Bilder einer Wanderung (3)

Wanderung-2014-15Viel Farbe auf glatter strukturierter Fläche. Großartig! Hat das Zeug zum Klassiker!
Ob der Effekt beabsichtigt war?
Wo der Inhalt fehlt, kommt es nur noch auf die Form an.

Wanderung-2014-16Ja, was ist denn hier so schlimm, daß kein Mensch „das“ gewollt haben kann? Man sollte doch froh sein, wenn die Häuser, die gestern hier standen, heute immer noch hier stehen, denn sonst wüßte man nicht, wo man ist, und wer will das?
Ich mag es, wenn sich jemand klar ausdrückt und verständlich macht, was er will und was er nicht will. Ich mag es nicht, wenn jemand mich mit seinem Weltschmerz herausfordert.
Allerdings wird die Menschheitsfrage durch die Feststellung „GWTR SAHL“ konterkariert.
Es sollte sich mal herumsprechen: Unter dem Pflaster liegt nicht der Strand. Unter dem Pflaster liegt der Schotter.
Gewittersaal?
Da die Frage an die Außenmauer meines Geburtshauses geschrieben wurde, will ich sie beantworten: Ja! Das ist es, was ich will. Ein Mensch zu werden ist das beste, was mir passieren konnte.

Wanderung-2014-17Die Vegetation hat sich etwas herausgenommen. Roter Klatschmohn, Erikas Lieblingsblume. „Roter Klatschmohn!“ – Jaja, ich habe verstanden: Klatsch-Mohn! Rot!
Ich könnte ja froh sein, ihre Stimmungen & Launen nicht mehr ertragen zu müssen. Aber manchmal vermisse ich sie doch noch ein kleines bißchen.

Wanderung-2014-18Eine Idee greift um sich.

Wanderung-2014-19Auf dem Haus der Verbindung Rheno-Germania „zu“ Düsseldorf-Duisburg (die behauptet, älter zu sein als die beiden Universitäten) dürft Ihr rumschmieren so viel wie ihr wollt.
Die Mitteilung den Zusammenhang fallender Kinder und Aktien betreffend hat Emcewenilez Nopniks durchgestrichen, weil er sie nicht verstanden hat. Die anderen Mitteilungen hat er nicht durchgestrichen, weil er glaubt, sie verstanden zu haben.
Oben rechts: Werbung für Werbung.

Wanderung-2014-20Das umkreiste A hätte man als geschütztes Warenzeichen eintragen lassen sollen!
Nicht, um Geld damit zu machen, sondern um seine beliebige Verwendung für alles Mögliche und Unmögliche zu verhindern.
Hier wird es als Symbol der Mitteilung des zum Haß gesteigerten Unbehagens an der Gesellschaft hinzugefügt. Abgelehnt wird anscheinend nicht die gegenwärtige Gesellschaftsordnung, sondern Gesellschaft an sich. Rousseau hätte dem zugestimmt.
Aber was würde Rousseau heute sagen?
„Ja, so habe ich auch mal gedacht. Aber das war falsch.“

1. Juni: Zwei Jahre Liebe, zwei Jahre Zorn

Das sind nicht zusammen vier Jahre, sondern zwei Jahre Liebe und Zorn.
Und damit ist ja noch nicht alles aufgezählt. „Amore“ e „Rabbia“ bezeichnen den Radius, der einen Kreis ergibt, der mehr Elemente enthält.
Heute ist Jahrestag. Es darf gratuliert werden.
Ich gratuliere den Leserinnen und Lesern zu (bis gestern) 580 Notaten.
Wie an jedem 1. Juni spaziere ich heute auf dem Kaiserberg herum. Auch die Leserinnen und Leser sind zu einem Spaziergang eingeladen, zu einem Kreuz-und-quer-Gang durch 24 Monate, durch einen Dschungel, in dem immer wieder neue Pfade zu entdecken sind. Nur wer herumschweift, entdeckt in der Verschiedenartigkeit die Universalität.
(Wie habe ich das gesagt?).
Nun gratuliert mal schön:
„Kommentar hinterlassen“ anklicken und einen Kommentar hinterlassen.
Und wer mir nicht doof kommt, dessen Kommentar mache ich sogar sichtbar.
Bis morgen!

