchzusetzen. Dann hätte die Maxime: Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg, ihren Sinn nicht verloren.
(Rede von Gerd Deumlich beim Antikriegstag 2012 in Essen).

Erst sowas, und dann nicht mehr sowas

Wieder ein Nachruf in der Frankfurter Rundschau. „Eine kluge, kritische Stimme – Die Journalistin Tissy Bruns ist gestorben“.
Ein kurzer Nachruf, in dem mitgeteilt wird, daß Tissy Bruns „Politische Chafkorrespondentin“ des Berliner Tagesspiegel war und von 1999 bis 2003 „an der Spitze der Bundespressekonferenz“ stand.
Etwas kurz geraten, dieser Bericht. Zwar steht da, daß sie „seit Mitte der 80er Jahre als Journalistin tätig war“. Aber wo?
Ihre journalistische Laufbahn begann bei den Roten Blättern, dem Magazin des MSB Spartakus. Sie arbeitete auch für den Freitag-Vorläufer Deutsche Volkszeitung, als diese noch auf der Linie der DKP lag. Ihre Schande wurde verschwiegen – die Schande, daß sie „sowas“ mal war, und die Schande, daß sie „sowas“ dann nicht mehr war.

*

Ein Gespräch kommt mir in Erinnerung. 80er Jahre, am Uni-Büchertisch. Es war allgemein bekannt, daß ich zur „Moskau-Fraktion“ gehörte. Ein linksstehender Student, der der „Moskau-Fraktion“ fern stand, diskutierte mit mir. Ich meinte, in der Systemauseinandersetzung müsse der sozialistische Staat ein starker Staat sein. Und es liege in der gegebenen internationalen Konstellation nicht immer in der Wahl sozialistischer Regierungen, in welchem Maße sie repressive Mittel einsetzen. Undsoweiter. Mein Gesprächspartner meinte, er könne sich meiner Auffassung nicht anschließen. Meine Argumente aber seien schlüssig und bedenkenswert, auch wenn er sich meine Schlußfolgerungen nicht zueigen machen könne.
Während des ganzen Gesprächs standen nebenan, am Infostand des MSB Spartakus, die Haare zu Berge. Die Repressalien in der DDR dürfe man doch nicht als Folge von Ursachen begründen. Man müsse sie schlichtweg leugnen. Das war deren Linie.
Sie haben es auch vor sich selbst geleugnet. Denn – ich habe es erlebt! – 1989, bei einer Versammlung der DKP, rief eine MSB-Spartakistin entrüstet aus, was ihr tags zuvor zu Ohren gekommen war: „Die haben sogar in Berlin eine Mauer gebaut!“
Die Stimme, die eine Repression tadelt, die sie zuvor geleugnet hatte, ist keine kritische, sondern eine opportunistische. Und auch etwas komisch.
DIE HABEN SOGAR IN BERLIN EINE MAUER GEBAUT! JA, WENN WIR DAS GEWUSST HÄTTEN!

Herzlichen Glückwunsch, Inge Holzinger!

Die grande dame der Friedensbewegung ist heute 80 Jahre alt geworden.
„Ich wollte, wir hätten zehn von der Sorte“, hörte ich mich mal sagen.
Aber die eine ist mit Gold nicht aufzuwiegen.
Holzinger2Immer „mittendrin“.
Holzinger3Sooo klein mit Hut ist der Generalinspekteur.
Fotos: DFG-VK

Äpfel, Pflaumen, Birnen (Zweiter Teil)

Sie hat mich in das Zimmer geführt, das einstmals das Wohnzimmer ihrer Eltern war. Die ganzen alten Möbel stehen noch hier, nur jeglicher Zierrat ist entfernt. In der Vitrine des Wohnzimmerschranks liegen Stapel von Zeitungen. Ich sitze auf einem durchgesessenen Sofa, sie sitzt mir gegenüber auf einem Sessel mit durchgewetzten Armlehnen.
Sie hat zwei Gläser auf den Tisch gestellt und gießt aus einer Flasche ohne Etikett ein.
„Das ist unser klassischer Birnenwein. Der ganze Keller ist davon voll, und jedes Jahr kommen neue Flaschen hinzu.“
„Du machst immer noch Wein aus Birnen?“
„Ich hab‘s mir von meinem Vater zeigen lassen. Nur das Schnapsbrennen hab ich nicht kapiert. Der Schnaps geht irgendwann zur Neige. Aber alles andere, die Gelees, den Kompott mache ich immer noch selbst. Das habe ich an den Wochenenden gemacht. Jetzt hab ich mehr Zeit dafür, seitdem ich arbeitslos bin.“
„Ach!“
„Ja. Komm, laß uns anstoßen! Auf die neue Zeit! Und auf die gute alte!“
Kling!
Kling!

