SoS (29-37)

SoS029SoS030SoS031Am 29. Dezember 1975 wurde im Eschhaus der Film „Switch on Summer“ zum ersten Mal gezeigt.
Ein 135 Minuten langer Super-8-Film ist etwas Ungewöhnliches. Selbst in drei Akte geteilt konnte er nicht auf jedem gebräuchlichen Projektur abgespielt werden, weil 360-Meter-Spulen benötigt wurden.

SoS032SoS033Ein 135 Minuten langer Super-Stumm-Film ist für das Publikum eine arge Zumutung, sollte man meinen, zumal der Film ohne Handlung ist, sondern stattdessen einen rein assoziativen Zusammenhang bildet. Der Veranstaltungsraum war mit Publikum gefüllt. Überraschend war, daß nicht nur viele gekommen waren, sondern auch, daß sie alle bis zum Ende der Vorstellung im Saal blieben.

SoS034SoS035SoS036

SoS037Bis zum 29. Dezember 2015, dem 40. Jahrestag der Welturaufführung, werden hier in loser Folge 100 Stills aus dem Film zu sehen sein.
plakat-switchDas Plakat zum Film. Es gibt noch Rest-Exemplare, die für 10 Euro abgegeben werden. Somit kostet das Plakat fast so viel wie die DVD.
Mehr über den Film und seine Geschichte demnächst in diesem Kino.

SoS (21-28)

Was sind schon 30 Jahre Lindenstraße gegen 40 Jahre Switch on Summer?
SoS021Links im Bild: Thomas Radetzky als Leutnant von Trotta.
Rechts im Bild: ich.
An der Wand: Ein Poster von Allen Ginsberg.
Da zwischen, unten am Bildrand, kaum zu sehen: Ein Porträt von Werner Höfer. Spätestens dadurch ist der Törn hergestellt.

SoS022SoS023SoS024Rechts im Bild: Wolfgang Strähler als Horst Mahler. Zugleich bemüht er sich wieder mal darum, seinen Rang als schlechtester Schauspieler der Geschichte zu behaupten.
Links im Bild: Hansjürgen Bott als er selbst.

SoS025Dieses zeit-dokumentierende Film-Werk aus den 70er Jahren zeigt auch, daß seinerzeit der Trend zu Nahtlosbraun noch nicht zwingend war. Die beim Enthüllen der vom Bikini bedeckten Stellen sichtbar werdende virgine Blässe (Busen, Popo und die nähere Umgebung des damals noch geschätzten Gebüschs) wurde als charmante Akzentuierung weiblicher Schönheit gern gesehen. (Es gibt natürlich noch viel mehr charmante Akzentuierungen weiblicher Schönheit).

SoS026Zwischentitel.

SoS027In loser Folge werden in diesen Wochen 100 Stills aus dem epochalen Underground-Film gezeigt.
Mehr über den Film und seine Geschichte demnächst in diesem Kino.

SoS028..

WIR SCHENKEN UNS NIX!

Ich weiß, ich weiß! Wir schenken uns nix.
Dabei käme man hier gar nicht in Verlegenheit, wenn man – etwa – versuchen mag, die Opposition gegen kalendarischen Zwang zum Gegenteil vom Gegenteil zu steigern. Nicht alles, was gut ist, will man doch selber behalten.

BahnhofCoverHier haben wir zum Beispiel ein Buch, das, wie der Untertitel schon sagt, das ideale Geschenk ist.
Helmut Loeven: Wir bleiben im Bahnhof. Das ideale Geschenk. Situationspresse 2013. 252 S. ISBN 978-3-935673-35-8. 20 Euro.

Wer jemanden bedenken will, dem man was zutraut, ist mit diesem Werk aus der Situationspresse gut zu bedienen: Beat beats!
chlada-verwirrung-coverMarvin Chlada: Die schöne Verwirrung des Lebens – Gedichte & Cut-Ups. Situationspresse 2013. 80 S. einige Abbildungen. Paperback. 12,50 Euro.

Noch in diesem Monat will Lütfiye Güzel ihr neues Buch „Hadi Hugs“ vorbeibringen. Ihre bisherigen Bücher behalten ihre Gültigkeit, zum Beispiel ihr „Anti-Roman“. Manche Leser sagen: Das ist bisher ihr bestes.
heyanti-romanLütfiye Güzel: hey. anti-roman. Go-Güzel-Publishing. 10 Euro

Laßt Worte klingen! Marvin Chlada und Lütfiye Güzel live in der Spinatwachtel.
CDChladaGuezel1Lütfiye Güzel, Marvin Chlada: Let’s go underground. Live in der Spinatwachtel 2. Juli 2013. Doppel-CD 85 Minuten. Situationspresse 2014. 12,50 €

Auch ich live in der Spinatwachtel, sogar zwei mal. Darum gibt es auch zwei Live-CDs. Dies ist eine davon:

CD-HL-RundumHelmut Loeven: Anleitung für Rundumschläger. Das philosophische Kabarett live. Doppel-CD. 12,50 Euro

Wer Ohren hat zu hören muß nicht weghören. Die (bisher) zweiteilige Hörspielserie „Die neuen Flüchtlingsgespräche“ auf Doppel-CDs sind die Geheim-Sensation. Fangen Sie einfach an mit der ersten:
cover-fluecht1Die schnelle Lösung. Hörspiel von und mit Helmut Loeven, Heinrich Hafenstaedter und Anna Driba (Die neuen Flüchtlingsgespräche 1). Doppel-CD ISBN 978-3-935673-29-7. 12.50 Euro

Laßt Bilder laufen. Hier ist in letzter Zeit die Rede und wird in nächster Zeit die Rede sein von dem legendären Stummfilm „Switch on Summer“, der mittlerweile gar kein Stummfilm mehr ist, sondern ein Tonfilm, und der darum jetzt auch einen neuen Titel hat, nämlich „Sehreise“.

cover-sehreise-dvdDie Sehreise. Drei Zuschauer sprechen über „Switch on Summer“. Ein Film von A.S.H. Pelikan, Helmut Loeven und Heinrich Hafenstaedter. Hut-Filmproduktion 2011. Ca 180 Min. Doppel-DVD 12,50 Euro

