Breloer über Brecht

Die zweiteilige Dokumentation von Heinrich Breloer über Bertolt Brecht (180 Minuten) wurde vorigen Freitag auf Arte gesendet und kommt heute ab 20.15 Uhr in der ARD.
Gezeigt werden historische Aufnahmen, Interviews mit Zeitzeugen und Spielszenen. Das Thema in 180 Minuten zu behandeln macht Weglassungen unvermeidlich. So ist ein fragmentarisches Werk entstanden. Der erste Teil behandelt die Zeit bis 1933, der zweite die Zeit nach der Rückkehr aus dem Exil 1948. Der Bericht-Zeitraum wird ach im schnellen Tempo überflogen. Viele wichtige Mitarbeiter wie Ernst Busch, Paul Dessau, Margarete Steffin und Hanns Eisler kommen gar nicht vor, andere wie Ruth Berlau und Elisabeth Hauptmann bleiben unterbelichtet. Die Zeit des Exils, in der die wichtigsten Arbeiten entstanden, wegzulassen, war riskant.
Der erste Teil stellt die Frauen-Beziehungen so sehr in den Vordergrund, daß die Arbeit (auch die Bedeutung „seiner“ Frauen für die Arbeit) arg ins Hintertreffen geriet. Das ist insofern ärgerlich, weil der tratschsüchtige Durchblicker-Markt mit Durchblicker-Tratsch versorgt wird und insbesondere der gerade in linken Kreisen grassierende sexuelle Rechtspopulismus und Neokonservatismus mit Stoff versorgt wird.

Alles in allem aber eine sorgfältige, fachkundige, handwerklich gediegene Arbeit, die Brecht-Kennern und und solchen, die Brecht kennenlernen wollen, einige Information bietet.
Ausführliche Ergänzung ist die METZGER-Sonderausgabe (Ausgabe Nr. 55), die 1998 erschien: 52 Seiten, erhältlich für 5 Euro einschließlich Versand. Bitte bestellen Sie in der (Versand-)Buchhandlung Weltbühne.
Mit Primär- und Sekundär-Literatur von und über Brecht ist die Buchhandlung Weltbühne gut bestückt.

Und so ist auch das Buch zum Film von Heinrich Breloer „Brecht – Roman seines Lebens“ (Kiepenheuer & Witsch, 530 Seiten, 26 Euro) hier im Angebot.

Paradise lost

„Das Dorf Hollywood ist entworfen nach Vorstellungen
Die man hierorts vom Himmel hat. Hierorts
Hat man ausgerechnet, daß Gott
Himmel und Hölle benötigend, nicht zwei
Etablissements zu entwerfen brauchte, sondern
Nur ein einziges, nämlich den Himmel. Dieser
Dient für die Unbemittelten, Erfolglosen
Als Hölle.“
Bertolt Brecht in Hollywoodelegien.

In Kalifornien brennen die Wälder, die Villen, die Dörfer, die Kleinstädte. Das Inferno holt den Himmel ein. Das Städtchen Paradise ist abgebrannt.
Daß es gar nicht der Klimawandel sei, sondern schlechtes Wald-Management, tönt es aus dem Präsidenten Trump, der immer anderen die Schuld gibt.
Das ist gar nicht mal so ganz völlig falsch.
Der Trump hat nie recht. Er hat allerhöchstens mal nicht so völlig ganz unrecht.
Zum Klimawandel kommt zum Beispiel eine falsche (neoliberale) Raumordnungspolitik hinzu.
Daß der Präsident nicht der einzige Idiot in Amerika ist, das wußten wir aber schon.

Das Grün zu ermutigen

Nach wochenlanger Trockenheit färbt sich da und dort an einigen Zweigen das Laub schon im Juli herbstlich.

Auf dem Rasen haben die jungen Bäume dem umliegenden Gras das knappe Wasser entzogen. Hoffentlich erholt es sich wieder.
„Vom Sprengen des Gartens“ – ich denke an Brecht. Das ist eines meiner Lieblingsgedichte.

„…
Vergiß nicht das Strauchwerk, auch
Das beerenlose nicht, das ermattete
Geizige. Und übersieh mir nicht
Zwischen den Blumen das Unkraut, das auch
Durst hat. Noch gieße nur
Den frischen Rasen oder den versengten nur
Auch den nackten Boden erfrische du.

