Von unbekannten Wesen

Was zu den Annehmlichkeiten von Neudorf, wo ich seit 39 Jahren wohne, gehörte: daß alles in einem Umkreis von 5 Minuten zu Fuß zu erreichen ist: Aldi, Edeka, Tante-Emma-Laden, Bäckerei, Haltestellen, Bibliothek, Park, Wald, Drogerie, Apotheke, Café, Papierwarenladen, Universität, noch eine Bäckerei, Postamt, Sparkasse, Laden für Künstlerbedarf, Gemüsemann, Delikatessengeschäft, Textilgeschäft, Kurzwarenladen, Chinarestaurant, Balkanrestaurant, italienisches Restaurant, Fahrradladen, mehrere Trinkhallen und noch ein paar Bäckereien. Und das ist noch längst nicht alles. Das Lebensglück wird dann – na, ich will nicht sagen: vollendet, aber frisch gestrichen, wenn zu alle dem noch Dinge hinzukommen, die man eigentlich gar nicht braucht, z.B. ein Fachgeschäft für Modelleisenbahnen oder die Niederlassung eines Lesezirkels, also Dinge, die einen nicht stören und die Rubrik „Was es nicht alles gibt“ ausfüllen.
Ich muß mir eingestehen, daß Neudorf (wenn auch immer noch das qualitätvollste Viertel von Duisburg) in den letzten 39 Jahren an Qualitäten eingebüßt hat. Letztes Opfer der Stadt-Uniformierung ist der „Lesezirkel Astoria“, schräg gegenüber auf der Gneisenaustraße.

Lesezirkel1Lesezirkel2Eines Tages waren die Paneelen, die das (überflüssige) Schaufenster bedeckten, entfernt, und man sah in einem leeren Raum, wo auch der Putz von den Wänden entfernt war – auf den Fotos schlecht zu erkennen. Man erkennt auch nicht, wie riesig dieses Geschäftslokal war, eine Flucht von Hinterräumen.

Ich weiß gar nicht, ob der Begriff „Lesezirkel“ heute noch den meisten geläufig ist. Die Lesezirkel vermieteten „Lesemappen“. Am ehesten begegnete man dieser Methode der Verbreitung von Druckschriften in Frisiersalons und Wartezimmern von Arztpraxen, wo in Pappumschläge eingeheftete Illustrierte herumlagen. (Ist der Begriff „Illustrierte“ den meisten heute noch geläufig?). Auch Privathaushalte konnten solche Lesemappen mieten, bestehend auch sechs oder sieben Illustrierten, die dann nach einer Woche wieder abgeholt wurden. Je älter diese Hefte waren und durch je mehr Hände sie schon gegangen waren, desto niedriger die Wochenmiete.
Wir hatten zu Hause auch eine Lesemappe, wohl weil die irgendwann mal vor oder nach der Währungsreform bestellt und nie abbestellt worden war. Aber der einzige, der sich wirklich für die Lesemappe interessierte, war ich.
Donnerstags kam die neue Lesemappe. Donnerstags nach der Schule hieß für mich: den ganzen Nachmittag diese sechs Wochen alten Illustrierten durchblättern. Einige, wie „Das grüne Blatt“ und die „Bunte“ waren völlig uninteressant, weil: spießig. Andere, wie „Neue Illustrierte“ und „Revue“ (später fusioniert), „Quick“ (mit Nick Knatterton und Loriot) und vor allem „Stern“ vermittelten eine gewisse Modernität in dieser unerträglich kleinkarierten Wirtschaftswunderrepublik. Die (meistens aus Frankreich kommenden) Filme und die Illustrierten galten als eine Flut der Unsittlichkeit, die über unser Vaterland hineinbrach.
Ich erzähle gern den Leuten, daß ich meine Bildung vor allem der Lesemappe zu verdanken habe. Und das ist gar nicht mal so weit hergeholt. Den Namen Sigmund Freud zum Beispiel las ich zum ersten Mal in einer Illustriertenserie, in der es um „die Frau das unbekannte Wesen“ ging.
Um Felder zu betreten, von denen der heimische Kirchturm nicht mehr zu sehen ist, war der 13-, 14- und 15jährige mit den Illustrierten nicht schlecht ausgerüstet. Ein anderer Wegweiser wäre das Kino gewesen. Aber da mußte man ja 18 sein, wenn man den unbekannten Wesen (also dem Wesentlichen) auf der Spur war. Keineswegs schädlich und bedenklich, sondern der seelischen Gesundheit dienlich waren für den 13-, 14- und 15jährigen die Fotos von den in Bikinis gekleideten Filmsternchen (richtig nackt kam ja erst später).
Die wertvollsten Teile des Bildungsfundus, den ich mir angeeignet habe, mußte ich gegen stupide und hysterische Widerstände von offiziellen oder selbsternannten Wächtern der Unlust und Unwissenheit erkämpfen – für mich und für andere. Das wertvollste Wissen sollte vor mir und vor anderen geheimgehalten werden. Ich bin einer der glücklichen Menschen, die „Aufklärung“ couragiertem Forschen verdanken und nicht peinlicher Drumherumreden, die mit einem verlegenen Räuspern beginnen, und ich erfuhr, daß das Geschlechtliche nicht viel mit Peinlichkeit, Ansteckung, Schuld und Schande und Sünde zu tun haben muß, sondern umso mehr mit Freude und Ästhetik zu tun haben kann. Darum auch meine tiefe Abneigung gegen Emanzen, die am liebsten alles wieder verbergen wollen, was wir freigelegt haben und alles mit Anschuldigungen zudecken wollen, was wir rehabilitiert haben.

Lesezirkel3Lesezirkel4Na ja. Life goes on. Mögen die Zeiten so sein, daß in diesem Satz Zuversicht zum Klingen kommt.

In der Schweiz (2)

