Sagen Sie mal: Bumm!

Das rheinländische Volksgut, das sich vornehmlich im Monat Februar unüberhörbar vernehmen läßt, hat zahlreiche Reflexionen über das Leben im allgemeinen sowie über die Wahrnehmung politischer und gesellschaftlicher Umstände hervorgebracht.
Der Vorbereitung der Staatsgründung der Bundesrepublik Deutschland diente die Bildung der Trizone. Der Blaskapellen-Chansonier Karl Berbuer dichtete und komponierte ganz in der Art des Nachkriegs-Fatalismus einen Gassenhauer mit dem Titel „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“.
Ich zitiere:
„Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien. Heideschimmela schimmela schimmela schimmela bumm!“
Ich muß sagen: Hier hat einer gewirkt, der über einen großen sprachschöpferischen Radius verfügt! Das muß ich neidlos anerkennen. Über sprachliche Ausdrucksmittel doch nun wirklich nicht in geringem Maße verfügend, muß ich zugeben: Ich hätte höchstens so etwas wie „trallala“ hervorgebracht. Wie aber kommt man auf „schimmela schimmela“? Wo holt man das her? Haben Sie schon mal den Ausdruck „schimmela“ beziehungsweise „heideschimmela“ in einem anderen Zusammenhang gehört oder gelesen? Hier hat einer gedichtet und sich dabei nicht damit begnügt, aus dem Fundus der vorgefundenen Sprache zu schöpfen. Er hat etwas Neues geschaffen. Heideschimmela.
Es gibt in dem Bereich, wo gesprochene Sprache und erklingende Musik aufeinandertreffen, eine Vielzahl bemerkenswerter wortähnlicher Sprachpartikel, wie etwa das bereits zitierte „trallala“ (oder „lalala“), womit wohl der Gesang als solcher verbalhornt wird. Walther von der Vogelweide arbeitete „tirili“ und „tanderadei“ in seine Dichtung ein, was wie Flöte und Geige klingen sollte. Aber was klingt so, daß man es mit „schimmela“ umschreiben könnte? Wenn man Topfdeckel in großer Zahl aufeinander türmt und dieser Turm dann ineinandersinkt, könnte ein Geräusch entstehen, das wie „schimmela“ klingt.
Aber was hat das mit der Trizone und der Gründung der Bundesrepublik zu tun?
Das Wort „Heidewitzka“, mit dem man den Herrn Kapitän des Möllemer Bötchens anspricht, ist ebenfalls ein seltsamer Ausdruck.

Eloge auf einen Terroristen

Die Bundeskanzlerin hat den verstorbenen Nelson Mandela einen Titanen der Gerechtigkeit oder Giganten der Menschlichkeit oder sowas in der Art genannt. Andere Würdenträger äußerten sich ähnlich.
Irren sie sich da nicht?
Als Nelson Mandela noch im Gefängnis war, hörte man von den Staatsfiguren, die sich jetzt elogierend gegenseitig überbieten, nichts dergleichen. Damals war Nelson Mandela ein Terrorist, der sein Volk zum gewaltsamen Umsturz des Apartheidregimes anstachelte. Seine Freilassung zu fordern war der kleinen radikalen Minderheit überlassen, den sogenannten Sympathisanten, also uns.
Wir Staatsfeinde unterscheiden uns von den Staatsträgern dadurch, daß wir schon gegen die Apartheid waren, als es sie noch gab. Sie unterscheiden sich von uns dadurch, daß sie die Freilassung Mandelas erst richtig fanden, als sie erfolgt war.
MandelaBriefmarkeSUBei der Demonstration gegen Apartheid und für die Freilassung Mandelas auf dem Münsterplatz in Bonn trat der Staat in Erscheinung, aber anders als jetzt. Die Polizei trat so martialisch auf, wie ich es zuvor noch nie gesehen hatte.
Die jederzeit in der Lage sind, politisches Widersprechen mit der Polizei einzudämmen, sind nicht schlauer geworden. Das erkennt man daran, daß sie sich für ihr Diktum von einst nicht entschuldigen. Sie irren sich nie, sondern folgen immer der Opportunität, die es ihnen heute nahelegt, Abglanz aufzusaugen. Sie können nicht aufhören zu lügen.
Als wir mit dem Bus der Bonner Verkehrsbetriebe zum Ausgangspunkt der Demonstration fuhren, sagte der Busfahrer die Station an, und er fügte hinzu: „Ich würde am liebsten mitgehen.“

Bundestagswahl: Daß ich das noch erleben durfte!