Du Schreckliche!


Es gibt kleine Ereignisse, an die man sich genau erinnert, und dann stellt sich heraus, daß noch mehr dahinter steckte.

Unsere erste Begegnung.
Du warst 6 Jahre alt (ich viel älter). Du standest hinter einem Zaun. Du hattest einen Ball in der Hand. Du hattest lange dunkle Haare, die Brille auf der Nase, und du hattest mich schon einige Minuten lang beobachtet. Du schautest sehr mißtrauisch, fast ein wenig grimmig. Dein Blick sagte: „Was will der denn hier? Was ist das überhaupt für einer?“
Das inspirierte mich zu einem Scherz. Ich weiß nicht mehr, was ich sagte. Aber du warst empört.
„Is ja gaanich wahr!“ riefst du und gingst weg, schnellen Schrittes, um nicht noch mehr Zeit mit mir zu vergeuden.

Du hast dich gar nicht verändert.

Unsere zweite Begegnung.
Du warst 14 Jahre alt. Ich erinnerte dich daran, daß wir uns schon mal begegnet waren. Du sagtest: „Ja, ich weiß. Ich fand dich doof.“
Man kann nicht sagen, daß von der Zeit, die wir dann miteinander verbrachten, eine Sekunde vergeudet wurde.

Wer mich nach dir fragte, dem habe ich gesagt: Die hat einen unglaublichen Sinn für Humor. Ich müßte hinzufügen, daß du deinen Humor gut tarnst, damit die Leute denken, du hättest keinen. Die schärfste Waffe trägst du im Gewande.
„Lina die Schreckliche“. Den Namen trägst du mit Stolz. Er klingt auch gut. Du hast ihn dir verdient, als du ein Jahrzehnt lang in Internet-Foren für Klarheit, ergo Aufregung sorgtest. „Der Forenschreck“ wurdest du auch genannt. Du sagtest: „Mancher von denen, die ich abgefertigt hatte, tat mir danach leid. Aber zum Glück habe ich das immer schnell vergessen.“
Gibt es eigentlich noch diese Foren?

Mit deinem Lächeln bist du sparsam. Ich habe aber auch gesehen, wie du Tränen gelacht hast – über mich. Du konntest mir auf der Nase tanzen, weil du wußtest, daß du dich dann in meine Arme fallen lassen konntest. Du Schöne!

Einen deiner Lieblingsdichter hast du treffend variiert:
„Mögen die Guten sich meiner Kralle erfreuen, mögen die Schlechten meine Grazie fürchten.“

Alles Gute zum Geburtstag!
Ich mußte dir einen Liebesbrief schreiben, sei mir nicht böse.

Die Verhältnisse des Lichts


So also stellt sich die Veranstaltung im Syntopia von vorgestern (125 Jahre DFG-VK – Brechts Kriegsfibel) im (Licht-)Bild dar. Wenn geblitzt worden wäre, hätte es gewohnter, aber nicht unbedingt besser ausgesehen. Das Extreme an den Lichtverhältnissen läßt eine an die Wand projizierte schwarze Fläche blau aussehen.
Dieses Foto entstand kurz nach Beginn. Da waren die Stuhlreihen noch halb leer. Am Ende der Veranstaltung waren viel mehr Zuhörer da als am Anfang. Normalerweise ist das umgekehrt.

GRUND war nicht etwa, daß viele den Anfang der Veranstaltungen nicht, dafür aber das Ende erleben wollten,
SONDERN:
Die hatten alle im Stau gestanden.
Die A-40-Rheinbrücke ist gesperrt.
DADURCH wurde die Brücke der Solidarität zum „Nadelöhr“. Mit Rückstaus bis in die Innenstadt.
UND dann wurde auch noch eine Bombe entschärft (Weltkriegsbombe).
Zu dem politischen Aspekt dieser Veranstaltung, ihre Einordnung in die Geschichte der Friedensbewegung werde ich mich bei Gelegenheit äußern.

Foto © DFG-VK

DFG-VK feiert Geburtstag. Ihr könnt dabei sein.

Die Deutsche Friedensgesellschaft wurde 1892 gegründet. Darum feiert sie jetzt ihr 125jähriges Bestehen. Warum? Es gibt sie immer noch.
Durch Fusionen heißt sie jetzt DFG-VK.

