Gestern war auch Karl-Liebknecht-Tag

Gestern, am 13. August 2021, war der 150. Geburtstag von Karl Liebknecht.

Im Lied und im Sprichwort auch auf der zweiten Silbe betont.

Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten.
Wer hat recht? Karl Liebknecht.

Dem Karl Liebknecht, dem haben wir’s geschworen.
Der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand.

..

Arnold Zweig

In der Frankfurter Rundschau von Samstag erinnerte Wilhelm von Sternburg an den 50. Todestag von Arnold Zweig (heute).
Arnold Zweig (1887-1968) erlebte die Turbulenzen seiner Zeit und stellte sie in seinen Romanen dar. Der preußisch-konservative Nietzscheaner wurde durch den Ersten Weltkrieg zum Republikaner und entschiedenen Pazifisten. Die Nazizeit verbrachte er als FlĂŒchtling in PalĂ€stina. Nach dem Exil lebte er in der DDR.
Aufmerksamkeit bekam er fĂŒr seinen frĂŒhen Roman „Novellen um Claudia“ (1912) ĂŒber die Seelennöte und inneren KĂ€mpfe eines um Aufrichtigkeit in der Liebe ringenden jungen Paares, das gegen Vorurteile und Konventionen ankĂ€mpfen muß.
Den Ersten Weltkrieg hat er in einem Romanzyklus beschrieben. „…ich habe gelernt, wie der Bodensatz der Kreatur aussieht, aus dem wir gemacht sind“, lĂ€ĂŸt er eine seiner Romanfiguren sagen, „welcher GrĂ¶ĂŸe und welcher Gemeinheit Menschen fĂ€hig sind…“ Tucholsky schrieb in der WeltbĂŒhne: „Endlich einmal wird der Krieg gar nicht diskutiert, sondern mit einer solchen SelbstverstĂ€ndlichkeit abgelehnt, wie er und seine SchlĂ€chter es verdienen.“ Ebenso entschieden seine Haltung in dem Anti-Nazi-Roman „Das Beil von Wandsbek“.
„FĂŒnfzig Jahre nach seinem Tod ist der Schriftsteller Arnold Zweig nahezu ein Vergessener“, stellt Sternburg fest und nennt im nĂ€chsten Satz den Grund: „Auf dem aktuellen Buchmarkt gibt es derzeit keine preisgĂŒnstige Taschenbuchausgabe mehr, sondern nur noch die bislang unvollendet gebliebene Gesamtausgabe des Aufbau-Verlages.“ In Zeiten, in denen (vor vier Jahren) an den Beginn des großen Völkergemetzels erinnert wurde und in diesem Jahr an das Ende, ist die Editionspolitik des Aufbau-Verlages rĂ€tselhaft.

Von den Taschenbuch-Ausgaben, einst bei Fischer und bei Aufbau erschienen, ist in der Buchhandlung WeltbĂŒhne nur noch ein schmaler Rest. Um die modernen Klassiker der humanen Literatur dem Vergessen zu entreißen, muß(te) man beizeiten bunkern, was eine kleine und in linken Kreisen gern ignorierte Buchhandlung gar zu sehr ĂŒberfordert.
Die gebundene Sonderausgabe von „Junge Frau von 1914“ ist hier noch erhĂ€ltlich, und von der Werkausgabe „Novellen um Claudia“, mit 23 Euro noch halbwegs erschwinglich.
SelbstverstÀndlich besorge ich gern die anderen BÀnde.
Bitte bestellt Anti-Kriegs-Literatur (und nicht nur Anti-Kriegs-Literatur) in der Anti-Kriegs-Buchhandlung (und nur dort).
WELTBÜHNE MUSS BLEIBEN.

1914 in der Literatur (8)

Heute empfehle ich:
Stefan Bollinger: Weltbrand, „Urkatastrophe“ und linke Scheidewege. Fragen an den Großen Krieg. Verlag am Park 2014. 220 S. (NB1290) 16,99 Euro
BollingerWeltbrandDer Verlag ĂŒber das Buch:
Vor hundert Jahren begann der Erste Weltkrieg, jener Völkermord, dem rund 17 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Die Publizistik lĂ€uft auf Hochtouren. Über 150 Untersuchungen sind auf dem Markt, kaum eine marxistische ist darunter. Nicht wenige buhlen um Aufmerksamkeit mit abstrusen Theorien, fast alle ignorieren, was auf diesem Felde Historiker der DDR an Substantiellem vorgelegt haben, und selbst die bislang als gesichert geltende Erkenntnis des Hamburger Historikers Fritz Fischer aus den 60er Jahren, Berlins „Griff nach derWeltmacht“ sei die Hauptursache des großen Sterbens gewesen, wird in Abrede gestellt.
Stefan Bollinger dringt, was die meisten seiner Zunftkollegen unterlassen, zu Ursprung und Wesen dieses (wie aller) Kriege vor. Er beschĂ€ftigt sich aber auch mit der verhĂ€ngnisvollen Rolle der Sozialdemokratie, die ihren Burgfrieden schloss mit den Kriegstreibern ihrer LĂ€nder und mit der herrschenden Klasse, was zwangslĂ€ufig zur Zerreißprobe fĂŒr die linken KrĂ€fte wurde und zur GrĂŒndung neuer Parteien fĂŒhrte. Nein, Geschichte wiederholt sich nicht. Aber Fehler können zweimal gemacht werden.

Bitte bestellen Sie dieses Buch in der Buchhandlung WeltbĂŒhne (die, wie man wissen sollte, auch eine VERSANDbuchhandlung ist).
Erinnern Sie sich stets an den Slogan:
„LIEBE leute BESTELLT bĂŒcher IN der BUCHHANDLUNG weltbĂŒhne UND sonst NIRGENDS.“
WeltbĂŒhne muß bleiben.

