Über Schwarzgrün (live)

Einige Passagen meiner Lesung in der Zeche Carl in Essen am 31. August wurden gefilmt. Heute zeige ich Euch: „Radio ausgemacht“.

Ton- und Bildaufzeichnung: Hafenstaedter.

Fortsetzung folgt.

„Zum Verwechseln ähnlich“

„Das absurde Theater ist eine Richtung des Theaters des 20. Jahrhunderts, die die Sinnfreiheit der Welt und den darin orientierungslosen Menschen darstellen will.“ (Wikipedia). Einige der eindrucksvollsten Aufführungen fanden nicht auf Theaterbühnen, sondern in Gerichtssälen statt, wo die Sinnfreiheit von Anklageschriften orientierungsloser Staatsanwälte dargestellt wurde. So auch dieser Tage in Berlin.
Vor dem Amtsgericht Tiergarten sind seit dem 2. April Michael W. (39) und German L. (29) angeklagt, am 13. August 2012 bei einer Gedenkveranstaltung zum Tag des Mauerbaus in der Bernauer Straße mit FDJ-Hemden demonstriert zu haben. Das Emblem auf diesen Hemden war nach Ansicht der Staatsanwaltschaft dem Wappen der „FDJ in Westdeutschland“ zum Verwechseln ähnlich. Und diese Organisation sei 1951 als verfassungswidrige Organisation verboten worden.
Doch die Sache ist komplizierter.
Die Freie Deutsche Jugend, 1938 im Exil in Prag und Paris gegründet, dann bis 1946 in Großbritannien aktiv, war nach Zerschlagung des Hitler-Faschismus in den vier Besatzungszonen tätig – also vor der Gründung der beiden deutschen Staaten. In der DDR wurde die FDJ dann zur „Staatsjugend“ (wo sie mit einer eigenen Fraktion in der Volkskammer vertreten war), während sie in der BRD 1951 verboten wurde. Das Verbot wurde durch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts 1954 rechtskräftig. An dieser Entscheidung waren – wie kann es anders sein – ehemalige Nazirichter beteiligt. Grund des Verbotes war der Widerstand der FDJ gegen die Remilitarisierung.
Im Neuen Deutschland wurde die komplizierte Lage so zusammengefaßt:
„Und dann gibt es da noch den feinen Unterschied zwischen FDJ-West und FDJ-Ost. Das FDJ-Verbot West gilt auch nach der Einheit bis ans Ende der Menschheit weiter, gilt aber nur für die alten Bundesländer, nicht für die hinzugekommenen. Was also zeigten die Angeklagten: das Emblem Ost oder das Emblem West, beide zum Verwechseln ähnlich. Das eine nicht erlaubt, das andere nicht verboten. Wo befanden sich die FDJler bei ihrer Aktion? In Ost oder West? Traten sie der verbotenen FDJ-West bei oder der nicht verbotenen FDJ-Ost? So richtig klar mit diesem bundesdeutschen Paragrafenwirrwarr schienen weder Staatsanwalt noch Richter zu kommen.“
Die Anwältin von Michael W. legte dem Richter drei FDJ-Symbole vor. Der Richter sollte sagen, welches Symbol zu der 1951 verbotenen westdeutschen FDJ, welches zu den nicht verbotenen Organisationen in Ostdeutschland und Westberlin gehören. Der Richter konnte das Rätsel auch nicht lösen. Denn alle drei Symbole ähneln sich nicht nur. Sie sind identisch.
Der Prozeß wird am 15.4. fortgesetzt.
Bei aller Komik sollte der ernste Hintergrund nicht unterschätzt werden. Michael W. und German L. erklärten dem Gericht, warum sie zur FDJ fanden und radikale Friedenspositionen einnehmen. Sie sehen die Gefahr, daß sich die Bundesrepublik immer tiefer in Kriegsabenteuer verstrickt und demokratische Strukturen immer weiter abgebaut werden. „Man mag ihre Auffassung teilen oder nicht, auf jeden Fall ist sie durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt.“ (Neues Deutschland). Der Staatsanwalt hat die bösen Geister des Kalten Krieges geweckt. Es ist – wieder einmal – sichtbar, daß die Schande der deutschen Justiz 1945 nicht endete.

P.S.: Der Mann, der sich am 13. August 2012 über das FDJ-Symbol echauffierte, die Polizei alarmierte und die ganze Posse in Gang setzte, trug übrigens einen „Schwerter-zu-Pflugscharen“-Button.
Freie_Deutsche_Jugend.svg
Wie auf den ersten Blick zu erkennen ist, handelt es sich bei diesem bei Amore e Rabbia sichtbar gemachten Emblem nicht um das Emblem der 1951 verbotenen FDJ.