Die DFG-VK galt – gerade in den 80er Jahren, in der Hoch-Zeit der Friedensbewegung – als „kommunistisch unterwandert“. Aber das ist doch gerade das Reizvolle! Wer in den 50er, 60er, 70er, 80er Jahren nicht als „kommunistisch unterwandert“ galt, der hat was falsch gemacht.

Auch die eigenwillige Duisburger Gruppe wird eine Veranstaltung durchführen, und zwar am

Donnerstag, 19. Oktober 2017

um 19 Uhr im Syntopia:

Das heißt: Ich werde euch was berichten, ich werde euch was erzählen und ich werde euch Bilder zeigen.
Der Eintritt ist frei, es darf gespendet werden.

Bilder eines Kunst-Marktes (Ruhrort)

Zum fünften Mal fand der Ruhrorter Kunst- und Kulturmarkt statt – zum ersten Mal mit unserer Beteiligung. Diese Kunst-Aktion war Teil des 22. Ruhrorter Hafenfestes.

RuhrortKunstmarkt15-01Das war vom frühen Vormittag bis zum späten Nachmittag eine schöne Veranstaltung, zu der ich hier schon am 15. August eingeladen hatte. Wer trotzdem nicht hingegangen ist, ist es selber schuld („Ach bitter bereut, wer des Weisen Rat scheut“ sagt der Dichter). Es sei denn, man war bedauernd verhindert oder man hatte tatsächlich etwas tatsächlich Besseres zu tun, zum Beispiel — (Satz selbst vervollständigen).

Gutes Wetter, gute Atmosphäre, freundliche Menschen, die sich gern einen schönen Tag machten, Wiedersehen mit alten Bekannten, alles gut vorbereitet und organisiert von Klaus Brüggenwerth und Katrin Roth.

RuhrortKunstmarkt15-02Unser Stand, seitlich betrachtet.

RuhrortKunstmarkt15-03Bilder des Informel. Bilder von Barito. Barito ist ein 14jähriger Orang Utan im Krefelder Zoo, der seit Jahren Farbe auf Fläche verteilt und immer wußte, wann ein Bild fertig ist, und sich mit der Zeit in seiner Malweise entwickelte. Über das Projekt Affenbrut (angelehnt an Art brut) ist mehr zu erfahren unter www.affenbrut.de.

RuhrortKunstmarkt15-04Und jetzt alle:
„Das machen nuuur die Beine von Dolooores!“

RuhrortKunstmarkt15-05Der Künstler vom Stand nebenan möge mir das nicht übelnehmen. Aber beim Betrachten der phallischen Skulptur (Bildmitte) stellte sich bei mir spontan der Gedanke an einen Katzen-Kratzbaum ein. Ich meine das nicht spöttisch, sondern assoziativ.
Was würden wohl die Katzen zu den Orang-Utan-Bildern sagen? Wahrscheinlich: „Na wenn schon! WIR kratzen Skulpturen.“ Aber wahrscheinlich interessieren die sich ÜBERHAUPT NICHT dafür. Die Bilder wären denen noch nicht einmal egal.
Im Laufe des Tages (vom wechselnden Sonnenstand?) dachte ich mehr an einen Döner-Spieß.

RuhrortKunstmarkt15-06„Kommen Sie ruhig näher“, wie dieses Bild ausdrücken zu sollen scheint. (Typisch germanische Verbanhäufung am Satzende. Aber richtige Empfehlung wurde zum Ausdruck gebracht).

RuhrortKunstmarkt15-07Die Foto- und Grafikkünstlerin Susanne Gwisdalla (links in diesem Bild) bietet T-Shirts mit dem Porträt von Charles Fourier an.

RuhrortKunstmarkt15-08Im Bühnenprogramm: Tom Liwa.

RuhrortKunstmarkt15-09Alle lieben Susi.

Der Termin wurde bestätigt. Bestätigen auch Sie!

Dies ist eine Vorankündigung:

Am Dienstag, 13. Januar 2015 um 19,30 Uhr findet die
LESUNG DES JAHRES
statt.
Um zwar in der Spinatwachtel, Duisburg-Hochfeld, Eigenstraße 42.

Am Dienstag, 13. Januar 2015 gibt es wieder das
Philosophische Kabarett Live.
Helmut Loeven liest!