Perfect Day

Letzte Tage in der Weltbühne.
Eine schöne Frau mit langen blonden Haaren betritt den Laden. Sie hat eine dunkle Stimme. Und: Sie hat ein Buch von Hegel. Ein sehr dickes Buch. Ob ich das haben will für’s Antiquariat.
„Bevor es weggeschmissen wird, nehme ich es.“
„Krieg ich was dafür?“
Oje!
„Zwei Euro.“
„Okay.“
Und danach die tiefe Betrübnis. Warum lasse ich mich immer breitschlagen! Warum kaufe ich Bücher immer viel zu teuer ein!
Eine Stunde später.
Ein Mann (spricht mit französischem Accent) erkundigt sich nach Philosophie, fragt nach Hegel. Ich zeige ihm das sehr dicke Buch. er will es haben.
„Vier Euro.“
„Okay.“
Wieder allein, und ich singe laut:

„Just a perfect day
feed animals in the zoo
Then later
a movie, too, and then home

Just a perfect day
you made me forget myself
I thought I was
someone else, someone good

Oh, it’s such a perfect day
I’m glad I spent it with you
Oh, such a perfect day
You just keep me hanging on
You just keep me hanging on“

Diese Geschichte ist gar nicht wahr. Der Mann kam nicht nach einer Stunde, sondern erst am nächsten Tag.

Hegel zu Besuch in der Buchhandlung Weltbühne, weil hier der Weltgeist zu sich selbst findet

Hegel zu Besuch in der Buchhandlung Weltbühne, weil hier der Weltgeist zu sich selbst findet

..

Metaphysik des Frühstücks

Mir passiert das immer wieder, daß ich vergesse, Kaffee zu kochen.
Morgens,noch „schlaftrunken“ (blödes Wort), stoße ich in der Küche überall an und muß mir erstmal darüber klar werden, was ich hier überhaupt will. Ach ja! Frühstück machen. Und dann hab ich mir ein paar Frühstücksbrote gemacht und stelle fest: ich hab Kaffeekochen vergessen.
Besonders ärgerlich ist das, wenn ich abends mein warmes Essen zubereite und dann, wenn alles fertig ist, feststelle, daß ich schon wieder vergessen habe, Kaffee zu kochen. Also muß ich noch schnell Kaffee kochen, bevor das Essen kalt wird. Denn der Kaffee muß sich eigentlich vor dem Essen in der Warmhaltekanne befinden! Ich kann doch nicht erst nach dem Essen anfangen, Kaffee zu kochen! Nach dem Essen will ich gar nichts tun, was Konzentration und koordiniertes Handeln erfordert.
Ich kann die Leute nicht verstehen, die erst ein paar Stunden nach dem Mittagessen Kaffee trinken. Das ist doch keine Art! Ich will meinen Kaffee schon mit dem Dessert trinken. Denn das Dessert ist etwas Süßes, und zum Süßen gehört Kaffee! Kaffee schwarz ohne Milch und Zucker. Was wäre das für eine Hauptmahlzeit, der nicht sofort der Kaffee folgt!
Aber heute ist mir was ganz Ungewöhnliches passiert: ein Ereignis, dem Kant und Einstein, würden sie noch leben, größte Aufmerksamkeit widmen würden!
Ich wollte gerade anfangen zu frühstücken und dachte: Verdammt! Jetzt hab ich doch schon wieder vergessen, Kaffee zu kochen! Ich schau hin, und was seh ich? Da steht die Kanne, der Filter oben drauf, und der Kaffee ist durchgelaufen!
Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte hat der Kaffee sich selbst gekocht!

