Sittlichkeit und Kreativität

In früheren Zeiten, als es noch sittlicher zuging als heute, waren die Erschwernisse, Filme in einem Lichtspieltheater zu sehen, entsprechend größer.

FSK_ab_18Filme waren damals schon, wie heute, ab 6, 12, 16 und 18 Jahren freigegeben. Manche Filme aber waren „freigegeben ab 21 Jahre“ (das war der Fall bei „nackter Busen sichtbar für eine Sekunde“).
Für scharfe Filme gab es eine Freigabe ab 35 Jahre.
Die besonders scharfen Filme waren erst ab 65 Jahre freigegeben.
Und in die ganz besonders scharfen Filme durfte nur noch Tilla Durieux reingehen.
Aber nur in Begleitung von Adenauer.

„Die vernichtende Gewalt des Redlichen“

Zitat:
Thomas Fischer in der „Zeit“ (6. März 2014):

[…]
Das Strafrecht lebt – wie jede andere formelle oder informelle Sanktionierung abweichenden Verhaltens – davon, dass es klare gesetzliche Grenzen zieht zwischen erlaubtem und unerlaubtem Verhalten. Diese Grenzen sind nicht zu dem Zweck erfunden worden, Staatsanwälten Anhaltspunkte für den Start von Vorermittlungen oder für die Anberaumung von Pressekonferenzen zu geben, sondern allein um der Bürger willen. Die wollen nämlich, seit sie sich als Bürger und nicht als Untertanen verstehen, eine Staatsgewalt, die die Guten und die Bösen voneinander scheidet, ohne zu diesem Zweck zunächst alle des Bösen zu verdächtigen und auch so zu behandeln.
Wenn nun aber die, die das Erlaubte tun, „nach kriminalistischer Erfahrung“ stets auch das Unerlaubte tun und deshalb, gerade weil sie Erlaubtes tun, vorsorglich schon einmal mit Ermittlungsverfahren überzogen werden müssen, hat die Grenzziehung jeden praktischen Sinn verloren. Strafrechtspraktisch befinden wir uns dann wieder im Zustand von Tombstone zu Zeiten von Wyatt Earp und Konsorten, als die Frage, wer Staatsgewalt sei und wer Räuber, noch offen war: Der vernichtenden Gewalt des Redlichen kann nur entkommen, wer sie freudig begrüßt und aktiv unterstützt. Gerechtfertigt wird dies mit der goldenen Regel aller Stammtische: Wer nichts zu verbergen hat, muss auch nichts befürchten.
[…]
Vielleicht sollte sich der Rechtsstaat – jedenfalls vorläufig, bis zum Beweis des Gegenteils – bei dem Beschuldigten Sebastian Edathy einfach entschuldigen. Er hat, nach allem, was wir wissen, nichts Verbotenes getan. Vielleicht sollten diejenigen, die ihn gar nicht schnell genug in die Hölle schicken wollen, vorerst einmal die eigenen Wichsvorlagen zur Begutachtung an die Presse übersenden. Vielleicht sollten Staatsanwaltschaften weniger aufgeregt sein und sich ihrer Pflichten entsinnen. Vielleicht sollten Parteipolitiker ihren durch nichts gerechtfertigten herrschaftlichen Zugriff auf den Staat mindern. Vielleicht sollten aufgeklärte Bürger ernsthaft darüber nachdenken, wo sie die Grenze ziehen möchten zwischen Gut und Böse, zwischen dem Innen und Außen von Gedanken und Fantasien, zwischen legalem und illegalem Verhalten. Zwischen dem nackten Menschen und einer „Polizey“, die alles von ihm weiß.

Thomas Fischer ist Vorsitzender Richter des Zweiten Strafsenats des Bundesgerichtshofs.

OscarWildeMoral..