Unsere Volksschule

Unsere Volksschule

„Hmm!“
„Schmeckt dir, was? Ja, die haben mich wegrationalisiert. Ich war bei Bayer, erst in Uedringen, dann in Wuppertal. Ich hab ja Betriebswirtschaft studiert mit Doktor.“
„Frau Doktor Ulmer!“
„Hör auf! Ich bin froh, daß ich nicht mehr jeden Morgen nach Wuppertal brausen muß und nicht mehr jeden Nachmittag im Stau stehen muß.“
Jetzt reden wir über unsere Lebensläufe. Wir beide sind fast auf den Tag genau aus unseren KPD/MLen rausgeflogen. „Ausgeschlossen! Um mich loszuwerden, mußten die mich rausschmeißen.“ (Gilt für sie und für mich). „Schade um die vergeudeten anderthalb Jahre! Hätten wir mehr draus machen können.“
„Die Bücher da draußen“, sagt sie, „habe ich für dich da hingestellt.“
„Ach was!“
„Dochdochdoch! Ich wußte, daß du irgendwann mal kommst, daß du dich irgendwann mal traust.“
„Und was bedeutet das? Räumst du auf mit deiner revolutionären Vergangenheit?“
„Beleidige mich nicht! Für was hältst du mich? Neinnein. Das sind die Bücher, die ich doppelt habe.“
„Bücher doppelt?“
„Sowas passiert. Einmal hab ich zum Geburtstag drei mal das gleiche Buch geschenkt gekriegt. Neenee, ich bin nicht vom Glauben abgefallen, falls du das meinst. Besser gesagt: Ich bin nicht übergelaufen. Aber ich bin in keinem Verein mehr drin. In keinem. Nie wieder! Nach der ML war ich beim Sozialistischen Büro. Aber das hat sich ja auch in Wohlgefallen aufgelöst. Immerhin war ich zehn Jahre lang im Betriebsrat, bis die von der IG Chemie mich nicht mehr sehen wollten.“
Sie erzählt, daß sie kaum ein Konzert verpaßt, ob Rockkonzerte oder Jazz oder Chanson. Sie erzählt von ihrer Plattensammlung (fast tausend LPs), von ihren Büchern, ihren Lektüren und ihren Zeitungen: „Die Taz hab ich abbestellt, das Käseblatt. Stattdessen lese ich die Süddeutsche. Die Junge Welt kaufe ich nur einmal im Monat, obwohl ich in der Genossenschaft bin – eine Genossenschaft ist ja kein Verein. Die UZ vergesse ich immer abzubestellen. Aber man braucht ja auch was, um den Rhabarber darin einzuwickeln.“
Sie erzählt von ihren Jobs. „Ich habe immer in diesem Haus gewohnt, nie woanders. Ich habe immer gependelt, zur Uni nach Bochum, dann zu meinen Jobs zuerst in Köln, zuletzt in Wuppertal. Jetzt habe ich mein Auto verkauft, weil ich niiie mehr pendeln will. Hier in Buchholz kann man ganz gut einkaufen, ich brauche kaum raus aus dem Viertel. Es gibt ja auch noch die Straßenbahn.“
„Du kriegst jetzt ALG 1?“
„Ja.“
„Und wenn du ALG 2 bekommen willst, nehmen die dir dann nicht das Haus weg und verfrachten dich nach Marxloh oder Bruckhausen?“
„Mich kriegt hier keiner weg. Dann sollen die doch ihr ALG Hartz einszwodreivier behalten und mich am Arsch lecken. Ich hab gut verdient, sehr gut verdient und gespart. Und viel brauch ich nicht. Das Haus gehört mir, ich bezahle keine Miete. Und einiges hole ich mir aus dem Garten. Gemüse, sogar Kartoffeln, und Obst natürlich. Ich hab noch nie Marmelade gekauft. Und ‘n Hühnerstall hab ich auch noch.“
Sie erzählt: „Ich hab nie mit einem Mann zusammengelebt. Ich war immer Single.“ Sie erzählt: „Einige Zeit habe ich – wie soll ich sagen – die Männer verschlissen. Aber sei mir nicht böse. Unglücklich gemacht hab ich sie nicht. Schon deshalb nicht, weil ich nie mit einem zusammengezogen bin. Früher hatte ich öfter was mit Frauen, mit Mädchen besser gesagt. Das hat mir mehr Spaß gemacht.“
„Ein bißchen bi schadet nie.“
„Ein bißchen bi, hihihi! Fünf Jahre war ich mit einer Frau zusammen, hier unter diesem Dach, mit allem drum und dran – wenn du weißt, was ich meine. Bis die sich ein anderes Modell gesucht hat“, sagt sie mit etwas Wehmut und etwas Zorn. „Wir sind gerade mal einen Monat auseinander. Prost!“
