DĂŒrrenmatt (100, morgen)

Über Friedrich DĂŒrrenmatt lese ich, er habe auf dem Theater Techniken von Brecht angewandt, aber anders als Brecht keine Weltanschauung prĂ€sentiert.
Das sollte mich wundern, wo ich doch meine, daß ein KĂŒnstler mit jeder Äußerung eine Weltanschauung erkennen lĂ€ĂŸt.
Mit jeder? Ich höre schon den Einwand: „Und wenn er nur sagt, wie spĂ€t es ist?“
Aber das ist Unsinn. Ich kann mir nicht vorstellen, daß DĂŒrrenmatt ein solches StĂŒck geschrieben hĂ€tte:
Vorhang auf. Auf der BĂŒhne steht ein Mann. Der guckt auf die Uhr und sagt: „Es ist halbacht.“ Vorhang zu, die Leute geh‘n nach Hause.

Was ist das?

Was ist DAS? Was ist DAS?
Balkoenges1Wo kommen denn die Balkönges her? Die waren doch eben noch nicht da.
Dabei hatten diese Wohnungen doch schon Balkönges – anscheinend noch nicht genug.
Es gibt immer diese Leute: Wenn die was sehen, dann sagen die: So kann das nicht bleiben. Das muß anders.

Balkoenges2Dann guck ich doch lieber durch dieses Fenster. Dann seh‘ ich die Balkönges nicht.

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Unrechtsstaat

Ich spreche noch nicht einmal
– von Rechtsbeugung und Rechtsbruch im Kalten Krieg im Inneren,
– von Sondergesetzen im Deutschen Herbst,
– vom völkerrechtswidrigen Einsatz der Bundeswehr,
– von der chronique scandaleuse des Verfassungsschutzes (Urbach, SchmĂŒcker, Traube, Celler Loch etc.),
– von Hilfeleistungen fĂŒr Nazis durch VerfassungsschutzĂ€mter.

UnzÀhlige Personen, die als Richter, StaatsanwÀlte, Polizeibeamte und in sonstigen Funktionen dem Naziregime gedient haben, die sich der Verfolgung und des Mordes schuldig gemacht haben, wurden im Staatsapparat der Bundesrepublik Deutschland wieder verwendet: als Richter, StaatsanwÀlte, Polizeibeamte und in sonstigen Funktionen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat das Erbe des Naziregimes nicht ausgeschlagen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat das Erbe des Naziregimes angetreten.
Die Schuld an Verfolgung und Mord, begangen von wiederverwendeten Dienern des Naziregimes, hat sich auf die Bundesrepublik Deutschland ĂŒbertragen.

Ist der PrÀsident noch gescheit?

Der Herr Joachim Gauck ist zwar BundesprĂ€sident, fĂŒhrt sich aber auf wie der Suppenkasper, weil sich in ThĂŒringen die Bildung einer Regierung unter Bodo Ramelow (Linkspartei) als MinisterprĂ€sident anbahnt.
Die Bildung einer Koalitionregierung von Linkspartei, SPD und GrĂŒnen ergibt sich als Option aus der Landtagswahl. Der BundesprĂ€sident aber sagt:
„Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, mĂŒssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren.“
Dann soll er sich mal anstrengen!
Ich muß mich auch jeden Tag anstrengen, in meinem Alter! Und ich erlebe die BRD. Ist es etwa nicht anstrengend, den Gauck zu ertragen?