Früher haben die Leute Postkarten verschickt, und zwar besonders „zum Fest“. „Zu welchem Fest“, werden Sie fragen. Egal zu welchem.
Verschicken Sie doch mal wieder eine Postkarte. „An wen“, werden Sie fragen. Egal an wen. Postkarten zu verschicken verschafft doch eine andere Erfahrung vom Leben als den Leuten immer nur Mehl zu schicken.
Zum Beispiel: Kunstkarten nach Aquarellen von Magda Gorny,
pk59-gorny-skarabaeuspk54-gorny-sonneoder nach Fotografien von Hafenstaedter,
pk73-hafen-blumensprayer-2pk71-hafen-letgooder Bilder vom Ostermarsch,
OM87-Karte04OM87-Karte03oder aus dem Weltbühne-Universum.
KarlKrauspk63-katerEs gibt Leute, die haben sowas noch nie gesehen, geschweige denn gekriegt. Wenn die eine Postkarte kriegen, wären die fassungslos. Und wenn die dann das Bild sehen, wüßten sie nicht, was das bedeutet. Darum muß man solchen Leuten Postkarten schicken. Es gibt zu wenig ungläubiges Staunen und zu viel falsche Klarheit.
Das Verblüffen klappt noch besser durch das Verschenken eines METZGER-Abonnements. Auch das geht.

Das alles und noch viel mehr in der Buchhandlung Weltbühne!
(Gneisenaustraße 226, Duisburg-Neudorf), auch als Versandbuchhandlung bemüht und beliebt.
Kurbeln Sie die Konjunktur an. Aber nicht irgendeine. Weltbühne muß bleiben.

SoS (13-20)

SoS013SoS014SoS015SoS016SoS017SoS018SoS019Am 29. Dezember 1975 wurde im Eschhaus der Film „Switch on Summer“ zum ersten Mal gezeigt.
Bis zum 29. Dezember 2015, dem 40. Jahrestag der Welturaufführung, werden hier in loser Folge 100 Stills aus dem Film zu sehen sein.
Mehr über den Film und seine Geschichte demnächst in diesem Kino.

SoS020..

Der Kessel des Monats

Der Kessel dieses Monats ist ein historischer Kessel, der jetzt wahrscheinlich nirgendwo mehr herumsteht.
Kessel2015-11Gezeigt wird Ihnen, meine Damen und Herren, ein Bild aus dem Film „Switch on Summer“ (Hut-Film 1975). Die Aufnahmen zu diesem Film stammen aus den Jahren 1972 bis 1975. Irgendwann in dieser Zeit geriet dieser Kessel vor meine Kamera. Ein schöner Kessel.
Über den Film „Switch on Summer“, der viele Jahre nach seiner Uraufführung vertont und unter neuem Titel wieder veröffentlicht wurde („Sehreise“) werden Sie hier in den nächsten Tagen und Wochen noch ausführlich informiert. Ich sage nur: Ein Meilenstein in der Geschichte des Underground-Films war das! (Allein schon der Kessel!).

Mahler bald ein „freier Mann“?

Horst Mahler könnte vorzeitig freikommen, meldet heute die Taz. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam habe entschieden, die letzten vier Jahre seiner zwölfjährigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. „Der Gesundheitszustand und die Tatsache, dass zwei Drittel der Haftstrafe verbüßt seien, führte zu dem Beschluss, sagte eine Sprecherin des Gerichts im Gespräch mit der taz. Die zuständige Staatsanwaltschaft München II habe gegen den Beschluss aber eine sofortige Beschwerde eingelegt.“ Mahler ist an Diabetes erkrankt und hat eine Beinamputation hinter sich. „Laut seiner Tochter leidet er zudem an neurologischen Ausfällen und einer Herz- und Niereninsuffizienz.“
TazMahlerEntlassMahler, jetzt 79 Jahre alt, kann einen der kuriosesten Lebensläufe der Nachkriegszeit vorweisen. Man kann leicht zu dem Fazit kommen, daß er sein Leben verpfuscht hat und früh damit anfing.
Als Student Mitglied einer schlagenden Verbindung, dann auf dem Weg nach links zuerst in der SPD (darum raus aus der Verbindung), dann zum SDS (darum raus aus der SPD). Als Rechtsanwalt erst in Wirtschaftssachen für mittelständische Klientel tätig, dann als „APO-Anwalt“ nicht ohne Erfolg für Mandanten wie Teufel/Langhals, Beate Klarsfeld, Gudrun Ensslin u.a.
Im Bohren dicker Bretter an der Justiz-Front fand er aber keine Selbstverwirklichung. Stattdessen wurde er von pseudo-revolutionärer Ungeduld getrieben. 1970 gehörte er zu den Gründern der RAF („Rote Armee Fraktion“). Diese Organisation versuchte nicht nur der Mitwelt, sondern vor allem sich selbst einzureden, die Speerspitze des kämpfenden Proletariats zu sein. Mahler mag es gewurmt haben, daß er nicht dem Bild eines revolutionären Feuerkopfs entsprach, zum Beispiel nicht so langhaarig war wie sein Mandant Langhans, sondern schon sehr schütteres Haar hatte. Die Untergrund-Aktivität gab ihm Gelegenheit, sich mit Toupet und (falschem oder echtem) Bart zu tarnen, nicht nur vor der Polizei, sondern auch vor seiner „bürgerlichen Vergangenheit“, die ihn ebenfalls verfolgte. Mahler ist der Typ eines Mannes, der immer etwas beweisen muß.
Seine Zeit an der Spitze der RAF währte nicht lange. Im Oktober desselben Jahres wurde er geschnappt. Das war für alle gut. Der Dandy Baader an der Spitze der RAF hat sicherlich weniger verheerend agiert als es der mephistohafte Mahler getan hätte, dem man Selbstmordattentate hätte zutrauen müssen.
Mit der Lorenz-Entführung 1975 sollte Mahler aus der Haft freigepresst werden. Der lehnte das ab, denn er hatte inzwischen zur Pseudo-KPD gefunden und war sich sicher, alsbald von den revolutionären Massen aus dem Gefängnis befreit zu werden.
Es kam anders. Nach seiner regulären Haftentlassung gelang es ihm – mit Hilfe seines Anwaltskollegen Gerhard Schröder (später: Bundeskanzler), wieder eine Zulassung als Rechtsanwalt zu bekommen.
Mahler hielt am 1. Dezember 1997 eine Laudatio zum 70. Geburtstag des nationalkonservativen Publizisten Günter Rohrmoser. Darin forderte er u. a., das „besetzte“ Deutschland müsse sich von seiner „Schuldknechtschaft“ zum aufrechten Gang seiner „nationalen Identität“ befreien. (Unter den Zuhörern auch: Hans Filbinger).
Als Rechtsanwalt vertrat er die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht. Anschließend trat er aus der NPD aus. Seine Begründung: „Die NPD ist eine am Parlamentarismus ausgerichtete Partei, deshalb unzeitgemäß und – wie das parlamentarische System selbst – zum Untergang verurteilt.“ Ohne Wagneroper geht es bei ihm nicht.
Der weite Weg des Horst Mahler, diesmal nach rechts, wurde wiederum erst durch Inhaftnahme aufgehalten. Als verbohrter Holocaustleugner handelte er sich mehrere Verurteilungen ein. Seine antisemitischen Tiraden, mit denen er mal wieder alles Vorhandene zu übertreffen versucht, sind bekannt und müssen hier nicht zitiert werden. Das Ausmaß seiner Bescheuertheit ist daran zu erkennen, daß er die Existenz der Bundesrepublik Deutschland abstritt und auf der Weiterexistenz des Deutschen Reiches nebst Nazi-Gesetzen beharrte. Den über ihn verhandelnden Richtern und Schöffen und den Abgeordneten des Bundestages drohte er mit der Todesstrafe, wenn die Institutionen des Dritten Reiches erstmal wieder eingesetzt sind.
Man fragt sich, wann die Wendung von links nach rechts eingesetzt haben mag. Wohl schon beim Anschluß an die KPDAO, die ja auch eifrig darin war, den Antiautoritarismus der „68er“ zu „liquidieren“ und zu der das nationalistische Gefasel vom „besetzten Deutschland“ gepaßt hätte.
Mahler hat mal gesagt, es hätte nie einen Bruch in seinen Grundüberzeugungen gegeben. Das ist auf alarmierende Weise glaubhaft. Der Reichsbürger-Wahn kommt ja auch bei vielen Linken gut an.