1914 in der Literatur (7)

Manche BĂŒcher, die vom Markt verschwinden, tauchen als Book-on-Demand-Ausgaben plötzlich auf – zu horrenden Preisen.
„Das Feuer – Tagebuch einer Korporalschaft“ von Henri Barbusse
wird als BoD-Print fĂŒr zivile 19,90 Euro angeboten, und zwar in der Buchreihe Tredition Classics. Die Ausgaben aus dem Unionsverlag und als Fischer-Taschenbuch sind lĂ€ngst vergriffen.
Das Feuer (Le Feu) kann immerhin als französisches GegenstĂŒck zu „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque gelten.
BarbusseFeuer„Dieses Werk ist Teil der Buchreihe TREDITION CLASSICS. Der Verlag tredition aus Hamburg veröffentlicht in der Buchreihe TREDITION CLASSICS Werke aus mehr als zwei Jahrtausenden. Diese waren zu einem Großteil vergriffen oder nur noch antiquarisch erhĂ€ltlich. Mit der Buchreihe TREDITION CLASSICS verfolgt tredition das Ziel, tausende Klassiker der Weltliteratur verschiedener Sprachen wieder als gedruckte BĂŒcher zu verlegen – und das weltweit! Die Buchreihe dient zur Bewahrung der Literatur und Förderung der Kultur. Sie trĂ€gt so dazu bei, dass viele tausend Werke nicht in Vergessenheit geraten.“

Henri Barbusse

Henri Barbusse

Bestellen Sie dieses Buch und die anderen BĂŒcher aus dieser Buchreihe, denen Sie auf die Spur kommen, und ĂŒberhaupt jedes erdenkliche Buch in der Buchhandlung WeltbĂŒhne.
Wir besorgen jedes lieferbare Buch. Wir liefern jedes Buch an jeden Ort.
LIEBE leute BESTELLT bĂŒcher IN der BUCHHANDLUNG weltbĂŒhne UND sonst NIRGENDS.
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Buchhandlung WeltbĂŒhne, eine gute Angewohnheit.

1914 in der Literatur (6)

Nachdem der Suhrkamp-Verlag beizeiten die Werke von Karl Kraus an sich gerissen hatte, vernachlĂ€ssigt er diesen Autor. Von den ca. 20 Taschenbuchtiteln sind nur noch zwei oder drei ErgĂ€nzungsbĂ€nde erhĂ€ltlich, nicht aber die Hauptwerke „Sittlichkeit und KriminalitĂ€t“, „Die Chinesische Mauer“, „Untergang der Welt durch schwarze Magie“ und „Dritte Walpurgisnacht“ – besonders in letzterem Fall unfaßbar. So fehlt auch „Die letzten Tage der Menschheit“!
Dieses StĂŒck mit mehr als 200 Szenen wurde noch nie vollstĂ€ndig aufgefĂŒhrt. Es wĂŒrde wohl eine Woche lang dauern.
Anders als etwa Remarque fĂŒhrt Kraus nur in wenigen Szenen auf die Schlachtfelder und an die Front. Die wahren GrĂ€uel des Krieges sieht Kraus im Verhalten jener Menschen, die in ihrer OberflĂ€chlichkeit Ernst und Schrecken des Krieges weder wahrnehmen wollen noch können, sondern sich fernab vom Schauplatz bereichern und den Krieg mit Phrasen beschönigen: Journalisten, HĂ€ndler, hohe MilitĂ€rs, die sich fern vom Schlachtfeld im Ruhm ihres militĂ€rischen Ranges suhlen, daß gedankenlose RĂŒcksichtslosigkeit, Dummheit und Verlogenheit offenbar werden. Weite Passagen des StĂŒckes bestehen aus Zitaten.
KarlKrausVerdienstvollerweise hat der Österreichische Verlag Jung und Jung das 800-Seiten-Werk fĂŒr 28 € aufgelegt, und zwart in der Reihe „Österreichs Eigensinn“. Wie Karl Kraus diese Einordnung kommentiert hĂ€tte, wĂŒrde man gern wissen.

KrausLetzteTageBestellen Sie dieses Buch in der Buchhandlung WeltbĂŒhne.
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Eine Zeitung irrt sich gewaltig

Auch das noch:
RotzfahneMauerFallVolkszorn, Volkssturm, Volksseele, Volksempfinden (gesundes), Volksmeinung, Volkes Stimme, Volksmusikantenstadel, Volk-steh-auf-und-Sturm-brich-los …
Sollte es sich nicht langsam mal ausgevolkt haben?

In diesen Tagen und Wochen werden die Feindschaften, die in den 50er, 40er und 30er Jahren gezĂŒchtet wurden, wieder aufgeheizt. Es zeigt sich, daß ohne den Kalten Krieg und ohne inneren Feind dieser Staat nicht zu machen ist. Die MĂ€chtigen spielen ihre gezinkten Karten aus. FĂŒr freedom and democracy steigen Luftballons in den Himmel, am Brandenburger Tor und in den Herzen wird GerĂŒhrtheit inszeniert. Da kommt der Verein daher, der immer siegt und nie verliert und auch bei dieser Kirmes nicht fehlen will, und sagt: Herzlichen GlĂŒckwunsch euch Siegern der Geschichte.

Wenn die Leute zum Volk werden, dann jubeln sie. Das taten sie vor 100 Jahren, das taten sie vor 25 Jahren aus Ă€hnlichen GrĂŒnden.
„Das Wir-sind-das-Volk-Volk erhob sich, weil es den Herren des Landes nicht mehr Untertan sein wollte, sondern den Herren der Welt.“ (hat Lina Ganowski gesagt, sinngemĂ€ĂŸ).
Sieger der Geschichte? Vor 25 Jahren war das Volk der nĂŒtzliche Idiot der MĂ€chtigen. (sage ich).

BildLiebesDeutschlandJa, DIE wissen, was sie tun.

Wo haben die die denn her?

Mit dem hundertsten Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs jĂ€hren sich auch zum hundertsten Mal die KriegslĂŒgen und Illusionen, mit denen dem Völkergemetzel Glanz verliehen wurde.
Wie die Kriegswaffen, so wurden auch die KriegslĂŒgen, die Kriegspropaganda modernisiert. Chauvinistischer Veitstanz ist nicht mehr die aktuelle Melodie. „Vaterland“ wurde durch „Menschenrechte“ ersetzt.

Urlaub von den Nachrichten (und Kommentaren, und Leserbriefen) kann man sich nicht gönnen. Man verpaßt dann was.

Also:
Die ISIS in Syrien/Irak. Das sind jetzt die Bösen? Und darum muß Der Westen (Die Welt / Die Weltgemeinschaft / Die westliche Wertegemeinschaft / Wir) tĂ€tig werden.
Ist ISIS denn gefÀhrlich?
Ach, die haben Waffen?
Ja, wo haben die die denn her?

ISIS, so höre ich, wird von Saudi-Arabien und von Katar unterstĂŒtzt. Sind das nicht die LĂ€nder, die von der Bundesrepublik Deutschland großzĂŒgig mit Waffen beliefert werden? Katar schickte zuerst AltbestĂ€nde in den Syrien-Konflikt, neuerdings aber auch Waffen, die auf dem Weltmarkt zusammengekauft werden.
Und wieso sind ISIS-Milizen jetzt auf einmal die Bösen? Waren das nicht vor kurzem noch die Guten? (Opposition gegen das Assad-Regime).
Die TĂŒrkei (NATO-Mitglied und somit verbĂŒndet mit der BRD) hat wohl nicht mitgekriegt, daß die ISIS-Truppen gar nicht mehr die Guten sind. Sie gewĂ€hrt ihnen Durchmarsch ĂŒber ihr Territorium. NATO, was nun? Istanbul bombardieren?