Ich weiß nicht, ob das Geschehen und Geschehenlassen von den anderen Leuten auf dieser Terrasse registriert wird. Es kann ja wohl nicht sein, daß auf dieser belebten Terrasse, wo ständig Leute umherlaufen, kein Mensch mitkriegt, welche sinnliche Handlung hier geschieht. Vielleicht glauben die Leute, daß wir ein Liebespaar sind, und sie mögen sich denken, daß wir unser erregtes Spiel doch besser im stillen Kämmerlein miteinander treiben sollten statt hier vor aller Augen. Aber niemand reagiert, und niemand bleibt stehen.
Ich gehe zur dritten Phase über und beginne, ihr in den Po zu kneifen. Im Sekundenrhythmus kneife ich mal mit der linken, mal mit der rechten Hand mal in die linke, mal in die rechte Backe. Ich steigere mich schnell und gebe mir Mühe, sehr fest zu kneifen, damit es richtig wehtut. Sie zuckt zusammen und windet sich, schnappt nach Luft, unterdrückt Schreie, stöhnt leise, verzieht ihr Gesicht, beißt die Zähne zusammen, beißt sich auf die Unterlippe. Sie kommt gar nicht dazu, erstaunt zu sein, weil der Schmerz größer ist als das Erstaunen. Aber was sein muß muß sein. Sie muß das unbedingt kennenlernen. Das sieht sie wohl ein. Denn sie wehrt sich nicht. Wahrscheinlich denkt sie: „Bei jemandem, der erzählt, er hätte in Italien eine Wagenladung Geld gestohlen, muß man auch auf sowas gefaßt sein.“
Da sie eine Anfängerin auf diesem Gebiet ist, treibe ich es nicht zu weit und beende die zärtliche Malträtierung. Es soll genügen, wenn sie heute und morgen beim Hinsetzen an mich denken muß.
German_stamp-_Marlene_DietrichNun beginnt auf der Terrasse ein Abendprogramm (es ist aber noch hell). Auf dem Programm steht ein Auftritt von Marlene Dietrich. Ich rechne aus, daß wir uns demnach in den 70er Jahren befinden müssen. Marlene Dietrich kommt, singt ein paar Chansons, die ich noch nie gehört habe. Ich denke, ein Auftritt von Marlene Dietrich ist was ganz besonderes. Aber ich bin der einzige, der „Bravo!“ ruft und heftig applaudiert. Die anderen Anwesenden spenden nur leisen Höflichkeitsapplaus. Der Auftritt des Weltstars hat kaum mehr Eindruck auf die Leute gemacht als meine Darbietung mit der jungen Dame.
Die Unaufmerksamkeit und Gleichgültigkeit dieser uns umgebenden Öffentlichkeit würde es eigentlich gestatten, in eine neue Phase einzutreten, die den Erfahrungshorizont meiner Gespielin beträchtlich erweitern würde. Das Publikum könnte das zwar nicht mehr ignorieren, würde aber, wie ich es einschätze, nicht protestieren oder gar einschreiten. Ich möchte jetzt gern dem Mädchen das Bikinihöschen runterziehen und ihr ein paar Dutzend mal auf den Hintern klatschen, bis der rot ist. Eigentlich müßte ich das Höschen gar nicht runterziehen, denn das ist so knapp, daß die Rötung ihrer Hinterbacken zur Geltung kommen und reizvoll mit dem hellgrünen Stoff kontrastieren würde. Aber vielleicht wäre für eine solche Lektion in Sinnlichkeit ein intimer Rahmen wirklich besser.
IDSchweiz2Inzwischen hat sich herausgestellt, daß meine Lust-Kameradin des Nachmittags keineswegs eine Einzelreisende ist, sondern zu einer Gruppe gehört, zu der noch drei weitere Mädchen im selben Alter gehören. Ich sehe, wie die drei heftig auf sie einreden. Immer wieder werden Seitenblicke auf mich gerichtet, als wäre ich ein Unhold, auf den sie sich unschicklicherweise eingelassen hat. Danach kommt sie kleinlaut zu mir, sagt, daß sie jetzt mit ihrer Reisegruppe noch etwas vorhat, und verabschiedet sich.
Ich bin also entlassen und habe nun endlich Gelegenheit, mich um die Pappkartons zu kümmern.

Ende

In der Schweiz (1)

Wir haben mit unserem Lieferwagen in der Schweiz eine Herberge angesteuert, die auf einem Berg liegt, von wo aus man das Postkartenpanorama der Schweizer Alpen bewundern kann. Im Lieferwagen befinden sich zahlreiche große Pappkartons, prall gefüllt mit Geldscheinen, die wir am Vormittag in Italien gestohlen haben.
Der Wagen wird abgestellt, und wir wollen uns zur Ruhe begeben. Ich bin müde und erschöpft, aber die Kartons müssen noch ins Haus getragen werden. Als die Arbeit getan ist, bin ich noch müder und erschöpfter. Ich will nun meine Ruhe haben. Aber auf dem Weg vom Parkplatz zu dem Haus werde ich von einer jungen Dame angesprochen. Sie befindet sich wohl auf Wanderschaft und ist heute in dieser Herberge angekommen. Sie kennt hier niemanden und sucht jemanden zum quatschen. Und das bin ich. Nun gut, ich bin ein höflicher Mensch. Sie ist auch recht sympathisch. Sie ist höchstens 17, bestimmt noch Schülerin. Sie ist viel kleiner als ich und hat halblanges, herunterhängendes, rötlich-blondes Haar. Sie hat, bei aller Jugendlichkeit, recht ausladende Formen und wirkt ein wenig pummelig. Da sie in diesem regen Treiben und Kommen und Gehen nicht unter all den Menschen allein sein will, weicht sie nicht von meiner Seite. Sie stellt mir ein paar Fragen, wer ich bin und woher ich komme und was ich mache usw., und ich bemühe mich, trotz aller Müdigkeit, nicht allzu wortkarg zu sein.
IDSchweiz1Den Rest des Nachmittags verbringen wir auf der großen Terrasse unter Sonnenschirmen. Wegen der Hitze ist sie nur noch sehr spärlich bekleidet. Sie trägt einen hellgrünes T-Shirt und ein hellgrünes Bikinihöschen. Ich habe einen Liegestuhl gefunden, auf dem ich mich bequem ausstrecken kann. Das Sprechen fällt mir schwer. Ich bin so müde, daß ich mich kaum konzentrieren kann, aber ich versuche, ihrer Rede aufmerksam zu folgen. Ich muß auch ab und zu etwas sagen, aber am Ende jedes Satzes weiß ich kaum noch, wie ich ihn begonnen habe. Ich erzähle ihr, daß ich am Vormittag in Italien gemeinsam mit ein paar Freunden einen Riesenbetrag Geld gestohlen habe. Damit riskiere ich nichts, denn sie glaubt das sowieso nicht.
Irgendwann sitzt sie rittlings auf meinen Knien. Dann liegt sie auf mir, Bauch auf Bauch, Brust auf Brust, Gesicht auf Gesicht. Wir lächeln uns an. Ich umarme sie, streichle ihr Haar, dann ihren Rücken, und nach kurzer Zeit sind meine Hände auf ihrem Po angelangt. Ich streichle zärtlich ihren Po und lasse mir damit viel Zeit. Während wir unser Gespräch fortsetzen, das so verläuft, wie es unter Menschen, die sich gerade kennenlernen, üblich ist, nehme ich meine Hände nicht von ihrem Po. So viel Unumwundenheit überrascht sie, damit hat sie nun ganz und gar nicht gerechnet. Aber es scheint ihr zu gefallen. Sie strahlt mich an. Wegen der Räuberpistole, die ich ihr von mir erzählt habe, billigt sie mir ein gewisses Maß an Vagantenfreiheit zu. Außerdem ist sie viel jünger als ich und unerfahren und mag vielleicht nur darüber verwundert sein, was es alles gibt… Sie sagt nicht etwa „Was machst du da?“ oder „Bist du verrückt?“. Während ich ihren Po streichle, erzählt sie mir dieses & jenes.
Irgendwann sagt sie mal: „Ich will was zu Trinken holen. Soll ich dir was mitbringen?“ Sie erhebt sich, befreit sich von meinem Zugreifen. Aber als sie mit zwei kleinen Flaschen Coca Cola zurückkommt, begibt sie sich wieder in dieselbe Lage wie vorhin. Meine Coca-Cola-Flasche lasse ich auf dem Tisch stehen. Auch sie findet es unbequem, in ihrer Lage eine Flasche zu halten, und stellt sie auch ab.
Als schicklich genug Zeit vergangen ist, vielleicht eine Stunde, fahre ich mit beiden Händen unter ihr Bikinihöschen, um ihren nackten Po zu befühlen. Darüber wundert sie sich schon gar nicht mehr.
Zuerst streichle ich, dann beginne ich, ihren Hintern zu kneten und zu massieren. Sie hat wirklich einen festen, strammen Hintern!
Die Festigkeit meines Zugriffs steigert sich. Sie sagt nun nichts mehr. Sie hat die Augen geschlossen und atmet tief. Aus ihrem Gesicht ist die Aufmerksamheit zu lesen für das, was ich mit ihr mache. Als die Festigkeit meines Zugreifens anfängt, ihr wehzutun, ist ein Zucken in ihrem Gesicht zu sehen, aber sie lächelt vor sich hin.

Fortsetzung folgt

Für eine glücklichere Zukunft!