Transit

Einmal habe ich das Territorium der Deutschen Demokratischen Republik betreten. Das war 1972. Die Bröselmaschine hatte ein paar Auftritte in Westberlin. Also mußten wir, von Süddeutschland kommend, über die Transitautobahn die DDR durchqueren. Ich hatte aber keinen Reisepaß. Also mußte ich mir im Büro der DDR-Grenzadministration ein Ersatzdokument ausstellen lassen, das mich zur Benutzung des Transitweges durch die DDR berechtigte.
An der Wand hing ein Bild von Erich Honecker. Hinter dem Schreibtisch saß ein Uniformierter. Daß ich, von ihm als typischer West-Langhaariger wahrgenommen, begehrte, ohne Reisepaß die DDR zu durchqueren, konnte er nicht so recht verstehen: Da kommt doch tatsächlich jemand hier in der DDR an und hat keinen Reisepaß! Ich hingegen sah da gar kein Problem. Wenn man keinen Reisepaß hat, läßt man sich eben ein Ersatzdokument ausstellen.
In welcher Absicht ich denn die Transitstrecke benutzen wolle, wollte der Beamte wissen. Ich klärte ihn auf: Ich bin Musiker, und unsere Band hat in den nächsten Tagen drei Konzerte in Westberlin (ich sagte: Westberlin). Ob ich das nicht schon längst gewußt hätte und mir entsprechend rechtzeitig einen Paß hätte besorgen können? Ich sagte ihm natürlich nicht, daß ich die Paß-Angelegenheit nicht für so wichtig genommen hatte, sondern redete mich damit heraus, ich hätte im letzten Moment für einen anderen einspringen müssen und daher leider keine Gelegenheit mehr gehabt, das Besorgen eines Reisepasses zur Vorlage in der DDR in den Mittelpunkt all meines Sinnens und Trachtens zu stellen.
Welche Art von Musik wir denn machten, wollte er auch noch wissen. Es war nicht ganz einfach, dem Beamten der Deutschen Demokratischen Republik eine Ahnung davon zu vermitteln, was unter Folkrock zu verstehen sei.
Daß ich dem Beamten weder mit angstvoller Unterwürfigkeit entgegentrat, als fürchtete ich, bei einem falschen Wort nach Sibirien deportiert zu werden, noch mit beleidigtem Wessi-Trotz, daß mich der Aufenthalt in einem Dienstraum der Deutschen Demokratischen Republik in keinster Weise irritierte, daß ich nicht nur höflich, sondern geradezu freundlich mit ihm sprach, machte ihn sichtlich mißtrauisch. Daß ich mich mit der DDR innerlich mehr verbunden fühlte als mit dem Land meiner Herkunft, brachte ich zwar nicht explizit zum Ausdruck, ließ es aber durch meine Unbefangenheit erahnen. Der Beamte muß gedacht haben: Der ist so freundlich zu mir. Will der mich eigentlich verhohnepiepeln?
739px-Stamps_of_Germany_(DDR)_1964,_MiNr_1016Für das Ersatzdokument mußte ich zehn D-Mark bezahlen, das wußte ich. Für einen Reisepaß hätte ich bei „meinem“ Einwohnermeldeamt auch zehn D-Mark bezahlen müssen. Ich dachte: Wenn ich schon zehn Mark loswerde, dann gebe ich das doch lieber der DDR! Das ist sowas Ähnliches, als hätte ich zehn Mark für Kuba oder für Vietnam gespendet.
Wenn ich dem das erzählt hätte, dann hätte der gar nichts mehr verstanden.
Man hatte mich gewarnt: Erzähl denen an der Grenze bloß nicht, daß du Kommunist bist! In ‘ner Delegation, ja, da wird man da willkommengeheißen. Aber ein einzeln reisender Kommunist aus dem Westen, da denken die: „Das geht doch gar nicht! Im Westen Kommunist? Das ist doch gegen die Vorschrift! Hier muß man das ja! Aber wer im Westen Kommunist ist, freiwillig, der muß ja verrückt sein. Das ist ja ein Aufrührer, ein Umstürzler!“
Ich war auch mal Delegierter bei der Bezirksdelegiertenkonferenz der DKP. Da hielt einer eine Rede, der war Professor in der DDR gewesen. Er sagte: „An der Karl-Marx-Universität in Leipzig lehrte ich Marxismus-Leninismus. Ich dachte: Die richtigen Kommunisten, die für ihre Überzeugung Nachteile auf sich nehmen, das sind die im Westen. Und die anderen – die sitzen vor mir in meinen Seminaren.“
Wenn der das da erzählen durfte, dann darf ich das hier auch erzählen.

Encore: Made in Germany

„DDR-Häftlinge stellten Ikea-Möbel her“ stand in der Zeitung. Die schwedische Firma hatte Aufträge an die DDR vergeben, Möbelteile herzustellen. Dafür wurden Gefängnisinsassen eingesetzt („politische Häftlinge und Strafgefangene“). Eine „von Ikea selbst in Auftrag gegebene Untersuchung“ habe Hinweise darauf ergeben. Zudem habe die Studie ergeben, daß „Vertreter im Ikea-Konzern von der Möglichkeit des Einsatzes politischer Gefangener in der DDR wußten“. (WAZ, 17.11.2012).
Diese „Enthüllung“ ist nicht neu. Von dieser Ungeheuerlichkeit hat man schon vor Jahren gelesen. Aber in regelmäßigen Abständen müssen die ollen Kamellen wieder serviert werden.
In diesem Zusammenhang sollte vielleicht mal erwähnt werden, daß zur selben Zeit auch in der Bundesrepublik Strafgefangene für Arbeiten eingesetzt wurden, auch für solche, die von Unternehmen in Auftrag gegeben worden waren, und daß auch in der Bundesrepublik Menschen aus politischen Gründen verurteilt und eingesperrt wurden, etwa, weil sie mit der Remilitarisierung nicht einverstanden waren. Der Heinz Mülhaus hat mir erzählt, daß er im Gefängnis Fußbälle zusammengenäht hat. Eine Untersuchung des Deutschen Fußballbundes liegt dazu nicht vor.

„Das kommt uns aber bekannt vor. Das haben wir doch schon mal gelesen.“
Richtig. Das ist das Notat vom 19.11.2012, heute noch einmal wörtlich wiederholt. Ich hätte „Ikea“ durch „Aldi“ ersetzen können.
„In regelmäßigen Abständen müssen die ollen Kamellen wieder serviert werden.“ Darum wird in regelmäßigen Abständen die Replik serviert werden müssen.