SatirikerDarfAlles2Bitte erzählen Sie das allen! (Nicht nur denen, die es hören wollen). Sagen Sie das denen, denen man alles zweimal sagen muß, zweimal!
Bitte verschicken Sie E-mails mit der Ankündigung meiner Lesung an all Ihre Bekannten. (Und tun Sie das auch wirklich).
Meine Damen: Sagen Sie all Ihren Verehrern, daß sie bei Ihnen überhaupt nur eine Chance haben, wenn sie zur Lesung kommen. (Das verpflichtet Sie zu gar nichts, sondern nur Ihre Verehrer).

Dies ist (schonmal) eine Vor-Ankündigung. Das heißt: Hier wird die Ankündigung schon mal angekündigt. Warten Sie nicht auf die Ankündigung, sondern entschließen Sie sich jetzt schon, am 13. Januar zur Lesung zu kommen.
Fangen Sie jetzt schon damit an, sich damit abzufinden, daß 5 Euro Eintrittspreis verlangt wird.

Der 6. August ist Hiroshima-Tag

Atomic_cloud_over_Hiroshima„Ich halte dafür, daß das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern. Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen anzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden, und eure neuen Maschinen mögen nur neue Drangsale bedeuten. Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein. Die Kluft zwischen euch und ihr kann eines Tages so groß werden, daß euer Jubelschrei über irgendeine neue Errungenschaft von einem universalen Entsetzensschrei beantwortet werden könnte.“
Bertolt Brecht: Leben des Galilei

Unsere_Zukunft_Atomwaffenfrei_-_Demo_Büchel_2008-2..

Frei-hei-hei-hei-hei-heit

Alles, aber auch wirklich alles wird geregelt durch Angebot & Nachfrage. Gegenwärtig ist die Nachfrage nach Phrasen so groß wie schon lange nicht mehr.
„Aufeinander zugehen“ (bzw. „auf die Menschen“), „bürgernah“, „Verantwortung“, „nahebringen“, „auf das Nahebringen zugehen“, „Verantwortung für die Bürgernähe“, „die Menschen mitnehmen“, „Entschiedenheit im Miteinander“, „Verantwortung mitbringen“, „die Menschen zu den Bürgern bringen“, „Bürgernähe transparent machen“, „Transparenz verantworten“, „mit Inhalten füllen“, „das Wir im Uns“, „das Wir in unserer Verantwortung“, „das Ganze“.
Und der Papst war auch schon da.
Da die Geschäfte weitergehen müssen, muß der Kalte Krieg im Inneren weitergehen. „Da ist Tünche nötig“ (Brecht).
Ihr werdet euch noch umgucken, soll Gesine Lötzsch gesagt haben. Von wegen! Wenn der Gauck so ein paar richtig militaristische Sentenzen losgelassen haben wird, dann werden die Grünen noch lauter jubeln. Und der Trittin redet, als hätte er einen Homburg auf dem Kopp. Der ist ja jetzt sowas von Staatsmann! (Jedenfalls hat er die Pose geübt). Der beantwortet zum Beispiel im Interview keine Frage mehr.
joachim-gauck-mit-schnaeuzAlso, ich finde, der Gauck könnte sich doch wenigstens mal einen Schnäuz stehen lassen.

Kann mir das mal einer erklären?

„Unglücklich das Land, das keine Helden hat.
Nein. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“
Brecht

Vor einem Jahr wurde hier die Desolation eines Kriegsdenkmals thematisiert. Eine Schande fällt in sich zusammen. Erinnern Sie sich? Klicken Sie auf den Link.
Kaiserberg03Doch in der Zwischenzeit hat sich in der Denkmalpflege was getan.
Schauen Sie:
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Gucken Sie mal genauer hin:
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Lauter Stofftiere nehmen den Platz der Heldentumsschaustellung für sich in Anspruch. Komisch!
Dem verlogenen Heldentum einen Tort, scheint mir die Erklärung zu sein.

Bitte lesen Sie im DISSkursiv:
http://www.disskursiv.de/2014/07/28/netzfundstuecke-teddys-gegen-kriegsverherrlichung/
und:
http://www.disskursiv.de/2014/07/28/netzfundstuecke-denk-mal/

Und ich erinnere auch nochmal an die Siegfried-Uminterpretation.