Sie erzählt, daß sie früher ein- oder zweimal in der Woche im Finkenkrug war.
„Im Finkenkrug? Das ist keine hundert Meter von meiner Wohnung entfernt.“
„Du wohnst in Neudorf?“
„Ja, auf der Finkenstraße. Das war immer mein Traum. Neudorf!“
„Das Intellektuellenviertel.“
„Ist auch nicht mehr das, was es mal war.“
„Aber Neudorf paßt zu dir.“
Sie hat, nun schon zum dritten Mal, von dem Birnenwein nachgeschenkt.
„Du mußt doch nicht noch gleich fahren, oder?“
„Neinnein. Ich bin auch ein Straßenbahnbenutzer. Aber transportiert die DVG auch Besoffene?“
„Soweit muß es ja nicht kommen. Hör mal, ich erzähl dir alles von mir, jetzt red du mal, du Rechtsabweichler oder Linksabweichler! Ich weiß gar nicht mehr, was für‘n Abweichler wir dich damals genannt haben. Bist du noch bei der Fahne? Bist du in einem Verein? Los! Rechenschaftsbericht! Erzähle!“
„Jaaa. Ich bin in einem Verein. Ich bin in der DKP.“
„Waas? Duu? In der Dekapée? Hahaha! Nee, is‘n Scherz, oder?“
„Kein Scherz.“
„In‘ner Dekapée! Ausgerechnet du! Du bist wohl auch nicht aus Schaden klug geworden. Aber beruhig dich. Ich hab euch immer gewählt. Die UZ werde ich jetzt doch nicht abbestellen, versprochen. Vielleicht lese ich die sogar mal dir zuliebe, du – Abweichler du!“
Sie hat wieder nachgegossen und hebt ihr Glas: „Auf die Genossen! Auf die Standhaften und ihre Gesichter!“
Kling!
Kling!
„Aber deine Party, deine Par! Tei! ist doch nicht dein ganzes Leben.“
„Also: Ich habe mir einiges vorgenommen: Einmal im Leben…“
„…Einmal im Leben ein Haus bauen, einen Baum pflanzen, einen Sohn zeugen und einen Mann erschießen?“
„…Und in ein fremdes Land einmarschieren? Nichts davon! Einmal im Leben ein Buch schreiben. Einmal im Leben eine Schallplatte machen. Einmal im Leben einen Beitrag in Konkret unterbringen. Einmal im Leben in einer Rock-and-Roll-Band sein. Einmal im Leben einen Film machen. Einmal im Leben als Kabarettist vor Publikum auftreten. Das hab ich alles gemacht. Ich mußte es einmal machen und durfte es öfter machen. Ich habe ein paar Bücher geschrieben, ein paar Schallplatten gemacht – CDs, ein paar Filme gemacht – DVDs, bin unzählige Male als Kabarettist aufgetreten.“
„Hör mal, du hast doch auch mal so ein Blättchen herausgegeben mit so einem komischen Namen: Fritz oder Karl oder Otto.“
„Nein: ‚Der Metzger‘ heißt das.“
„Ach ja! ‚Der Metzger‘! So hieß das.“
„Das mache ich immer noch.“
„Immer noch? Immer noch ‚Der Metzger‘?“ Sie beugt sich zu mir vor und tippt mir auf die Nase. „Ich habe dich unterschätzt!“ Sie plumpst wieder in ihren Sessel. „Und du schreibst?“
„Früher schrieb ich lange Aufsätze. Heute schreibe ich eher Glossen und Geschichten.“
„Zum Beispiel über sowas wie die Begegnung mit einer alten Freundin?“
„Jjjjjjja, das könnte ich mir vorstellen, so eine Geschichte zu schreiben.“
Sie will einiges mehr wissen über meine Arbeit, und auch über meine Ökonomie.
„Wir haben beide diese Stadt nicht verlassen“, sage ich, „da wundert es mich, daß wir uns nie begegnet sind. Warst du eigentlich nie im Eschhaus?“
„Doch, ein paar mal.“
„Und wir sind uns nie begegnet?“
„Da war so‘n kleiner Buchladen drin. Hattest du damit was zu tun?“
„Das kann man wohl sagen. Das war mein Laden.“
„Ach! Da hab ich mir ab und zu mal einen Arm voll Bücher gekauft.“
„Dann verdanke ich also dir meinen Reichtum.“
„Da war immer so‘n großer Dicker in den Laden.“
„Das war der Eppler.“
„Eppler. Aha.“
„Und jetzt habe ich immer noch einen Buchladen. In Neudorf auf der Gneisenaustraße.“
„Ach, davon habe ich gehört. Das ist dein Laden? Ich muß wohl mal vorbeikommen.“
„Es wird die höchste Zeit.“
„Na hör mal! Du hast dir auch nicht wenig Zeit gelassen, du Abweichler!“