Sie hat mir manchmal Notizen geschickt wie diese hier:

„Extra für Dich
Kurz vor Ladenschluß.
Ich möchte unbedingt was vor seinem Laden machen. Etwas, weas er so schnell nicht vergißt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Mit einem großen Transparent. – Gegen Hakenkreuze. So etwas. Gegen deutsche Suppenschüsseln, ha!
!!! Erregung öffentlichen Ärgernisses !!! !!! Vor allen Leuten !!!
Schamlos. Unübersehbar. Vielleicht mit einer Gerte oder einem Lederremen. Was Nacktes. WEas Nacktes vor seinem Laden. Meine Bühne ist die Straße. DO IT ON THE ROAD.
Es geht also los. Als ich mich kurz umdrehe, sehe ich ihn am Fenster stehen. Ich installiere seelenruhig die Leiter und fange schon mal mit dem Ausziehen an. Mit dem Rücken zu ihm. Aber er guckt immer noch und faßt es nicht. „Was macht die denn jetzt???“ Endlich begreift er, was sich da abspielt.
Während ich also mit dem Ausziehen beschäftigt bin – ein paar Leute bleben schon stehen – kommt er wie ein Pfeil rausgerannt. Ich schüttel seine Hände ab: „Laß mich doch!“ Dann nimmt er mich kurzentschlossen auf den Arm und trägt mich schnell über die Straße. So, schnell rein da, Tür zu. Abschließen, „damit se nich abhaut.“
„Also, was denkst du dir eigentlich?“
Er rennt auf und ab, es ist herrlich zuzuhören. Es macht mir immer mehr Spaß.
„Na warte.“ ——-………—–…..———-…….?—-!!!§“!“——…………?……………..
Danach kann ich nicht mehr sitzen. Deinen Tisch habe ich nämlich abgebaut. Extra für Dich.

Abgesehen von einigen Eskapaden wie vorstehender, verstecke ich meine Figur lieber unter Kleidern und LILA LATZHOSEN. Ich möchte nämlich nicht von jedem Wichser „angemacht“ werden.
Wer meinen Arsch zu sehen verdient – das entscheide immer noch ich. Der gehört nämlich mir, mein Kleiner.
Freundliche Grüße an Lina Gannofs… mein Gott, WIE heißt die?
Du weißt doch, daß ich schwer erziehbar bin.“

In ungeduldigem Klang gehaltene Entwürfe füllten oft die Blätter, die sie mir mit der Post zuschickte. Der Rekurs auf körperliche Züchtigung in erotischem Kontext ist bei ihr nicht selten (siehe hier und siehe da), und unvermeidlich ist ihre Weigerung, den Namen ihrer Lieblingsrivalin jemals korrekt hinzuschreiben.

Die Geschichte ist realer als man zunächst glauben mag. Ich traue Erika eine solche Aktion durchaus zu: daß sie sich auf der Straße auszieht und sich aller Welt nackt zeigt, um so gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit in der Welt und deutsche Suppenschüsseligkeit zu protestieren. In der Einschätzung der subversiven Kraft sexueller Intervention weiß sie sich mit mir einig („Besser kann man‘s nicht ausdrücken“).
Darum fand ich die Geschichte gar nicht so gut. Das habe ich ihr auch gesagt, als sie mich anrief:
„Der Mann in der Geschichte, damit kann ich ja wohl nicht gemeint sein. Ich würde doch nicht einschreiten, wenn du, im Einklang mit unserer gemeinsamen Kunstauffassung, aus Protest gegen Spießertum und Untertanengeist dich öffentlich entblößt. Ich würde doch in Wirklichkeit eine solche Kunst-Aktion unterstützen.“
„Na, da bin ich mir nicht so sicher“, sagte sie. Ich hätte ahnen können, daß sie noch was vorhat.

Erika besuchte mich manchmal im Geschäft. Die Zeit von eins bis drei war uns am liebsten, weil durch Umdrehen des Türschlosses der Publikumsverkehr ferngehalten wurde.
„Schau her!“ sagte sie. „Mein Hintern ist doch nicht schlechter als der von der Glabowski!“ Und dann sagte sie plötzlich: „Ich stell mich jetzt nackt ins Schaufenster.“

"Ich stell micht jetzt nackt ins Schaufenster!"

„Ich stell micht jetzt nackt ins Schaufenster!“

Ich hechtete ihr hinterher und hielt sie im letzten Moment zurück. Sie wehrte sich heftig. Sie wollte unbedingt im Evaskostüm im Schaufenster stehen, und ich wollte das unbedingt verhindern.

„Laß mich los!“ rief sie wütend. Denn: Wer ihren Arsch sehen soll, das will allein sie entscheiden.

Wir haben uns dann vorgenommen, doch noch ein Happening aus Unfug, Unzucht und Umsturz zu veranstalten, allerdings an einem Ort, den wir beide nach getaner Tat verlassen konnten.
Nämlich im Bonner Hofgarten.

Ist was?

Ist was?

Die Hofgartenwiese, der historische Ort, wo einst gegen Krieg und für Abrüstung demonstriert wurde, erschien uns sehr geeignet für eine Manifestation der Hoffnung auf eine glücklichere Zukunft. Eine einzelne Bank stand mitten auf der Wiese. Auf ihr hatten wir uns niedergelassen. Hier, am Schnittpunkt der Diagonalen, sichtbar von allen Seiten, sichtbar für zahllose Parkbesucher, legte Erika sich quer über meinen Schoß und empfing von mir energiereiche Schläge auf den Hintern.

Auaa! (Täter unkenntlich gemacht).

Auaa!
(Täter unkenntlich gemacht).

Nicht alle können in dem Moment in eine andere Richtung gesehen haben. Nicht alle können den Rhythmus der Applikationen und die Melodie der Äußerungen meiner Mitstreiterin überhört haben. Vielleicht hat ein Kind auf dem Spielplatz nebenan gefragt: „Mama, was macht der Mann da mit der Frau?“
Wir sind dann auch schnell abgehauen.

Na? War was? (Jetzt aber nix wie weg).

Na? War was?
(Jetzt aber nix wie weg).

..

Macht es, aber ohne mich

M110IchWillEsNichtIch behaupte ja gar nicht, daß es unangenehm ist und keinen Spaß macht. Aber daß es das non plus ultra sein soll, das absolute Maß, der eigentliche Sinn & Zweck – das leuchtet mir nicht ein. Man liest: All die schönen perversen Spielchen sind nur erlaubt, wenn sie das Vorspiel zum AKT sind. Dem stimme ich nicht zu.
Die Natur hat es so eingerichtet, daß bei den Säugetieren nur das kräftigste Männchen zur Weitergabe der Chromosomen berechtigt ist. Die anderen gucken in die Röhre. Und so sieht es auch aus: Der Geschlechts-Akt ist ein Kraft-Akt, bei dem viel geschwitzt und geächtst und kaum gelacht wird. Wollen wir eine Spezies von Kriegern, Recken, Gewichthebern und Gebährmaschinen sein? Sollten für eine menschen-würdige Zukunft auf diesem Planeten nicht andere Charakterzüge gepflegt werden als Kraft und Imponierpotenz, nämlich Phantasie und Humor?
Wir leben nicht mehr in der Steinzeit. Archaische Varianten sexuellen Verhaltens sind verzichtbar. Die Sexualität des Menschen sollte auf das Niveau der Zivilgesellschaft gehoben werden. (Bei dieser Gelegenheit möchte ich anregen, daß Armeeangehörigen jede wie auch immer geartete sexuelle Betätigung zu untersagen ist – weil sie keine Zivilisten sind).
Vor dem Ziel, das uns gestellt ist, breitet sich der Garten der Lüste aus, der mehr ein Dschungel ist, in dem man sich gern in die Irre führen läßt. Der irrsinnige Satz „Der Weg ist das Ziel“ sollte hier doch wenigstens mal zutreffen: Der Umweg ist das Ziel.
Denn zu den großen Leistungen des menschlichen Geistes gehört es doch auch, die Sexualität von der Fortpflanzungsfunktion zu emanzipieren.
Bei schätzungsweise 99,9 % aller sexuellen Aktivitäten soll die Zeugung vermieden werden. Sie würde als ungewollte, ja mitunter als verhängnisvolle Folge angesehen. Wäre da nicht in Betracht zu ziehen, mit Tätigkeiten, die Verhängnisse nach sich ziehen, gar nicht erst anzufangen, und sich im Dschungel der Lüste nach lustigeren und weniger riskanten Möglichkeiten umzuschauen. Da möge jeder und jede nach eigenem Gusto entscheiden.
Verhütung ist doch eigentlich etwas Komisches. Das ist so, als würde man in einem Hochhaus ganz nach oben fahren, um dann runterzuspringen, und um ein Unglück zu vermeiden, nimmt man einen Fallschirm – um dann da zu landen, wo man hergekommen ist.
Ja, da kann man doch gleich unten bleiben.