Das Jahr geht weiter mit einem Bügeleisen

SchernikauTageIn „Die Tage in L.“ schrieb Ronald Schernikau:
es war einmal vor langer langer zeit, da ging ich mit günter amendt ein bügeleisen kaufen. wir betraten in der aufgeräumtesten stimmung das hamburger geschäft tausend töpfe und ließen uns die ungefähr fünfunddreißig verschiedenen bügeleisen vorführen, eine galerie. nach einem längeren schweigen straffte günter amendt seine schultern und fragte die mehr als gelangweilt kuckende verkäuferin: wo liegen denn die unterschiede zwischen diesen fünfunddreißig bügeleisen? daraufhin zeigte die verkäuferin ebenso gelangweilt wie bisher auf eines in der langen reihe und sagte: dies ist aus der zone. woraufhin günter amendt freudig rief: na, dann nehmen wir das doch!

Amendt2..

Willy Brandt hundert Jahre

„… An dieser Stelle, vor vier Jahren, eröffnete Willy Brandt den ersten gesamtdeutschen Bundestag. Ich habe zur Vorbereitung der meinen seine Rede vor kurzem noch einmal gelesen und mit Bedauern festgestellt, daß sich nicht alles von dem, was ihm vorschwebte, erfüllt hat. Willy Brandt hat uns verlassen; doch wir stehen, meine ich, immer noch in seiner Pflicht…“
Stefan Heym als Alterspräsident des Deutschen Bundestages am 10. November.1994.

Sicherlich würde man Willy Brandt nicht gerecht, wenn man in ihm einen Schurken sähe (was manche taten). Für das linke Lager in der Bundesrepublik war es seinerzeit geboten, Brandts Reformpolitik und Ostpolitik gegen seine Gegner, die rechts standen, in Schutz zu nehmen, ohne daran Illusionen zu knüpfen. Was für Willy Brandt spricht, ist am wenigsten das, was ihm „vorschwebte“. Brandts Ostpolitik war von der Einsicht geleitet, daß das Lager der sozialistischen Staaten zu sehr konsolidiert war, um ihm gegenüber mit einer starren, aggressiven Stahlhelmpolitik etwas zu gewinnen. Er war und blieb ein Gegner der DDR, wußte aber einzuschätzen, daß eine Ostpolitik ohne gewisse Konzessionen nicht auskommen konnte. Er erkannte die Fesseln, die der Ostpolitik der BRD angelegt waren. Seine Politik konnte nur so lange nützlich sein, solange es diese Fesseln gab, solange die DDR sich konsolidieren konnte. Brandts Politik konnte nur so lange vernünftig sein, solange er daran gehindert war, zu verwirklichen, was ihm vorschwebte. Man kann sagen: Willy Brandt war so lange eine positive Gestalt der Zeitgeschichte, solange er unter dem Zwang handelte, der durch die Existenz und Stärke der DDR und der sozialistischen Staatengemeinschaft gegeben war. Als dieser Zwang entfiel, blieb von der Entspannungspolitik nichts mehr übrig. Der Kalte Krieg wurde innenpolitisch fortgesetzt.

Aus DER METZGER 48 (1995), hier überarbeitet. Der ganze Text, in dem es um den Kalten Krieg im Kulturleben der 90er Jahre geht, ist auch nachzulesen in „Streiten Sie nicht mit einem Deutschen, wenn Sie müde sind“.

kaffeemann
Noch ein Zitat über Willy Brandt:
„Der Willy Brandt ist ein Versager. Aber als Versager ist der eine Kanone.“
Wolfgang Neuss

Willy & Willi

Bundesarchiv_Willy_WillMarkus Wolf schrieb in seinen Erinnerungen über das Treffen von Willy Brandt und Willi Stoph in Erfurt am 19. März 1970: „Trotz aller Vorsorge kam es dazu, daß hunderte Menschen vor der Unterkunft Brandts … die Absperrungen durchbrachen und ‚Willy, Willy!‘ riefen. Es war klar, daß sie nicht Willi Stoph meinten.“
Das war klar. Denn dann hätten sie ja nicht „Willy, Willy!“, sondern „Willi, Willi!“ gerufen.

Foto: Bundesarchiv

Schwarzgrün?

In Hessen entsteht wohl eine schwarzgrüne Landesregierung, die durchaus zum Modell einer schwarzgrünen Koalition auf Bundesebene werden könnte – dann nämlich, wenn die CSU/CDU/SPD-Koalition letztlich am Mitgliedervotum der SPD scheitern sollte. Zwar haben es die SPD-Mitglieder so an sich, (und sei es zähneknirschend und unter weiterem Verlust von Enthusiasmus) den Anordnungen ihrer Anführer überallhin zu folgen. Aber die Sozialdemokraten 2013 haben nichts mehr zu verlieren und könnten … Naja, ist nur so‘n Gedanke.
Meinen Kommentar zur schwarzgrünen Bundesregierung habe ich schon 1995 geschrieben. Auszug:

Die Feierlichkeiten zum Zusammenwachsen des in einen Topf Gehörenden wären nicht komplett, wenn nicht auch das taz-grüne Milieu seinen Senf dazugegeben hätte:
„Noch vor zehn Jahren bügelten die Nachgeborenen die Berichte ihrer Eltern über Flucht und Vertreibung als politisch unkorrekt ab. Ihre Erzählung über Vergewaltigung, Mord und Totschlag schienen einer Generation, die gerade erst entdeckt hatte, daß ihre Eltern Täter waren, peinliche Lappalien zu sein im Verhältnis zu dem, was die Deutschen der halben Welt antaten. Jede Erzählung, die nicht mit deutscher Schuld begann, galt als neuerlicher Beweis für Verdrängung und Relativierung. In diesen Monaten aber hörten die Enkel den Großeltern zu, und die durch Lebenserfahrung und Wissen milder gewordenen 68er kramten in Tagebüchern und Fotoalben, ohne gleich zu moralisieren. Dieses Niveau ist nicht rückgängig zu machen.“ (Anita Kugler in der „Taz“).
Wieviel Lebenslüge doch in ein paar Zeilen paßt – und wieviel sich durch falsches Deutsch entlarvt. Wo sie sagen wollte „…was die Deutschen der halben Welt angetan hatten“, verwechselt sie die Tempi und sagt versehentlich etwas Wahres. Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung wird nachträglich verniedlicht zum Mißverständnis zwischen den Generationen, von denen die eine nur aus Flüchtlingen und Vertriebenen, die andere nur aus „68ern“ besteht. Als hätte es junge Chauvinisten und ältere Widerstandskämpfer nicht gegeben. Wer eine solche Lesart der Zeitgeschichte auftischt, sollte wenigstens darauf achten, daß nicht innerhalb weniger Sätze Eltern zu Großeltern und Kinder zu Enkeln mutieren. „Die Nachgeborenen“ bezieht sich wohl weniger auf Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“, wohl mehr auf Kohls „Gnade der späten Geburt“, von der diese Nachgeratenen nun auch etwas abhaben wollen.
Jetzt erfahren wir auch, wodurch die sogenannten „68er“ geworden sind, was Anita Kugler „milder“ nennt: „durch Lebenserfahrung und Wissen“.
Sie konnten sich immer schon gut verstellen, die verlorenen Söhnchen und Töchterchen, die jetzt mit der Taz unterm Arm heimgekehrt sind. Früher taten sie sich groß, ihrem Verdruß über ihre mißratenen Eltern den Anschein politischer Haltung zu geben. Jetzt tarnen sie ihren Opportunismus als Lebenserfahrung und Wissen. Dabei nehmen sie ihre Haltung wider besseres Wissen ein. Aber es ist ja gerade nicht das bessere Wissen, das da gemeint ist, nicht das Wissen von und über etwas. Es ist das geheimnisumwitterte „Wissen um…“, das zur Attitüde der Abgeklärtheit gehört.
Durch erworbenes Wissen und Lebenserfahrung gar nicht milder geworden, stelle ich fest: die haben sich überhaupt nicht geändert, jene „68er“, die ohne zu moralisieren in Fotoalben blättern. Sie verstehen es nur mal wieder, im richtigen Moment die richtigen Sprüche aufzusagen. Diese sogenannten „68er“ haben ihren Eltern verziehen, und hinter dieser Pose der Großherzigkeit steckt nichts anderes als das Begehren, beim Aufstieg Deutschlands nicht abseits zu stehen. Dazu bedurfte es keines Bruchs ihrer Identität.
Daß die Mainstream-“68er“ nach „Sieg im Volkskrieg“ und „Macht kaputt was euch kaputtmacht“ jetzt die Kurve gekriegt haben hin zu schwarzgrüner Option, „ökologischer Marktwirtschaft“, „Politikfähigkeit“ und vaterländischer Opferbereitschaft, ist nicht das Resultat der deutschen Einheit. Die Niederlage des realen Sozialismus hat diese Entwicklung allerdings verstärkt und beschleunigt. An der Konstruktion gegenwärtiger Machtpolitik hat diese Ex-Linke mitgewirkt. Sie hat in ihrer Klamottenkiste, die sie durch die Weltgeschichte schleppt, genügend Zeugs gesammelt, mit dem man auf dem Weg nach oben gut gerüstet ist.
Die „Kritik“ am realen Sozialismus diente angeblich dazu, den wirklichen, authentischen, „echten“ Sozialismus herauszuarbeiten, in Wirklichkeit aber, den diskreditierten Antikommunismus des Establishments rundzuerneuern. Auf diesen Kern beschränkten sich die Alterativen in den 80er Jahren. Sie hörten pünktlich damit auf, ihre Parolen vom „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ herumzuposaunen. An die Stelle dieser idealistischen Phrase trat eine „Menschenrechtspolitik“, die sich von der Linie der CDU nicht mehr unterschied. Schwarzgrün gibt es schon lange.

kaffeemannaus „Sie müssen mich gern haben“ in DER METZGER 49 (1995), enthalten in „Streiten Sie nicht mit einem Deutschen, wenn Sie müde sind“ 21 Polemiken, Situationspresse 2001 ISBN 978-3-935673-15-0, beide noch erhältlich.

Der Verrückte ist mit dem ganzen Geld stiftengegangenen

aus der Serie „Die Farbe des Geldes“ (5)
Milliarden und Abermilliarden einfach futsch. Das habe ich kommen sehen.
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Ich hatte mal einen verrückten Kunden. Nicht immer war ich nicht schnell genug, um mich unter dem Tisch zu verstecken. Einmal hatte er ein Buch von Karl Eduard von Schnitzler bestellt, und er bezahlte das mit einem Scheck. Auf den Scheck hatte er den kompletten Lebenslauf von Karl Eduard von Schnitzler geschrieben und dazu auch die Rückseite benutzt. Ich hatte Glück, der Scheck wurde eingelöst.
Einmal kaufte er einen großen Stapel Bücher, für fast 300 Mark. Und er bezahlte mit 5-Mark-Scheinen. Er hatte die Taschen voll mit Bündeln von 5-Mark-Scheinen, frisch aus der Druckerpresse und mit fortlaufenden Seriennummern.
Erinnern Sie sich noch an die D-Mark-Zeit? Mit Groschen und Riesen und Blauen? Man wußte, daß es auch 5-Mark-Scheine gab, aber man bekam selten einen zu Gesicht. Jeder hatte wohl schon irgendwann mal einen 5-Mark-Schein gesehen, aber das war eine Seltenheit.
Aber wußten Sie, daß der 5-Mark-Schein die am häufigsten von der Bundesbank ausgegebene Banknote war? Es gab mehr 5er als 10er und 20er. Aber wo sind die alle geblieben? Wenn man das herausfindet, weiß man bestimmt auch, wie es zu dem großen Finanz-Crash kam. Man müßte mal den Verrückten fragen. Aber ich hab vergessen, wie der heißt.