GauckKeineSuppeMacht man sowas, wenn man BundesprÀsident ist?
Der BundesprĂ€sident ist der oberste ReprĂ€sentant des Staates (nicht des Landes, nicht des Volkes, nicht der Bevölkerung, sondern: des Staates). Der BundesprĂ€sident hat die ehrenvolle Aufgabe, in salbungsvollen Reden den Staat mit allerlei Zierrat zu behĂ€ngen. Darum hat er sonntags nie frei. Er muß die „Werte“ feilhalten („Toleranz“, „Miteinander“, „Nichtwegschauen“). Er muß, wenn Krieg gemeint ist, „Verantwortung“ sagen. Er muß Anschein erwecken.
Die richtige Besetzung fĂŒr das Amt des BundesprĂ€sidenten wĂ€re also ein Pragmatist, der ĂŒber das Talent zum Herumsalbadern verfĂŒgt.
Aber ein BundesprĂ€sident mit Sendungsbewußtsein? Das ist immer die falsche Sendung!
Der BundesprĂ€sident muß, was ich nicht muß und was Sie auch nicht mĂŒssen: mitsingen, wenn die Nationalhymne erklingt. Aber fĂŒr die Drecksarbeit, zum Beispiel: Feindschaft, die den Leuten im Kalten Krieg eingetrichtert wurde, wachhalten, dafĂŒr sind andere zustĂ€ndig. In den „mittleren FĂŒhrungsebenen“ arbeiten sich massenweise FleißkĂ€rtchensammler damit ab.
Gut reagiert hat der Ramelow, als er sagte, er habe fĂŒr Gaucks Vorbehalte durchaus „VerstĂ€ndnis“. Denn das heißt ja auf deutsch: Der Gauck hat ’nen Koller.

Unter uns gesagt: Ich will die Partei, die sich „links“ nennt, viel lieber in der Opposition sehen. Dort könnte sie eine nĂŒtzliche Aufgabe erfĂŒllen.
Ich wage mal die Vorhersage: Ramelow wird am Ende doch nicht MinisterprĂ€sident. Warum? Die Mehrheit im Landtag ist sehr knapp. Und auf die SPD ist kein Verlaß. Die stehen ja noch nicht mal geschlossen hinter ihren eigenen Kandidaten. Erinnern Sie sich? Gesine Schwan, Heide Simonis, Andrea Ypsilanti.
Allerdings: Diesmal ist der Kandidat mĂ€nnlich, und er ist in einer anderen Partei. Ich fĂŒrchte also: Es könnte klappen.

Das ist aber ein komischer BundesprÀsident!

Das ist aber ein komischer BundesprÀsident!

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Über Mandela (Live)

Einige Passagen meiner Lesung in der Zeche Carl in Essen am 31. August wurden gefilmt. Heute zeige ich Euch: Eloge auf einen Terroristen.

Ton- und Bildaufzeichnung: Hafenstaedter.
Fortsetzung folgt.

Verstehen Sie das?

Heute habe ich in den Nachrichten gehört, daß die Bundesregierung – und ĂŒberhaupt die ganze EuropĂ€ische Union sich darĂŒber empört, daß DAS ERGEBNIS der Abstimmung auf der Krim der ukrainischen Verfassung widerspricht.
Warum waren diese HĂŒter unserer „Werte“ denn nicht zu vernehmen, als der demokratisch gewĂ€hlte PrĂ€sident gestĂŒrzt wurde und die derzeitige Regierung (mit Nazi-Beteiligung!) auf eine Weise zustande kam, die der ukrainischen Verfassung widerspricht?
Verstehen Sie das? (Mal ganz naiv gefragt).

Aus der Geschichte der Musik: „People try to put us down“

1965 wurde der Song „My Generation“ von The Who veröffentlicht, der zur Hymne der nach dem Krieg Geborenen wurde. Darin heißt es: „People try to put us down talking ‘bout my generation“.
Das beste Beispiel fĂŒr das, was in dem Song von The Who angeklagt wird, ist ein deutsches Schlager-Lied, das im selben Jahr veröffentlicht wurde und als Gegenteil von „My Generation“ gelten darf: „Mit 17 hat man noch TrĂ€ume“. Wenn hinter diesem Kulturgut wohl auch kaum eine andere Ambition steckte als die, damit Profit zu machen, so handelt es sich gleichwohl um Propaganda der EindimensionalitĂ€t. Da wurde „about my generation“ gesprochen – nicht mit schĂ€umender Wut wie so oft, dafĂŒr aber mit klebriger SelbstgefĂ€lligkeit. Das Establishment schlug zurĂŒck – nein, es schmierte.
Die US-amerikanische SÀngerin Peggy March, damals tatsÀchlich 17 Jahre alt, sang das:

„Mit 17 hat man noch TrĂ€ume,
da wachsen noch alle BĂ€ume
in den Himmel der Liebe.
Mit 17 kann man noch hoffen,
da sind die Wege noch offen
in den Himmel der Liebe.
Doch mit den Jahren wird man erfahren,
daß mancher der TrĂ€ume zerrann.
Doch wenn man jung ist, so herrlich jung ist,
wer denkt, ja wer denkt schon daran!
Junge Leute fragen nicht, was man darf und kann.
Junge Leute seh‘n die Welt mit and‘ren Augen an.
Und ist diese Welt auch oft fern der Wirklichkeit,
wo ist der, der ihnen nicht lĂ€chelnd das verzeiht?“

Die Gewalt, die des Reimes willen der Grammatik angetan wurde (es hĂ€tte doch heißen mĂŒssen: man wird erfahren, daß mancher Traum zerronnen sein wird), soll mal ĂŒbergangen sein. Was will der KĂŒnstler damit sagen?
Der Mann, der diesen Text fabriziert hat, hat sich wohl selbst nicht mehr daran erinnern können, das er selbst auch mal 17 Jahre alt gewesen ist. Stattdessen breitet er ein Klischee aus ĂŒber das Leben und Empfinden 17jĂ€hriger, das nun tatsĂ€chlich fern der Wirklichkeit ist. Amnesie ist ein Kennzeichen des eindimensionalen Menschen. Die Wunschvorstellung vom 17jĂ€hrigen MĂ€dchen als etwas dĂŒmmliche, realitĂ€tsferne Person war eine Beleidigung aller, die im Jahre 1965 17 Jahre alt waren. Sie stand im krassen Gegensatz zur RealitĂ€t, in der sich die nach dem Krieg geborene Generation angewidert oder gleichgĂŒltig von den Wertvorstellungen und Lebensvorstellungen der Generation abwandte, die ihre Erziehung in der HJ, im BDM und in der Wehrmacht genossen hatte.
Kein 17jĂ€hriger hĂ€tte von sich aus im Jahre 1965 gejuchzt: „wenn man jung ist, so herrlich jung ist“. Die Jugend wird nur von denen sentimental verherrlicht, die sie verplempert und, wie ĂŒberhaupt das ganze Leben, durch die Finger haben rinnen lassen. In nichts war diese sexuell verklemmte Generation, die ihre Erziehung in der HJ, im BDM und in der Wehrmacht genossen hatte, so groß, wie in ihrer Eifersucht, mit der sie die Jungendlichen daran zu hindern versuchte, ihre Jugend zu gestalten und auszufĂŒllen, in nichts so hartnĂ€ckig wie in ihrem Werk, Seelen zu zerstören. Nur als dumme GĂ€nse, die vor lauter Verliebtheit gegen Laternen rennen, waren die 17jĂ€hrigen MĂ€dchen fĂŒr sie ertrĂ€glich. Nichts ignorierten und nichts fĂŒrchteten diese autoritĂ€tsfixierten Untertanen so sehr wie die Wirklichkeit, die von Peggy March als „WĂ€rklichkeit“ prononciert wurde.
Wenn man 17 Jahre alt ist, dann „wachsen noch alle BĂ€ume in den Himmel“, und zwar „in den Himmel der Liebe“. Das wirft allerdings die Frage auf, was die Ehepaare eigentlich zusammengehalten haben könnte. Die Langeweile ihres Daseins hielten sie fĂŒr unabwendbare, alterungsbedingte Naturgesetzlichkeit, und die Inhaltsleere ihres Kopfes hielten sie fĂŒr Lebenweisheit. Dabei war es doch nur Feigheit, die sie davon abhielt, ĂŒber das Gegebene hinauszudenken.
Sich etwas mehr vom Leben zu erhoffen als Leere kostete den Preis, fĂŒr dĂ€mlich gehalten zu werden. Dem Jugendlichen wurde Existenzberechtigung nur zugebilligt als Dorftrottel des Wirtschaftswunders. „Mit 17 kann man noch hoffen.“ Und wenn man nicht mehr 17 ist, dann breitet sich die ganze Hoffnungslosigkeit aus, was?
Dem Weltkrieg folgte als Echo eine alltagskulturelle Idiotie, die in dieser Hymne der Hoffnungslosigkeit manifestiert wurde. Da war es ebenso wohltuend wie wichtig, sie mit elektrischen Gitarren zu zerfetzen.
Sich etwas mehr vom Leben zu erhoffen als Leere war etwas, was lĂ€chelnd verziehen wurde. Wie gĂŒtig! In dem Verzeihen ist die anmaßende Anschuldigung enthalten. Ich habe es versĂ€umt, dafĂŒr um Verzeihung zu bitten, daß ich die verachte, die die Resignation predigen. Was sie sich da lĂ€chelnd-verzeihend angemaßt haben, verzeihe ich nicht. Das lĂ€ĂŸt die Erfahrung eines Jahrhunderts nicht zu.
Auch die Resignation ist eine Utopie. Das ist die Utopie der ReaktionÀre.