Mit Bin Laden war das ja auch so. Bevor der zum Teufel in Menschengestalt wurde, war der doch erst auch einer von den Guten, der von den USA ausgerĂŒstet und aufgerĂŒstet wurde. In der Tagesschau hießen er und seinesgleichen „FreiheitskĂ€mpfer“. Da ging es gegen die Russen. (Nicht gut fĂŒr die Steinmeiers und Fischers, wenn man ein gutes GedĂ€chtnis hat).

Jetzt sollen die Kurden Waffen bekommen. Aber waren die Kurden denn nicht immer Terroristen? Sei es drum: Jetzt sind sie die Guten.
Aber wenn die Kurden jetzt sagen: „Die Lage ist gĂŒnstig. Die Lage war noch nie so gĂŒnstig wie jetzt. Jetzt grĂŒnden wir einen Staat“. Ja dann sind die Kurden ja wieder Terroristen.
Was dann? Den Islamischen Staat in seinem Freiheitskampf gegen die Kurden unterstĂŒtzen?
So kommt es noch, paßt mal auf.

GrĂŒnde lassen sich immer finden, um diesen Teil der Welt, in dem seit Jahrzehnten Menschen abgeschlachtet werden, mit Waffen vollzustopfen.

1914 in der Literatur (5)

FesserErsterWeltkriegGerd Fesser: Deutschland und der Erste Weltkrieg.
PapyRossa Verlag 2014 (Reihe Basiswissen). 124 S. Pb. 9,90 Euro
Der Verlag informiert ĂŒber sein Buch:
Gerd Fesser analysiert die internationale Konstellation und die Faktoren, deren Zusammenwirken im August 1914 in den Großen Krieg einmĂŒndete: die RivalitĂ€t der imperialistischen GroßmĂ€chte, den Wettlauf um Kolonien und Einflußgebiete, die Konkurrenz um Weltmarktpositionen und AnlagesphĂ€ren. Den Schwerpunkt legt er auf das Deutsche Reich und seine Weltpolitik. Er kennzeichnet die kriegstreiberische Politik der Reichsregierung in der Julikrise 1914, behandelt die militĂ€rischen und innenpolitischen Entwicklungen der Jahre 1914 bis 1918, untersucht die Kriegszieldebatte, die Entfaltung der Antikriegsopposition, die Kriegswirtschaft sowie Alltag und Kultur im Krieg. Nach einem Überblick ĂŒber die Revolutionen vom Februar und Oktober 1917 in Russland und ihren Auswirkungen schließt er seine Darstellung ab mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs und der Novemberrevolution 1918. Eine kurze Auseinandersetzung mit der neueren Geschichtsschreibung rundet den Band ab.
Gerd Fesser, Dr. phil, Jg. 1941. Nach dem Studium der Geschichte in Leipzig wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut fĂŒr Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR und bis 1996 am Historischen Institut der UniversitĂ€t Jena. Veröffentlichungen ĂŒber das Wilhelminische Kaiserreich und ĂŒber die anti-napoleonischen Kriege, schreibt fĂŒr „Die Zeit“.

Das Buch kann im portofreien Versand in der Buchhandlung WeltbĂŒhne bestellt werden.
Bitte unterstĂŒtzen Sie die Buchhandlung, die dem Antimilitarismus verpflichtet ist.

1914 in der Literatur (4)

Der Roman „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque ist das berĂŒhmteste Werk, das sich mit dem Ersten Weltkrieg befaßt.
Seit November 1928 in der Vossischen Zeitung als Fortsetzungsroman abgedruckt, erregte das Buch Aufsehen. Die Buchausgabe erschien im Januar 1929. Innerhalb von ein paar Wochen erreichte es eine Auflage von 450.000 Exemplaren. Es wurde noch im selben Jahr in 26 Sprachen ĂŒbersetzt. Bis heute gibt es Ausgaben in ĂŒber 50 Sprachen, die geschĂ€tzten Verkaufszahlen weltweit liegen bei ĂŒber 20 Millionen.
In dem Roman werden die Kriegserlebnisse des jungen Kriegsfreiwilligen Paul BĂ€umer und seiner Frontkameraden geschildert. Das Werk wird eingeleitet mit dem Satz: „Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein. Es soll nur den Versuch machen, ĂŒber eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde – auch wenn sie seinen Granaten entkam.“
Über die bald darauf in den Kinos gezeigte Verfilmung zitiere ich aus einem Bericht:

Am 5. Dezember 1930 wurde im Berliner Mozart-Kino am Nollendorfplatz der Film „Im Westen nichts Neues“ uraufgefĂŒhrt. Der Film nach dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque erzĂ€hlt die Geschichte einiger Jungen, die, noch nicht ganz erwachsen, 1914 von der Schulbank weg in die Armee einberufen wurden, angesteckt von der vaterlĂ€ndischen Begeisterung, beduldelt von den patriotischen Parolen ihrer Lehrer. Was sie dann erleben, ist die Wirklichkeit: der Stellungskrieg in Frankreich, wo fĂŒr einen zeitweiligen GelĂ€ndegewinn von ein paar hundert Metern zigtausend MĂ€nner verrecken.
Gegen diesen Film, der den Ersten Weltkrieg so zeigte, wie er war, eine Hetzkampagne vom Zaun zu brechen, war die BewĂ€hrungsprobe fĂŒr den von Hitler zum „Gauleiter von Berlin“ ernannten verkrachten Schriftsteller Joseph Goebbels. Von der Galerie dirigierte der spĂ€tere „Propagandaminister“ höchstpersönlich die Störaktionen der SA wĂ€hrend der UrauffĂŒhrung. Auch die folgenden Vorstellungen gingen im SA-Krawall unter, der sich bis auf die Straße fortsetzte. In seiner Zeitung „Der Angriff“ gab Goebbels die Parolen aus: „Nieder mit dem Sudelfilm! FĂŒr die Gefallenen des großen Krieges! Rettet ihre Ehre! Rettet ihr Andenken!“
Goebbels und die NSDAP konnten ihre Kampagne gegen den Film als Erfolg verbuchen. Denn sie wußten, daß sie mit ihrer Meinung ĂŒber einen Film, der den Krieg zutreffend darstellte, nicht isoliert waren. Patriotische Abgestumpftheit hatte ihre Wirkung getan. Aber Goebbels war es um mehr gegangen als um einem schnellen Erfolg bei denen, die den Krieg als Völkergemetzel, in dem der Mensch als Treibstoff des Imperialismus verheizt wurde, nicht wahrnehmen wollten. Weitsichtig hatte er sich an einem Kunstwerk festgebissen, das fĂŒr ihn die „marxistische Asphaltdemokratie“ reprĂ€sentierte: „In Wirklichkeit … handelte es sich um eine prinzipielle Frage: darf es die Asphaltdemokratie weiterhin ungestraft wagen, angesichts der zunehmenden Nationalisierung der breiten Massen dem deutschen Publikum eine solche Verhöhnung deutscher Ehre und deutscher Tradition anzubieten?“
Goebbels stellte sich einer Kunst entgegen, die der Vernunft, der Klarheit und der Menschenfreundlichkeit zum Durchbruch verhelfen wollte. All das, was die „Neue Sachlichkeit“ aus den Ateliers und von den BĂŒhnen verbannte, das Heldische, Bombastische, SchwĂŒle, das Mystische, den Rausch, die Weihe, trug Goebbels auf die Straße, in die WirtshaussĂ€le. Je weniger hymnisch-pathetisch die Sprache der Literatur wurde, desto mehr wurde dies die Sprache der Politik, mit der Hitler und Goebbels sich an die Massen wandte. FĂŒr diese Politik, das wußte Goebbels, werden AnhĂ€nger nicht durch Argumente gewonnen, sondern durch eine Stimmung.
Die Nazi-Krawalle riefen die staatlichen Organe auf den Plan. Und zwar so: Wegen „SchĂ€digung des deutschen Ansehens“ verbot die „FilmoberprĂŒfstelle“ den Film „Im Westen nichts Neues“ fĂŒr das ganze Reichsgebiet.
(Lina Ganowski in DER METZGER Nr. 72 (2005))