Ulrike Heider ist jetzt da (genauer gesagt: ihr Buch)

Vor ein paar Tagen habe ich es hier angekündigt, und jetzt ist es eingetroffen, das bemerkens- und empfehlenswerte Buch von Ulrike Heider – eine rationale (Gegen-)Stimme in dem Kontext, den die guten Geister verlassen, wenn das Neo-Establishment sich von seinen „68er“-Sünden sauberwaschen will – und erst recht, wenn’s um’s Geschlechtliche geht.
v_gelnWomit kriegt man es zu tun?
Dazu zwei Zitate aus einem Interview mit Ulrike Heider in der Taz: vom 5.12.2013:

„Freuds Lehre von der kindlichen Sexualität war ja nach der Nazizeit gerade erst wieder rehabilitiert worden. Kinderladengründer und Eltern bemühten sich, alle Äußerungen kindlicher Sexualität zu akzeptieren. Man erlaubte Masturbation und Doktorspiele. Und wenn Kinder dem Cohn-Bendit an den Schwanz gegriffen haben, hat er ihnen nicht auf die Finger gehauen. Später hat er gesagt, er hätte das nur erfunden. Ich kann mir aber vorstellen, dass es so passiert ist. Das fände ich nicht schlimm. Und wenn er ein Kind auch unter der Gürtellinie gestreichelt hat, finde ich auch das nicht schlimm. Das hat nichts mit Pädophilie zu tun. […]
Man dachte damals anders. Der Sexualforscher Alfred Kinsey zum Beispiel meinte, dass ein Kind von einer gewaltfreien sexuellen Annäherung durch einen Erwachsenen nicht verstört wird. Erst die hysterischen Reaktionen von Eltern, Polizisten und Richtern auf so einen Fall schadeten Kindern im Nachhinein. Fast alle Sexualwissenschaftler waren damals ähnlicher Meinung. Deshalb finde ich es idiotisch, wenn Leute, die wegen ihrer Meinung von vor 30 Jahren der Aufforderung zum Missbrauch bezichtigt werden, jetzt mit Zwecklügen und Rationalisierungen reagieren. Wenn die Diskussion nicht so unhistorisch und moralistisch geführt würde, könnte Cohn-Bendit sagen: Die haben sich an mir zu schaffen gemacht, und ich habe es ihnen nicht verboten. Jürgen Trittin könnte sagen: Ich war presserechtlich verantwortlich für ein Arbeitspapier, das die Aufhebung von Schutzaltersgrenzen forderte, aber das hätte jeder andere sein können. Volker Beck, der in einem Sammelband zum Thema Pädophilie einen Artikel geschrieben hat, könnte sagen: Ja, ich habe das geschrieben, weil ich damals so dachte. Ich habe meine Meinung inzwischen geändert.“

„Ich habe mich in der ganzen 68er Zeit nie von einem Mann unter Druck gesetzt gefühlt. Nie hat einer etwas gesagt wie: „Wenn du jetzt nicht mit mir schläfst, bist du nicht emanzipiert.“ Viele Frauen, darunter ich, begriffen das Recht auf freie Liebe als ein Frauenrecht. In den 70ern kam eine Stimmung auf, in der Feministinnen die Sexrevolte als reine Männerangelegenheit abgetan haben. Es hieß, nur die Männer hätten profitiert. Sie hätten Frauen zum Sex gezwungen. Ich habe das so nicht erlebt.“

Ulrike Heider: Vögeln ist schön. Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt. Rotbuch Verlag 2014. 320 S. 14,95 Euro.

Das Buch ist in der Buchhandlung Weltbühne erhältlich und sollte auch dort bestellt werden (auch für den portofreien Versand).
Buchhandlung Weltbühne ist auch schön.