Praktische Philosophie

Philosophieunterricht hatten wir nur ein Jahr lang, in der Oberprima, und zwar samstags in den letzten beiden Stunden. Das traf sich gut. Es wäre nicht so gut gewesen, die Philosophie zwischen Mathematik und Französisch zu quetschen. Die letzten beiden Stunden vor der Entlassung ins freie Wochenende sind eine gute Zeit für die Philosophie, die, wie ich finde, am besten gedeiht in einer Atmosphäre der Entspanntheit.
Vor den beiden Philosophiestunden war die große Pause. Meine Mitschüler verließen den Klassenraum. An einem Samstag nutzte ich die Gelegenheit, die Utensilien meiner Mitschüler, die auf den Tischen herumlagen, zu vertauschen. Ich nahm das Heft von diesem Tisch und legte es auf jenen, das Buch entfernte ich dort und legte es dahin, wo ich den Füllfederhalter wegnahm. Die Schultaschen leerte ich zwar nicht aus, aber verteilte sie kreuz und quer im Raum. In fünf Minuten gelang es mir, ein enormes Tausch-Pensum zu schaffen, so daß jeder, dem drei oder vier Utensilien fehlten, sie auch an drei oder vier verschiedenen Stellen ausfindig machen mußte.
Die Unterrichtsstunde in Philosophie begann mit erheblicher Verzögerung. Der Klassenraum hatte sich vorerst in eine Börse für vermißte und vorgefundene Gegenstände verwandelt. Man hätte auch mit Fug sagen können: es fand eine Übung in praktischer Philosophie statt: Aus dem Chaos zur Ordnung mit den Mitteln der Kommunikation, oder so ähnlich.
Es hätte auffallen müssen, daß ich für diesen Zustand verantwortlich war, denn ich war der einzige, der das alles lustig fand. Und: meine Utensilien waren allesamt da, wo sie hingehörten. Ich wurde darauf nicht angesprochen, wahrscheinlich deshalb, weil ich mit Abstand der Beste im Fach Philosophie war – dies aber wohl deshalb, weil Herbert Marcuse durchgenommen wurde.

Herbert Marcuse (1955)

Herbert Marcuse (1955)

Im mündlichen Abitur wurde ich über Herbert Marcuse geprüft. Auf die Frage, wie man diesen Philosophen anhand der Textpassage, die mir vorgelegt worden war, politisch verorten könne, antwortete ich: Herbert Marcuse ist ein Linker.
Für diese enorme textanalytische Leistung bekam ich die Note Eins, und später erfuhr ich, ich sei im mündlichen Abitur der Jahrgangsbeste gewesen – aber nur, weil ich in Philosophie geprüft wurde. Wäre ich in Französisch geprüft worden, wäre ich vielleicht der Jahrgangsschlechteste gewesen.

1. Juni

Am 1. Juni 2012 startete das Weblog „Amore e rabbia“. Bis gestern waren es also 365 Tage mit 303 Notaten.
Das Versprechen, die Leserschaft mit Nachrichten, Reflexionen, Kommentaren, Widerworten, Wiederholungen, philosophischem Kabarett, Beobachtungen und Erinnerungen zu versorgen, wurde wohl ganz passabel erfüllt. Weiterhin wird garantiert für einseitige Beeinflussung und tendenziöse Berichterstattung. Wo ALLSEITIGKEIT entwickelt wird, bleibt für das Nullsummenspiel der Ausgewogenheit kein Platz übrig. Und so bleibt das.

Mit Statistik beschäftigen wir uns nächste Tage.

Der 1. Juni ist kein zufälliges Datum. Denn einige wichtige Wendepunkte meines Lebenslaufs fielen zufällig auf einen 1. Juni. Als meine Frau noch lebte, feierten wir den 1. Juni wie einen heimlichen Geburtstag. Seit Jahren, so auch heute, verbringe ich eine Zeit des höchstpersönlichen Feiertags auf dem Kaiserberg, denn an dem wohl wichtigsten 1. Juni meines Lebens war ich auch auf dem Kaiserberg. Traditionen solcher Art pflege ich, denn die ZEIT ist besser zu reflektieren, wenn sie einen Rhythmus hat.
Daß auch dieses Weblog aus gutem Hause zufällig an einem 1. Juni begonnen wurde, ist also kein Zufall.

Bilder vom Kaiserberg

Bilder vom Kaiserberg

Kaiserberg02..