Schon lange nicht mehr so gefreut (im Kontext mit politischen Großereignissen)!
Daß die CDU gewinnt, ist nie erfreulich. Aber damit war zu rechnen, man war innerlich drauf vorbereitet.
Daß die Linkspartei Anteile eingebüßt hat, ist auch nicht schön (aber immerhin liegt sie noch vor den Grünen).
Aber: DIE FDP IST DRAUSSEN!
Das tröstet über alles hinweg.
Diese Herolde des Egoismus und der Rücksichtslosigkeit, die sich vor vier Jahren an ihrem Zynismus berauschten!
Vor einer Woche mußten sie in Bayern ihr Menetekel erleiden. Wie sie zuletzt um Zweitstimmen bettelten! Von den Stimmenverleihern lebten sie all die Jahre. Aber dies offen auszusprechen war erbärmlich.
Der WDR hat Stimmungen eingesammelt.
Eine Wählerin: Den Westerwelle hätte sie gewählt. Den Rösler wählt sie nicht. Da liegt man doch auf dem Boden vor Lachen.
Manche sind auch sauer auf die FDP, weil sie sich von ihr mehr Ungerechtigkeit versprochen hatten. Eine Nicht-mehr-FDP-Wählerin: Die FDP hätte „Vereinfachung der Steuern“ versprochen und ihr Versprechen nicht gehalten. Gut so! Man soll keinen Idioten daran hindern, aus den falschen Gründen das Richtige zu tun.

Andere haben das elitäre Geschwätz auch ganz gut drauf. Das zeigt der überraschende Erfolg der AfD. Für fünf Prozent hat’s nicht gereicht. Es hat nochmal gutgegangen.

Auch wenn die Fünf-Prozent-Sperrklausel in diesem Fall sich mal erfreulich auswirkte, bleibt sie ein fragwürdiges Instrument. Unerfreulich wirkte sie sich in diesem Fall für die aus, zu deren Gunsten sie eigentlich da sein soll. Angeblich dient sie dazu, die Bildung von regierungsfähigen Mehrheiten zu ermöglichen. Das Gegenteil ist eingetreten. Gäbe es die Sperrklausel nicht, hätte das bürgerliche Lager die Mehrheit, die sie jetzt nicht hat.
30 Prozent der Wahlberechtigten haben nicht gewählt. 16 Prozent der Wähler sind durch die Fünf-Prozent-Klausel von der Mandatsvergabe ausgeschlossen. Die Abgeordneten zum Deutschen Bundestag repräsentieren nur noch 84 Prozent der Wähler und nicht mal mehr 60 Prozent der Wahlberechtigten.

Daß der bescheidene Zugewinn der SPD mit dem Verlust der Grünen verrechnet werden muß, war klar. Der Höhenflug der Grünen ist vorbei. Die Wähler werden kühn, wenn nicht gewählt wird. Wenn gewählt wird, werden sie wieder brav.

„Rotrotgrün“ wird nicht kommen. Gut! Es ist gut, wenn die Linkspartei von anderen daran gehindert wird, in die Regierungsfalle zu gehen.
SPD-Manager Heil wurde heute im Radio zitiert: Die Linken seien in der Sicherheits- und Bündnispolitik unzuverlässig. Wie wahr! Giftgasexporte nach Syrien ließen sich mit der Linkspartei nicht machen. (Das wollte er wohl damit sagen).

Exportweltmeister

Die „Weltgemeinschaft“ – so aufrichtig, wie sie nun mal immer ist – ist zutiefstest empört über den Einsatz von Giftgas im syrischen Bürgerkrieg.
Und jetzt – dank der Linkspartei – hat sich herausgestellt: Die Giftzutaten stammen aus Deutschland.
Der (Gas-)Tod ist ein Meister aus …
Ich gehe mal davon aus, daß diejenigen meiner Landsleute, die zum allerhöchsten Ruhm der Menschenrechte einen Militäreinsatz gegen Syrien verlangten, nunmehr auf amerikanische Luftangriffe auf Deutschland bestehen.

Samstag hör ich Radio

Samstags abends, wenn ich zu Hause bin, höre ich Radio (und an den meisten Samstagabenden bin ich zu Hause). Auf WDR 2 läuft dann von 19 bis 22 Uhr „Yesterday“ mit Roger Handt. Da wird dann Musik der 90er, 80er, 70er und 60er Jahre gespielt, nicht unbedingt die allerallerbeste, aber auch nicht die schlechteste, eben das, was „populär“ war, also Radiomusik, die einen beim Arbeiten nicht stört. Es gibt auch ein „Yesterday Quiz“ mit Kandidaten am Telefon. Etwa: Wer hat dieses Buch geschrieben? Wer hat die Hauptrolle in dem Film gespielt? Wer hat das Tor geschossen?
Das ist nicht die Sendung, die man unbedingt nicht verpassen darf. Aber sie ist eine nette Angewohnheit. Es erinnert mich an die Samstagabende, die ich mit Magda zu Hause verbrachte. Das Radio lief sowieso, und um 19 Uhr kam „Yesterday“ mit Roger Handt. Magda (als Kind ohne Fernsehen aufgewachsen) liebte das Radio. Sie hörte sogar am Samstagnachmittag die Fußballübertragungen, obwohl sie sich gar nicht für Fußball interessierte. Aber es war eben: Radio.
Jetzt Samstag, am 30. März, kommt „Yesterday“ zum letzten Mal. Moderator Roger Handt geht in Rente, und mit dem Moderator verschwindet auch die ganze Sendung. Das ist kein Verlust, den man nicht verschmerzen kann, aber ein bißchen schade ist es doch.
An einem der vielen Samstagabende bescherte uns die Sendung eine Überraschung, als nämlich meine Freundin Erika als Quizkandidatin sich hören ließ. Die wurde natürlich gefragt, wer sie ist und was sie so macht.