HFP-SOS-WStrMahlerIn meinem Film „Switch on Summer“ (Hut-Film 1975) wird Horst Mahler von W. Strähler dargestellt.

Bilder einer Vergewisserung (16-24)

pf2015-16Nachdem man die Häuser in Vordergrund passiert hat, dort hinter den sieben Platanen (oder acht. Oder neun):
Stand einst die Mülheimer Villa.
In DER METZGER Nr. 24 (Februar 1975) schrieb Rolf Menrath über das „selbstverwaltete Wohnprojekt“.
Da wohnten sie alle. Ich wohnte nicht da, war aber oft zu Besuch. (Was Kommune betrifft: Der Besucher ist stets besser dran).
Hinter dem Haus war eine große Veranda, von der aus man weit ins Tal blicken konnte. Ich erinnere mich an eine ganz große Sommernachts-Party. Mit der Zeit drang durch, daß hier die Verlobung von Che und Frauke gefeiert wurde – oder war es sogar die Hochzeitsfeier? Nein, ich spreche nicht von Che Guevara, sondern von Che Urselmann, der die Zeitschrift ZERO herausgab. Und Frauke managte die Theke im Eschhaus. Ich bewunderte sie, weil eine solche Arbeit angesichts einiger sehr schräger Vögel, die da ihre Schrägheit ventilierten, nur mit einem sehr hohen Maß an Souveränität zu bewältigen war.
Von der Mülheimer Villa – nach ihrem Abriß – ist nochmal in DER METZGER Nr. 39 die Rede. Heute steht an der Stelle irgendeine andere „Wohnbebauung“. Villen baut man stattdessen an Stellen, wo sie nicht hingehören.
Über ein etwas komisches Erlebnis in der Villa berichtete ich in meinem Buch „Der Gartenoffizier“ auf Seite 163f.

pf2015-17Die Landschaft hinter der Villa.

pf2015-18Ach, erzählen Sie ruhig, die Elektrizität wäre hier erfunden worden. Weil das so aussieht: in dem Häusken hinter den Häuskes. Das können Sie getrost erzählen, weil das sowieso keiner glaubt.
Bringen Sie die Oberleitung als Argument ins Spiel.

pf2015-19Das Haus habe ich Ihnen doch schon mal gezeigt und gesagt, daß ich Ihnen die Geschichte dazu vielleicht mal erzähle. Also:
In diesem schönen Haus wohnte eine, die ich kannte, Schülerin des Frau-Rat-Goethe-Mädchengymnasiums, die unserer kleinen und sehr agilen Radikal-Gruppe angehörte, die sich „Kommune“ nannte (und, das darf ich sagen, es besser machte als die meisten Gruppen, die sich so bezeichneten. Außer mir zwei Arbeiter, ein Lehrling, drei Schülerinnen, kein Student). Wir hatten gerade an den Weihnachtstagen (1968) auf dem Bahnhofsvorplatz einen Hungerstreik veranstaltet (wegen Vietnam). Der Vater der Villenbewohnerin, der Villenbesitzer also, zeigte Sympathie für unsere umstürzlerischen Konzepte und lud uns ein. Es ging wohl darum, uns finanziell unter die Arme zu greifen.
Die Genossin (Christiane hieß sie) hatte ein sehr großes Zimmer. Da stand auch ein Klavier, auf dem ich dann spielte – obwohl ich gar nicht klavierspielen kann. Aber mit einem Klavier funktioniert sowas, anders als – etwa – mit einer Klarinette. In einem Regal standen viele Bücher, und zwar alle aus der rororo-Taschenbuchreihe. (Vielleicht hat sie Bücher aus anderen Verlagen irgendwo verborgen aufbewahrt).
An der Wand hing ein großes pygophiles Poster, was meine Sympathie für die Zimmerbewohnerin weiter steigerte. Ich finde es gut, wenn Frauen auch einen Blick für sowas haben.
Das Gespräch mit ihrem Vater, der nach langem Zögern sein Lampenfieber überwand und sich uns Revoluzzern aussetzte, verlief eigentlich sehr harmonisch.
Viel hat er dann jedenfalls nicht springen lassen.
Nach der Rückfahrt mit der Straßenbahn nach Duisburg (Oberleitung siehe oben) brachte ich die Genossin Anne nach Hause. Es war ein Schnee gefallen. Der trockene Pulverschnee knirschte unter unseren Schritten. Wir waren schon auf dem Lith. Ich dachte: Nur noch da vorn die Ecke rum, dann ist sie zu Hause. Und ich dachte: Jetzt! Jetzt! Jetzt! werde ich sie einfach in’n Arm nehmen und küssen! Und dann stellte sich heraus, daß sie schon seit Monaten darauf gewartet hatte.
Pech für die Mädchen, die sich in so einen schüchternen Jungen verlieben. Da dauert das immer moo-naa-tee-laang.

