Da hat aber eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit

Die Psychologie kennt bestimmt einen Fachausdruck für dieses Phänomen: Eine Person, die sich selbst nicht schön findet und meint, die Leute würden sie sowieso nicht leiden können, macht sich absichtlich bei ihnen unbeliebt.
Das kann funktionieren, weil es a) Leute gibt, die sich über Sottisen aus dieser Richtung bereitwillig aufregen, und b) Leute, die sich von dieser Strategie des Sich-Wichtig-Machens kolossal beeindrucken lassen.
Über die österreichische Adabei-Figur Stefanie Sprengnagel, die es originell findet, sich mit dem Künstlernamen „Sargnagel“ auszustatten, heißt es in der Frankfurter Rundschau: „Politische Korrektheit ist nicht so ihre Sache“. Ach Gottchen!
Über welche Häßlichkeiten können Leute sich a) bereitwillig aufregen und b) kolossal beeindrucken lassen?
Funktioniert immer: „Ich will keine Gleichberechtigung, ich will ein Matriarchat.“
Der Vorteil einer solchen reaktionären Sentenz ist: Man ist nicht einem Unterfangen verpflichtet, das mühsam, zudem noch fortschrittlich ist, sondern spreizt sich in einer ebenso wohl- wie hohlklingenden Phrase. „Matriarchat“, das ist die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, die nur in der Vorstellungswelt mitteleuropäischer Spießbürgerinnen existiert, die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies untergegangener Sagenwelten.
Wie wär‘s mit ein bißchen Latein?
„Patriarchat“ heißt nicht Herrschaft der Männer, sondern Herrschaft der Väter.
„Matriarchat“ heißt nicht Herrschaft der Frauen, sondern Herrschaft der Mütter.
Und wenn die Mütter herrschen, dann geht‘s den Töchtern schlecht.

Ein Prozeß hat begonnen

Ein Prozeß hat begonnen vor dem Landgericht, der Unzufriedenheit hinterlassen wird.

Die Gedenkstätte für die Opfer der Loveparade-Katastrophe im Karl-Lehr-Tunnel („Todestunnel“ genannt) wird immer wieder aufgesucht und erneuert. Die Würde wird durch die Deutlichkeit der Worte gewahrt. Amore e Rabbia.
Über die Naivität vieler Trauer-Symbole soll man sich nicht mokieren. Sie sollen respektiert werden in einem Land, das mit der UNFÄHIGKEIT ZU TRAUERN identifiziert wurde.
..

Was ist das?

Ein neues Fußballstadion („Kampfarena“ sagt man jetzt)? Mit Anzeigetafel und rotem Rasen (ist jetzt modern)?
Nein:

Das ist die Frankfurter Oper.
Da kommt die Oper ohne Musik aus; die Architektur ist schon Oper genug. Die Verwaltung des Hauses befindet sich auf der Bühne.
Das finden nicht alle gut, zum Beispiel die Leute, die schon gegangen sind.

Bild: Wikimedia Commons

 

Was ist das denn für ein Dingen?

Auf der Amazon-Homepage gesehen:

Hat das was mit Kraftwerk zu tun? Ein Straßen-Leitkegel für in die Manteltasche?

Wenn Sie so’n Dingen haben wollen, gehen Sie ans Ende der Seite und klicken Sie auf den Amazon-Link, damit ich im Falle Ihrer Bestellung eine Provision kriege.

Werbung als Kunst

Begrifflichkeiten der Kunst(-Geschichte): Werbung.


Wofür wird denn hier Reklame gemacht?
Werbung wird zur Kunst, und
Werbung ist erst dann richtig gelungen,

WENN

man vergißt
oder nie erfährt oder
gar nicht wissen will,
wofür geworben wird,
oder
wenn sie etwas anderem mehr Auftrieb gibt als dem beworbenen Produkt.

Innerstaatliche Feindschaftspflege

Die Bildzeitung von gestern..

Handelt es sich hier wirklich um ein Foto (und nicht um eine Montage)?
Zeigt dieses Bild ein Geschehnis während der Krawalle beim G20-Spektakel in Hamburg?
Handelt es sich bei dem Mann, der von hinten, und dem, der von vorn zu sehen ist, um ein und dieselbe Person?
Man kann wohl alle diese Fragen mit Nein beantworten, ohne weit daneben zu tippen.

Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Personen aufgrund dieses Jagdsignals bei der Polizei gemeldet wurden, wobei sie dem Mann auf dem Zeitungsfoto ja noch nicht einmal besonders ähnlich sehen müßten.

Eskalation

G-20-Proteste.
Das Gericht genehmigt ein Camp, die Polizei räumt es – kurz gesagt.
Die Polizei setzt auf Eskalation.

Was den Herrschenden (und denen, die sich – bestellt oder nicht – für sie dienstbar machen) am wenigsten in den Kram paßt, ist ein friedlicher Massenprotest. Darum setzen sie, um sicher zu gehen, ihre Provokateure ein. Steine und Pfefferspray kommen vielleicht aus derselben Materialausgabe. So wird ein Vorwand geschaffen, Demonstranten als Delinquenten darzustellen.