Bilder von einer Wanderung

Die katholischen Hochfeste, die in den Frühling fallen, wenn es lange hell bleibt, und die zudem gesetzliche Feiertage sind („Christi Himmelfahrt“, Pfingstmontag, „Fronleichnam“) nutze ich für ausgedehnte Wanderungen durch Wälder, Felder und Siedlungen.
Die dafür verwendete Zeit ist Arbeitszeit. Denn im weiten Horizont werden Arbeiten vorbereitet. Man erinnere sich an Nietzsche: „Mißtraue einem Gedanken, der nicht beim Gehen entstanden ist.“

ch2013-01ch2013-02Regattasee in Wedau, vom Start aus gesehen. 2000 Meter.

ch2013-03Kann man sich vorstellen, daß jemand Ruschaub heißt und dauernd erwähnt wird? Ich kann mir das vorstellen.

ch2013-04„Was ist das denn für ein Fotograf?“

ch2013-05Wird ein WASSERTURM in dem Moment, wo er nicht mehr als solcher genutzt wird, zum Kunstwerk? Oder war er es vorher schon? Ich neige zum letzteren. Gilt auch für die Masten der Überlandleitungen.
Sind solche Gedanken produktiv? Oder bin ich ZU WEIT GEGANGEN?

ch2013-06Hier läßt es sich bestimmt gut wohnen.

ch2013-07„Mal ehrlich, Kumpanen, wer von uns möchte da wo-ho-ho-honen?“

ch2013-08ch2013-09Auf den Bahnhof Wedau werde ich immer wieder zurückkommen.

ch2013-10Blick über den stillgelegten, von Renate König in einer Kurzgeschichte beschriebenen Wedauer Rangierbahnhof. (Er war, in Betrieb, der größte Rangierbahnhof der Welt).

ch2013-11Da oben wohnte Onkel Fritz. Der Blick IN DIE WEITE aus dem Wohnzimmerfenster (ganz oben, links) gehört zu dem großen Eindrücken meiner Kindheit.

ch2013-12..

Der Witz am Sonntag

Zwei Tora-Studenten beim Tora-Studium.
Der eine fragt: „Ob man sich hier einfach mal eine Zigarette anstecken kann? Ich möchte gern eine rauchen.“
„Nein. Ich habe den Rabbi gefragt ob man beim Tora-Studium rauchen darf. Er hat gesagt: Das geht nicht.“
„Glaube ich nicht. Ich frag ihn mal selbst.“
Er geht zum Rabbi und fragt: „Darf man beim Rauchen die Tora studieren?“
„Selbstverständlich!“

Der Wander-Zyklus beginnt heute

Der Zyklus der Spaziergänge (nicht ohne Ironie auch „Wanderungen“ genannt) beginnt traditionsgemäß an dem Samstagnachmittag, an dem sich im Wald die Ankündigungen des Vorfrühlings erahnen lassen. Bevor die Zweige ergrünen, zeichnen sie noch ein bizarres Muster in den Himmel. In der Vegetation beginnt ein Umbruchprozeß, in dem kolossale Kräfte sich entfalten werden, die die Landschaft umgestalten. Zeuge dieser Naturprozesse zu sein gehört zu dem großen Gefühlen.
In diesem Jahr mußte ich länger warten, nämlich bis März, um mich auf den Weg zu machen, weil den ganzen Februar über der Winter sich nicht vondannen machen wollte – womit nicht gesagt ist, daß ich im Winter nie unterwegs bin. Aber die Wintertage sind kurz, und dadurch sind die Wander-Radien eingeschränkt.
Mehr darüber wird zu berichten sein, wenn ich in den kommenden Monaten – wie gewohnt – eher bekannte Orte aufsuche als neue zu entdecken. Wer einen neuen Ort entdeckt, sieht ihn in seinem ZUSTAND, wer vertraute Orte aufsucht, sieht ENTWICKLUNGEN und erlebt zudem das Wachwerden von Erinnerungen und Assoziationen.
Ich erinnere an Friedrich Nietzsche, der mal gesagt hat: Mißtraue einem Gedanken, der nicht beim Gehen entstanden ist. So ist das Gehen eine Arbeitsmethode. Indem ich die Wälder, die Auen und die Siedlungen durchstreife, arbeite ich.

DIE ARBEIT IST NICHT FLUCH FÜR DIE NICHT SKLAVEN SIND“, sagte der Dichter.

Duisburger Wald bei Neudorf. Trüber Himmel im Vorfrühling.

Duisburger Wald bei Neudorf. Trüber Himmel im Vorfrühling.

Aber das habe ich alles doch schon mal erzählt.

War schon das Ende? Oder kommt noch der Anfang?