pf2015-20Ich kann mir nicht helfen und ich weiß nicht warum. Immer wenn ich hier unterwegs bin, wo zwischen Radweg und Fahrbahn ein Parkstreifen angelegt ist, überkommt mich eine geheimnisvolle Melancholie. Da kann der Herr Nappenfeld noch so viel Metall gestalten.

pf2015-21pf2015-22Jetzt die Biege ins Gewerbegebiet, zur Ruhr? Nein, heute nicht.

pf2015-23In irgendeiner Nebenstraße – diese war’s wohl nicht, aber so ähnlich – bin ich mal mit dem Strähler gewesen. Das war Ende der 70er Jahre. Wir (Hut-Film) besuchten da den Dokumentar- und Experimental-Filmer Reinald Schnell. Der wohnte da mit seiner Mutter, der Frau des Schriftstellers Robert Wolfgang Schnell. Ich war froh, mal eine Wohnung zu betreten, in der es so aussah wie bei mir zu Hause. Überall Zeitungen und Bücher auf Tischen und Stühlen.
An der Wand hing ein Miró, ein Original.
Soll ich Ihnen mal was sagen: Der Schnell fand meine Filme nicht so gut. Der fand die Filme von dem Strähler besser! Aber seine Mutter war von dem, was ich sagte, sehr angetan.
Wir organisierten dann einen Filmabend mit Reinald Schnell im Eschhaus. Er hielt einen einführenden Vortrag, von dem mir ein Satz besonders in Erinnerung blieb. Ein Zitat von Mitscherlich: „Was wir heute bauen sind die Slums von morgen.“

KneipeMuelheimDer Wendepunkt eines Pfingst-Ausgangs zum Zwecke der Vergewisserung (woher kommen wir, wohin gehen wir, hier: wo machen wir kehrt).
Das Bild habe ich Ihnen doch auch schon mal gezeigt. In dem Lokal hatten wir mal Klassentreffen. Das muß im Dezember 1974 gewesen sein (kurz nachdem Sartre Baader in Stammheim besucht hatte).
Als ich nach Hause ging, Mitternacht war schon vorbei, da merkte ich, daß ich ohne Hausschlüssel unterwegs war.

Der Kessel des Monats beziehungsweise Anstoßes

Als ich nach Neudorf zog (vor 39 Jahren), war bei der Wahl der Adresse auch von Bedeutung der freie Platz gegenüber.

HFPFiStrAuf diesem Bild aus meinem Film „Nummer 4“ (Hut-Film 1978) ist der Ausblick aus dem Fenster meines Arbeitszimmers zu sehen. Nicht nur ein weiter Blick, sondern auch weniger Geräusch als etwa in einer „Straßenschlucht“. Rechts, nicht mehr im Bild zu sehen, standen Behelfsbaracken für den Lehrbetrieb der nahegelegenen Universität.
Später wurde dann gegenüber das Fraunhofer Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme hingebaut (und ein paar Jahre später bis zur Lotharstraße erweitert), und der Blick aus meinem Fenster sieht jetzt so aus:

FrauenInstitutDadurch hat sich an der „ruhigen Wohnlage“ nichts geändert. Anders als anderswo parken hier am Abend weniger Autos als tagsüber und am Wochenende weniger als werktags. Gerade am Wochenende (kein Uni-Betrieb) ist das hier eine der ruhigsten Gegenden mitten in der Stadt.

Belästigt wird man hier höchstens von solchen Leuten, die sich belästigt fühlen, wenn sie nicht belästigt werden. Die Stille und Ruhe, die das Fraunhofer Institut um sich verbreitet, ist einigen Gequältgeistern ein Dorn im Ohr.
Schon vor ein paar Jahren kriegte ich mit, daß ein paar Leute die Nachbarschaft alarmierten, weil sie glaubten, üble Gerüche wahrgenommen zu haben, die von dem wissenschaftlichen Institut ausgehen sollen. Auch die Augen würden davon brennen.
Ich habe niemals in der Nähe des Instituts irgendeinen signifikanten Geruch oder eine Augenreizung wahrgenommen. Stattdessen sind mir öfter Nachbarn über den Weg gelaufen, die mich ungläubig fragten: „Haben Sie in der Nähe des Instituts irgendeinen signifikanten Geruch oder eine Augenreizung wahrgenommen?“ – „Nein.“ – „Ich auch nicht.“

Jetzt haben 53 Unterzeichner eine „Bürgereingabe“ unterzeichnet, in der sie sich über Geruch, Geräusche und Licht beschweren. Und zwar, nachdem schon 2012 eine Klage vor dem Verwaltungsgericht und 2013 vor dem Oberverwaltungsgericht gescheitert war.
Auch das Umweltamt hat jetzt nochmal alles nachgemessen und festgestellt, daß kein Grenzwert von gar nichts niemals überschritten wurde, und daß dies auch dann nicht geschehen würde, wenn die Grenzwerte halbiert würden.
In dem Institut werden – als Abfallprodukt der Forschungsarbeit – Mikrochips hergestellt, die in der Autoindustrie Verwendung finden. Deren Herstellung geschieht anscheinend, ohne daß Geräusche durch die Mauern und Fenster nach außen dringen. Was das Umweltamt da gemessen hat, war wohl das Grundrauschen der Zivilisation.
Bei der Chip-Herstellung wird als Rohstoff Stickstoff verwendet. Aha. Das ist in den beiden Kesseln, die hinter dem Institut stehen.
Stickstoff – das ist doch das farblose und geruchlose Gas, aus dem zu knapp 80 Prozent die Luft besteht.

Die braucht man doch nicht hinter dem Institut zu verstecken

Die braucht man doch nicht hinter dem Institut zu verstecken

Besonders komisch finde ich, daß sich die 53 Bürger über das Licht aus dem Institut beschweren. Ja, auch nachts brennt hinter ein paar Fenstern des Instituts noch Licht.
Als Mensch des 21. Jahrhunderts bestreite ich gar nicht grundsätzlich, daß dieses wissenschaftliche Institut – wie alles Gebilde von Menschenhand – „die Umwelt belastet“: Aber nicht mehr, als es durch jede andere Nutzung des Grundstücks – zum Beispiel „Wohnbebauung“ auch der Fall wäre. Die 53 Bürgereingabeneingeber kommen mir vor wie Leute, die verlangen, die Fahrräder durch Motorräder zu ersetzen, weil die Fahrräder eine viel zu laute Fahrradklingel haben.