FORTSETZUNG FOLGT.

Breites Band oder schmale Spur?

Man stelle sich mal folgendes vor:
Ich schreibe ein Buch. Dann reiche ich das Manuskript bei Suhrkamp ein. Denn Suhrkamp ist ein großer Name, und ich will ja reüssieren. Aber der Suhrkamp-Verlag bescheidet mir: Nein, wir wollen Ihr Buch nicht verlegen, anbei erhalten Sie Ihr Manuskript zurück.
Wie würde ich in einem solchen Fall reagieren? Ich würde wohl sagen: Schade! Dann versuche ich es eben woanders. Außerdem würde ich nicht daran zweifeln, daß es das gute Recht eines Verlages ist, ein Manuskript von mir nicht anzunehmen.
Aber stellen Sie sich vor, ich würde ganz anders reagieren, nämlich so:
„Ich habe in meinem Buch nur die Wahrheit geschrieben, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit! Der Suhrkamp-Verlag nimmt mein Buch nicht an! Also: Der Suhrkamp-Verlag unterdrückt die Wahrheit! Damit ist bewiesen: Der Suhrkamp-Verlag ist ein Teil des weltweiten Lügen-Kartells! Irgendwelche finsteren Mächte sind es (wahlweise: Freimaurer, Zionisten, Illuminaten, Bilderberger), die auf den Verlag Druck ausüben.“
Dann würde doch jeder sagen: Der ist plemplem.
Und man würde mir vielleicht noch attestieren, daß ich mich aus gekränkter Eitelkeit zu abstrusen Anschuldigungen versteige.

Aber genau das ist die Methode „Bandbreite“.

Die Anderthalb-Mann-Band „Bandbreite“ sollte beim UZ-Pressefest der DKP 2011 nicht auftreten. Bandbreite-Sänger Wojna sagte nicht etwa „schade“, sondern fuhr trotzdem hin, veranstaltete einen Aufstand, redete von Zensur und Meinungsterror etc. pp, verlangte, auftreten zu dürfen und fand auch Zuspruch bei Teilen des Publikums, die sich von der Zensur- und Meinungsterror-Schwadroniererei beeindrucken ließen (siehe DER METZGER 96).
Die „Bandbreite“ sollte beim Christopher-Street-Day in Duisburg 2012 nicht auftreten. Bandbreite-Sänger Wojna sagte nicht etwa „schade“, sondern fuhr trotzdem hin, veranstaltete einen Aufstand, redete von Zensur und Meinungsterror etc. pp, verlangte, auftreten zu dürfen, klebte sich ein Pflaster auf den Mund und stellte sich so auf der Bühne in Pose (siehe DER METZGER 101). Hier sucht sich nicht ein Veranstalter seine Künstler, sondern hier sucht sich ein Künstler seine Veranstalter aus, und sie sollen sich nach seiner Entscheidung richten, sonst…
Hier ist allerdings noch eine Kleinigkeit hinzuzufügen: Sowohl beim UZ-Pressefest der DKP, als auch beim Christopher-Street-Day war ein Auftritt von „Bandbreite“ ursprünglich vorgesehen gewesen. Sie wurde in beiden Fällen nachträglich wieder ausgeladen. Den Veranstaltern war erst nachträglich klargeworden, welches Kuckucksei sie sich da selbst ins Nest gelegt hatten.
Bandbreite-Wojna lebt von dem Mißverständnis, bei ihm würde es sich um einen linken Künstler handeln. Schließlich kann er darauf verweisen, für einige linke Veranstalter für einige linke Veranstaltungen engagiert worden zu sein.
Solchen Veranstaltern, namentlich der MLPD samt ihrem Umfeld, aber auch dem Friedensforum ist vorzuwerfen, daß sie, allen Hinweisen zum Trotz, Bandbreite-Wojna für seinen Etikettenschwindel Beihilfe geleistet haben.