Anmerkung zum gestrigen Weltuntergang

[…] Wir leben im Mittelalter. Wir sind uns sicher, daß das Mittelalter noch nicht aufgehört hat. Aber manchmal sind wir im Zweifel, ob das Mittelalter überhaupt schon begonnen hat.
Der Philosoph Ernst Bloch war sogar der Meinung, daß die Genesis noch gar nicht begonnen hat. Der liebe Gott hat mit der Erschaffung der Welt noch gar nicht angefangen. Er denkt auch gar nicht daran, die Welt zu erschaffen. Denn der wirkliche Erschaffer der Welt ist, laut Bloch, der die Gegebenheiten überholende, arbeitende Mensch.

Berlin, Ernst Bloch auf 15. Schriftstellerkongress in Berlin (DDR) 1956Foto: Krueger/ADN - Bundesarchiv

Berlin, Ernst Bloch auf 15. Schriftstellerkongress in Berlin (DDR) 1956
Foto: Krueger/ADN – Bundesarchiv

Der Satiriker Karl Kraus hingegen meinte, der Weltuntergang hätte längst stattgefunden, nämlich von 1914 bis 1918.
KarlKraus
Wenn also noch nicht einmal klar ist, ob der Anfang noch kommt oder das Ende schon war, ist es doch auch nicht verwunderlich, daß im Reich der Wissenschaft Verwirrung herrscht. Von allen Rätseln der Wissenschaft das größte ist die Wissenschaft selbst.
Wenn also demnächst zwei oder drei Professoren in weißen Kitteln zu Ihnen kommen und das Haus, in dem Sie wohnen, von oben bis unten mit Fett beschmieren, dann wundern Sie sich bitte nicht.

aus: „Physiker“ in DER METZGER 77 (2006)

Am Telefon

Ich spreche mit Marita. Sie fragt nach meinem Befinden. Ich antworte:
„Ich bin so müde!“
„Ich bin auch müde.“
„Aber ich bin die ganze Zeit müde, schon seit Tagen. Ich bin ständig müde.“
„Das kommt von dem Wetter. Das ist der Herbst. Das macht uns alle müde. Wenn du ein Bär wärst, dann würdest du dich jetzt auf deinen Winterschlaf vorbereiten.“
„Da habe ich es als Mensch aber besser getroffen.“
„Meinst du.“
„Ja. Ein Mensch zu werden war das beste, was mir passieren konnte.“