Wenn in ein paar Tagen von „gewaltsamen Ausschreitungen“ berichtet wird, dann ist das nicht die Wahrheit.

Weltrang. Groß. Asche.

„Sätze, wie nur Martin Walser sie schreibt . . .“ (Pünktchen Pünktchen Pünktchen) „Morgen feiert Deutschlands widerspruchsvollster Großschriftsteller“ groß, größer am größten, voll voller am vollsten „seinen 90. Geburtstag“, schreibt die WAZ und gratuliert mit einer Sammlung von Zitaten. Zum Beispiel:

„Ich möchte nicht der sein, der ich war. Ich möchte der sein, der ich durch dich bin.“ (1)

„Die Sehnsucht ist da, bevor sie ein Ziel hat. Die Sehnsucht findet jemanden, dem sie dann gilt.“ (2)

„Ich bin die Asche einer Glut, die ich nicht war.“ (3)

„Solange etwas ist, ist es nicht das, was es gewesen sein wird. Wenn etwas vorbei ist, ist man nicht mehr der, dem es passierte.“ (4)

„Sich einfach der Sprache anvertrauen. Vielleicht kann sie etwas, was du nicht kannst.“ (5)

„Ich muss mich auf dem Papier festhalten, weil ich nirgends sonst möglich bin.“ (6)

„Ich bin eine Wohnung, aus der ich ausgezogen bin.“ (7)

aus: Das dreizehnte Kapitel, 2012 (1); Meßmers Momente, 2013 (2, 3, 6, 7); Ein springender Brunnen, 1998 (4, 5).

„Widerspruchsvollster Großschriftsteller“ wäre mir dabei nicht eingefallen. Eher „spruchvollster Großförst“. Mit „ö“.

Original und Fälschung

Lag heute im Briefkasten: die Scheißzeitung von der Industrie- und Handelskammer. Thema: Eindimensionalität auf Sofakisen.

Wir haben an dem Bild eine (eine!) Veränderung vorgenommen. Finden Sie den Fehler?
Kleiner Tipp: Die Veränderung ist dergestalt, daß sie von beiden (beiden!) konterfeiten Personen als Verunstaltung angesehen werden würde.

Ne? Is klar.

Ist Ihnen auch klar, daß der Rosenmontag, beziehungsweise das ganze durch ihn verlängerte Wochenende, mancherorts als Zeit der Kontemplation gefeiert wird, zum Beispiel dort, wo die fast vollendete METZGER-Ausgabe Numero 121 ganz vollendet werden soll.
Ich will Ihnen gern zu ein paar (präzise gesagt: fünf) kontemplativen Inspirationen verhelfen – durch Recurse auf die ersten fünf Monate dieses Weblogs. Denn wisse: wer auf der Suche nach der Zukunft ist, muß in alten Papieren wühlen (hier: in alten Notaten herumstöbern).

Drum klicken Sie mal hier,
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und klicken Sie mal hier,
und klicken Sie mal hier.

Viel Freude (ohne Uniform, ohne Blaskapelle).

Ja, Sie brauchen einen Bundespräsidenten.

Brauchen wir noch einen Bundespräsidenten? So wird gleich die ganze Institution in Frage gestellt (wobei der in der Verfassung festgeschriebene Aufgabenbereich dieses Verfassungsorgans ausgeblendet wird). Aber solche Fragen werden gern gestellt. Denn man möchte ja wenigstens das abschaffen, was eigentlich gar nicht weiter schadet.
Ich meine: Ja, Sie brauchen einen Bundespräsidenten. Es ist wichtig, daß alle fünf Jahre einer gewählt wird. Das „Kandidatenkarussell“ ist schon recht unterhaltsam, vor allem, wenn, wie seinerzeit Heidmann (oder Heitmann?), einer durchfällt. Die Wahl selbst ist eine gute Show, vor allem, wenn es mehrere Durchgänge gibt. Sollte ich mal – gottbehüte! – in der Bundesversammlung sitzen, dann würde ich auch nicht gern schon nach dem ersten Wahlgang nach Hause geschickt. Wenn schon denn schon!
Die Präsidentenwahlen boten guten Anschauungsunterricht: Etwa, als vorgeführt wurde, daß Rotgrün versuchte, die CDU rechts zu überholen (Gauck contra Wulff). Oder, als die SPD-Kandidatin (Gesine Schwan) nicht von allen SPD-Deputierten gewählt wurde. Daran sollte man sich erinnern, wenn die SPD mal wieder eine knappe Koalition zusammenzubringen versucht, was schon in Hessen schiefging.
Die Wahl des Bundespräsidenten hat was von den Abiturentlassungsfeiern, wie sie zu meiner Zeit noch waren. Samstags nach der zweiten Stunde versammelte sich die „Schulgemeinde“ ab Mittelstufe inclusive stolzen Eltern, Ehemaligen, Löbenichtern, Jubilaren in der Aula zu einem würdevollen Spektakel mit Schulorchester. Alle in dunklem Anzug mit Krawatte. Die ersten beiden Stunden aber war noch normaler Unterricht. Und stellen Sie sich das bitte vor: Mathematik und Erdkunde im dunklen Anzug mit Krawatte. Das ist Surrealismus! Das ist Bunuel!