Dahinter kam ich (2)

wald-15-04-13wald-15-04-14Der „Heilige Brunnen“ (so heißt das immer noch).
Regenwasser, das durch die Sandschichten versickerte und auf eine wasserundurchlässige Lehmschicht traf, so daß es am Südhang dieser Anhöhe wieder zutage trat. Also kein Wasser aus tieferen Schichten (sog. Mineralwasser) mit eventuell heilender Wirkung. Zur Kultstätte (in natursteinerner Monumentalität) wurde diese Stelle erst in den 30er Jahren erhoben.
Da hat man dann Kurzbehoste hingeleitet, damit die hier andächtig herumstehen und lauthals irgendwas schwören.
„Kein Trinkwasser“ steht in Stein gemeißelt da drüber.

wald-15-04-16Das Rinnsal hat ein richtiges Tal in die Landschaft geschnitten. (Nimm dir Zeit).

wald-15-04-17wald-15-04-18Dort, fern des Weges, entstand damals (1978) der legendäre 360-Grad-Schwenk zum Ende des Films „Le Onze Mai“ (Hut-Filmproduktion, auf DVD erhältlich).
Wer nicht weiß, daß damals die Kamera hier sich drehte, würde heute es nicht erkennen. Der halbzerfallene Hochsitz ist jetzt ganz zerfallen.

wald-15-04-19Mir fällt ein: Meine liebe Freundin Lina hat über einen Spaziergang auf diesen Wegen eine ihrer Kurzgeschichten geschrieben. Eine hochprickelnde, tieferregende Geschichte! Ist sowas möglich, über einen Waldspaziergang eine Erotik-Story zu schreiben? Ja. Die kann sowas.

Wird fortgesetzt.

Ja, wo steht er denn, wo liegt sie denn, wo hängt es denn (das Bild)?

„Dieses Bild habe ich im Original gesehen“, sagte mir einer, der kurz vorher das Wallraf-Richartz-Museum in Köln besucht hatte und nun die Abbildung des Originals auf einer Postkarte in einem der Weltbühne-Postkartenständer entdeckt zu haben glaubte.

LadyM4Kleiner, verzeihlicher Irrtum!
Francois Boucher hat im Jahre 1752 die 14jährige Louise O’Murphy auf weltberühmte Art porträtiert, und das Bild fand in den Äonen seither immer wieder Bewunderer, wobei die Bewunderung der wahren Kunstsinnigen dem betörenden Modell noch mehr galt als dem verdienstvollen Maler.

LadyM1Das weltberühmte und auf auf der Kunstpostkarte abgebildete Gemälde hängt allerdings gar nicht in Köln, sondern in der Alten Pinakothek in München.

Boucher fertigte – aus Gründen, die ich nicht kenne – eine zweite, sehr ähnliche aber doch etwas unterschiedliche Version dieses Bildes an. Welche die erste und welche die zweite Version ist, weiß ich nicht. Eines der beiden Bilder (siehe oben) ist in München, das andere (siehe unten) ist in Köln ausgestellt.

LadyM2Die Frage, welches der beiden Bilder das Schönere ist, ist müßig. Man wird keine Antwort finden. Das zweite erscheint sorgfältiger ausgearbeitet, man könnte das erste für eine Skizze für das zweite halten. Dennoch fand die in München ausgestellte Version mehr Aufmerksamkeit. Es gilt als die „eigentliche“ Arbeit.

1972 zitierte der US-amerikanische Pop-Art-Künstler Mel Ramos das Motiv. Ich habe das Bild wiederum zitiert in meinem Kurzfilm „Nr. 4“ (Hut-Filmproduktion 1978 – enthalten auf der DVD „Der 11. Mai“).

LadyM3Ramos‘ Bild hat den Titel „Ursela“ (sic!). Er hat Lady O’Murphy durch die Filmschauspielerin Ursula Andress ersetzt.
Der Name der aus der Schweiz stammenden Schauspielerin klingt im englischen Sprachraum nicht unverfänglich. Ihr inoffizieller Name lautete „Ursula Undressed“.
Auf dem Bild trifft es ja auch zu.

HFP-Cover-11-Mai

Was ist ein 68er?

Wat is en 68er? Ich bin kein 68er. Wenn Sie mich so nennen wollen, tun Sie’s. Wenn Sie das anerkennend meinen: gut. Wenn Sie das abwertend meinen: auch gut. Ich bezeichne mich nicht so. Ich kenne 68er. Mir sind viele über den Weg gelaufen, aber ich habe immer das Gefühl, denen über den Weg gelaufen zu sein.
Was ist ein richtiger 68er? Das ist einer, der mir im Februar 1968 gesagt hat: „Mensch, geh mir doch weg mit deinem Vietnam! Dat will doch keiner hören. Du bist ein unverbesserlicher Idealist! Bleib mir vom Leib mit Politik. Politik ist was für Proleten.“ – um mir dann im April 1968 zu attestieren, daß ich vom Widerstand des vietnamesischen Volkes gegen den US-Imperialismus nichts begriffen hätte, ich sei ein unverbesserlicher Pazifist, dem für die Strategie des antiautoritären Lagers gegen die Repression durch das Establishment vollends der Durchblick fehlt. Im Januar 1969 zeigte der richtige 68er mir einen Vogel, als er mich beim Lesen einer maoistischen Zeitung antraf, und im März 1969 erklärte er mir, daß ich, als typischer Kleinbürger, eine antiautoritaristische Macke hätte, aus mir würde nie ein anständiger Marxist-Leninist, weil mir für die proletarische Strategie vollends der Durchblick fehlt.
1971 erklärte mir der richtige 68er, daß ein unverbesserlicher 68er bin, der nur Politik im Kopf hat, anstatt im inneren Raum nach dem inneren Licht zu suchen. Für die psychedelische Katharsis fehlte mir einfach der Durchblick. 1973 erklärte mir der richtige 68er, daß ich ein unverbesserlicher Hippie und ständig bekifft bin. 1976 riet er mir, Dieter Duhm und das Neue Lote Folum zu lesen, ich sei nämlich 30 Jahre zurück. In den letzten Jahren habe ich vom richtigen 68er immer öfter gehört, daß Widerstand und Opposition Kinderkram ist, mit dem man nichts bewirkt.
Der richtige 68er hat mir attestiert, daß ich Reformist, Anarchist, Revisionist, unpolitisch, politisch, Dogmatiker, Abweichler, Sexist, Mitläufer, Außenseiter, Individualist, Stalinist und Pornograf bin, und zwar alles „unverbesserlich“. Der richtige 68er war immer schon „weiter“. Aber dahin wollte ich nie.