„Was haben Sie 1968 gemacht?“ - „Von was ganz anderem getrĂ€umt.“

„Was haben Sie 1968 gemacht?“ – „Von was ganz anderem getrĂ€umt.“

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Eloge auf einen Terroristen

Die Bundeskanzlerin hat den verstorbenen Nelson Mandela einen Titanen der Gerechtigkeit oder Giganten der Menschlichkeit oder sowas in der Art genannt. Andere WĂŒrdentrĂ€ger Ă€ußerten sich Ă€hnlich.
Irren sie sich da nicht?
Als Nelson Mandela noch im GefĂ€ngnis war, hörte man von den Staatsfiguren, die sich jetzt elogierend gegenseitig ĂŒberbieten, nichts dergleichen. Damals war Nelson Mandela ein Terrorist, der sein Volk zum gewaltsamen Umsturz des Apartheidregimes anstachelte. Seine Freilassung zu fordern war der kleinen radikalen Minderheit ĂŒberlassen, den sogenannten Sympathisanten, also uns.
Wir Staatsfeinde unterscheiden uns von den StaatstrĂ€gern dadurch, daß wir schon gegen die Apartheid waren, als es sie noch gab. Sie unterscheiden sich von uns dadurch, daß sie die Freilassung Mandelas erst richtig fanden, als sie erfolgt war.
MandelaBriefmarkeSUBei der Demonstration gegen Apartheid und fĂŒr die Freilassung Mandelas auf dem MĂŒnsterplatz in Bonn trat der Staat in Erscheinung, aber anders als jetzt. Die Polizei trat so martialisch auf, wie ich es zuvor noch nie gesehen hatte.
Die jederzeit in der Lage sind, politisches Widersprechen mit der Polizei einzudĂ€mmen, sind nicht schlauer geworden. Das erkennt man daran, daß sie sich fĂŒr ihr Diktum von einst nicht entschuldigen. Sie irren sich nie, sondern folgen immer der OpportunitĂ€t, die es ihnen heute nahelegt, Abglanz aufzusaugen. Sie können nicht aufhören zu lĂŒgen.
Als wir mit dem Bus der Bonner Verkehrsbetriebe zum Ausgangspunkt der Demonstration fuhren, sagte der Busfahrer die Station an, und er fĂŒgte hinzu: „Ich wĂŒrde am liebsten mitgehen.“

SchwarzgrĂŒn?

In Hessen entsteht wohl eine schwarzgrĂŒne Landesregierung, die durchaus zum Modell einer schwarzgrĂŒnen Koalition auf Bundesebene werden könnte – dann nĂ€mlich, wenn die CSU/CDU/SPD-Koalition letztlich am Mitgliedervotum der SPD scheitern sollte. Zwar haben es die SPD-Mitglieder so an sich, (und sei es zĂ€hneknirschend und unter weiterem Verlust von Enthusiasmus) den Anordnungen ihrer AnfĂŒhrer ĂŒberallhin zu folgen. Aber die Sozialdemokraten 2013 haben nichts mehr zu verlieren und könnten … Naja, ist nur so‘n Gedanke.
Meinen Kommentar zur schwarzgrĂŒnen Bundesregierung habe ich schon 1995 geschrieben. Auszug:

Die Feierlichkeiten zum Zusammenwachsen des in einen Topf Gehörenden wĂ€ren nicht komplett, wenn nicht auch das taz-grĂŒne Milieu seinen Senf dazugegeben hĂ€tte:
„Noch vor zehn Jahren bĂŒgelten die Nachgeborenen die Berichte ihrer Eltern ĂŒber Flucht und Vertreibung als politisch unkorrekt ab. Ihre ErzĂ€hlung ĂŒber Vergewaltigung, Mord und Totschlag schienen einer Generation, die gerade erst entdeckt hatte, daß ihre Eltern TĂ€ter waren, peinliche Lappalien zu sein im VerhĂ€ltnis zu dem, was die Deutschen der halben Welt antaten. Jede ErzĂ€hlung, die nicht mit deutscher Schuld begann, galt als neuerlicher Beweis fĂŒr VerdrĂ€ngung und Relativierung. In diesen Monaten aber hörten die Enkel den Großeltern zu, und die durch Lebenserfahrung und Wissen milder gewordenen 68er kramten in TagebĂŒchern und Fotoalben, ohne gleich zu moralisieren. Dieses Niveau ist nicht rĂŒckgĂ€ngig zu machen.“ (Anita Kugler in der „Taz“).
Wieviel LebenslĂŒge doch in ein paar Zeilen paßt – und wieviel sich durch falsches Deutsch entlarvt. Wo sie sagen wollte „…was die Deutschen der halben Welt angetan hatten“, verwechselt sie die Tempi und sagt versehentlich etwas Wahres. Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung wird nachtrĂ€glich verniedlicht zum MißverstĂ€ndnis zwischen den Generationen, von denen die eine nur aus FlĂŒchtlingen und Vertriebenen, die andere nur aus „68ern“ besteht. Als hĂ€tte es junge Chauvinisten und Ă€ltere WiderstandskĂ€mpfer nicht gegeben. Wer eine solche Lesart der Zeitgeschichte auftischt, sollte wenigstens darauf achten, daß nicht innerhalb weniger SĂ€tze Eltern zu Großeltern und Kinder zu Enkeln mutieren. „Die Nachgeborenen“ bezieht sich wohl weniger auf Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“, wohl mehr auf Kohls „Gnade der spĂ€ten Geburt“, von der diese Nachgeratenen nun auch etwas abhaben wollen.
Jetzt erfahren wir auch, wodurch die sogenannten „68er“ geworden sind, was Anita Kugler „milder“ nennt: „durch Lebenserfahrung und Wissen“.
Sie konnten sich immer schon gut verstellen, die verlorenen Söhnchen und Töchterchen, die jetzt mit der Taz unterm Arm heimgekehrt sind. FrĂŒher taten sie sich groß, ihrem Verdruß ĂŒber ihre mißratenen Eltern den Anschein politischer Haltung zu geben. Jetzt tarnen sie ihren Opportunismus als Lebenserfahrung und Wissen. Dabei nehmen sie ihre Haltung wider besseres Wissen ein. Aber es ist ja gerade nicht das bessere Wissen, das da gemeint ist, nicht das Wissen von und ĂŒber etwas. Es ist das geheimnisumwitterte „Wissen um…“, das zur AttitĂŒde der AbgeklĂ€rtheit gehört.
Durch erworbenes Wissen und Lebenserfahrung gar nicht milder geworden, stelle ich fest: die haben sich ĂŒberhaupt nicht geĂ€ndert, jene „68er“, die ohne zu moralisieren in Fotoalben blĂ€ttern. Sie verstehen es nur mal wieder, im richtigen Moment die richtigen SprĂŒche aufzusagen. Diese sogenannten „68er“ haben ihren Eltern verziehen, und hinter dieser Pose der Großherzigkeit steckt nichts anderes als das Begehren, beim Aufstieg Deutschlands nicht abseits zu stehen. Dazu bedurfte es keines Bruchs ihrer IdentitĂ€t.
Daß die Mainstream-“68er“ nach „Sieg im Volkskrieg“ und „Macht kaputt was euch kaputtmacht“ jetzt die Kurve gekriegt haben hin zu schwarzgrĂŒner Option, „ökologischer Marktwirtschaft“, „PolitikfĂ€higkeit“ und vaterlĂ€ndischer Opferbereitschaft, ist nicht das Resultat der deutschen Einheit. Die Niederlage des realen Sozialismus hat diese Entwicklung allerdings verstĂ€rkt und beschleunigt. An der Konstruktion gegenwĂ€rtiger Machtpolitik hat diese Ex-Linke mitgewirkt. Sie hat in ihrer Klamottenkiste, die sie durch die Weltgeschichte schleppt, genĂŒgend Zeugs gesammelt, mit dem man auf dem Weg nach oben gut gerĂŒstet ist.
Die „Kritik“ am realen Sozialismus diente angeblich dazu, den wirklichen, authentischen, „echten“ Sozialismus herauszuarbeiten, in Wirklichkeit aber, den diskreditierten Antikommunismus des Establishments rundzuerneuern. Auf diesen Kern beschrĂ€nkten sich die Alterativen in den 80er Jahren. Sie hörten pĂŒnktlich damit auf, ihre Parolen vom „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ herumzuposaunen. An die Stelle dieser idealistischen Phrase trat eine „Menschenrechtspolitik“, die sich von der Linie der CDU nicht mehr unterschied. SchwarzgrĂŒn gibt es schon lange.