BerndUndFreundeDie werden nicht auf dem Kaiserberg der Witterung und der Willkür ausgesetzt, das ist versprochen. Stets gern für die gute Sache verfügbar genießen Sie den Schutz meines Daches.

Der Ostermarsch ist eine gute Sache

Er ist gut für dich, erkundige dich nach ihm!

plakat14purDer schönste Teil von Deutschland ist das Ruhrgebiet.
Das Schönste am Ruhrgebiet ist der Ostermarsch Ruhr.
Hier der Ablauf von Ostersamstag bis Ostermontag von Duisburg nach Dortmund (Bild anklicken zum Vergrößern):

OM-Programm2014Es fängt also am Samstag um 10.30 Uhr an. Aber man kann auch schon früher kommen und Kaffee bestellen, weil wir mit unserem ANTIMILITARISCHISCHEN BUCH-BASAR auch schon früher da sind und Kaffee anbieten.
(Der Antimilitaristische Buch-Basar ist ein Angebot der DFG-VK Duisburg in Kooperation mit der Buchhandlung Weltbühne).

Das Schönste am Ostermarsch Ruhr ist unser Büchertisch.

Hier im Inneren des Landes, da leben sie noch

Ich weiß nicht mehr genau, wann das war. Kann sein, daß ich noch nicht zur Schule ging. Irgendein Mann war bei uns zu Hause, irgend so‘n Meister oder sowas, irgend so‘n 50er-Jahre-Typ, irgend so‘n Wirtschaftswunder-Heini mit dickem Bauch und Glatze. Der stand im Korridor und verabschiedete sich, und ich stand auch da rum, und mich sehend rief dieser Mann: „Aha, das ist also der Stammhalter!“
Es war mir immer peinlich, wenn ich als Kind von Erwachsenen betrachtet und begutachtet wurde. Man setzte Erwartungen in mich, aber was waren das für Erwartungen? Schon von Kindesbeinen an hatte ich eine Aversion gegen plumpe Jovialität. Aber dieses Zusammentreffen war mir besonders peinlich, ja, ich empfand es als bedrohlich.
Zwar hatte ich kaum eine vage Ahnung davon, was unter einem „Stammhalter“ denn nun zu verstehen ist. „Männlicher Nachkomme“ ist damit zunächst einmal gemeint, das verstand ich schon. Indem man den männlichen Erstgeborenen als „Stammhalter“ tituliert, ist damit implizit gesagt, daß dem männlichen Geschlecht ein besonderer Vorrang gebührt. Und das ist nun etwas, was man Kindern tunlichst nicht einzutrichtern hat! „Stammhalter“ gehört zur selben Wortfamilie wie „Haushaltsvorstand“. Dieser Titel war in den 50er Jahren tatsächlich gebräuchlich. Das war die offizielle Bezeichnung für den Familienvater. Und glauben Sie mir: Damals hatte der Haushaltsvorstand von Haushalt überhaupt keine Ahnung.
Das war die Zeit, in der ich die Erwachsenen reden hörte, daß es so alle 20 bis 25 Jahre Krieg gibt. Das sei nun mal der Lauf der Welt, da war man sich sicher. Erstaunlicherweise aber löste die Aussicht auf einen bevorstehenden Weltkrieg weit und breit kein Entsetzen aus. Diejenigen, die den letzten Weltkrieg (oder sogar auch den vorletzten) selbst miterlebt hatten, ergingen sich lieber in Fatalismus, und sie hielten sich für klug. Das liegt daran, daß diese Untertanen vor dem Krieg weniger Angst hatten als vor den Konsequenzen eines Handelns, mit dem man sich dem, was sie für Schicksal hielten, widersetzt. Umhimmelswillen, was würden die Leute dazu sagen! Dann lieber Krieg! Und in einem solchen Erwartungs-Horizont wird der Titel „Stammhalter“ verliehen. Ich fühlte eine Bedrohung, die ich später bei der Lektüre von Bertolt Brecht ausgedrückt fand: „Mit euren Kindern planen sie jetzt schon Kriege.“
Ich hatte kaum eine vage Ahnung davon, was unter einem „Stammhalter“ denn nun zu verstehen ist. Wie in diesem Begriff das Dasein als ganzes und die Sexualität im besonderen reduziert und funktionalisiert wird, konnte ich natürlich erst später erfassen. Aber schon als Kind spürte ich sehr genau: „Vorsicht! Die haben was mit mir vor!“