Wie kommt denn dieser Text hierher? Geschrieben habe ich ihn am 25. Februar 2001.
Das ist nämlich so: Mit Windows xp ist Schluß. Jetzt kommt Windows 7. Also muß ich unzählige Uralt-Text-Dateien, die noch in Uralt-Formaten gespeichert sind (TXT, sdw) hervorkramen und in einem neuen Format speichern, damit sie in Windows 7 überhaupt noch sichtbar gemacht werden können. Da tauchen im Keller die längst vergessenen Fragmente und Entwürfe auf, so auch dieses Dokument einer allgemeinen Verärgerung, das immerhin zwar zu Ende geschrieben, aber dann doch liegengelassen wurde – wohl für nicht gut genug gehalten. Naja, zum Besten, was ich geschrieben habe, gehört das ja auch nicht.
Ich zitiere es als Dokument meines beharrlichen Bemühens, dem Klischee von „68“ entgegenzuwirken. Das ist mir besser gelungen in dem Aufsatz „Es gibt keine 68er-Bewegung“, abgedruckt im Katalog der Ausstellung zur Jugendkultur des Kultur- und stadthistorischen Museums. Denn die Ziffer „68“ ist ein feindseliges Gerücht, weil damit eine Epoche zur Saison verkleinert wird. Wer sich selbst als „68er“ bezeichnet, ist keiner.
Die Verdikte Reformist, Anarchist, Revisionist, … Stalinist“ et cetera pepé (er)trage ich gelassen, vermisse es aber sehr, daß ich immer noch nicht als Trotzkist entlarvt worden bin. Besonders gefällt mir „Pornograf“.

Ich kann Ihnen übrigens versichern, daß es sich bei dem zitierten „echten 68er“ tatsächlich immer um ein- und dieselbe Person handelt – der einmal einem über mich erzählte, ich würde ja ständig meine Meinung ändern.

Barbara-1„Was haben Sie 1968 gemacht?“
Barbara-2
Wir haben uns die Freiheit genommen.
Barbara-HFP(Bild aus „Nummer 4“, Hut-Film).

Äpfel, Pflaumen, Birnen (Zweiter Teil)

Sie hat mich in das Zimmer geführt, das einstmals das Wohnzimmer ihrer Eltern war. Die ganzen alten Möbel stehen noch hier, nur jeglicher Zierrat ist entfernt. In der Vitrine des Wohnzimmerschranks liegen Stapel von Zeitungen. Ich sitze auf einem durchgesessenen Sofa, sie sitzt mir gegenüber auf einem Sessel mit durchgewetzten Armlehnen.
Sie hat zwei Gläser auf den Tisch gestellt und gießt aus einer Flasche ohne Etikett ein.
„Das ist unser klassischer Birnenwein. Der ganze Keller ist davon voll, und jedes Jahr kommen neue Flaschen hinzu.“
„Du machst immer noch Wein aus Birnen?“
„Ich hab‘s mir von meinem Vater zeigen lassen. Nur das Schnapsbrennen hab ich nicht kapiert. Der Schnaps geht irgendwann zur Neige. Aber alles andere, die Gelees, den Kompott mache ich immer noch selbst. Das habe ich an den Wochenenden gemacht. Jetzt hab ich mehr Zeit dafür, seitdem ich arbeitslos bin.“
„Ach!“
„Ja. Komm, laß uns anstoßen! Auf die neue Zeit! Und auf die gute alte!“
Kling!
Kling!