Die Mauer. Nachtrag.

Ein Gespräch kommt mir in Erinnerung. 80er Jahre, am Uni-Büchertisch. Es war allgemein bekannt, daß ich zur „Moskau-Fraktion“ gehörte. Ein linksstehender Student, der der „Moskau-Fraktion“ fern stand, diskutierte mit mir. Ich meinte, in der Systemauseinandersetzung müsse der sozialistische Staat ein starker Staat sein. Und es liege in der gegebenen internationalen Konstellation nicht immer in der Wahl sozialistischer Regierungen, in welchem Maße sie repressive Mittel einsetzen. Und: Wenn man den schlechten Sozialismus nicht verteidigt, kriegt man keinen besseren. Undsoweiter. Mein Gesprächspartner meinte, er könne sich meiner Auffassung nicht anschließen. Meine Argumente aber seien nicht unvernünftig, hätten Gewicht und seien bedenkenswert, auch wenn er sich meine Schlußfolgerungen nicht zueigen machen könne.
Während des ganzen Gesprächs standen nebenan, am Infostand des MSB Spartakus, die Haare zu Berge. Die Repressalien in der DDR dürfe man doch nicht als Folge von Ursachen begründen. Man müsse sie schlichtweg leugnen. Das war deren Linie.
Sie haben es auch vor sich selbst geleugnet. Denn – ich habe es erlebt! – 1989, bei einer Versammlung der DKP, rief eine MSB-Spartakistin entrüstet aus, was ihr tags zuvor zu Ohren gekommen war: „Die haben sogar in Berlin eine Mauer gebaut!“
Die Stimme, die eine Repression tadelt, die sie zuvor geleugnet hatte, ist keine kritische, sondern eine opportunistische. Und auch etwas komisch.
DIE HABEN SOGAR IN BERLIN EINE MAUER GEBAUT! JA, WENN WIR DAS GEWUSST HÄTTEN!

Der Erdenwunder schönstes?

Die Krokodilstränentage werden über das Jahr verteilt: 17. Juni, 13. August, 3. Oktober, 9. November (die letzteren beiden für die Krokodilsfreudentränen).
Hier mein Kommentar zum morgigen 13. August (geschrieben 2011, zum 50jährigen).

Wer kann die Pyramiden überstrahlen?
Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower?
Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen
Der Erdenwunder schönstes war die Mauer.
Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren.
Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren.
Peter Hacks

Am 6. Oktober 1961 war in der Frankfurter Allgemeinen zu lesen: „Noch in ihrem bisher kräftigsten Unternehmen haben diese Schriftsteller nachdrücklich bewiesen, daß für viele von ihnen die Beschäftigung mit dem Zustand unserer Republik nichts anderes ist als der Drang, um sich zu schlagen und den Krieg Zuständen zu erklären, die sie selber so dämonisieren, daß man sich fragt, was für Vorteile diese Republik gegenüber der Ulbrichts noch habe. Wir sehen bei ihnen unsere Republik nicht mit den Augen der Kritik, sondern mit denen des Hasses betrachtet.“
Was war das bis dahin kräftigste Unternehmen dieser Schriftsteller gewesen, wodurch hatten sie sich das Attest eingehandelt, „unsere Republik“ mit den Augen des Hasses zu betrachten?
Zwanzig Autoren hatten in einem gemeinsamen Aufruf den Bürgern der Bundesrepublik empfohlen, bei der Bundestagswahl am 17. September 1961 ihre Stimme für die SPD abzugeben. Das war ein kräftiges Unternehmen. Ein starkes Stück! Sie konnten sich einen besseren „Zustand unserer Republik“ vorstellen als daß Adenauer Bundeskanzler bleibt. Ein Jahrzehnt nach der Einführung der zweiten bürgerlich-demokratischen Verfassung hatte diese Demokratie gerade das Niveau erreicht, daß die Aufforderung, eine nicht regierende Partei zu wählen, als Symptom des Hasses auf „unsere Republik“ gewertet wurde.
Tatsächlich ist dieser Kommentar der FAZ ein Symptom dafür, daß die Bundesrepublik sich in keinem normalen Zustand befand. Es ist ohnehin fraglich, ob deutsche Zustände jemals das Prädikat der Normalität verdient haben. Deutschland hat das Niveau einer normalen bürgerlich-liberalen Demokratie westlichen Zuschnitts nie erreicht. Stattdessen waren immer Gesellschaftskonzepte mehrheitsfähig, die gegen Freiheit und Gleichheit gerichtet waren.