Erich Maria Remarque 1963: „Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, daß es welche gibt, die dafĂŒr sind, besonders die, die nicht hingehen mĂŒssen.“ – Eine Voraussicht auf die Oliv-GrĂŒnen von heute.

Der Film wird heute um 20.15 Uhr auf Arte gezeigt.

RemarqueImWestenDer Roman, ergĂ€nzt um Materialien, ist als Taschenbuch erschienen und kostet 8,99 €.
Bestellen Sie das Buch in der Buchhandlung WeltbĂŒhne. Bitte unterstĂŒtzen Sie die Buchhandlung, die dem Antimilitarismus verpflichtet ist.

Kommt und holt euch den neuen Metzger!

Geschrieben, gestaltet, gedruckt und geheftet:
DER METZGER, das satirische Magazin. Nr. 110. Preis: 3 €.
So sieht das Heft von außen aus:
M110Und das steht drin (Überblick):

Jakop Heinn: Neues von der Schmalspur (Finale?). FĂŒr die Band Die Bandbreite wird es immer schmaler. Jetzt will auch die MLPD nichts mehr von ihr wissen.

Max Reinhardt: Königlicher militĂ€r-industrieller Komplex. Vor hundert Jahren: Wie der Weltkrieg dem Volke mit Bildern nahegebracht wurde. FĂŒr die Industrie war das Völkergemetzel ein GlĂŒcksfall.

Helmut Loeven: „Zuerst werden wir alle Subversiven töten“. 1977 fiel die Theologiestudentin Elisabeth KĂ€semann in Argentinien der Geheimpolizei in die HĂ€nde. Nach wochenlanger Folter wurde sie ermordet. Das AuswĂ€rtige Amt unter Minister Genscher tat nichts, um sie zu retten. Im Gegenteil: Die MilitĂ€rdiktatur fand in der sozialliberalen Bundesregierung einen verstĂ€ndnisvollen Partner.

Tagebuch. U.a.: Die Partei „Die Linke“ und der Buchhandel. Der Weg nach oben als Niedergang.

Carl Korte: Apfelbisse. Mottes Abenteuer als Reporter.

A.S.H. Pelikan: Menschenalter (tabellarisch).

Helmut Loeven: Das philosophische Kabarett. Diesmal: „Ich will es nicht – mach’s, aber ohne mich; Frauenbewegung als K-Gruppe?; Muß Frollein Lohmeier ins GefĂ€ngnis?; Die Iditiotx sind unter uns (Frau Professor Hornscheidt und ihr Geisteszustand); Komische HĂ€user: Schuhhaus Pesch; Rousseau und die Wandparole bei Edeka u.a.

Marvin Chlada: Objekte der Begierde. Über die Museumsorgie in Fouriers neuer Welt der Liebe.

Herbert Laschet-Toussaint: MĂŒtter nach Grosny. Gedicht.

Thomas RĂŒger: Mit CordmĂŒtze und Gitarre. Neu: Die Musikkolumne.

Chantal Könkels: Die Projektgruppe Pudding und gestern hat wieder zugeschlagen.

Helmut Loeven: Konstruktive Tonlage. Komposition fĂŒr Singstimme und Clavier. Mit Noten.

Sie können das neue Heft nicht abholen, weil Sie dazu ĂŒberland reisen mĂŒĂŸten? Das macht nichts. Sie können sich das Heft auch portofrei zuschicken lassen (das Wort „zuschicken“ anklicken um zu erfahren, wie es geht).
Und ĂŒberhaupt: WER ABONNIERT, HAT MEHR VOM METZGER.

1914 in der Litreratur (3)

Nicht ein ganz neues Buch, aber in diesen Monaten wieder aktuell:

Luciano Canfora: August 1914. Oder: Macht man Krieg wegen eines Attentats? Papyrossa Verlag 2010. 118 S. 9,90 Euro
Canfora1914Der Verlag stellt sein Buch vor:
Luciano Canfora legt dar, daß Kriege nicht mit einem Einzelereignis zu erklĂ€ren sind, und sei es ein noch so spektakulĂ€res Attentat. Deshalb schildert er, um die Ursachen des Ersten Weltkriegs sichtbar zu machen, wie sich die InteressengegensĂ€tze zwischen den rivalisierenden GroßmĂ€chten zum gordischen Knoten geschĂŒrzt hatten. Obwohl er die abenteuerliche Politik des Deutschen Kaiserreichs hervorhebt, bezeichnet Canfora die These von dessen Alleinschuld am Krieg als Alibi fĂŒr alle anderen: Auch sie können nicht freigesprochen werden. Die sozialistischen Parteien – allen voran die deutsche Sozialdemokratie – ebneten den Weg in den Abgrund, indem sie sich vor den Karren ihrer Regierungen spannen ließen. Am Beispiel des Ex-Sozialisten Mussolini einerseits, der „Deutschen Vaterlandspartei“ als VorlĂ€uferin der NSDAP andererseits zeigt Canfora, daß der Erste Weltkrieg bereits die Wiege des Faschismus war. Dagegen standen jene KrĂ€fte, die – zunĂ€chst als isolierte Minderheit – von Anfang an gegen den Krieg opponierten und in Lenin ihren bekanntesten Vertreter hatten. Sie traten dafĂŒr ein, der „grauenhaften SchlĂ€chterei“ – so Papst Benedikt XV. – ein Ende zu setzen und eine Wiederholung auszuschließen.
Prof. Dr. Luciano Canfora (Jg. 1942), Altphilologe und Historiker, lehrt an der UniversitĂ€t Bari. Sein Buch „Eine kurze Geschichte der Demokratie“ hat in der Bundesrepublik fĂŒr Furore gesorgt.