Der größte Chefkoch aller Zeiten! oder Et gibt nix, wat et nich gibt

Schon die alten Griechen wußten: Einen Fels kann man zerkleinern. Die geschicktesten unter ihnen nutzten diese Naturgegebenheit für die Bildhauerei. Wenn man einen Apollo oder eine Aphrodite in Stein darstellen will, muß man von dem Stein mithilfe von Hammer & Meißel alles das entfernen, was nicht Apollo bzw. Aphrodite ist, und übrig bleibt: Apollo bzw. Aphrodite und ein Haufen Steine. Den Apollo bzw. die Aphrodite stellt man auf einen Sockel. Aber was macht man mit dem Haufen Steine? Die Steine könnte man, zumindest hypothetisch, in kleinere Steine zerlegen, und die kleineren Steine in noch kleinere. Das hat zwar keinen Sinn, und darum tut man es nicht, aber man kann es sich vorstellen. Man kann sich vorstellen, aus den ganz kleinen Steinchen Sandkörner herzustellen und aus groben Sandkörnern feine Sandkörner, und aus den feinen noch feinere. Man kann aus Sandkörnern Staubkörner machen, und das kann man fortsetzen ad infinitum. Doch nein, sagte Demokrit. Irgendwann ist Schluß. Irgendwann hat man vor lauter Zerkleinerei ein Materieteil vor sich, das so klein ist, daß es nicht mehr zerkleinert werden kann. Dieses nicht mehr zerkleinerbare Materieteil nennt man Atom. Aus Atomen ist alles zusammengesetzt.
Die Idee des Demokrit war grundlegend für die Wissenschaft von der Materie. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes elementar. Die Weltanschauung, in die die Überlegung von den elementaren Bestandteilen der Materie einfloß, nennt man Materialismus.
Die Hypothese von den Atomen hat sich durch die Jahrtausende gehalten. Seit etwa hundert Jahren gibt es naturwissenschaftliche Erkenntnisse darüber, daß die kleinsten Bestandteile der Materie in sich strukturiert, d.h. aus Protonen, Neutronen und Elektronen zusammengesetzt sind. Dem Bohrschen Atommodell zufolge besteht das Atom aus einem Kern, bestehend aus einer – je nach Element – verschieden großen Zahl von Protonen und Neutronen, und einer Hülle, bestehend aus Elektronen, die den Kern umkreisen.
Eine Zeichnung dieses Atommodells hat jeder schon einmal gesehen. Aber diese Darstellung ist sehr schematisch. Sie gibt nicht die wahren Größenverhältnisse wieder. Wenn wir uns vorstellen, der Atomkern hätte die Größe einer Erbse, dann wäre die Umlaufbahn des Elektrons vielleicht zehn Meter von diesem Kern entfernt. Und dazwischen?
Tja. Das ist die Frage, von der ich bisher nicht ahnte, welch große Rolle sie für alle Angelegenheiten des Daseins spielt. Fast hätte ich gesagt: Dazwischen ist nichts. Wie leichtsinnig!
Auf den Boden der Materie zurückgeholt hat mich ein Artikel in der Roten Fahne. Das ist, wie Sie wissen, das Wochenblatt des Freizeitvereins MLPD, was soviel wie MüllPD bedeutet, aber selbst gern „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ genannt werden will. Diese Vereinigung fühlt sich nicht einfach bloß dem Vermächtnis der Klassiker des wissenschaftlichen Sozialismus, in aufsteigender Linie Marxengelslenin, Stalin, Mao verpflichtet, sondern vor allem dem Vermächtnis des Lehrmeisters der Klassiker. Und das ist? Sagen Sie bloß, Sie wissen es nicht! Willi Dickhut.
Der Roten Fahne verdanke ich die Einsicht, daß das Bohrsche Atommodell ein raffinierter Propagandatrick der Kapitalisten ist, die der Arbeiterklasse einreden wollen, daß die Materie größtenteils aus leerem Raum besteht. Aber wo kämen wir da hin! Der fundamentale Satz der Lebenserkenntnis, der da lautet „Et gibt nix, wat et nich gibt“ wird in der Roten Fahne auf geradezu dialektische Weise zu der These erhoben: Nichts gibt es nicht. Überall ist etwas. Also auch zwischen Atomkern und den Elektronen befindet sich Materie. Die Arbeiterklasse soll sich bloß nicht mit so’n bißchen Atomkernen und Elektronen abspeisen lassen!

Mithilfe des Bohrschen Atommodells versuchen die Kapitalisten, die Kampfkraft der Arbeiterklasse zu schwächen.

Die Rote Fahne veröffentlichte einen Briefwechsel mit dem Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle. Der schrieb, sinngemäß: Es ist ja sehr schön, daß Sie in Ihrer Zeitung auch naturwissenschaftliche Themen behandeln, aber so wie Sie das darstellen, ist das falsch. Doch die Rote Fahne konnte auftrumpfen: „In den 40er Jahren wurde die Existenz dieser Materieebene von W. Dickhut umfassend aus dem damaligen Stand der Physik abgeleitet und als kontinuierliche Materie gekennzeichnet.“
Donnerwetter! Er hat also nicht nur, was wir ja schon wußten, dem Karl Marx das Kapital erklärt und auf Lenins Frage „Was tun?“ die Antwort gegeben. Mehr noch: Er hat Einstein und Newton vom Kopf auf die Füße gestellt! Wir können also neue Hoffnung schöpfen, daß auch noch die letzte Frage „Wo kommen die Löcher im Käse her?“ abschließend beantwortet wird.

aus DER METZGER 72 (2005)

Carpe diem

Der griechische Philosoph Epikur lebte wahrscheinlich von 341 bis 270 v.u.Z. Er darf als einer der Begründer des Materialismus gelten. Die Atomtheorie des Demokrit, wonach die Materie sich aus kleinsten, unteilbaren Teilen zusammensetzt, griff er auf und entwickelte sie weiter. Die Materie sei eine veränderliche Zusammensetzung unveränderlicher Atome. Auch die Seele, die im ganzen Körper vorhanden sei, auch die Götter seien Gebilde aus Atomen. Für ihn war nur die wahrnehmbare materielle Realität Quelle der Erkenntnis. Den Glauben an Schöpfung und Vorsehung, an die Lenkung des Menschenschicksals durch die Götter lehnte er ab.