Von Adorno bis Porno – Lesung mit Ulrike Heider

Am Samstag, 15 März um 20 Uhr liest Ulrike Heider im Lokal Harmonie in Ruhrort aus ihrem Buch VÖGELN IST SCHÖN, das in den nächsten Tagen erscheint.
Der Verlag stellt sein Buch vor:
1968 das Jahr, das die Bundesrepublik veränderte wie wenig andere: Die junge Generation begehrte gegen das Establishment und den „Muff von tausend Jahren“ auf, propagierte freie Liebe und wollte Ehe und Familie abschaffen. Zugleich schwappte mit Oswalt Kolle die erste Sexwelle über Deutschland, und die Kommerzialisierung von Liebe und Sexualität begann. Heute scheinen die Kämpfe ausgefochten, aber der Schein trügt. Der Erfolg von Büchern wie „Feuchtgebiete“ oder „Fifty Shades of Grey“, die anhaltende Diskussion um die „Homoehe“ oder das von der Regierung vertretene Frauenbild beweisen: die Entwicklung geht wieder zurück und ein sexueller Neokonservatismus ist auf dem Vormarsch. In „Vögeln ist schön“ blickt Ulrike Heider auf die Sexualdiskurse der letzten 50 Jahre zurück. Von der späten Adenauer-Ära und der Studentenrevolte über die Frauen- und Schwulenbewegung bis zu den aktuellen Debatten über Pornographie, Sadomasochismus oder der Pädophilie-Debatte bei den Grünen geht sie der Frage nach, wie sich Sexualität zur historischen und politischen Entwicklung verhält. Sie vergleicht die Ideale von damals mit heutigen Normen, Tabus und Moralvorstellungen, benennt Auswirkungen, Erfolge und Versagen der Sexrevolte.
v_gelnUlrike Heider: Vögeln ist schön. Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt. Rotbuch Verlag 2014. ca. 256 S. ca. 14,95 Euro.

Lokal Harmonie e.V., Harmoniestr. 41, 47119 Duisburg (Ruhrort). Eintritt 10 bzw. 5 Euro.

Das Buch erscheint in den nächsten Tagen und ist in der Buchhandlung Weltbühne dann erhältlich und sollte auch dort bestellt werden (auch für den portofreien Versand).
Buchhandlung Weltbühne ist auch schön.

Verfolgende Unschuld

Eine Freundin erzählte mir, was ihre 9jährige Tochter ihr berichtet hatte: Sie war mit einer Schulfreundin auf dem Weg von der Schule nach Hause. „Und da kam so‘n Mann, der hat sein Pimmelchen gezeigt. Der war vielleicht doof!“ Damit war für das Kind die Sache erledigt. Der Mann war für das Kind nicht ein Verbrecher, nicht ein „Unhold“, sondern schlicht ein Blödmann. Fertig.
„Wenn ich mich ‚korrekt‘ verhalten hätte, hätte ich meine Tochter zu so einer Emanzengruppe schleppen müssen, und die hätten sie doch erst richtig traumatisiert.“ Ich sagte: „Die hätten deine Tochter so lange in die Mangel genommen, bis sie gestanden hätte, schockiert gewesen zu sein.“

Zitat:
„Die Deutschen sind besessen, jede Sache so weit zu treiben, daß etwas Schlimmes daraus wird.“
(George Bernard Shaw)

Zitat:
„Woher weiß die verfolgende Unschuld eigentlich, daß der Mißbrauch ein Mißbrauch war? Das ‚Opfer‘ von Polanskis Übergriff, heute eine 40jährige Mutter von drei Kindern, hat mehrmals darum gebeten, den Fall ruhen zu lassen, sie hege gegen den Beschuldigten keinen Groll. Und sie gab bekannt: Nicht so sehr der Übergriff von Polanski habe ihr zugesetzt, dafür aber viel mehr die Verhöre, denen sie danach unterzogen wurde.“
(Lina Ganowski: „Verfolgende Unschuld“ in DER METZGER 87)

Blinde Empörung

BlindFaithHad To Cry Today; Can’t Find My Way Home; Well All Right; Presence Of The Lord; Sea Of Joy; Do What You Like. Eric Clapton (Gitarre), Ginger Baker (Schlagzeug), Steve Winwood (Orgel, Klavier und Gesang), Ric Grech (Bass, Violine). Blind Faith 1969
„Für das Cover der amerikanischen Ausgabe wurde daher stattdessen ein neutrales Foto verwendet.“

P.S.: Ist es nicht erstaunlich, daß Frau Alieze S. zum Edathy-Skandal ihren Senf nicht hat erschallen lassen? Was Steuerangelegenheiten doch manchmal für angenehme Wirkungen nach sich ziehen!

Ein Appell gegen die Kriminalisierung der Sexualität

Ein Appell gegen die Kriminalisierung der Sexualität,
gegen den Amoklauf der Moral,
gegen rechte Phrasen und das „Gesunde Volksempfinden“,
gegen konservativen Pseudo-Feminismus, gegen Alice Schwarzer
gegen die Rückkehr in die 50er Jahre.

Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistung
Für die Stärkung der Rechte und für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen in der Sexarbeit
Dienstag, 29. Oktober 2013

Prostitution ist keine Sklaverei. Prostitution ist eine berufliche Tätigkeit, bei der sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden. Ein solches Geschäft beruht auf Freiwilligkeit. Gibt es keine Einwilligung zu sexuellen Handlungen, so handelt es sich nicht um Prostitution. Denn Sex gegen den Willen der Beteiligten ist Vergewaltigung. Das ist auch dann ein Straftatbestand, wenn dabei Geld den Besitzer wechselt.
Prostitution ist nicht gleich Menschenhandel. Nicht nur Deutsche, sondern auch Migrant_innen sind überwiegend freiwillig und selbstbestimmt in der Sexarbeit tätig. Prostituierte, egal welcher Herkunft, pauschal zu Opfern zu erklären, ist ein Akt der Diskriminierung.
Obwohl Prostitution im Volksmund als das älteste Gewerbe der Welt gilt, ist sie in den wenigsten Ländern als Arbeit anerkannt. Im Gegenteil, Sexarbeiter_innen werden in den meisten Teilen der Erde verfolgt, geächtet und von der Gesellschaft ausgeschlossen. Deshalb fordern Sexarbeiter_innen weltweit die Entkriminalisierung der Prostitution und ihre berufliche Anerkennung.
Diesen Gedanken verfolgte auch die Bundesrepublik mit der Einführung des Prostitutionsgesetzes im Jahre 2002. Durch die rechtliche Anerkennung hat sich die Situation für Sexarbeiter_innen in Deutschland verbessert. Sie können ihren Lohn einklagen und haben die Möglichkeit, sich zu versichern. Außerdem ist die Schaffung angenehmer Arbeitsbedingungen und Räumlichkeiten nicht mehr als „Förderung der Prostitution“ strafbar. An den Rechten der Polizei, Prostitutionsstätten jederzeit zu betreten, hat das Gesetz nichts geändert. Die Zahl der Razzien hat seitdem zugenommen.
Zwar hat das Prostitutionsgesetz Schwächen und eine Reform wäre notwendig. Das Hauptproblem ist jedoch nicht das Gesetz selbst, sondern der fehlende Wille zu seiner Umsetzung in den einzelnen Bundesländern.
Entgegen vieler Behauptungen ist das Prostitutionsgesetz nicht für den Menschenhandel in Deutschland verantwortlich. Wie aus dem Lagebericht „Menschenhandel“ des BKAs hervorgeht, hat die Zahl der identifizierten Opfer seit seiner Einführung sogar abgenommen. Auch in Neuseeland, wo Prostitution seit 2003 als Arbeit anerkannt ist, ist keine Zunahme des Menschenhandels zu verzeichnen.
Zu den Faktoren, die Menschenhandel begünstigen, zählen globale Ungleichheiten, restriktive Migrationsgesetze sowie die Rechtlosigkeit der Betroffenen. Eine erfolgreiche Bekämpfung von Menschenhandel erfordert umfassende strukturelle Reformen auf globaler Ebene und einen menschenrechtsbasierten Ansatz.
Eine Kriminalisierung der Kund_innen, die erotische Dienstleistungen in Anspruch nehmen, ist zur Lösung dieser Probleme ungeeignet. Das sogenannte „Schwedische Modell“ hat zwar die sichtbare Straßenprostitution verdrängt, aber weder die Prostitution an sich, noch den Menschenhandel nachweislich reduziert. Die Arbeitsbedingungen haben sich indes extrem verschlechtert. Dänemark und Schottland lehnen die Einführung des „Schwedischen Modells“ bereits ab.

Darum fordern wir:
Beteiligung von Sexarbeiter_innen an politischen Prozessen, die sich mit dem Thema Prostitution befassen.
Keine Ausweitung der Polizeibefugnisse und keine staatliche Überwachung oder Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten.
Keine Kriminalisierung der Kund_innen, weder nach dem Schwedischen, noch nach einem anderen Modell.
Aufklärung statt Zwang und Verbot, staatlich geförderte Weiterbildungsangebote für Sexarbeiter_innen.
Kampagnen gegen Stigmatisierung und für einen respektvollen Umgang mit Prostituierten.
Bleiberechte, Entschädigungen und umfassende Unterstützung für Betroffene von Menschenhandel.