Erika: „Ich zeichne und male.“ (Das kann sie wirklich! Sie ist eine ausgereifte Künstlerin!) „Und ich schreibe.“
Roger Handt: „Was schreiben Sie denn?“
Erika: „Erotische Miniaturen.“
Roger Handt: „Kann man die auch lesen?“
Erika: „Ja, die werden auch veröffentlicht, in einer kleinen Zeitschrift, die heißt Der Metzger.“
Roger Handt: „Wie heißt die Zeitschrift?? Der Metzger???“

Wir haben uns kaputtgelacht.
Am Montag danach rief Erika mich an.

„Du kennst doch bestimmt die Sendung im WDR ‚Yesterday‘. Letzten Samatag…“
„Ja. Ich hab das gehört.“
„Du hast das gehört?“
„Ja. Und wir mußten noch schnell in den Buchladen rennen, um ein paar Hefte ins Schaufenster zu legen.“

E.B. fotografiert von H.L. im Büro

E.B. fotografiert von H.L. im Büro

„Erotische Miniaturen“: Erika wollte unbedingt, daß ihre Geschichte „Wat kochse denn da oder Vier Tomaten.“ (DER METZGER 52) mit diesem Bild von ihr illustriert wird: „Ein Popo, auf den man gerne draufhaut.“

HofgartenHLErotische Miniatur: Bonn, Hofgarten 1998. H.L. liest interessiert in Maud Sacquard de Belleroche „Geständnisse – Memoiren einer Frau von 40 Jahren“. Foto: E.B.

HofgartenEBErotische Miniatur: Bonn, Hofgarten 1998: E.B. liest vergnügt in Golo Jacobsen „Memoiren eines Apfelessers“. Foto: H.L.

Was ist ein „Bürgerrechtler“?

Ungarn hat immer nur die Wahl zwischen Bela Kun und Miklos Horthy. Wenn Ungarn nicht sozialistisch ist, ist Ungarn faschistisch. Etwas anderes gibt es dort nicht.
In Ungarn ist dieser Tage die Demokratie verboten worden. Es ist dort auch verboten, obdachlos zu sein. (Was Ungarn mit den westlichen Demokratien allerdings noch verbindet: Es ist erlaubt, Menschen in die Obdachlosigkeit zu treiben).
In Ungarn gibt es ein Verfassungsgericht. Das hat aber nichts zu sagen.
Der Kommentator im Radio ist empört. Er findet es besonders unverständlich, daß der Ministerpräsident Viktor Orban, ausgerechnet er, der „ehemalige Bürgerrechtler“ so etwas getan hat.
Ja, was hat der Radiokommentator sich denn unter einem „Bürgerrechtler“ vorgestellt?

Parkplatz der Vorurteile

In der Zeitung las ich und im Radio hörte ich: Eine Studie hat ergeben, daß Frauen besser einparken können als Männer.
Früher waren wir abergläubisch und chauvinistisch. Da glaubten wir: Die Fahrtüchtigkeit hängt vom Geschlecht ab.
Aber jetzt sind wir aufgeklärt und emanzipiert. Jetzt wissen wir: Die Fahrtüchtigkeit hängt vom Geschlecht ab.

Sssist

Wie es am Samstag vor Heiligabend bei Edeka zu einem aufsehenerregenden Zwischenfall kam.

Leise rieselt die Kauft-mehr-Musik von der Decke bei Edeka. So ist das immer.
Aber dann passierte es. Die Programm-Farbe wurde abrupt geändert. Eine Sängerin sang (ich zitiere):
„Kling Glöckchen klingelingeling
kling Glöckchen kling.
Laßt mich ein, ihr Kinder,
sssist so kalt der Winter…“
Bei „sssist“ konnte ich nicht mehr an mir halten. Die Hartwurst wurde zur Waffe. Und so kam es, daß die ganze Eierlikörabteilung dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Nein. Das ist gar nicht wahr. Aber manchmal …
Dabei sind die traditionellen Weihnachtslieder, die – mich außen vor lassend – in intimer Runde von mir aus ruhig gesungen werden dürfen, nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist diese Pop-Aufbereitung, auf Leute zugeschnitten, die nicht wissen, was „Christmas“ auf deutsch heißt, und diese Werbespot-Bewohner, die stets ein bißchen angeschickert wirkenden dicken Männer in roten Röcken mit Wattebärten, die immer „Hohoho!“ rufen.
„Hohoho!“ Da möchte ich antworten: „Tschi-minh!“
Alles jetzt vorbei und vergessen? In dem Bewußtsein, daß das wiederkommt, verabschiede ich mich für heute mit vorweihnachtlichen Grüßen.