M094Die Abnormalität war besonders gesteigert in dem Jahr, in dem die Berliner Mauer gebaut wurde. Wer sich erinnert, der weiß noch, daß der 13. August nicht in eine stille Beschaulichkeit hineinplatzte. Es herrschte eine erhitzte, eine überhitzte Stimmung im Westen. Es war eine Saison der Brandreden. Die von „Wiedervereinigung“ sprachen, vom „unteilbaren Deutschland“ und von den Brüdernundschwestern, waren von dem Empfinden angetrieben, die Entscheidungsschlacht um die DDR wäre nun im Gange, die DDR wäre sturmreif, es wäre eine Sache von Wochen, bis die DDR der Bundesrepublik als Beute in die Hände fiele. Die Brandredner wollten mehr. Sie wollten die „Ostgebiete“ zurück, sie wollten die Grenzen verschieben. Sie wollten Vertreibung. Sie wollten das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges revidieren. Sie wollten Atomwaffen für die Bundeswehr. Sie hatten keine Skrupel, die Flammen, die von deutschen Kriegsverbrechern angezündet worden waren und in denen das Deutsche Reich verbrannt war, wieder auflodern zu lassen. Der Springer-Kolumnist William S. Schlamm schlug gar vor, Westberlin zu evakuieren, um die DDR mit Atombomben auszulöschen. Berlin sei einen Krieg wert. Wer so etwas schreibt, ist ein Verbrecher.
Der NDR zitierte in einer Rundfunkreportage am 10. Oktober 1961 einen DDR-Bürger: „Was ist denn mit eurer Politik der Stärke? Warum habt ihr denn aufgerüstet, wenn ihr nicht mit der Armee von Ulbricht fertig werdet? Lieber im Atomkrieg zugrunde gehen als unter Ulbricht weiterleben.“ Wer so etwas sagt, ist ein Idiot.
Wer sich erinnert, wird nicht ruhigen Gemütes von der Hand weisen können, daß im Sommer 1961 der Frieden in Europa in Gefahr war.
Auch daran ist zu erinnern: Nach dem 13. August prangerte die Bildzeitung in Riesenlettern „den Westen“ an: de Gaulle und MacMillan hatten am 13. August keinen Anlaß gesehen, ihren Sommerurlaub zu unterbrechen. Kennedy schickte seinen Vizepräsidenten Johnson, der auch nicht viel mehr von sich gab als Worte der Betroffenheit. Die Amerikaner ließen Panzer durch Berlin rollen, aber die stoppten vor der (nunmehr befestigten) Grenze zum sowjetischen Sektor.
Das hätte man mitkriegen können: Die USA hatten der Sowjetunion signalisiert, sie würden stillhalten, wenn Westberlin vom sowjetischen Sektor abgeriegelt würde. Der US-Außenpolitiker Senator Fulbright hatte in einem Interview Moskau geradezu gedrängt, die gefährliche Lage in Berlin doch endlich zu beenden. Er könne es gar nicht verstehen, daß Moskau da nicht einen Riegel vorschiebt. Ja, es stimmt, wenn gesagt wird: An der Berliner Mauer hat der Westen mitgebaut.
Zwar hat der Westen, wie sich erwiesen hat, Weiterlesen

Luftbrücke. Wozu?

Während der Berlin-Blockade wurde die „Luftbrücke“ organisiert. Warum eigentlich?
In Berlin gibt es ein Luftbrücken-Denkmal. Es gab auch mal eine Luftbrücken-Sonderbriefmarke. Und ab und zu gibt es ein Luftbrücken-Jubiläum. Die Luftbrücke, das ist nämlich jetzt 65 Jahre her.
Deutschland hatte den Krieg verloren. Das Land war von alliierten Truppen besetzt. Ein Teil (jenseits von Oder und Neiße) war vom ehemaligen Reichsgebiet abgetrennt worden. Der Rest des Territoriums war in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Berlin war in vier Sektoren aufgeteilt: einen amerikanischen, einen britischen, einen sowjetischen und einen französischen. Aus den drei „Westsektoren“ wurde Westberlin, aus dem „Ostsektor“ die Hauptstadt der DDR. Aber so weit war es noch nicht. Es gab noch keine BRD und noch keine DDR. Aber es gab schon den Kalten Krieg.
Die Westmächte waren im Begriff, für das besetzte Land eine Separatlösung einzurichten. Das nannte sich dann später Bundesrepublik Deutschland, Hauptstadt: Bonn, als Frontstaat im Kalten Krieg. Westberlin, von der sowjetischen Besatzungszone umgeben, sollte Vorposten sein.
Bevor der Staat Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde und seine Organe tätig wurden, wurde etwas vorweggenommen: Der neue Staat hatte zwar noch keine Organe, aber schon eine Währung, die D-Mark. Sie sollte sowohl innerhalb der Bundesrepublik gelten als auch außerhalb von ihr: in Westberlin. Diese separate Währungsreform stellte eine erhebliche Belastung für die im Aufbau befindliche Wirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone dar. Das war auch beabsichtigt. Die Sowjetunion reagierte mit der Schließung der Grenzen und der Blockade Berlins. Westberlin war nun von den Westzonen getrennt.
In Westberlin lebten über 2 Millionen Menschen. Westberlin war eine Stadt ohne Einzugsgebiet geworden. Die Stadt konnte sich nicht selbst ernähren. Daraufhin haben die Westalliierten monatelang Nahrungsmittel und andere Bedarfsgüter per Flugzeug nach Westberlin transportiert. Das war die sogenannte Luftbrücke.
Aber das wäre ja überhaupt nicht nötig gewesen.
Es wird dauernd erzählt, damals wäre Westberlin vom Aushungern bedroht gewesen, die Luftbrücke hätte der Stadt und den Menschen darin das Leben gerettet. Aber das ist Quatsch. Westberlin befand sich nie in einer ähnlichen Lage wie etwa Leningrad, das während des Krieges 900 Tage lang von der faschistischen deutschen Wehrmacht umzingelt war und ausgehungert werden sollte. Westberlin sollte gar nicht ausgehungert werden. Die Berlinblockade richtete sich gegen was ganz anderes: sie war der Versuch, das Vorhaben der Westmächte zu unterbinden oder zumindest zu erschweren, Westberlin zum Vorposten im Kalten Krieg zu machen. Und so war die Luftbrücke auch gar nicht dazu da, um die hungrigen Mäuler der Westberliner zu stopfen, sondern um Westberlin als imperialistisches Tätigkeitsfeld zu behalten. Darüber war sich auch die Westberliner Bevölkerung durchaus im Klaren.
In Wirklichkeit war das nämlich so: Die sowjetische Militäradministration hatte zwar den Zugang zu Berlin auf Land- und Wasserstraßen dicht gemacht, zugleich aber bekanntgegeben, daß die Lebensmittelkarten der Westberliner im sowjetischen Sektor der Stadt gültig waren. Es bestand also gar keine Gefahr, daß in Westberlin irgendeiner hätte hungern oder frieren müssen.
Nach dem Motto „Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht“, sind die Westberliner nicht in den Laden gegangen, um sich Kartoffeln zu kaufen, sondern haben sich die Kartoffeln mit dem Flugzeug von weit her einfliegen lassen. Denn „von denen da drüben nehmen wir nix“.
Das Volk ist, wie Tucholsky festzustellen wußte, zwar doof, aber gerissen. Es wußte sehr wohl zu unterscheiden zwischen solchen Alliierten, von denen man Schokolade und Zigaretten annehmen darf (und sich notfalls einfliegen läßt) und solchen, deren Verlockungen mit Kartoffeln und Briketts man sich heldenhaft widersetzt. Man hat seinen Stolz. Und man hatte eine Vision: Dabei zu sein beim Kreuzzug gegen den Bolschewismus, notfalls auch (als Hungerkünstler mit vollem Bauch) unter der Ägide gewesener Erbfeinde. Dieses Wunschbild war, bevor es in Erfüllung ging, auch schon eine deutsche Option im Weltkrieg gewesen: mit den Amis gemeinsam gegen die Roten.
Der Westberliner war und ist der ideelle Gesamtdeutsche, und so verhielt er sich vor, während und nach der Luftbrückenzeit: „Kauft nicht bei…“