Unsere Volksschule

Unsere Volksschule

„Hmm!“
„Schmeckt dir, was? Ja, die haben mich wegrationalisiert. Ich war bei Bayer, erst in Uedringen, dann in Wuppertal. Ich hab ja Betriebswirtschaft studiert mit Doktor.“
„Frau Doktor Ulmer!“
„Hör auf! Ich bin froh, daß ich nicht mehr jeden Morgen nach Wuppertal brausen muß und nicht mehr jeden Nachmittag im Stau stehen muß.“
Jetzt reden wir über unsere Lebensläufe. Wir beide sind fast auf den Tag genau aus unseren KPD/MLen rausgeflogen. „Ausgeschlossen! Um mich loszuwerden, mußten die mich rausschmeißen.“ (Gilt für sie und für mich). „Schade um die vergeudeten anderthalb Jahre! Hätten wir mehr draus machen können.“
„Die Bücher da draußen“, sagt sie, „habe ich für dich da hingestellt.“
„Ach was!“
„Dochdochdoch! Ich wußte, daß du irgendwann mal kommst, daß du dich irgendwann mal traust.“
„Und was bedeutet das? Räumst du auf mit deiner revolutionären Vergangenheit?“
„Beleidige mich nicht! Für was hältst du mich? Neinnein. Das sind die Bücher, die ich doppelt habe.“
„Bücher doppelt?“
„Sowas passiert. Einmal hab ich zum Geburtstag drei mal das gleiche Buch geschenkt gekriegt. Neenee, ich bin nicht vom Glauben abgefallen, falls du das meinst. Besser gesagt: Ich bin nicht übergelaufen. Aber ich bin in keinem Verein mehr drin. In keinem. Nie wieder! Nach der ML war ich beim Sozialistischen Büro. Aber das hat sich ja auch in Wohlgefallen aufgelöst. Immerhin war ich zehn Jahre lang im Betriebsrat, bis die von der IG Chemie mich nicht mehr sehen wollten.“
Sie erzählt, daß sie kaum ein Konzert verpaßt, ob Rockkonzerte oder Jazz oder Chanson. Sie erzählt von ihrer Plattensammlung (fast tausend LPs), von ihren Büchern, ihren Lektüren und ihren Zeitungen: „Die Taz hab ich abbestellt, das Käseblatt. Stattdessen lese ich die Süddeutsche. Die Junge Welt kaufe ich nur einmal im Monat, obwohl ich in der Genossenschaft bin – eine Genossenschaft ist ja kein Verein. Die UZ vergesse ich immer abzubestellen. Aber man braucht ja auch was, um den Rhabarber darin einzuwickeln.“
Sie erzählt von ihren Jobs. „Ich habe immer in diesem Haus gewohnt, nie woanders. Ich habe immer gependelt, zur Uni nach Bochum, dann zu meinen Jobs zuerst in Köln, zuletzt in Wuppertal. Jetzt habe ich mein Auto verkauft, weil ich niiie mehr pendeln will. Hier in Buchholz kann man ganz gut einkaufen, ich brauche kaum raus aus dem Viertel. Es gibt ja auch noch die Straßenbahn.“
„Du kriegst jetzt ALG 1?“
„Ja.“
„Und wenn du ALG 2 bekommen willst, nehmen die dir dann nicht das Haus weg und verfrachten dich nach Marxloh oder Bruckhausen?“
„Mich kriegt hier keiner weg. Dann sollen die doch ihr ALG Hartz einszwodreivier behalten und mich am Arsch lecken. Ich hab gut verdient, sehr gut verdient und gespart. Und viel brauch ich nicht. Das Haus gehört mir, ich bezahle keine Miete. Und einiges hole ich mir aus dem Garten. Gemüse, sogar Kartoffeln, und Obst natürlich. Ich hab noch nie Marmelade gekauft. Und ‘n Hühnerstall hab ich auch noch.“
Sie erzählt: „Ich hab nie mit einem Mann zusammengelebt. Ich war immer Single.“ Sie erzählt: „Einige Zeit habe ich – wie soll ich sagen – die Männer verschlissen. Aber sei mir nicht böse. Unglücklich gemacht hab ich sie nicht. Schon deshalb nicht, weil ich nie mit einem zusammengezogen bin. Früher hatte ich öfter was mit Frauen, mit Mädchen besser gesagt. Das hat mir mehr Spaß gemacht.“
„Ein bißchen bi schadet nie.“
„Ein bißchen bi, hihihi! Fünf Jahre war ich mit einer Frau zusammen, hier unter diesem Dach, mit allem drum und dran – wenn du weißt, was ich meine. Bis die sich ein anderes Modell gesucht hat“, sagt sie mit etwas Wehmut und etwas Zorn. „Wir sind gerade mal einen Monat auseinander. Prost!“
Sie erzählt, daß sie früher ein- oder zweimal in der Woche im Finkenkrug war.
„Im Finkenkrug? Das ist keine hundert Meter von meiner Wohnung entfernt.“
„Du wohnst in Neudorf?“
„Ja, auf der Finkenstraße. Das war immer mein Traum. Neudorf!“
„Das Intellektuellenviertel.“
„Ist auch nicht mehr das, was es mal war.“
„Aber Neudorf paßt zu dir.“
Sie hat, nun schon zum dritten Mal, von dem Birnenwein nachgeschenkt.
„Du mußt doch nicht noch gleich fahren, oder?“
„Neinnein. Ich bin auch ein Straßenbahnbenutzer. Aber transportiert die DVG auch Besoffene?“
„Soweit muß es ja nicht kommen. Hör mal, ich erzähl dir alles von mir, jetzt red du mal, du Rechtsabweichler oder Linksabweichler! Ich weiß gar nicht mehr, was für‘n Abweichler wir dich damals genannt haben. Bist du noch bei der Fahne? Bist du in einem Verein? Los! Rechenschaftsbericht! Erzähle!“
„Jaaa. Ich bin in einem Verein. Ich bin in der DKP.“
„Waas? Duu? In der Dekapée? Hahaha! Nee, is‘n Scherz, oder?“
„Kein Scherz.“
„In‘ner Dekapée! Ausgerechnet du! Du bist wohl auch nicht aus Schaden klug geworden. Aber beruhig dich. Ich hab euch immer gewählt. Die UZ werde ich jetzt doch nicht abbestellen, versprochen. Vielleicht lese ich die sogar mal dir zuliebe, du – Abweichler du!“
Sie hat wieder nachgegossen und hebt ihr Glas: „Auf die Genossen! Auf die Standhaften und ihre Gesichter!“
Kling!
Kling!
„Aber deine Party, deine Par! Tei! ist doch nicht dein ganzes Leben.“
„Also: Ich habe mir einiges vorgenommen: Einmal im Leben…“
„…Einmal im Leben ein Haus bauen, einen Baum pflanzen, einen Sohn zeugen und einen Mann erschießen?“
„…Und in ein fremdes Land einmarschieren? Nichts davon! Einmal im Leben ein Buch schreiben. Einmal im Leben eine Schallplatte machen. Einmal im Leben einen Beitrag in Konkret unterbringen. Einmal im Leben in einer Rock-and-Roll-Band sein. Einmal im Leben einen Film machen. Einmal im Leben als Kabarettist vor Publikum auftreten. Das hab ich alles gemacht. Ich mußte es einmal machen und durfte es öfter machen. Ich habe ein paar Bücher geschrieben, ein paar Schallplatten gemacht – CDs, ein paar Filme gemacht – DVDs, bin unzählige Male als Kabarettist aufgetreten.“
„Hör mal, du hast doch auch mal so ein Blättchen herausgegeben mit so einem komischen Namen: Fritz oder Karl oder Otto.“
„Nein: ‚Der Metzger‘ heißt das.“
„Ach ja! ‚Der Metzger‘! So hieß das.“
„Das mache ich immer noch.“
„Immer noch? Immer noch ‚Der Metzger‘?“ Sie beugt sich zu mir vor und tippt mir auf die Nase. „Ich habe dich unterschätzt!“ Sie plumpst wieder in ihren Sessel. „Und du schreibst?“
„Früher schrieb ich lange Aufsätze. Heute schreibe ich eher Glossen und Geschichten.“
„Zum Beispiel über sowas wie die Begegnung mit einer alten Freundin?“
„Jjjjjjja, das könnte ich mir vorstellen, so eine Geschichte zu schreiben.“
Sie will einiges mehr wissen über meine Arbeit, und auch über meine Ökonomie.
„Wir haben beide diese Stadt nicht verlassen“, sage ich, „da wundert es mich, daß wir uns nie begegnet sind. Warst du eigentlich nie im Eschhaus?“
„Doch, ein paar mal.“
„Und wir sind uns nie begegnet?“
„Da war so‘n kleiner Buchladen drin. Hattest du damit was zu tun?“
„Das kann man wohl sagen. Das war mein Laden.“
„Ach! Da hab ich mir ab und zu mal einen Arm voll Bücher gekauft.“
„Dann verdanke ich also dir meinen Reichtum.“
„Da war immer so‘n großer Dicker in den Laden.“
„Das war der Eppler.“
„Eppler. Aha.“
„Und jetzt habe ich immer noch einen Buchladen. In Neudorf auf der Gneisenaustraße.“
„Ach, davon habe ich gehört. Das ist dein Laden? Ich muß wohl mal vorbeikommen.“
„Es wird die höchste Zeit.“
„Na hör mal! Du hast dir auch nicht wenig Zeit gelassen, du Abweichler!“

FORTSETZUNG FOLGT.