Haselmäuse

Die dänische Regierung hat sich entschlossen, etwas für die Haselmäuse zu tun. Um Gefahren von den Haselmäusen abzuwenden, wird sogar überlegt, eine geplante Autobahntrasse zu verlegen. Dazu läßt sie sich von Zoologen den Bewegungsradius von Haselmäusen erklären. Haselmäuse bewegen sich in einem Revier von etwa 200 Metern Durchmesser.
Haselmaus
Ich nutze diese Gelegenheit, um darauf aufmerksam zu machen, daß nicht jedes Tier, das „Maus“ genannt wird, auch eine Maus ist. Die Haselmaus gehört nämlich gar nicht zur Nagetierfamilie der Mäuse.
Auch die Spitzmaus ist keine Maus, auch wenn sie so heißt. Die Spitzmaus ist mit den Mäusen nur insoweit verwandt, daß sie gemeinsam mit ihnen zur Klasse der Säugetiere gehört. Die Spitzmaus gehört aber nicht zur Ordnung der Nagetiere, sondern zu den sogenannten Insektenfressern. Sie ist also mit den Igeln und Maulwürfen verwandt.
Insektenfresser sind kleine Sohlengänger mit einem Gebiß aus kleinen spitzen Zähnen. Zu Nagezähnen ausgebildete Schneidezähne hat die Spitzmaus nicht. Im Unterschied zu den Mäusen, die als „Schädlinge“ gesehen werden, macht sich die Spitzmaus durch das Vertilgen von Schädlingsinsekten nützlich. Geringe Sympathie genießt sie allerdings bei den Imkern.
Wenn auch ebenfalls nicht zu den Mäusen zählend, gehört die Haselmaus immerhin zu den Nagetieren. Sie ist mit den Mäusen zwar verwandt, gehört aber zur Familie der Bilche, also zu den nahen Verwandten der Eichhörnchen. Es ihren Verwandten gleichtuend kraxelt die Haselmaus auf Ästen und Zweigen herum und baut etwa zwei Meter über der Erde Nester in Sträuchern.
Haselmäuse sind in Mittel- und Nordeuropa verbreitet. Die dichteste Population von Haselmäusen befindet sich in Dänemark, und zwar auf der Insel Fünen in der Umgebung von Svendborg.
In den Svendborger Gedichten werden allerdings die Haselmäuse an keiner Stelle erwähnt. Wahrscheinlich deshalb nicht, weil ein Gespräch über die Bäume, auf denen die Haselmäuse herumklettern, fast ein Verbrechen ist.

Foto: Björn Schulz / Wikipedia http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Haselmaus.JPG

Vorgestern waren wir in der Spinatwachtel

Ich habe gesagt, da sollte man hingehen. Vorgestern wurde der Beweis erbracht, daß man da auch hingegangen sein sollte. Die Revue hieß „Let’s go underground“ und wurde präsentiert von Marvin Chlada und Lütfiye Güzel in der Spinatwachtel, Duisburg-Hochfeld.
Ebensolche Hervorhebung wie die beiden METZGER-Autoren verdient der bemerkenswerte Kunst-, Kultur- und Gedönsladen.
Schaut her:
http://www.spinatwachtel.eu/

Hermann Borgerding hat berichtet:
Güzel und Chlada in der Spinatwachtel, Tagesgeschehen, Undergroundliteratur und Regen am Todestag von Brian Jones und Jim Morrison. Er fragt: „Was macht eine gute Lesung aus?“ und kommt zu dem Schluß, daß das eine gute Lesung war. Gern zitiertes Zitat: „LaborBefund, Drecksack, Superbastard, Rogue Nation und Der Metzger seien hier nur mal als Beispiele für qualitativ hochwertige und gut laufende (Ich denke mal…) Zines und Anthologien erwähnt! Es geht voran!“

SpinatJuli13-1Nein, ich stehe da nicht dumm in der Gegend rum, sondern klug & weise wie bestellt & abgeholt.
Chlada testet das Gefühl beim Sprechen in ein Mikrophon. Der Text lautete nicht: „Test Test einszwo einszwo“.