aus DER METZGER Nr. 54 (1998), hier aktualisiert.

„Keine Lösung“ oder 60 Jahre 17. Juni


Brecht reagierte auf den fragmentarischen Abdruck seines Briefes mit einem zweiten Brief, den das Neue Deutschland am 23.6.1953 veröffentlichte: „Ich habe am Morgen des 17. Juni, als es klar wurde, daß die Demonstrationen der Arbeiter zu kriegerischen Zwecken mißbraucht wurden, meine Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei ausgedrückt. Ich hoffe jetzt, daß die Provokateure isoliert und ihre Verbindungsnetze zerstört werden, die Arbeiter aber, die in berechtigter Unzufriedenheit demonstriert haben, nicht mit den Provokateuren auf eine Stufe gestellt werden, damit nicht die so nötige Aussprache über die allseitig gemachten Fehler von vornherein gestört wird.“ Daß Walter Ulbricht an solcher Art von Loyalität, die das Eingeständnis von Fehlern verlangt hätte, interessiert war, darf man bezweifeln.
Der bekannteste Kommentar von Bertolt Brecht zum „17. Juni“ ist das Gedicht „Die Lösung“ aus den Buckower Elegien. Es ist oft zitiert worden, meist in der Absicht, den Anspruch der DDR, ein demokratischer Staat zu sein, ebenso als ein Ding der Unmöglichkeit hinzustellen wie die Verbindung Brechts mit der DDR. Antikommunisten wollen den Klassiker literaturgeschichlich auf ihre Seite ziehen.

Dank euch, ihr Sowjetsoldaten!

Dank euch, ihr Sowjetsoldaten!

Foto: Bundesarchiv Wikimedia Commons


Die sozialistische Demokratie sollte die bürgerliche Demokratie übertreffen. Wo die bürgerliche Demokratie aufhört, geht die sozialistische Demokratie weiter. Sie darf also hinter die bürgerliche Demokratie nicht zurückfallen. Zu den Standards der Demokratie gehört, daß die Regierung vom Volk gewählt wird, dem Volk Rechenschaft schuldet, um das Vertrauen des Volkes bemüht sein muß und dann, wenn sie dieses Vertrauen nicht verdient, abgelöst und durch eine andere Regierung ersetzt werden kann. Das ist der normale Fall. Es fragt sich allerdings, ob dieses Volk, das deutsche, ein normaler Fall ist. Der Gedanke, daß ein Volk, das erst wenige Jahre zuvor zu zwei bis drei Dritteln hinter Hitler hergelaufen ist, mißtrauisch macht und durch nützliches Handeln wenigstens einen Teil des Schadens, den es angerichtet hat, wieder gutmachen sollte, erscheint mir nicht ganz abwegig. Vertrauen ist gut. Aber Kontrolle ist besser. Das hat Lenin zwar nie gesagt, aber es ist richtig, angesichts der Bilanz von 1945. Zu einem solchen Eingeständnis war auch die SED nicht in der Lage. Sie hatte – glaubte sie – dem Faschismus in Deutschland (Ost) die politisch-ökonomische Grundlage entzogen, und das Sein bestimmt das Bewußtsein. Ja. Aber wie schnell? Schon nach 8 Jahren?
Brechts zweiter Brief an die SED nimmt vorweg, was in dem Buch von Stefan Heym „Sechs Tage im Juni“ ausgeführt wurde: Der 17. Juni hatte einen Doppelcharakter. Die Arbeiter in Berlin (und anderswo) hatten Grund zur Unzufriedenheit. Sie demonstrierten und streikten zurecht. Aber dann mischten sich Provokateure unter die Streikenden. Geheimdienstagenten, Saboteure, Halbstarke und antikommunistische Terrorzirkel nutzten die Gunst der Stunde. Selbstverständlich war es so! Die DDR, in die man durch das Brandenburger Tor einfach so hineinspazieren konnte, war bis zum Mauerbau und danach auch noch ein Tummelplatz von Spionen und Saboteuren, die eines Auftrags der westdeutschen Regierung nicht bedurften, aber immer deren Wohlwollen genossen. Sie handelten ganz im Einklang mit der westlichen Politik im Kalten Krieg, der von der „Eindämmung“ zum „Roll back“ übergegangen war.
Gegenüber der offiziellen Lesart im Westen, wo der 17. Juni als Nationalfeiertag begangen wurde, war die Darstellung in Heyms Buch ein großer Fortschritt. Ja, der 17. Juni hatte auch eine reaktionäre, eine faschistische Dimension. Man muß allerdings bezweifeln, daß es wirklich möglich war, die „berechtigte Unzufriedenheit“ und die Provokateure säuberlich voneinander zu „isolieren“. Man muß bezweifeln, daß die antikommunistischen Hetzparolen den Demonstranten souffliert werden mußten.