Wenn Ihr das Buch bestellen wollt, erinnert Euch bitte an die Lebensregel:
LIEBE leute BESTELLT bĂŒcher IN der BUCHHANDLUNG weltbĂŒhne UND sonst NIRGENDS.
WeltbĂŒhne muß bleiben.

1914 in der Literatur (2)

Zum hundertsten Jahrestag des Kriegsausbruchs von 1914 hat der Aufbau-Verlag drei Klassiker der Anti-Kriegs-Literatur als Sonderausgaben vorgelegt:
KischRennZweigEgon Erwin Kisch: Schreib das auf, Kisch! Ein Kriegstagebuch. 320 S. Gebundene Ausgabe
Die Geburtsstunde des „Rasenden Reporters“: „Jeden Tag stenographiere ich meine Lebensweise und meine Gedanken, die Lebensweise und Gedanken von Hunderttausenden 
 Die Kameraden spotten: ‚Schreib das auf, Kisch!‘ Der Satz wird zur stĂ€ndigen Redensart 
 Kisch schreibt auf, wenn der letzte Hosenknopf abreißt, wenn das einzige StĂŒck Seife in den Brunnen fĂ€llt, wenn Blut in den Essnapf spritzt. Manches schreibe ich auf, was ich als Journalist nicht gewusst hĂ€tte. Manches hĂ€tte ich als Journalist auch dann nicht geschrieben, wenn ich es gewusst hĂ€tte, denn es wĂ€re mir zu belanglos erschienen. Manches schreibe ich auf, was ich als Journalist nicht hĂ€tte schreiben dĂŒrfen, die Zeitung nicht gedruckt hĂ€tte. Mein Tagebuch weiß und darf. Welch ein Unterschied zwischen … einem Tag, den die Zeitung spiegelt, und einem Tag, im SchĂŒtzengraben ĂŒberlebt.“ Egon Erwin Kisch.
Von einem unbezwinglichen Drang des Beobachtens und Berichtens getrieben, geleitet von einem unvergleichlichen GespĂŒr fĂŒr die skurrilen wie die entlarvenden Momente im Kriegsalltag, schrieb Egon Erwin Kisch seine Erlebnisse als Soldat 1914/15 unmittelbar an der Front nieder, im Feldlager, im SchĂŒtzengraben. Dieses unverhĂŒllte, direkt dem Leben entnommene Bild des Krieges ist nicht zuletzt ein beeindruckendes StĂŒck Literatur.
„Das Tagebuch eines bedeutenden Schriftstellers.“ Hans Mayer.
Mit dem Bericht „Ein Reporter wird Soldat“.

Ludwig Renn: Krieg. 352 S. Gebundene Ausgabe.
Unter dem Namen Ludwig Renn veröffentlichte der frĂŒhere kaiserliche Offizier Arnold Vieth von Golßenau das Buch „Krieg“, das Weltruhm erlangte: Ein einfacher Soldat wird am Tag der Mobilmachung Gefreiter und noch im August 1914 an die Westfront kommandiert. Er fĂŒhrt beflissen Befehle aus, bis er zu ahnen beginnt, dass das Grauen nicht nur ohne höheren, sondern völlig ohne Sinn ist.
„Die BĂŒcher von Remarque und Ludwig Renn bieten qualitativ keine Unterschiede; beide wuchsen aus Anschauung und Erlebnis, beide hat die Erinnerung in langen Jahren geformt. Sie sind ganz und gar das feierliche Verdikt, das dem Krieg die Ehre aberkennt und ihn vor versammelter Menschheit degradiert.“ Carl von Ossietzky.

Arnold Zweig: Junge Frau von 1914. Roman. 432 S. Gebundene Ausgabe.
In der Liebe und im Krieg. In diesem Roman einer Liebe im Ersten Weltkrieg steht das Schicksal der jungen Lenore Wahl im Mittelpunkt, womit Zweig auf das UnverstĂ€ndnis seiner Zeitgenossen stieß: Man empfand dies als befremdlich privat, wo doch die MĂ€nner an der Front gekĂ€mpft und ihr Leben riskiert hatten. Der Autor aber wusste, dass der Krieg bis in die Heimat vordringt und nicht zuletzt dort seine Opfer fordert. Zudem legte er mit diesem Werk ein aufsehenerregendes Bekenntnis zur weiblichen Selbstbestimmung vor, das seiner Zeit weit voraus war.
„Der Krieg zwingt die Helden Zweigs, leidenschaftlicher zu lieben, tiefer zu hassen, schneller zu lernen, mehr zu leiden, intensiver zu leben. Er beschleunigt ihre Entwicklung und ihren Untergang, er steigert ihren Ehrgeiz und ihr MachtbedĂŒrfnis, ihren Wissensdurst und ihre Resignation, ihr Mitleid, ihren Neid und ihre Sehnsucht nach GlĂŒck. Der Krieg macht sie klĂŒger, hĂ€rter und grausamer, er ist eine große Anstandsprobe, eine moralische PrĂŒfung. Zweig 
 berĂŒckt das Leben, er beobachtet, liebt und genießt es. Seine epische Welt ist diesseitig und rational, taghell und ĂŒbersichtlich.“ Marcel Reich-Ranicki.

Die BĂŒcher sind je zum Preis von 15 Euro erhĂ€ltlich. Sie werden auf unserem BĂŒchertisch, dem antimilitaristischen Buch-Basar beim Ostermarsch liegen. Sie können in der Buchhandlung WeltbĂŒhne – auch im Versand – bestellt werden.
Wir wĂŒrden uns freuen, wenn Sie der Buchhandlung helfen, deren vornehmes Anliegen ist, den Krieg zu Ă€chten, den Krieg zu verdammen!