Wir halten uns dran mit Fourier

Die Einladung zu einer Veranstaltung in der Spinatwachtel gebe ich bekannt:

Liebe Wachtelfreunde,
wir freuen uns Euch zu einer Lesung der besonderen Art einladen zu können:
Werk und Schule des Frühsozialisten Charles Fourier (1772-1837) haben weltweit Spuren hinterlassen. Fouriers sarkastische Sozialkritik und -analysen, seine kosmischen Phantasien und erotischen Utopien lieferten den Stoff für Debatten in Zirkeln der Bohème und Kreisen der Lebensreformer. Hätte Charles Fourier mitbekommen, dass er in die Rubrik „Philosophie“ einsortiert worden ist, wäre wohl ein Wutanfall zu erwarten gewesen. Fourier sah sich als „Entdecker“, konnte der Aufklärung nichts abgewinnen und war der festen Überzeugung, dass Gott die Welt eingerichtet hat, dabei hatte sein Gottesbegriff so rein gar nichts mit dem zu tun, was im Religionsunterricht gelehrt wird.. Er war der Meinung, der Mensch solle glücklich werden auf der Erde und nach seinen Leidenschaften leben. Marvin Chlada und Andreas Gwisdalla bieten eine Einführung in das Leben und Denken dieses skurrilen Sonderlings.
Es wird ein bunter Abend voller verrückter Ideen und phantastischen Theorien, neben der Buchpräsentation wird aus Originaltexten vorgetragen, es gibt einen Film und fürs leibliche Wohl ist auch gesorgt. Der Eintritt ist frei und wir freuen uns sehr auf Euren Besuch!
Viele Grüße Susanne und Andreas

FourierWachtel..

Fourier. Nachtrag.

Gestern kündigte ich hier das Buch Charles Fourier. Eine Einführung in sein Denken von Marvin Chlada, Andreas Gwisdalla an, und ich zitierte aus Wikipedia:

„Fourier ist der Vater des Begriffs Feminismus. Er beschäftigte sich intensiv mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau. In seinem Werk Aus der Neuen Liebeswelt schrieb er, ‚Die Harmonie entsteht nicht, wenn wir die Dummheit begehen, die Frauen auf Küche und Kochtopf zu beschränken. Die Natur hat beide Geschlechter gleichermaßen mit der Fähigkeit zu Wissenschaft und Kunst ausgestattet.’“

Heute war Marvin Chlada hier und sagte: Stimmt nicht. Fourier hat den Begriff nicht erfunden. Das wird zwar oft behauptet, ist aber nicht zutreffend.

Das finde ich schade. Den sensiblen Lesern (nebst Innen) wird die Ironie, die dem Einfügen des Wikipedia-Zitats innewohnt, nicht entgangen sein. Die Diskrepanz zwischen der emanzipatorischen sex-positiven Utopie und dem heutigen pragmatistischen Mainstream-Feminismus à la A.Schw., der die Emanzipation der Aufsteiger-Mentalität geopfert hat und zu einem paternalistischen sex-negativen Konservatismus tendiert, ist doch auffällig.

FourierEssenTrinken..

Gestern kam Fourier

Gestriges Ereignis im Wareneingang der verdienstvollen Buchhandlung Weltbühne: Dieses Buch:

Marvin Chlada, Andreas Gwisdalla: Charles Fourier. Eine Einführung in sein Denken. Alibri-Verlag 2014. 136 S. 10 Euro.

ChladaFourierDer Verlag hat das Wort:
Fourier hat als Frühsozialist nicht nur in der Geschichte des utopischen Denkens seinen Platz. Er bot auch im 20. Jahrhundert zahlreiche Anknüpfungspunkte für emanzipatorische Entwicklungen. Die beiden Autoren führen in die unterschiedlichen Aspekte von Fouriers Denken ein, erläutern die zentralen Begriffe und die zugrunde liegenden politischen und philosophischen Fragestellungen. Sie arbeiten nicht nur Fouriers Aktualität heraus, sondern auch seine zahlreichen Fehleinschätzungen und fragwürdigen Ansätze.
Aus dem Inhalt: Charles Fourier und der Fourierismus; Systemische Grundlagen; Die einfältige Zivilisation; Die Geschichtsphilosophie; Die leidenschaftliche Anziehung; Die Harmonie; Sozietäre Theorie und Praxis; Zur Aktualität des Charles Fourier.

Und das stand im METZGER:
Im Gegensatz zu den„schmutzigen Orgien“ in der Zivilisation, die Fourier verachtet, gibt es bei den „ehrbaren Orgien“ in der Harmonie keine Libertinage oder Ausschweifungen mehr. An die Stelle der „Schamlosigkeit“ treten die „sentimentalen Beziehungen“ unter den Beteiligten. Orgien finden nicht mehr im Verborgenen statt. Sie sind eine öffentliche Angelegenheit. Vorbereitet und organisiert werden sie bei den regelmäßigen Sitzungen des Liebeshofs vom „Ministerium der Feen“ und einer Hohepriesterin. O-Ton Fourier: „Wir sollten einen Zipfel des Vorhangs lüften und klarmachen, dass die Aufgaben des Ministeriums im Liebeshof für die Freuden der Jugend von allerhöchster Bedeutung sind. (…) Die gewöhnlichen Beziehungen des Liebeshofs geben Gelegenheit, sich gegenseitig zu erforschen, um die Ehen nach der sympathischen Stufenleiter zu schließen. Dabei ergeben sich glänzende Orgien, die reizvolle Illusionen, kostbare und dauerhafte Erinnerungen bieten.“ Je nach Erfolg und anhaltender Liebe kann eine solche Orgie wochenlang fortgesetzt werden. Für Essen und Getränke ist ausreichend gesorgt.
(aus: Marvin Chlada: Objekte der Begierde. Über die Museumsorgie in Fouriers neuer Welt der Liebe. DER METZGER Nr. 110).