Liste der Unterzeichnerinnen und weitere Stellungnahmen bei sexwork-deutschland.de

Jetzt darf nur noch heimlich geraucht werden

Das stand in der Zeitung:
„Das NRW-Gesundheitsministerium erinnert an besondere Gesundheitsgefahren, die vom passiven Rauchen ausgehe (sic!). Der Tabakrauch in der Raumluft enthalte einige Gifte sogar in noch höherer Konzentration als der Rauch, der direkt inhaliert wird.“
Da kann man den Nichtrauchern doch nur empfehlen, mit dem Rauchen anzufangen.

Heute ist Internationaler Frauentag

Vor 33 Jahren und 3 Monaten erschien das Buch „Jedes Schulmädchen weiß es! Gedankengänge zur Sexualität & Emanzipation“ als Gemeinschaftsproduktion der Situationspresse und des Otz-Verlags. Es sind noch Restexemplare vorhanden, das Buch ist also noch erhältlich.
buch-hl-schulmaedchenDer schmale Band von 64 Seiten ist eine Sammlung von Beiträgen (3 Aufsätze und mehrere Glossen), die in DER METZGER verstreut erschienen waren, ergänzt durch Marginalien, Faksimiles und Bilder.
Bücher hat man damals noch ganz anders gemacht als heute, nämlich ganz un-digital und in vierstelliger Auflage. In diesem Fall wurde die (damals gebräuchliche) Herstellungsmethode einer Underground-Zeitschrift verwendet. Die Druckfahnen wurden mit einer gewöhnlichen Schreibmaschine getippt, verkleinert und zusammen mit den gerubbelten Überschriften, fotokopierten Faksimiles und den Bildern mit Uhu auf Bögen geklebt. Herausgekommen ist also eine wilde Text-Bild-Collage. Die Arbeit an der Herstellung der druckfertigen Exposés dauerte nur ein paar Tage, es wurde also, wie man so sagt, „mit heißer Nadel gestrickt“. Mein Diktum damals: „Korrekturlesen ist im Preis nicht inbegriffen“. Grund war, daß die Montania-Druckerei in Dortmund dem Otz-Verlag einen Sondertarif angeboten hatte, der aber befristet war. Darum mußte alles rasendschnell gehen. Die Bögen kamen lose aus der Druckerei, Otz-Verleger Bernhard Ramroth (Rammi) hat die einzelnen Exemplare Stück für Stück von Hand gebunden und sich dafür nur die Materialkosten bezahlen lassen. Das Buch erschien am 22. Dezember 1979 – rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft.
Anders als damals üblich und anders als der Untertitel vermuten lassen könnte, handelte es sich keineswegs um den Versuch einer stringenten Theorie. Stattdessen: Gedankengänge, „die mal hier, mal dort anknüpfen und die gelegentlich abschweifen (müssen)“ (Vorwort), Reflexe und Repliken auf Gehörtes, Gelesenes und Aufgeschnapptes.
Anders als damals üblich und anders als damals für möglich gehalten, handelt es sich um eine Kritik an der „Frauenbewegung“, und zwar um eine Kritik der besonders respektlosen Art. Denn – so dachte ich damals und so denke ich heute – die furios sich selbst inszenierende „Frauenbewegung“ der 70er Jahre war ganz und gar nicht respektabel. Daß jemand, der der antiautoritären Linken zugerechnet wurde, die Stirn hatte, der „Frauenbewegung“ den Gehorsam zu verweigern und stattdessen gegen sie zu polemisieren, war schon ein kleines Sensatiönchen. Denn die „Frauenbewegung“ nahm, ohne durch Gedankenschärfe aufzufallen, in der „antiautoritären“ Linken die Deutungshoheit und das letzte Wort für sich in Anspruch, und das wurde ihr auch anstandslos zugebilligt – nur nicht von mir. Mir fiel auf, daß sich hinter der furiosen Selbstinszenierung doch bloß Geschlechterdünkel, Alte-Tanten-Ressentiments, hybride Selbstgefälligkeit, die Auflehnung des Bauches gegen den Kopf, Ersetzen von Politik durch generalisierten Beziehungsschlamassel, Eindimensionalität, Konformismus, Spießigkeit, Prüderie, tradierter sexueller Konservatismus verbarg. Und ich argwöhnte: wenn „Emanzipation“ nicht anderes ist als die seelische Grausamkeit dummer Gänse, dann wird das alles noch mal auf dem Kasernenhof zu sich selbst finden.