SpinatJuli13-2Schauen Sie auch in den fliegenden Koffer!
Perfektionistische Fotobegucker mögen eingedenk sein, daß in einem von der Abendsonne durchs Fenster beleuchteten Raum ohne Blitzlicht keine rasierklingenscharfe Konterfeis erwartet werden dürfen. Hier kreist und kreißt das Leben nebst Freude an der Arbeit und nicht die Perfektion der Lichtbildnerei.

SpinatJuli13-3Worin sich die Fotografie ohne Kunstlicht vom Rest des Daseins unterscheidet sieht man hier: Personen gelangen nur durch völligen Stillstand zur Schärfe. Coca-Cola- und Mineralwasserflaschen haben es da leichter.
„Der Metzger“ kann man trotzdem noch lesen.

SpinatJuli13-4

SpinatJulu13-5
Fotos: Lütfiye (2), Hafenstaedter (3)

Soll ich auch mal in der Spinatwachtel vorlesen? Das ist in Betracht gezogen, und da könnte was draus werden. Wenn es sich konkretisiert, wird hier informiert.

Lütfiye, Lady in black, e-mailte mir gestern den „Plan A“:
„lieber helmut..
sei nicht traurig.. wir verkaufen gaaaaaaaaaaaanz viele bücher und retten die ‚weltbühne‘.“

Ja, da mach ich mit! Mögen die Guten sich an unseren Krallen erfreuen und die Schlechten unsere Grazie fürchten!

„Keine Lösung“ oder 60 Jahre 17. Juni


Brecht reagierte auf den fragmentarischen Abdruck seines Briefes mit einem zweiten Brief, den das Neue Deutschland am 23.6.1953 veröffentlichte: „Ich habe am Morgen des 17. Juni, als es klar wurde, daß die Demonstrationen der Arbeiter zu kriegerischen Zwecken mißbraucht wurden, meine Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei ausgedrückt. Ich hoffe jetzt, daß die Provokateure isoliert und ihre Verbindungsnetze zerstört werden, die Arbeiter aber, die in berechtigter Unzufriedenheit demonstriert haben, nicht mit den Provokateuren auf eine Stufe gestellt werden, damit nicht die so nötige Aussprache über die allseitig gemachten Fehler von vornherein gestört wird.“ Daß Walter Ulbricht an solcher Art von Loyalität, die das Eingeständnis von Fehlern verlangt hätte, interessiert war, darf man bezweifeln.
Der bekannteste Kommentar von Bertolt Brecht zum „17. Juni“ ist das Gedicht „Die Lösung“ aus den Buckower Elegien. Es ist oft zitiert worden, meist in der Absicht, den Anspruch der DDR, ein demokratischer Staat zu sein, ebenso als ein Ding der Unmöglichkeit hinzustellen wie die Verbindung Brechts mit der DDR. Antikommunisten wollen den Klassiker literaturgeschichlich auf ihre Seite ziehen.

Dank euch, ihr Sowjetsoldaten!

Dank euch, ihr Sowjetsoldaten!