„Fourier ist der Vater des Begriffs Feminismus. Er beschäftigte sich intensiv mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau. In seinem Werk Aus der Neuen Liebeswelt schrieb er, ‚Die Harmonie entsteht nicht, wenn wir die Dummheit begehen, die Frauen auf Küche und Kochtopf zu beschränken. Die Natur hat beide Geschlechter gleichermaßen mit der Fähigkeit zu Wissenschaft und Kunst ausgestattet.’“
Wikipedia

„Fourier ist nicht nur Kritiker, seine ewig heitre Natur macht ihn zum Satiriker, und zwar zu einem der größten Satiriker aller Zeiten.“
Friedrich Engels

Bestellen Sie dieses Buch in der Buchhandlung Weltbühne.
Wir besorgen jedes lieferbare Buch. Wir liefern jedes Buch an jeden Ort.
LIEBE leute BESTELLT bücher IN der BUCHHANDLUNG weltbühne UND sonst NIRGENDS.
Weltbühne muß bleiben.
Buchhandlung Weltbühne, eine gute Angewohnheit.

Ja, wo steht er denn, wo liegt sie denn, wo hängt es denn (das Bild)?

„Dieses Bild habe ich im Original gesehen“, sagte mir einer, der kurz vorher das Wallraf-Richartz-Museum in Köln besucht hatte und nun die Abbildung des Originals auf einer Postkarte in einem der Weltbühne-Postkartenständer entdeckt zu haben glaubte.

LadyM4Kleiner, verzeihlicher Irrtum!
Francois Boucher hat im Jahre 1752 die 14jährige Louise O’Murphy auf weltberühmte Art porträtiert, und das Bild fand in den Äonen seither immer wieder Bewunderer, wobei die Bewunderung der wahren Kunstsinnigen dem betörenden Modell noch mehr galt als dem verdienstvollen Maler.

LadyM1Das weltberühmte und auf auf der Kunstpostkarte abgebildete Gemälde hängt allerdings gar nicht in Köln, sondern in der Alten Pinakothek in München.

Boucher fertigte – aus Gründen, die ich nicht kenne – eine zweite, sehr ähnliche aber doch etwas unterschiedliche Version dieses Bildes an. Welche die erste und welche die zweite Version ist, weiß ich nicht. Eines der beiden Bilder (siehe oben) ist in München, das andere (siehe unten) ist in Köln ausgestellt.

LadyM2Die Frage, welches der beiden Bilder das Schönere ist, ist müßig. Man wird keine Antwort finden. Das zweite erscheint sorgfältiger ausgearbeitet, man könnte das erste für eine Skizze für das zweite halten. Dennoch fand die in München ausgestellte Version mehr Aufmerksamkeit. Es gilt als die „eigentliche“ Arbeit.

1972 zitierte der US-amerikanische Pop-Art-Künstler Mel Ramos das Motiv. Ich habe das Bild wiederum zitiert in meinem Kurzfilm „Nr. 4“ (Hut-Filmproduktion 1978 – enthalten auf der DVD „Der 11. Mai“).

LadyM3Ramos‘ Bild hat den Titel „Ursela“ (sic!). Er hat Lady O’Murphy durch die Filmschauspielerin Ursula Andress ersetzt.
Der Name der aus der Schweiz stammenden Schauspielerin klingt im englischen Sprachraum nicht unverfänglich. Ihr inoffizieller Name lautete „Ursula Undressed“.
Auf dem Bild trifft es ja auch zu.

HFP-Cover-11-Mai

Buchempfehlung wegen gestern

Meiner gestrigen medienkritischen Busen-Betrachtung füge ich eine Buch-Empfehlung hinzu:

chlada-AL019XFgMarvin Chlada: Dialektik des Dekolletés. Zur kritischen Theorie der Oberweite. Alibri Verlag 2006. 128 S. 12 Euro
Der Verlag hat das Wort:
„Bereits zu biblischen Zeiten hat ein voller weiblicher Busen für reichlich Aufsehen und erregte Gemüter gesorgt. Doch nie haben Brüste mehr Stoff für pralle Debatten geliefert als im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. In seiner ‚Dialektik des Dekolletés‘ wirft Marvin Chlada einen Blick auf die Geschichte der Brust und ihre Instrumentalisierung zwischen Glaube, Kommerz und Utopie. Ausgehend von der ‚Busen-Attacke‘ auf Adorno im April 1969 sichtet er die Fülle an Material, die der Kult um die Oberweite bis heute hervorgebracht hat.“

Das Buch gibt es nur in der Buchhandlung Weltbühne, auch im portofreien Versand.
LIEBE leute BESTELLT bücher IN der BUCHHANDLUNG weltbühne UND sonst NIRGENDS.
Weltbühne muß bleiben.
Buchhandlung Weltbühne, eine gute Angewohnheit.

P.S.: Gucken Sie mal genau hin, welches Bild die Frau auf dem Cover da an ihre Brust drückt!

Der Busen in der Leistungsgesellschaft

„Und wenn aufgeblasne Herren
dir galant den Weg versperren,
ihre Blicke unter Lallen
nur in deinen Ausschnitt fallen,

Sage nein!“
Konstantin Wecker

Bild140916Wer hat – den Schönsten?
Was soll die Frage? Wird ein Preis verliehen?
„TV-Busen“!
Die Assoziation, die sich mir aufdrängt, ist mir nicht sympathisch: „Brust-Korrektur“, „Implantat“. Der Busen, so wie der Liebegott (oder wer auch immer) ihn wachsen ließ, ist nicht in Ordnung. Es bedarf einer „Korrektur“.
Wir haben mit Fleiß und Phantasie, mit Courage, mit List und auch mit Tücke in der Sexualität das Schuld-Prinzip durch das Lust-Prinzip zu ersetzen versucht. Es scheint uns nicht ganz gelungen zu sein, denn statt des Lust-Prinzips ist das Leistungs-Prinzip an seine Stelle getreten. Auch unter dem Leistungs-Prinzip gibt es Schuldige.
Die Körper-Optimierung läßt an Gesundheit, Wohlgefühl, Schönheit und Erotik nicht mehr denken, sondern an Fitness. „Fit“ (englisch) heißt so viel wie „geeignet“, „brauchbar“, „verwertbar“.
Was sind das für Zeiten, in denen das Objekt des Begehrens nicht auch selbstverständlich das Objekt des Verehrens ist und das Objekt der Betrachtung nicht auch das Objekt des Respekts!
Eine Galerie von sechs anonymen Dekolletés, Brüste werden zu Titten. Busen ohne Gesicht, die Frau wird ausgeblendet, das verklemmte Publikum darf bewerten.

Es hat mir nie etwas ausgemacht, ja, ich habe es mit Stolz hingenommen, wenn mir der Titel „Pornograph“ verliehen wurde. Aber ich habe auch nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Frau immer auch mehr ist als nur ein Sexobjekt! Es war mir stets mehr als ein Anliegen, für die Nacktheit der Frau, für die Stimulation, für die Darstellung sexueller Reize öffentlichen Raum zu verlangen. Aber nicht, damit sowas dabei herauskommt.

Wieder, immer wieder!

Wieder sah ich ein Baugerüst stehen.

BaugeruestUnd wie immer, wenn ich ein Baugerüst stehen sehe, mußte ich an SIE denken!

Manchmal, wirklich nur manchmal, vermisse ich sie doch noch ein ganz kleines bißchen.
Ja!

Wie das kommt, daß ein Baugerüst, ausgerechnet ein Baugerüst mich an SIE erinnert
und mich sehnsuchtsvoll an ihren so ganz besonders betörenden Körperteil denken läßt, das …

… das erzähle ich Ihnen vielleicht ein anderes Mal.

Oder fragen Sie sie doch selbst!

Alle überflüssigen Vorsätze…

…werden irgendwann gebrochen.
BBkonkretEs geschehen noch Z. und W.!
Nach über 40 Jahren endlich mal wieder ein schönes Sex-Foto in Konkret! (Heft 8/2014).
BBnackigDaß diese (Art von) Darstellung in der jetzigen finsteren Zeit wieder mit „Revolte“ (oder sagen wir nüchterner: mit Auflehnung) assoziiert wird, läßt hoffen (siehe DER METZGER Nr. 40).