kaffeemannaus „Sie mĂŒssen mich gern haben“ in DER METZGER 49 (1995), enthalten in „Streiten Sie nicht mit einem Deutschen, wenn Sie mĂŒde sind“ 21 Polemiken, Situationspresse 2001 ISBN 978-3-935673-15-0, beide noch erhĂ€ltlich.

Neu in der WeltbĂŒhne: Mutter Blamage

Ich empfehle:
Stephan Hebel: Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht. Westend Verlag 2013. 160 S. 13,99 Euro.
Hebel_Mutter_BlamageDer Verlag stellt sein Buch vor:
Die PflichtlektĂŒre fĂŒr den Wahlkampf 2013
Angela Merkel blamiert Deutschland, und wir merken es nicht einmal. Hinter nebulösen Äußerungen und vermeintlich zögerlichem Handeln verbirgt sich in Wahrheit eine Politik, die sich an den Interessen der Wirtschaft orientiert. Anders als allgemein angenommen, so zeigt Stephan Hebel, ist Deutschland in den Merkel-Jahren unbedeutender, unberechenbarer und ungerechter geworden.
Deutschlands beliebteste Politikerin verdankt ihren Erfolg einem permanenten Betrugsmanöver. Ihre politische Agenda hat keinen Namen und kein Gesicht, ganz Deutschland glaubt deshalb, es gĂ€be sie nicht. Das ist ein Irrglaube: Es gibt eine Agenda, die aber in erster Linie auf Erhalt von Macht ausgerichtet ist. Inhalte werden untergeordnet. Merkel hinterlĂ€sst uns – sollte sie abgewĂ€hlt werden – ein Land im Reformstau. Ein Land, das sich auf Kosten anderer in kleinkariert nationaler Interessenpolitik ergeht und sich damit letztlich selbst schadet. Ein Land, das wichtig tut, aber stĂ€ndig an Gewicht verliert. Ein Land, in dem die Ungerechtigkeit wĂ€chst und Millionen BĂŒrger in Armut leben, auch wenn sie Arbeit haben. Ein Land, in dem die Politik sich selbst zur ErfĂŒllungsgehilfin ökonomischer Interessen degradiert.
Stephan Hebel, langjĂ€hriger Redakteur der Frankfurter Rundschau und politischer Autor, ist seit zwei Jahrzehnten Leitartikler und Kommentator. Er schreibt unter anderem auch fĂŒr die Berliner Zeitung sowie fĂŒr Deutschlandradio, Freitag, Publik Forum und weitere Medien. Er ist zudem stĂ€ndiges Mitglied in der Jury fĂŒr das „Unwort des Jahres“.

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Ein StĂŒck von DĂŒrrenmatt

Über Friedrich DĂŒrrenmatt lese ich, er habe auf dem Theater Techniken von Brecht angewandt, aber anders als Brecht keine Weltanschauung prĂ€sentiert.
Das sollte mich wundern, wo ich doch meine, daß ein KĂŒnstler mit jeder Äußerung eine Weltanschauung erkennen lĂ€ĂŸt.
Mit jeder? Ich höre schon den Einwand: „Und wenn er nur sagt, wie spĂ€t es ist?“
Aber das ist Unsinn. Ich kann mir nicht vorstellen, daß DĂŒrrenmatt ein solches StĂŒck geschrieben hĂ€tte:
Vorhang auf. Auf der BĂŒhne steht ein Mann. Der guckt auf die Uhr und sagt: „Es ist halbacht.“ Vorhang zu, die Leute geh‘n nach Hause.