Mit Coffee im Stechschritt, mit Stech im Coffeeschritt

Neu in der Weltbühne, und ich wage zu sagen: eines der ergiebigsten Bücher der letzten Jahre:
Sebastian Friedrich: Lexikon der Leistungsgesellschaft. Wie der Neoliberalismus unseren Alltag prägt. Vorwort von Oliver Nachtwey / Fotos von Johann Bröse. edition assemblage 2016. 96 S. 7,80 Euro.
Verlagstext:
Der Streifzug durch alltägliche Begriffe der „Leistungsgesellschaft“ erkundet die vorherrschende Ideologie des flexiblen Kapitalismus. Er ist weit mehr als ein wirtschafts- und sozialpolitischer Ansatz. Die neoliberale Ideologie prägt unsere Persönlichkeit, unser Denken, unser Handeln: während wir Sport treiben, wir über unsere Bosse sprechen, als wären wir befreundet, wir in Dating-Portalen nach der Liebe fürs Leben oder dem schnellen Sex suchen, wir unser 70er Jahre-Rennrad das Altbau-Treppenhaus hochtragen, wir herzhaft über die Prolls in der Eckkneipe lachen, wir uns über unsere aktuellen Prokrastinationserfahrungen austauschen, wir mit einem Coffee-to-go bewaffnet im Stechschritt durch die Stadt marschieren, wir lustige ironisch-geistreiche Anmerkungen machen, wir uns wieder nicht entscheiden können und wir am Ende des Tages einmal mehr versuchen, das zu verdrängen, was längst Gewissheit geworden ist: daß es so nicht weitergehen kann.
Sebastian Friedrich ist Redakteur von kritisch-lesen.de und Verfasser der Kolumne „Lexikon der Leistungsgesellschaft“, die seit April 2013 bei der linken Monatszeitung ak– analyse und kritik erscheint.

Bitte bestellen Sie das Buch nicht am Amazonas, sondern in der progressiven Buchhandlungen, die auf dem Gebiet der (Leistungs-)Verweigerung Großes leistet: Buchhandlung Weltbühne, Duisburg, Gneisenaustraße 226, 47057 Duisburg (Neudorf). Telefon 0203-375121.
E-mail: bestellungen@buchhandlung-weltbuehne.de
www.buchhandlung-weltbuehne.de
WELTBUEHNE MUSZ BLEIBEN !

Satire ist das, was Satiriker machen

„Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine.“ Kurt Tucholsky

In den Kommentar- und Leserbriefspalten der Zeitungen werden derzeit Gutachten und Regelwerke verkündet, was Satire darf/soll/darf/kann, und mir gefällt das nicht.
Reicht es nicht, wenn 20, 30, 40 Millionen Leute dem Fußball-Bundestrainer Ratschläge geben? Ist das nicht genug Betätigungsmöglichkeit für Leute, die immer unbedingt was meinen zu müssen glauben?
SatirikerDarfAlles2Auch Leute vom Fach werden interviewt. Mich hat keiner gefragt, und das ist gut so. Ich wäre um eine Antwort verlegen. Ich bin kein Satire-Experte. Ich bin Satiriker. Fragen Sie mich also nicht, was Satire ist. Ich kann Ihnen höchstens sagen, daß die häufig gehörten Definitionen mich verwundern. „Satire übertreibt“, „Satire überzeichnet“. Ach. Ja? Nun gut, das kommt gelegentlich vor. Aber ebenso aufschlußreich wäre die Definition „Satire benutzt den Buchstaben E“.
Ich könnte mich mit der Gegenfrage rausreden: Wer hat den Artikel von Ignatz Wrobel (i.e. Kurt Tucholsky) von 1919 im Berliner Tageblatt, in dem dieser Satz vorkommt, daß Satire alles darf, mal ganz gelesen? Ich würde leichten Herzens bekennen, daß ich den Namen von dem, den jetzt jeder kennt, vorher noch nie gehört hatte, und ich weiß auch nicht, ob ich den richtig behalten habe. Böhmermann?
Um es kurz zu machen, könnte ich also sagen: Satire ist das, was Satiriker machen. Und selbst damit bin ich mir nicht ganz sicher.
Um nicht für unhöflich gehalten zu werden, sage ich dann noch: Das Privileg, alles zu dürfen, muß mit hohen handwerklichen, kreativen, intellektuellen und charakterlichen Qualitäten erworben werden.
Es wurde schon mal gesagt: Satire, die der Zensor versteht, wird zurecht verboten. Das muß sich nicht auf den Zensor beschränken. Wenn ein Spießbürger etwas verstanden hat, dann hat er es falsch verstanden.
Im letzten METZGER (Nr. 117) steht der Satz „Nicht überall, wo Dada drin ist, steht auch Dada drauf“. Mit der Satire sollte man es ebenso handhaben. Sie sollte sich nicht immer als solche zu erkennen geben – damit die, die keine Ahnung haben, nicht gleich wieder alle bescheidwissen.
KunstDerSatire..