Ostermarsch 2014 in Duisburg. Die Reportage.

OM2014-01Ostersamstag, früher Morgen. Es tut sich was auf dem Asphalt.
OM2014-02Große Ostermärsche werfen ihre Schatten voraus.
OM2014-03Die Leute, die früher immer riefen „…raus aus Afghanistan“ (um à la longue in die Regierung zu kommen), rufen das jetzt nicht mehr, obwohl (bzw. weil) es dafür jetzt Gründe gäbe.
OM2014-04
OM2014-05
Felix, alter Kämpe! Ich wollte, wir hätten mehr von der Sorte.
OM2014-06Die DFG-VK in Duisburg hat die Nähe zur Partei nie gescheut.
OM2014-07Es war eine gute Idee, die Band Orkestar Varbista einzuladen. Wirkliche Könner auf ihren Instrumenten, die populäre und revolutionäre Melodien verjazzten.
OM2014-08In der Samstag-Morgen-Sonne in Frühling haben auch die schönsten Männer weiße Haare.
Drauf geachtet, rechts im Bild? Konstantin Wecker kommt dieses Jahr wieder zum UZ-Pressefest.
OM2014-09Diese Partei ist auch da und wahrscheinlich wieder dafür & dagegen. Für mich sind das Analphabeten. (Die kaufen keine Bücher). Die meinen, sie hätten genug Papier.
OM2014-10Eberhard, der geduldige Aufklärer.
Asian Beauty.
OM2014-11Rote Fahnen, graue Haare.
OM2014-12Sevim Dagdelen (MdB Die Linke) hielt eine Rede. Sie attestierte der SPD, nicht reif für eine rotrotgrüne Koalition zu sein (sehr richtig!) und kritisierte auch ihre eigene Fraktion wegen aufweichender Haltung in der Frage von Auslandseinsätzen.
OM2014-13Nicht mehr das Tauben-Blau, sondern Rot ist die Farbe dieses Ostermarsches. Gefällt mir.
OM2014-14Buch gekauft. Gut.
OM2014-15Seltsam! Auch in diesem Jahr keine Beschwerde und (hörbare) Aufregung über unsere Make-Love-Not-War-Plakatbotschaft mit Erikas Merkspruch zum Merken. Emanzen erschrecken klappt anscheinend nicht mehr so richtig. Oder werden jetzt hinter verschlossenen Türen und vorgehaltenen Händen Boykott-Beschlüsse gefaßt? Bedarf es solcher Beschlüsse eigentlich?
Gut dazu passend: „Worum es geht“.
OM2014-16Hört zu, wenn Bernd Funke spricht.
OM2014-17-Die Partei zeigt endlich auch mal wieder Farbe.
OM2014-18Und hinterher wieder alles schön einpacken.

Fotos: DFG-VK

Ulrike Heider ist jetzt da (genauer gesagt: ihr Buch)

Vor ein paar Tagen habe ich es hier angekündigt, und jetzt ist es eingetroffen, das bemerkens- und empfehlenswerte Buch von Ulrike Heider – eine rationale (Gegen-)Stimme in dem Kontext, den die guten Geister verlassen, wenn das Neo-Establishment sich von seinen „68er“-Sünden sauberwaschen will – und erst recht, wenn’s um’s Geschlechtliche geht.
v_gelnWomit kriegt man es zu tun?
Dazu zwei Zitate aus einem Interview mit Ulrike Heider in der Taz: vom 5.12.2013:

„Freuds Lehre von der kindlichen Sexualität war ja nach der Nazizeit gerade erst wieder rehabilitiert worden. Kinderladengründer und Eltern bemühten sich, alle Äußerungen kindlicher Sexualität zu akzeptieren. Man erlaubte Masturbation und Doktorspiele. Und wenn Kinder dem Cohn-Bendit an den Schwanz gegriffen haben, hat er ihnen nicht auf die Finger gehauen. Später hat er gesagt, er hätte das nur erfunden. Ich kann mir aber vorstellen, dass es so passiert ist. Das fände ich nicht schlimm. Und wenn er ein Kind auch unter der Gürtellinie gestreichelt hat, finde ich auch das nicht schlimm. Das hat nichts mit Pädophilie zu tun. […]
Man dachte damals anders. Der Sexualforscher Alfred Kinsey zum Beispiel meinte, dass ein Kind von einer gewaltfreien sexuellen Annäherung durch einen Erwachsenen nicht verstört wird. Erst die hysterischen Reaktionen von Eltern, Polizisten und Richtern auf so einen Fall schadeten Kindern im Nachhinein. Fast alle Sexualwissenschaftler waren damals ähnlicher Meinung. Deshalb finde ich es idiotisch, wenn Leute, die wegen ihrer Meinung von vor 30 Jahren der Aufforderung zum Missbrauch bezichtigt werden, jetzt mit Zwecklügen und Rationalisierungen reagieren. Wenn die Diskussion nicht so unhistorisch und moralistisch geführt würde, könnte Cohn-Bendit sagen: Die haben sich an mir zu schaffen gemacht, und ich habe es ihnen nicht verboten. Jürgen Trittin könnte sagen: Ich war presserechtlich verantwortlich für ein Arbeitspapier, das die Aufhebung von Schutzaltersgrenzen forderte, aber das hätte jeder andere sein können. Volker Beck, der in einem Sammelband zum Thema Pädophilie einen Artikel geschrieben hat, könnte sagen: Ja, ich habe das geschrieben, weil ich damals so dachte. Ich habe meine Meinung inzwischen geändert.“

„Ich habe mich in der ganzen 68er Zeit nie von einem Mann unter Druck gesetzt gefühlt. Nie hat einer etwas gesagt wie: „Wenn du jetzt nicht mit mir schläfst, bist du nicht emanzipiert.“ Viele Frauen, darunter ich, begriffen das Recht auf freie Liebe als ein Frauenrecht. In den 70ern kam eine Stimmung auf, in der Feministinnen die Sexrevolte als reine Männerangelegenheit abgetan haben. Es hieß, nur die Männer hätten profitiert. Sie hätten Frauen zum Sex gezwungen. Ich habe das so nicht erlebt.“

Ulrike Heider: Vögeln ist schön. Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt. Rotbuch Verlag 2014. 320 S. 14,95 Euro.

Das Buch ist in der Buchhandlung Weltbühne erhältlich und sollte auch dort bestellt werden (auch für den portofreien Versand).
Buchhandlung Weltbühne ist auch schön.

Von Adorno bis Porno – Lesung mit Ulrike Heider

Am Samstag, 15 März um 20 Uhr liest Ulrike Heider im Lokal Harmonie in Ruhrort aus ihrem Buch VÖGELN IST SCHÖN, das in den nächsten Tagen erscheint.
Der Verlag stellt sein Buch vor:
1968 das Jahr, das die Bundesrepublik veränderte wie wenig andere: Die junge Generation begehrte gegen das Establishment und den „Muff von tausend Jahren“ auf, propagierte freie Liebe und wollte Ehe und Familie abschaffen. Zugleich schwappte mit Oswalt Kolle die erste Sexwelle über Deutschland, und die Kommerzialisierung von Liebe und Sexualität begann. Heute scheinen die Kämpfe ausgefochten, aber der Schein trügt. Der Erfolg von Büchern wie „Feuchtgebiete“ oder „Fifty Shades of Grey“, die anhaltende Diskussion um die „Homoehe“ oder das von der Regierung vertretene Frauenbild beweisen: die Entwicklung geht wieder zurück und ein sexueller Neokonservatismus ist auf dem Vormarsch. In „Vögeln ist schön“ blickt Ulrike Heider auf die Sexualdiskurse der letzten 50 Jahre zurück. Von der späten Adenauer-Ära und der Studentenrevolte über die Frauen- und Schwulenbewegung bis zu den aktuellen Debatten über Pornographie, Sadomasochismus oder der Pädophilie-Debatte bei den Grünen geht sie der Frage nach, wie sich Sexualität zur historischen und politischen Entwicklung verhält. Sie vergleicht die Ideale von damals mit heutigen Normen, Tabus und Moralvorstellungen, benennt Auswirkungen, Erfolge und Versagen der Sexrevolte.
v_gelnUlrike Heider: Vögeln ist schön. Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt. Rotbuch Verlag 2014. ca. 256 S. ca. 14,95 Euro.