Foto: Bundesarchiv Wikimedia Commons


Die sozialistische Demokratie sollte die bürgerliche Demokratie übertreffen. Wo die bürgerliche Demokratie aufhört, geht die sozialistische Demokratie weiter. Sie darf also hinter die bürgerliche Demokratie nicht zurückfallen. Zu den Standards der Demokratie gehört, daß die Regierung vom Volk gewählt wird, dem Volk Rechenschaft schuldet, um das Vertrauen des Volkes bemüht sein muß und dann, wenn sie dieses Vertrauen nicht verdient, abgelöst und durch eine andere Regierung ersetzt werden kann. Das ist der normale Fall. Es fragt sich allerdings, ob dieses Volk, das deutsche, ein normaler Fall ist. Der Gedanke, daß ein Volk, das erst wenige Jahre zuvor zu zwei bis drei Dritteln hinter Hitler hergelaufen ist, mißtrauisch macht und durch nützliches Handeln wenigstens einen Teil des Schadens, den es angerichtet hat, wieder gutmachen sollte, erscheint mir nicht ganz abwegig. Vertrauen ist gut. Aber Kontrolle ist besser. Das hat Lenin zwar nie gesagt, aber es ist richtig, angesichts der Bilanz von 1945. Zu einem solchen Eingeständnis war auch die SED nicht in der Lage. Sie hatte – glaubte sie – dem Faschismus in Deutschland (Ost) die politisch-ökonomische Grundlage entzogen, und das Sein bestimmt das Bewußtsein. Ja. Aber wie schnell? Schon nach 8 Jahren?
Brechts zweiter Brief an die SED nimmt vorweg, was in dem Buch von Stefan Heym „Sechs Tage im Juni“ ausgeführt wurde: Der 17. Juni hatte einen Doppelcharakter. Die Arbeiter in Berlin (und anderswo) hatten Grund zur Unzufriedenheit. Sie demonstrierten und streikten zurecht. Aber dann mischten sich Provokateure unter die Streikenden. Geheimdienstagenten, Saboteure, Halbstarke und antikommunistische Terrorzirkel nutzten die Gunst der Stunde. Selbstverständlich war es so! Die DDR, in die man durch das Brandenburger Tor einfach so hineinspazieren konnte, war bis zum Mauerbau und danach auch noch ein Tummelplatz von Spionen und Saboteuren, die eines Auftrags der westdeutschen Regierung nicht bedurften, aber immer deren Wohlwollen genossen. Sie handelten ganz im Einklang mit der westlichen Politik im Kalten Krieg, der von der „Eindämmung“ zum „Roll back“ übergegangen war.
Gegenüber der offiziellen Lesart im Westen, wo der 17. Juni als Nationalfeiertag begangen wurde, war die Darstellung in Heyms Buch ein großer Fortschritt. Ja, der 17. Juni hatte auch eine reaktionäre, eine faschistische Dimension. Man muß allerdings bezweifeln, daß es wirklich möglich war, die „berechtigte Unzufriedenheit“ und die Provokateure säuberlich voneinander zu „isolieren“. Man muß bezweifeln, daß die antikommunistischen Hetzparolen den Demonstranten souffliert werden mußten.

Biedermänner als Brandstifter
Am 16. und 17. Juni 1953 haben Aufständische in (Ost-)Berlin und Weiterlesen

Paul Hafemeister

Hafemeister3Er war der „Lesende Arbeiter“ in dem Gedicht von Brecht.
Ich sah ihn nicht zum ersten Mal, aber hörte ihn zum ersten Mal reden bei einer Veranstaltung in einer Schulaula im April 1969, zwei Tage vor dem Ostermarsch. Das war eine heftige Veranstaltung, auf der sich auch Gegner der Linken laut bemerkbar machten. Da hielt er eine spontane Rede, mit knappen, deutlichen Formulierungen und so aufgebaut und klar gegliedert, wie sie kein Redenschreiber besser hätte hinkriegen können. Es war ein knapper Abriß über die Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland im Zwanzigsten Jahrhundert, und: warum die Arbeiter die Mitbestimmung brauchen.
Ich dachte, wenn er so gut reden kann, dann ist er vielleicht Rechtsanwalt oder so etwas. Aber er war Lokführer bei der Werkseisenbahn, und überzeugter und überzeugender Gewerkschafter.
Ich spreche von einer Zeit, in der „die für uns“ bloß „Revisionisten“ und „wir für die“ bloß „Chaoten“ waren. Die nächste Begegnung war bei einem Infostand auf der Königstraße. Er sprach mit mir geduldig, unaufgeregt, interessiert daran, „wie ich das sehe“. „So verschieden sind wir doch gar nicht.“ Er war einer, der beim Diskutieren zuhörte, Antworten gab. Er nahm die ernst, mit denen er sprach. Er hat mir den Weg zur Partei gezeigt.
Wenn wir bei Veranstaltungen in Erscheinung traten, verließen wir uns einfach darauf: „Der Paul wird das schon machen.“ Er wird sich zu Wort melden und mit knappen, deutlichen, durchdachten Formulierungen die Zuhörenden – mindestens – zum Nachdenken bringen.
Auf ihn traf ein weiterer Vers aus einem Gedicht von Brecht zu: „Diese sind unentbehrlich.“
Am 23. Mai 2013 ist unser Genosse Paul Hafemeister 84jährig gestorben.

Fotos: DFG-VK

Fotos: DFG-VK

Das war Tradition, das ließ er sich nicht nehmen. Jedes Jahr trug er das Ostermarsch-Transparent voran. Nur in diesem Jahr, da konnte er nicht mehr.