1914 in der Literatur

Ich muß wohl mal einen Offenen Brief an den Herrn Koch* schreiben. Dann werde ich schreiben:
Sehr geehrter Herr Koch,
gestern habe ich das Buch „Junge Frau von 1914“ von Arnold Zweig (Aufbau Taschenbuch) verkauft und wollte es natĂŒrlich sofort nachbestellen (dieses Buch ist in der WeltbĂŒhne ein Standardtitel).
Aber: Àtsch!
Die Taschenbuchausgabe wird nicht mehr angeboten. Sie ist vergriffen, und Sie haben sie nicht mehr neu aufgelegt.
Von Arnold Zweig wird gegenwĂ€rtig ĂŒberhaupt keine Taschenbuchausgabe angeboten, weder von Ihnen noch von sonst einem Verlag.
800px-Stamps_of_Germany_(DDR)_1987,_MiNr_3092Ich will darauf eingerichtet sein, den Kunden, die etwas ĂŒber den Ersten Weltkrieg erfahren wollen, gute und informative BĂŒcher zu diesem Thema anbieten zu können. Dazu gehören vornehmlich die BĂŒcher von Arnold Zweig „Der Streit um den Sergeanten Grischa“ und „Erziehung vor Verdun“. Diese Titel werden von Ihnen in der „Berliner Ausgabe“ angeboten – fĂŒr 39 bzw. 40 Euro. Gerade zum hundertsten Jahrestag des Beginns des ersten imperialistischen Weltkrieges halte ich Taschenbuchausgaben solcher Werke fĂŒr unverzichtbar.
Von Autoren, die das Profil des Aufbau-Verlags geprĂ€gt haben wie Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Lion Feuchtwanger, sollten alle Einzeltitel als Taschenbuch erhĂ€ltlich sein. Von Anna Seghers gibt es nun noch wenige Taschenbuchausgaben, von Kisch gar keine. Die gebundenen Pracht-Ausgaben zu horrenden Preisen sind nichts fĂŒr Einsteiger.
800px-Stamps_of_Germany_(DDR)_1985,_MiNr_2940Immerhin ist erfreulich zu vermelden: Arnold Zweigs „Junge Frau von 1914“, Kischs Kriegstagebuch „Schreib das auf, Kisch“ und Ludwig Renn „Krieg“ sind zwar nicht als TaschenbĂŒcher, aber als noch recht preiswerte Ausgaben fĂŒr je 15 Euro erschienen.
800px-Stamps_of_Germany_(DDR)_1989,_MiNr_3230P.S.: „Abschied“, der Roman von Johannes R. Becher, in dem die AtmosphĂ€re vor dem Beginn des großen Völkergemetzels genau zu erfahren ist, wĂŒrde ich auch gern wieder als Aufbau-Taschenbuch sehen.

* Matthias Koch ist der Chef vom Aufbau Verlag.
Von einigen der hier genannten Buchtitel, anderswo vergriffen, sind noch RestbestĂ€nde als Taschenbuchausgaben in der Buchhandlung WeltbĂŒhne vorrĂ€tig. Denn hier wird nichts verramscht und nicht remittiert. Was nicht verkauft wird, bleibt eben stehen – bis es nur noch hier zu kriegen ist.

Reinhard KĂŒhnl 1936-2014

Reinhard KĂŒhnl ist tot.
Sein langjĂ€hriger WeggefĂ€hrte Georg FĂŒlberth verfaßte im Namen des BdWi den folgenden kurzen Nachruf.

Am Morgen des 10. Februar 2014 verstarb in Marburg der Politikwissenschaftler Reinhard KĂŒhnl.
1936 in Schönwerth (Tschechoslowakei) geboren, studierte er in Marburg und Wien Geschichte, Soziologie, Politikwissenschaft und Germanistik. Er wurde ein SchĂŒler Wolfgang Abendroths. Mit seiner Dissertation von 1965, „Die nationalsozialistische Linke 1925 – 1930“, schrieb er sich sofort in die erste Reihe der damals noch jungen Faschismusforschung. 1967 erschien „Die NPD – Struktur, Programm und Ideologie einer neofaschistischen Partei“. Nach seiner Habilitation – die Ernst Nolte mit einer publizistischen Kampagne zu verhindern suchte – wurde er 1971 Professor fĂŒr Politikwissenschaft in Marburg. Auf Einladung seines Freundes Walter Grab bekleidete er 1973 eine Gastprofessur in Tel Aviv.
In den folgenden Jahrzehnten entfaltete Reinhard KĂŒhnl eine sehr fruchtbare wissenschaftliche und publizistische TĂ€tigkeit. Sein Buch „Formen bĂŒrgerlicher Herrschaft: Liberalismus – Faschismus“ erreichte von 1971 bis 1990 zahlreiche hohe Auflagen. Eine Ă€hnlich große Wirkung erzielte seine Gesamtdarstellung der Faschismustheorien. Reinhard KĂŒhnls BĂŒcher wurden in 14 Sprachen ĂŒbersetzt.
Stets arbeitete er – als Marxist und radikaler Demokrat – den Zusammenhang zwischen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und den von ihr hervorgebrachten politischen Systemen – darunter dem Faschismus – heraus. Groß war auch Reinhard KĂŒhnls Erfolg als akademischer Lehrer. Wie vorher schon zu Wolfgang Abendroth, so kamen nun von nah und fern Studierende nach Marburg, um bei ihm zu lernen. In der gesamten Bundesrepublik und international zog er als Vortragender viele Menschen in fast immer ĂŒberfĂŒllten Auditorien an.
Schwerpunkt seiner Forschungen und seiner Lehre blieben Ursachen und Geschichte des Faschismus. In der Praxis wurde er so zum Mitstreiter in den KĂ€mpfen der Friedensbewegung und im BemĂŒhen um Verteidigung und Erweiterung der Demokratie.
1968 war er GrĂŒndungsmitglied des Bundes demokratischer Wissenschaftler (heute: Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, BdWi). Bei dessen Neukonstituierung 1972 wurde er zusammen mit Walter Jens und Helmut Ridder Mitglied des Engeren Vorstandes, dem er bis 1999 angehörte.
Die demokratische Bewegung und der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verdanken Reinhard KĂŒhnl unendlich viel. Seine Stimme – seit Jahren schon aufgrund einer Krankheit verstummt – fehlte uns sehr in den Auseinandersetzungen mit alten und neuen Geschichtslegenden. Jetzt, 2014, wenn sich in der Interpretation des Kriegsausbruchs 1914 ein massives ideologisches Rollback zur Beschönigung neuer militĂ€rischer AktivitĂ€ten anzubahnen droht, wird schmerzhaft spĂŒrbar, dass der Ort, an dem er so eindrucksvoll stritt, nunmehr verwaist ist.
Wir danken Reinhard KĂŒhnl fĂŒr seine Arbeit und seine KĂ€mpfe. Wir trauern um ihn.