Lokal Harmonie e.V., Harmoniestr. 41, 47119 Duisburg (Ruhrort). Eintritt 10 bzw. 5 Euro.

Das Buch erscheint in den nächsten Tagen und ist in der Buchhandlung Weltbühne dann erhältlich und sollte auch dort bestellt werden (auch für den portofreien Versand).
Buchhandlung Weltbühne ist auch schön.

Blinde Empörung

BlindFaithHad To Cry Today; Can’t Find My Way Home; Well All Right; Presence Of The Lord; Sea Of Joy; Do What You Like. Eric Clapton (Gitarre), Ginger Baker (Schlagzeug), Steve Winwood (Orgel, Klavier und Gesang), Ric Grech (Bass, Violine). Blind Faith 1969
„Für das Cover der amerikanischen Ausgabe wurde daher stattdessen ein neutrales Foto verwendet.“

P.S.: Ist es nicht erstaunlich, daß Frau Alieze S. zum Edathy-Skandal ihren Senf nicht hat erschallen lassen? Was Steuerangelegenheiten doch manchmal für angenehme Wirkungen nach sich ziehen!

Wechselstrom oder Die Liebe in den Zeiten des Telefons (1)

Ich wollte schon lange mal erzählen, wie ich mal den Ostermarsch zum Stillstand gebracht habe. Aber das ist nicht leicht erzählt. Es hat etwas mit Kanada zu tun und im weitesten Sinne auch mit Wechselstrom. Ich muß also etwas ausholen. Und weil es auch mit Christina zu tun hat, könnte ich – was, zugegeben, das eigentliche Motiv für die Niederschrift dieses Berichtes ist – auch Liebeskummer schreibend bewältigen (wovon dann allerdings noch reichlich übrigbleiben wird). Mit neuem Liebeskummer bin ich in den letzten zweidrei Jahren nicht knapp beliefert worden, und wer schon mal geliebt hat (solche Leute gibt es), der weiß, daß das ein haltbares Gut ist, und der ahnt, daß da noch beträchtlich Bekümmernis früherer Lebensphasen wirkt und wütet. Wer viel geliebt hat und gern geliebt hat und auf den Pfaden der Liebe auch dann weiterwandelte, wenn sie durch unübersichtliches Gebiet führten, der trägt was mit sich herum, das können Sie mir glauben. Vielleicht wollen Sie ja auch endlich mal erfahren, warum ich die St.-Johann-Straße in Hochfeld nicht ohne einen melancholischen Seufzer entlanggehen kann. Also lesen Sie jetzt bitte diese Geschichte, sonst hat es ja keinen Zweck.

StJohannStrChristina kam aus der Provinz, um hier zu studieren. Sie geriet in mein Blickfeld, weil sie eine Freundin meiner Frau war. Der Freundin der Frau Aufmerksamkeit in mehr als dem schicklichen Maße zukommen zu lassen, ist eine Sache, die ich nicht unbedingt jedem empfehle, sondern nur solchen, die „Je ne regrette rien“ zu einem Lebensmotto zu erheben fähig sind (es kommt natürlich auch darauf an, mit welcher Frau man zusammenlebt).
Aus der Provinz kommend, war die 20jährige blonde Schönheit vom Lebensalltag mitten im bevölkerungsreichsten Ballungsgebiet Mitteleuropas überwältigt (nicht nur im positiven Sinne). Dieses motherless-child-Gefühl schwand, als sie uns kennenlernte. Wir (meine Frau und ich) machten damals täglich unseren Uni-Büchertisch, von dem heute noch manche Legende sagt und singt. Christina fand uns und die Dinge, mit denen wir uns beschäftigten, „unheimlich interessant“. Sie fühlte sich geehrt, von uns wahrgenommen und anerkannt zu werden, von Leuten also, die „schon unheimlich lange“ und mit Ernsthaftigkeit eine – wie könnte man sagen – selbstbestimmte, den uneinsehbaren Zwängen bürgerlicher Konventionen trotzende Existenz praktizierten (ich war damals Anfang dreißig). Es wäre mir schwergefallen, sie nicht wahrzunehmen, so wie die aussah, und so gescheit wie die war. Sie bewunderte uns. Ich muß sagen: Ich habe nur selten einen so wißbegierigen und begeisterungsfähigen Menschen erlebt, und auch nur selten einen so mitteilsamen. Sie redete und redete und redete sich alles vom Herzen, was sie gesehen und erlebt hatte und was ihr durch den Kopf ging. Und sie wollte alles erklärt haben. Dieses blasierte Desinteresse der jeunesse dorée war überhaupt nicht ihre Art.
„Erzähl mir doch mal etwas über den Ostermarsch“, wollte sie wissen, oder: „Was ist das: VVN?“
„Das ist die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.“
„Was? Das gibt es? Was ich durch dich alles erfahre! Durch dich gehen mir die Augen auf!“
Daß das alles mit Subversion zu tun hatte, mit lustvollem Sich-einfach-über-die-Regeln-Hinwegsetzen, machte die Sache für sie richtig spannend. Sie konnte sich für Politik begeistern, weil sie nicht nur eine notwendige Beschäftigung ist, sondern auch Spaß macht. Aber ein anderes Thema beschäftigte sie mehr, und das war der Sex. Ich würde mal schätzen: Über 80 Prozent ihrer Reden und ihrer Gespräche mit mir handelten vom Sexuellen, und es war auffällig und nicht uncharmant, daß sie die Wörter „sexuell“ und „Sexualität“ mit scharfem „S“ aussprach. „Sexuell“ mit scharfem S klingt sexy.
Es wird wohl so gewesen sein, daß ihre plötzliche Begeisterung für das linksradikale Milieu von der Annahme herrührte, daß die linken Umstürzler die bürgerliche Sexualmoral hinwegfegen und der reinen Lust den Weg ebnen. Ich dachte: „Mädchen, wenn du dich da mal nicht irrst.“ Ich sagte: „Du kannst nicht vom Einzelfall auf das Gesamte schließen.“