 

Bruno Bachler

Foto: Bruno Bachler (links) mit Oskar Rothstein

An eine komische Begebenheit erinnere ich mich. Er griff nach meinem Haarschopf und legte ihn über seine Glatze.
„Bruno, jetzt müssen wir aber nebeneinander gehen.“
„Wat sachse?“
„Jetzt müssen wir nebeneinander gehen.“
Ich erinnere mich auch nicht ohne Heiterkeit daran, daß ich in dem VVN-Büro auf dem Lith in Wanheimerort immer mit einem Schnäpsken begrüßt wurde. Zum Abschied nannte er mich immer „Liebe Jung‘“, auch als mein Haar schon grau wurde. „Tschüß, liebe Jung‘!“
*
Wir saßen im Zug nach Dortmund, zum UZ-Pressefest. Der ganze Wagen voller Genossen. Ich wurde von einer Freundin begleitet. „Wer ist der Mann, der da spricht?“ – „Das ist Bruno Bachler.“ Sie war beeindruckt, und darum ein paar Tage später Mitglied der VVN. Ob ich denn auch Mitglied der VVN sei, fragte sie ihn.
„Der Helmut ist einer von uns.“
Das hat Bruno gesagt. Alle Verdienstkreuze und Auszeichnungen können dafür stecken bleiben. Mir muß klar sein, welche Verpflichtung mir mit dieser Anerkennung aufgetragen ist.
*
Ein Bekannter von mir, ein Lehrer, erzählte mir oft, daß er auf die Linken nicht gut zu sprechen ist – aus Gründen, die ich verstehe. Ganz anders sein Urteil, als er Bruno Bachler und Karl-Heinz Winstermann (Brunos Kamerad aus dem Widerstand) kennenlernte, als sie mit der Ausstellung „Verfolgung und Widerstand in Duisburg“ auch an seine Schule kamen und vor Schulklassen sprachen. „Die beiden sind einfach echt!“
Es ist bezeugt, daß die Schülerinnen und Schüler nicht weniger beeindruckt waren – nicht nur von seinen Kenntnissen, nicht nur von seinen Argumenten, sondern von seiner Persönlichkeit.
Lehrer zu sein, sagte er mir, wäre sein Traumberuf gewesen, junge Menschen zu begleiten.
*
Bruno, aus einer kommunistischen Familie stammend, gehörte in der Nazizeit zu den Edelweißpiraten – Jugendliche, die sich von der HJ abgrenzten und mehr und mehr zum Widerstand übergingen. Wegen „Wehrkraftzersetzung“ kam Bruno in das KZ Buchenwald.
Mit dem Ende des Naziregimes begann für ihn eine neue Phase des Kampfes. Er leitete in Duisburg die FDJ, wofür er ins Gefängnis kam. 1960 wurde er als Mitglied der illegalen KPD wieder verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Er war dabei, als nach 1968 die Kommunisten wieder eine legale Partei aufbauten. Er war als Gewerkschafter und Betriebsratsvorsitzender aktiv. Sein Lebensmittelpunkt war die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten. Daß der Antifaschist auch in diesem Staat suspekt ist, mußte er erfahren. Um Anerkennung des antifaschistischen Widerstandes hat er sich erfolgreich bemüht, und er würde sofort betonen, daß sie nicht minder denen zu verdanken ist, mit denen er gemeinsam kämpfte.
Von Bundestagspräsident Thierse wurde Bruno zu einer Feierstunde des Bundestages eingeladen. Bruno lehnte die Einladung ab. Zurecht erwartete er Genugtuung für das, was dieser Staat ihm angetan hat. In Havanna wurde Bruno von Fidel Castro empfangen, der ihm für seine Lebensleistung dankte.
*
Das Alter verlangte einen hohen Tribut. Zum letzten Mal sprach ich mit ihm bei der Feier zu seinem 85. Geburtstag in den Ausstellungsräumen der VVN in Kaßlerfeld. Da kam auch der Oberbürgermeister, der damals noch ein angesehener Mann war.
*
Nun haben wir Bruno auf seinem letzten Weg begleitet. Es sind sehr viele gekommen, für die es eine Ehrensache war. Der Sauerland kam diesmal nicht. Aber Josef Krings war da. An Brunos Grab wurde noch einmal das Moosoldatenlied gesungen – ganz leise.
*
Bruno Bachler – diesen Namen haben wir immer mit Stolz und Rührung ausgesprochen. Wir haben ihn nicht nur geachtet. Wir haben ihn nicht nur verehrt.
Den Bruno haben wir geliebt.