Mit dem Hut ins Theater. Das ging.

Es ist also über die Bühne gegangen – über die Theater-Bühne am Sonntag, das Konzert der Peter Bursch All Star Band zur Feier des hundertjährigen Bestehens des Duisburger Stadttheaters. (Siehe Eintrag vom 17. Oktober).
„Bursch & Co ließen es so richtig krachen“, stand heute in der WAZ. „Musikalische Überraschungen gab es kaum, aber dafür sind solche Abende ja auch nicht da.“ Richtig. Gleichwohl wage ich zu sagen: sowas hatte das Stadttheater in hundert Jahren noch nicht erlebt.

Konzertfotos von den Acoustic Nights 2011

Die All Star Band, die es seit 20 Jahren gibt, ist spezialisiert auf Cover-Versionen von Rock-Klassikern (an diesem Abend solche der 70er Jahre). Die Cover-Versionen brauchen sich hinter den Originalen nicht zu verstecken. Da sind Vollblut-Musiker am Werk, „in die Jahre gekommen“, also zur Reife gelangt, die dem Publikum großes Können darbieten. Überraschung des Programms war das Mitwirken des Streichquartetts der Duisburger Philharmoniker bei zwei Stücken.
Das Lob der Sängerin Birgitt Theiss an das ganz besondere Duisburger Publikum war nicht bloß eine Höflichkeitsfloskel. Es stimmt. Mich erinnerte das an unsere „Heimspiele“ der Bröselmaschine.
Das Theater, der Tempel der Hochkultur, büßte nichts von seiner Noblesse ein, als es „so richtig krachte“. Wir haben nämlich die Welt verändert.
Noch ein Klassiker (wenn ich so sagen darf), ein optischer war mein Filmchen „Kö“, das in Endlosschleife auf drei Monitoren im Foyer lief. Da standen tatsächlich Scharen von Leuten staunend und amüsiert davor. Dabei ist da doch nix anderes zu sehen als eine Straße immer wieder rauf und runter.

Hut-Film „Kö“

Hinterher Empfang auf der Bühne. Alles schwarz, der Boden, die Decke, die Wände, und riesig: eine Halle um ein Vielfaches größer als der Zuschauerraum, so funktional (und darum so schön) wie eine Fabrikhalle. Soetwas habe ich zum letzten Mal gesehen, als ich bei Mannesmann war. Man fühlt sich wohl in einer Atmosphäre der Leichtigkeit nach der Anspannung.

Da ist man ja froh, wenn man zum Ehrenmann befördert wird, in dem Eintrittspreis von nulleuronullundnullzig die Gebphren enthalten sind und man dann noch in einem Raum eingeladen wird, in dem ein Büffet steht. Spargel gab es natürlich nicht.

„Du kommst doch auch zum Weihnachtskonzert“, fragte mich der Akkordeonspieler der Band Barney Brands (gemeint: die Acoustic Nights 2012 im Steinhof). Würde ich gern. Mal sehen, was sich ergibt.

 

Mit dem Hut ins Theater. Das geht.

Das Duisburger Stadttheater gibt es seit hundert Jahren.
Darum: ein Festprogramm.
Darin: eine 70er-Jahre-Show mit der Peter Bursch All Star Band, am Sonntag, 21. Oktober 2012 um 18 Uhr.
Teil der Show: Der Film „Kö“, mein Opus aus dem Jahre 1978 (Hut-Film, 10 Minuten).

Als die Kö noch schön war

Da werden die Leute sagen: „Hut-Film? Kennen wir doch noch aus dem Esch-Haus.“

Stecken immer noch unter einer Decke: H.L. und Peter Bursch

..

Nach der Revolution gibt es Kaffee und Kuchen

16 Bilder aus dem Film von 1975.
„Nach der Revolution gibt es Kaffee und Kuchen“ war mein erster fertiggestellter Film, produziert von der „Hut Filmproduktion“, uraufgeführt im Eschhaus. Er dauert 10 Minuten.

 

Anlaß war, daß Friedhelm Ripperger, den alle nur unter seinem Spitznamen Obelix kennen, gerade wieder in die Freiheit entlassen worden war. Da er über ein Jahr wegen Dope eingesessen hatte, sahen wir ihn als politischen Gefangenen. Darum wurde er von der Roten Hilfe betreut (die Duisburger Rote Hilfe galt als sehr eigenwillig und „freakig“ und wurde von einigen anderen Rote-Hilfe-Gruppen beargwöhnt).
Der Film darf als ein Manifest der hedonistischen Linken aufgefaßt werden. Der Utopie einer „Gleichheit in Kargheit“ wird widersprochen.

Das gehört noch zum Vorspann: Der Regisseur trinkt Kaffee.

Magda Gorny und Wolfgang Strähler.

Friedhelm Ripperger, genannt Obelix.

Das letzte Bild ist ein Foto aus der Portugiesischen Revolution („Nelkenrevolution“), die das faschistische Regime beseitigte. Grund zum Feiern.

Das schöne rote Nachspannband ist Teil des Films! Das ist der Moment der Ruhe nach der Geschichte. Ich kann die Leute nicht leiden, die im Kino, sobald der Nachspann beginnt, aufspringen und aus dem Kino rennen, als wären sie auf der Flucht.
Über den Film ist im Internet ein Kommentar von Mario Weißenfels zu lesen. Die Folkband Ship of Ara verwendete den Film für einen Videoclip .


„Nach der Revolution gibt es Kaffee und Kuchen“ ist auf der DVD „Der 11. Mai und andere Kurzfilme von Helmut Loeven“ enthalten (für 12,50 € in der Buchhandlung Weltbühne – auch im Versand – erhältlich).