christina2Wie fast alle sinnlichen Frauen war sie für die Liebreize des eigenen Geschlechts sehr empfänglich. Aber sie entschied: „Ich finde das ungerecht! In Illustrierten, im Kino und in der Werbung sieht man immer schöne Frauen. Das ist ja auch gut so. Das soll ja ruhig so sein. Aber warum sieht man nicht genauso oft schöne Männer? Ich will nackte Männer sehen!“
Ich antwortete: „Das hat alles ja mit Rollenbildern und gesellschaftlichen Machtstrukturen und dem ganzen Tralala zu tun. Aber könnte es nicht sein, daß – darüber hinaus und davon abgesehen – weibliche Schönheit deshalb in der Darstellung vorherrscht, weil Frauen nun mal das schöne Geschlecht sind?“
„Nein!“ rief sie entschieden. „Männer sind auch schön!“ Und dabei leuchteten ihre Augen.
Ich durfte mir unentwegt ihre Elogen anhören über ihre männlichen Kommilitonen, denen sie eine „göttliche“ Gestalt attestierte. „Göttlich“ war einer ihrer Lieblingsausdrücke, und die Gerhard-Mercator-Universität zu Duisburg muß wohl – für mich zuvor ungeahnt – eine einzige Parade von Adonissen gewesen sein. Ein anderer Lieblingsausdruck war „spannen“. Sie „bespannte“ die einherflanierenden Kommilitonen ungehemmt, das heißt: sie tastete mit Blicken ihre Körperlinien ab und versuchte auch, mit Blicken Signale des Einverständnisses auszusenden.
Ich mußte sie aufklären: „Es freut mich ja, wenn deine Blicke den meinen folgen, wenn ich die Aphroditen und Myrrhinen und Kallipygen betrachte. Aber meine Blicke folgen den deinen nicht überall hin. Denn ich bin sowas von unschwul, sowas von hetero, das ist schon fast wieder pervers.“
Sie wollte von mir wissen, wie ein Mann das empfindet, „wenn er Weiterlesen

Die Füße der Gans oder Koch doch selber Kaffee

Konkret berichtet über die wechselvolle Beziehung der Alice Schwarzer zu Günter Amendt. Ihr Klang von 1980: „Ich rief ihn an. Er kam nach Köln. Wir sprachen bis in den späten Abend. In diesem Gespräch wird deutlich, daß Amendt und mich noch viel mehr verband, als wir vermutet hatten.“ 1988, nachdem sie in einer TV-Diskussion mit Amendt über Pornographie schlecht ausgesehen hatte: „Der Journalist Günter Amendt präsentiert sich, nur weil er vor Jahren zwei Bücher über Jugendsex geschrieben hat, im Fernsehen auch gerne als ‚Sexualwissenschaftler‘.“ In Gänsefüßchen! 2013, zwei Jahre nach Amendts Tod: „Ich bin mit Emma mal wieder verdammt allein. Und kein Günter Amendt ist in Sicht.“

Günter Amendt...

Günter Amendt…

...Tongtong...

…Tongtong…

Die Gemeinsamkeits-Feier 1980 fand keineswegs in allerbester Stimmung statt. Eine 20jährige Emma-Redaktionsfrau, die damals nicht mehr und noch nicht wieder meine Freundin (und noch nicht METZGER-Autorin) war, erhielt von Alice Schwarzer den Befehl: „Koch mal Kaffee!“ Sie darauf: „Ich bin doch nicht zum Kaffeekochen eingestellt! Koch doch selber Kaffee!“ Frau Schwarzer war darüber sehr verärgert, während Günter Amendt sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.

...and the Girl

…and the Girl

..

Ein Appell gegen die Kriminalisierung der Sexualität

Ein Appell gegen die Kriminalisierung der Sexualität,
gegen den Amoklauf der Moral,
gegen rechte Phrasen und das „Gesunde Volksempfinden“,
gegen konservativen Pseudo-Feminismus, gegen Alice Schwarzer
gegen die Rückkehr in die 50er Jahre.

Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistung
Für die Stärkung der Rechte und für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen in der Sexarbeit
Dienstag, 29. Oktober 2013

Prostitution ist keine Sklaverei. Prostitution ist eine berufliche Tätigkeit, bei der sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden. Ein solches Geschäft beruht auf Freiwilligkeit. Gibt es keine Einwilligung zu sexuellen Handlungen, so handelt es sich nicht um Prostitution. Denn Sex gegen den Willen der Beteiligten ist Vergewaltigung. Das ist auch dann ein Straftatbestand, wenn dabei Geld den Besitzer wechselt.
Prostitution ist nicht gleich Menschenhandel. Nicht nur Deutsche, sondern auch Migrant_innen sind überwiegend freiwillig und selbstbestimmt in der Sexarbeit tätig. Prostituierte, egal welcher Herkunft, pauschal zu Opfern zu erklären, ist ein Akt der Diskriminierung.
Obwohl Prostitution im Volksmund als das älteste Gewerbe der Welt gilt, ist sie in den wenigsten Ländern als Arbeit anerkannt. Im Gegenteil, Sexarbeiter_innen werden in den meisten Teilen der Erde verfolgt, geächtet und von der Gesellschaft ausgeschlossen. Deshalb fordern Sexarbeiter_innen weltweit die Entkriminalisierung der Prostitution und ihre berufliche Anerkennung.
Diesen Gedanken verfolgte auch die Bundesrepublik mit der Einführung des Prostitutionsgesetzes im Jahre 2002. Durch die rechtliche Anerkennung hat sich die Situation für Sexarbeiter_innen in Deutschland verbessert. Sie können ihren Lohn einklagen und haben die Möglichkeit, sich zu versichern. Außerdem ist die Schaffung angenehmer Arbeitsbedingungen und Räumlichkeiten nicht mehr als „Förderung der Prostitution“ strafbar. An den Rechten der Polizei, Prostitutionsstätten jederzeit zu betreten, hat das Gesetz nichts geändert. Die Zahl der Razzien hat seitdem zugenommen.
Zwar hat das Prostitutionsgesetz Schwächen und eine Reform wäre notwendig. Das Hauptproblem ist jedoch nicht das Gesetz selbst, sondern der fehlende Wille zu seiner Umsetzung in den einzelnen Bundesländern.
Entgegen vieler Behauptungen ist das Prostitutionsgesetz nicht für den Menschenhandel in Deutschland verantwortlich. Wie aus dem Lagebericht „Menschenhandel“ des BKAs hervorgeht, hat die Zahl der identifizierten Opfer seit seiner Einführung sogar abgenommen. Auch in Neuseeland, wo Prostitution seit 2003 als Arbeit anerkannt ist, ist keine Zunahme des Menschenhandels zu verzeichnen.
Zu den Faktoren, die Menschenhandel begünstigen, zählen globale Ungleichheiten, restriktive Migrationsgesetze sowie die Rechtlosigkeit der Betroffenen. Eine erfolgreiche Bekämpfung von Menschenhandel erfordert umfassende strukturelle Reformen auf globaler Ebene und einen menschenrechtsbasierten Ansatz.
Eine Kriminalisierung der Kund_innen, die erotische Dienstleistungen in Anspruch nehmen, ist zur Lösung dieser Probleme ungeeignet. Das sogenannte „Schwedische Modell“ hat zwar die sichtbare Straßenprostitution verdrängt, aber weder die Prostitution an sich, noch den Menschenhandel nachweislich reduziert. Die Arbeitsbedingungen haben sich indes extrem verschlechtert. Dänemark und Schottland lehnen die Einführung des „Schwedischen Modells“ bereits ab.

Darum fordern wir:
Beteiligung von Sexarbeiter_innen an politischen Prozessen, die sich mit dem Thema Prostitution befassen.
Keine Ausweitung der Polizeibefugnisse und keine staatliche Überwachung oder Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten.
Keine Kriminalisierung der Kund_innen, weder nach dem Schwedischen, noch nach einem anderen Modell.
Aufklärung statt Zwang und Verbot, staatlich geförderte Weiterbildungsangebote für Sexarbeiter_innen.
Kampagnen gegen Stigmatisierung und für einen respektvollen Umgang mit Prostituierten.
Bleiberechte, Entschädigungen und umfassende Unterstützung für Betroffene von Menschenhandel.

Liste der Unterzeichnerinnen und weitere Stellungnahmen bei sexwork-deutschland.de