ReinhardKĂŒhnl„Wenn wir Wissenschaftler heute dem Zeitgeist widerstehen, riskieren wir allenfalls akademische Karriere, Forschungsgelder, öffentliche Anerkennung und die Teilnahme an Talkshows. Und dieses Risiko ist unsere Sache schon wert. Denn fĂŒr die Sicherung einer menschenwĂŒrdigen Zukunft brauchen wir die Wahrheit ĂŒber die Vergangenheit. In unserem Lande gerade die Wahrheit ĂŒber Faschismus und Widerstand.“ Reinhard KĂŒhnl

Die Gedenkfeiern haben begonnen oder Bezwinge sich wer kann

In diesem Jahr jĂ€hrt sich zum hundertsten mal der Beginn des Ersten Weltkriegs. Auf dem Duisburger Kaiserberg (vormals: Duisserner Berg, dann in nationaler GefĂŒhlsaufwallung in „Kaiserberg“ umbenannt, und so heißt er heute noch) befinden sich einige Monumente fragwĂŒrdigen Heldengedenkens (siehe Notat vom 13. Juni 2013).
„Bezwinge sich wer kann. Die Feder reicht nicht mehr, man muß zum Tintenfaß greifen.“ Oder zur Farb-SprĂŒh-Dose. So geschehen Ende Januar.
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Berichterstattung der WAZ am 31. Januar:
„Vandalen verunstalten Friedhof“.
Wie auch immer man die Leute bezeichnen mag, die der Nation ein Menetekel an die Wand schrieben: Die Zeitungsschlagzeile ist irrefĂŒhrend. Der eigentliche Friedhof, das GrĂ€berfeld der 801 um ihr Leben gebrachten Soldaten blieb unberĂŒhrt. Nur auf dem Feld davor wurden Parolen angebracht.
In dem WAZ-Artikel wird die in Stein gemeißelte, ĂŒbersprĂŒhte Verhöhnung der Toten zitiert:
„GlĂŒcklichen Auges seid ihr gestanden, BrĂŒder, geliebte, in feindlichen Landen“.
„Der Staatsschutz prĂŒft nun,“ heißt es weiter, „inwiefern ‚…eine GefĂ€hrdung des demokratischen Rechtsstaates‘ oder auch eine ‚verfassungsfeindliche Verunglimpfung‘ vorliegt“. Indem dem Staat, der mal Deutsches Reich hieß und jetzt Bundesrepublik Deutschland heißt, das Recht abgesprochen wird, dann und wann mal eine Generation zu verheizen, fĂŒhlt er sich gefĂ€hrdet.
„1921 wurde die Siegfried-Statue“ (Foto) „aufgestellt. Sie war vom Meidericher BĂŒrger Hermann Ingenhamm in Erinnerung an seinen Sohn Johannes gestiftet worden. Johannes Ingenhamm liegt in Grab 102.“
Das ist ein Beispiel fĂŒr das, was Mitscherlich „die UnfĂ€higkeit zu trauern“ genannt hat. FĂŒr die deutschen HeldenvĂ€ter sollten die Krepierten noch im Grab den Helden spielen.
„Was die Vandalen offenbar nicht wußten: Auf dem Ehrenfriedhof am Kaiserberg liegen nur Soldaten, die in Ersten Weltkrieg gefallen oder in Duisburger Lazaretten gestorben sind“, lautet die altkluge Belehrung durch die WAZ-Berichterstatter. Was die offenbar nicht wissen, ist, daß die Soldaten nicht irgendwie hingefallen, sondern im Dreck krepiert sind, und daß die WeihestĂ€tte verlogener Weihen seit Jahr und Tag Wallfahrtsort von Neonazis und nationalistischen Stolz-Deutschen ist. Solche haben – siehe Foto oben – mit schwarzweißrotem Tuche reagiert.

Zusammenfassung:
Vandalismus fand nicht auf dem Friedhof statt, sondern auf den Schlachtfeldern.
Auf dem Friedhof fand auch keine Schmiererei statt, sondern in der Zeitung.

Nachtrag:
Kaiserberg08Nur ein paar Stunden spĂ€ter: Es kann der frömmste Stolzdeutsche nicht in KriegslĂŒsternheit schwelgen, wenn es dem pazifistischen Vandalen nicht gefĂ€llt. Plötzlich war die Fahne weg!

Kaisergerg09Das ist der Teutoburger Wald,
Den Tacitus beschrieben,
Das ist der klassische Morast,
Wo Varus steckengeblieben.

Hier schlug ihn der CheruskerfĂŒrst,
Der Hermann, der edle Recke;
Die deutsche NationalitÀt,
Die siegte in diesem Drecke.

(Heinrich Heine)

Kopf & Kragen oder Grass mit ss

Kommße vonne Schicht
Wat andres willze nicht
ALZ WIE Currywurst

Es gibt diese Redensart: Jemand redet sich um Kopf und Kragen. Was damit gemeint ist, dafĂŒr liefert der Knobell-PreistrĂ€ger GĂŒnter Grass nicht selten anschauliche Beispiele.
„Es gab in der Geschichte der Sozialdemokratischen Partei keinen schmierigeren Verrat wie den von Oskar Lafontaine an seinen Genossen.“
Da war aber einer geladen! Das mußte er unbedingt loswerden, weniger als der Superlativ hĂ€tte da keine Erleichterung gebracht. Ein Mann redet Amok.
Dumm nur: Im Hause des Sozialdemokraten sollte man nicht von Verrat sprechen. Es fallen einem dann fatalerweise Namen ein wie Ebert, Noske, Zörrgiebel.
Wer gleich die gesamte Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) auffÀhrt, will es nicht anders:
Bewilligung der Kriegskredite 1914, die dubiose Rolle der SPD bei der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, Noske und die Freikorps, die PanzerkreuzeraffÀre, der Blutmai, der Aufruf zur Wahl Hindenburgs.
Richten wir den Blick in die jĂŒngere Geschichte: Zustimmung zu den Notstandsgesetzen, Radikalenerlaß (der viele Sozialdemokraten betraf), Entsendung der Bundeswehr in Spannungsgebiete, Erhöhung der Waffenexporte in der Zeit der Schröder-Regierung um das siebenfache, Steuergeschenke an die Konzerne, die neoliberale Agendapolitik. Was fĂ€llt einem dazu ein? Ein Wort mit V.
All das wird an Schlimmnis ĂŒbertroffen dadurch, daß Oskar Lafontaine die Konsequenz daraus zog, daß er eine unehrenhafte Politik nicht mit Überzeugung vertreten konnte?
Sind dem GĂŒnter Grass sĂ€mtliche MaßstĂ€be verlorengegangen? Nein. Viel einfacher: Er verwechselt die Seiten.
„Schmieriger wie“ klingt allerdings beeindruckend, geradezu nobelpreisverdĂ€chtig.
Und so kann man zusammenfassen:
Es gab ĂŒber die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands keine dĂ€mlichere Bemerkung alswie die von GĂŒnter Grass.