Epikur, Louvre

Epikur ist der Nachwelt am meisten dadurch bekannt, daß er die Freude am Leben für den eigentlichen Sinn des Lebens hielt. Die höchste aller Lüste ist die Lust zu leben selbst. Um sie zu entfalten, muß die Furcht überwunden werden, so auch die Furcht vor den Göttern. Die Freundschaft war für Epikur die der Daseinsfreude am meisten förderliche Art der zwischenmenschlichen Beziehung.
Um sein bescheidenes Haus in Athen legte er den Garten Kepos an, wo er seine Schüler und Anhänger empfing. Darunter waren, ganz den Konventionen der Zeit widersprechend, auch Ehepaare, Frauen (Hetären) und Sklaven.
Gerüchte über Exzesse im Garten Kepos zeigen das Unverständnis der Zeitgenossen. Denn im Garten Kepos sollten die Begierden nicht gereizt, sondern gestillt werden.
„Einen guten Koch erkennt man an den einfachen Gerichten“, lautet ein Sprichwort. Epikur meinte: Zum Lebensgenuß gelangt der an ehesten, der auch fähig ist, sich zu bescheiden. Die sinnlichen Begierden sollten sich zunächst auf die kleinen, leicht erreichbaren Freuden richten. Nach dem Unerreichbaren zu streben ist töricht. Die Gier steht der Lust im Weg. Wer zum Genießen viel braucht, dem fehlt die Fähigkeit zum Genießen. Der Genußfähige wird einem Stück Brot mehr Genuß abgewinnen als der Gierige einem üppigen Mahl. Es verlangt uns nicht nach aufwendigen Gerichten; Es verlangt uns nach guten Köchen.
Man wird leicht auf den Gedanken kommen, daß in der Hippie-Kultur des Zwanzigsten Jahrhunderts, vom Zeitenwandel nicht unberührt, der Hedonismus der Epikureer am authentischsten umgesetzt wurde, ein Hedonismus, für den der Verzicht auf materiellen Überfluß charakteristisch ist.
Die Freuden des Lebens sind in großen und kleinen Varianten zu erleben. Es gibt die Große Liebe, die erfüllende, ausschließliche zu dem oder der einen Einzigen, und die kleine, von der wir nicht alles erwarten, wohl aber das Gefühl der Leichtigkeit. Es gibt das große Glück und das kleine. Das große Glück, das ist der Olympiasieg, der Nobelpreis, der Große Wurf. Das kleine Glück, das ist die Freude des Briefmarkensammlers auf den Feierabend, das ist die Freude der Kaffeetanten bei Dobbelstein.
Ist das eine weniger wert als das andere? Man kann einem Menschen das Leben retten und erntet ewige Dankbarkeit. Man kann einer Dame den Vortritt lassen und erntet ein freundliches Lächeln.
Epikur schrieb diesen Satz: „Die Einsicht lehrt, daß es nicht möglich ist, lustvoll zu leben, ohne einsichtsvoll, vollkommen und gerecht zu leben, ebenso wenig, einsichtsvoll, vollkommen und gerecht zu leben, ohne lustvoll zu leben.“
Der Akkord von Einsicht, Gerechtigkeit und Lust sollte denen etwas bedeuten, die für eine gerechtere Ordnung der Gesellschaft sich verwenden. Den Stoikern der Revolution, den Tugendpredigern, die bereit sind, jedes Opfer zu verlangen, und von denen eine Gleichheit in Kargheit zu befürchten ist, muß entgegnet werden, daß das Streben nach Gleichheit und Gerechtigkeit seinen Sinn hat im Streben nach Glück, dem fernen und dem nahen.
„Der göttliche Epikur und die Venus mit dem schönen Hintern müssen statt der Heiligen Marat und Chalier die Türsteher der Republik werden“, läßt Büchner den Démoulin auf der Bühne sprechen.
Die Venus mit dem schönen Hintern sieht man nicht im Goldenen Anker. Ich sehe sie in der Warteschlange an der Kasse im Supermarkt vor mir stehen. Natürlich nicht immer. Es kann ja auch sonstwer vor mir an der Kasse stehen. Aber ich lasse gern einer Dame den Vortritt.
aus DER METZGER 97 (2011)