Wenn „Links“ überhaupt etwas bedeutet – so dachte ich und so denke ich immer noch – dann doch wohl aktives Desinteresse am Nach-Oben-Streben, Verweigerung konformistischen Einverständnisses mit den Verhältnissen, Verweigerung des Kriegsdienstes und last but not least den hedonistischen Aufruhr gegen die spießige Sexualmoral, die von den Emanzen furios reproduziert wird.
Das Buch verkaufte sich ganz gut. Es wurde von vielen abgelehnt und von niemandem kritisiert. Eine einzige Rezension erschien: Im Ulcus Molle Info hat ein inzwischen in der Versenkung verschwundener Alternativ-Literat namens Valentin Rüthlin das Buch verrissen, ohne auf seinen Inhalt Bezug zu nehmen. Stattdessen beklagte er, daß es so viel Streit in der Welt und keine Liebe mehr unter den Menschen gibt. Leserbriefe bekam ich in Fülle. Die von Männern waren überwiegend negativ, die von Frauen überwiegend positiv. In der „Szene“ hat mein Buch meinen Ruf ruiniert, was bis heute nachwirkt, obwohl der Anlaß vergessen sein mag. Die fortan vor mir die Straßenseite wechselten, werden das Buch wohl nicht gelesen haben.
Vor meinem selbstkritischen Blick kann dieses Buch kaum noch bestehen, was Sprache, Gestaltung und Argumentationsweise betrifft. Die Mittel der Polemik, die mir zur Verfügung stehen, hatten vor 30 Jahren noch nicht die nötige Schärfe. Mancher Satz würde heute durchfallen. Aber wer damals schon schlauer war, werfe die erste Tomate. Vor allem wurde dieses Buch in einer Haltung geschrieben, die obsolet geworden ist: in tiefer Sorge um „unsere Bewegung“, die auf ein falsches Gleis geschoben zu werden drohte. Was auch immer aus „unserer Bewegung“ geworden ist und was auch immer sie an Loyalität noch verlangen darf – die „Frauenbewegung“ ist bald darauf vollends zum Teil des Spektakels geworden.
Würde heute an dem Thema gearbeitet, müßte es mit größerer Polemik geschehen. Denn so pessimistisch mein Ausblick auch war, habe ich die völlige Verbürgerlichung und CDUisierung des Feminismus vor 30 Jahren doch noch nicht erkannt.
Der Grundgedanke des Zeitdokuments soll weiterhin gelten: Daß Emanzipation nicht nur das Recht der Frauen, sondern auch ein Anspruch an die Frauen ist: Mein Anspruch, gewisse weibliche Sozialisationstypen wie die dumme Gans, die prüde Zicke, die (Xant)Hippe zu überwinden statt sie zu kultivieren. Frauen, emanzipiert euch gefälligst, anstatt euch wie gackernde Hühner zu benehmen!

Das Buch kann über die Buchhandlung Weltbühne, jede andere Buchhandlung und via Amazon bestellt werden.

An allem

Die Schauspielerin Katja Riemann hat über ihre Kindheit erzählt. Darüber erschien gestern eine Notiz in der WAZ.
Sie hat als Kind „krasse Ausgrenzung“ erfahren. „Damals war es ein Stigma, Scheidungskind zu sein. […] Ich war praktisch Ausländerin.“
Damals war in Deutschland die Welt noch in Ordnung. Da gab es noch eine Moral. Mit welchen Kindern nicht gespielt werden durfte, darüber wachten moralische Eltern.
Daß das heute nicht mehr so richtig klappt mit der Ausgrenzung. daran sind die „68er“ schuld.