Vor der Wahl ist nach der Wahl (2013)

In ein paar Wochen wird der Bundestag gewĂ€hlt. Diesem Ereignis gingen frĂŒhere Wahlen voraus, und die Parteien, die um Aufmerksamkeit werben, geben uns nicht erst in diesen Tagen zu denken. Um die bevorstehende Wahl in die Zeitgeschichte einzuordnen, werden an dieser Stelle einige Kommentare zu Parteien und frĂŒheren Wahlen in loser Folge dokumentiert, Doch heute beginnen wir mit heute:

Merkel soll nicht bleiben, bleibt aber
In Italien gab es zwei große Parteien (Christdemokraten und Kommunisten), eine mittlere Partei (Sozialisten) und ein paar kleine Parteien (Sozialdemokraten, Liberale und Republikaner), außerdem die Neofaschisten. Die Parlamentswahlen hatten immer dasselbe Ergebnis: Eine stabile Regierungsmehrheit kam nie zustande. Von dem ParteiengefĂŒge ist nichts ĂŒbriggeblieben. Nur eins hat sich nicht verĂ€ndert: Eine stabile Regierungsmehrheit kommt nicht zustande.
Man stelle sich das mal fĂŒr Deutschland vor: CDU/CSU, SPD, FDP und Linke sind nicht mehr auffindbar, stattdessen sitzen im Bundestag Piraten, Europahasser, Rechtspopulisten und Fernsehkomiker. Und vielleicht noch die GrĂŒnen unter ihrem neuen Parteinamen „Rauchen verboten“.
Nein, bei uns ist das anders. Die alten Bekannten werden uns erhalten bleiben (auch die FDP, fĂŒrchte ich). Im nĂ€chsten Bundestag werden vielleicht nicht alle vertrauten Parteien vertreten sein (auch nicht die Linken, halte ich fĂŒr möglich), aber keine neuen. Und wenn sich da etwas auflöst, dann das Wahlvolk.
Eins kann man jetzt schon abhaken: Merkel wird die Wahl gewinnen und Bundeskanzlerin bleiben. Die Frage ist nur: mit welchem Koalitionspartner? Die CDU wird stĂ€rkste Partei, aber fĂŒr die absolute Mehrheit wird es nicht reichen. Das will die CDU vielleicht auch gar nicht. Denn ein Koalitionspartner ist nicht nur als Mehrheitsbeschaffer nĂŒtzlich, sondern auch als SĂŒndenbock, dem man in die Schuhe schieben kann, daß die Wahlversprechen nicht gehalten werden.
Wird es also mit der FDP weitergehen? Obwohl die – aus welchen GrĂŒnden auch immer – nicht mehr en vogue ist? Auch wenn dem BrĂŒderle seine Tief-Blicke am Ende vielleicht mehr nĂŒtzen als schaden, schafft sie es nicht aus eigener Kraft, verschafft sich aber vielleicht bei den Stimmenverleihern genug Zweitstimmen und ist wieder drin. Aber ob das dann fĂŒr eine Mehrheit reicht? Vielleicht wĂ€hlt die Merkel heimlich die Linken, damit eine Mehrheit nur mit der SPD zusammen erreicht werden kann. Von den Linken braucht die Merkel außer bösen Worten nichts zu befĂŒrchten, denn die SPD wĂŒrde nie mit den Linken koalieren. Wenn die SPD die Linken in die Regierung aufnehmen wĂŒrde, das wĂ€re ja so, als wĂŒrde ein GeldfĂ€lscher versuchen, echte Banknoten in Umlauf zu bringen. Außerdem wĂŒrden die GrĂŒnen das nicht mitmachen. Und die Merkel wĂŒrde viel lieber mit der SPD regieren, weil: leichter handhabbar. Eine (noch relativ) große Partei zu neutralisieren wĂ€re ihr MeisterstĂŒck.
Abgehakt wĂ€re also auch: Die SPD wird die Wahl verlieren, und SteinbrĂŒck wird nicht Bundeskanzler. Daß die SPD mit ihrer Entscheidung fĂŒr SteinbrĂŒck einen ungeeigneten Kandidaten ins Rennen geschickt hat, ist nur insofern richtig, daß die SPD gar keinen geeigneten Kandidaten hat. Wen hĂ€tte sie denn stattdessen aufstellen sollen?
Da die SPD zu einer Unter-25-Prozent-Partei zusammengeschrumpft ist, wird jedem ihrer Kandidaten das Verlierer-Image anhaften. Die SPD verliert nicht, weil der SteinbrĂŒck dauernd in irgendwelche FettnĂ€pfchen hineintritt, sondern: weil die SPD verliert, ist alles, wo der SteinbrĂŒck hineintritt, ein FettnĂ€pfchen.
Eine Chance hÀtte die SPD: mit Weiterlesen

„Wir machen es uns extra schwer…

…denn unser Kandidat heißt Peer.“
Jetzt hat der SteinbrĂŒck die Idee geĂ€ußert (WAZ 6.4.2013), Jungens und MĂ€dchens sollten getrennten Sportunterricht bekommen, wenn „muslimische Eltern“ das wĂŒnschen.
Prompt erscheint auf Seite 1 ein Kommentar (vom Chefredakteur Ulrich Reitz höchstpersönlich) mit der Überschrift „Peer SteinbrĂŒcks seltsame Fehler“, und der beginnt mit dem Satz „Wahrscheinlich verfolgt Peer SteinbrĂŒck fĂŒr diesen Herbst einen anderen Plan als Bundeskanzler zu werden.“
Was hat der SteinbrĂŒck getan? Er hat etwas vorgeschlagen. Das sollte er nicht tun! Ja, wenn die von der Leyen oder der Seehofer oder der Olaf Henkel das vorgeschlagen hĂ€tte, dann wĂ€re das ein Vorschlag gewesen – den man ablehnen, gutheißen oder ignorieren kann. Aber wenn der SteinbrĂŒck sowas sagt, dann ist das ein „seltsamer Fehler“.
Das Problem der SPD ist weniger ihr Kandidat. Der ist nur der Ausdruck ihres Problems. Das Problem der SPD ist sie selbst. Die deutsche Sozialdemokratie ist nĂ€mlich zugleich ihr eigenes Gegenteil. Das muß irgendwie mit 1914 zusammenhĂ€ngen.

P.S.: Ulrich Reitz in seinem Kommentar: „Wie wĂ€re es stattdessen, muslimischen MĂ€dchen die Chance zu geben, sich von ihren vordemokratischen Erzeugern zu emanzipieren?“ Donnerwetter! Kinder, emanzipiert euch von euren Eltern! Erinnert mich an die Zeiten unserer Jugend! Wir waren wirklich die beste Jugendvonheute aller Zeiten! Einer unserer Slogans lautete „Wer hat uns verraten …“.
P.P.S.: Wenn die SPD vor der Bundestagswahl auch noch Plakate aufhÀngt, wird sie das wieder ein paar Prozentpunkte kosten.