Biedermänner als Brandstifter
Am 16. und 17. Juni 1953 haben Aufständische in (Ost-)Berlin und Weiterlesen

Ostermarsch 2013 (3): Hoch die Tasse(n)!

Der Antimilitaristische Buchbasar der Duisburger DFG-VK hat bei der Auftaktkundgebung des Ostermarsches am Samstag stattgefunden.
Außer Büchern (und anderen Medien) wurde wie immer auch Kaffee angeboten (und angenommen), und zwar in Tassen, aber nicht in irgendwelchen, sondern in unseren. Zum Tassen-Arsenal der DFG-VK gehören zum einen ein Sammelsurium gestifteter Tassen, zum anderen aber ein paar Dutzend besonders schöner Tassen mit dem auffälligen grünen Rand, die eigentlich erst dann eingesetzt werden, wenn alle anderen schon verbraucht sind. Aber es gibt Ostermarschierer, die Wert darauf legen: „Ich möchte gerne eine von DIESEN Tassen.“
TasseDDREs handelt sich nämlich um Exemplare der DDR-Einheits-Kantinentassen.
Ich habe mal ein Fernsehspiel (West) gesehen, in dem eine Szene in einer DDR-Kantine spielte. Da hatten die auch DIESE Tassen. Tüchtige Requisiteure!
Wie ich an mehrere Stapel dieser Tassen gekommen bin, weiß ich gar nicht mehr. Es geschah in den Wirren der „Wende“. Von der Treuhand hab ich sie jedenfalls nicht. Bei mir stapeln sie sich als gesicherte sozialistische Errungenschaft.
Vielleicht haben manche am Ostersamstag so eine Tasse mitgenommen, weil sie den ideellen Wert erkannten, und auf die Rückgabe des 1-Euro-Tassenpfands verzichtet. Es kann also sein, daß ich jetzt nicht mehr alle Tassen im Schrank habe.

Erst sowas, und dann nicht mehr sowas

Wieder ein Nachruf in der Frankfurter Rundschau. „Eine kluge, kritische Stimme – Die Journalistin Tissy Bruns ist gestorben“.
Ein kurzer Nachruf, in dem mitgeteilt wird, daß Tissy Bruns „Politische Chafkorrespondentin“ des Berliner Tagesspiegel war und von 1999 bis 2003 „an der Spitze der Bundespressekonferenz“ stand.
Etwas kurz geraten, dieser Bericht. Zwar steht da, daß sie „seit Mitte der 80er Jahre als Journalistin tätig war“. Aber wo?
Ihre journalistische Laufbahn begann bei den Roten Blättern, dem Magazin des MSB Spartakus. Sie arbeitete auch für den Freitag-Vorläufer Deutsche Volkszeitung, als diese noch auf der Linie der DKP lag. Ihre Schande wurde verschwiegen – die Schande, daß sie „sowas“ mal war, und die Schande, daß sie „sowas“ dann nicht mehr war.

*

Ein Gespräch kommt mir in Erinnerung. 80er Jahre, am Uni-Büchertisch. Es war allgemein bekannt, daß ich zur „Moskau-Fraktion“ gehörte. Ein linksstehender Student, der der „Moskau-Fraktion“ fern stand, diskutierte mit mir. Ich meinte, in der Systemauseinandersetzung müsse der sozialistische Staat ein starker Staat sein. Und es liege in der gegebenen internationalen Konstellation nicht immer in der Wahl sozialistischer Regierungen, in welchem Maße sie repressive Mittel einsetzen. Undsoweiter. Mein Gesprächspartner meinte, er könne sich meiner Auffassung nicht anschließen. Meine Argumente aber seien schlüssig und bedenkenswert, auch wenn er sich meine Schlußfolgerungen nicht zueigen machen könne.
Während des ganzen Gesprächs standen nebenan, am Infostand des MSB Spartakus, die Haare zu Berge. Die Repressalien in der DDR dürfe man doch nicht als Folge von Ursachen begründen. Man müsse sie schlichtweg leugnen. Das war deren Linie.
Sie haben es auch vor sich selbst geleugnet. Denn – ich habe es erlebt! – 1989, bei einer Versammlung der DKP, rief eine MSB-Spartakistin entrüstet aus, was ihr tags zuvor zu Ohren gekommen war: „Die haben sogar in Berlin eine Mauer gebaut!“
Die Stimme, die eine Repression tadelt, die sie zuvor geleugnet hatte, ist keine kritische, sondern eine opportunistische. Und auch etwas komisch.
DIE HABEN SOGAR IN BERLIN EINE MAUER GEBAUT! JA, WENN WIR DAS GEWUSST HÄTTEN!

Junge Welt in Gefahr

Das Weitererscheinen der Tageszeitung junge Welt scheint akut gefährdet zu sein.
Die junge Welt ist – wie auch das Neue Deutschland – ein „Überbleibsel“ der DDR. Die junge Welt (gegündet 1947) war die Zeitung der FDJ, und die in der DDR meistgelesene Zeitung.


Tageszeitungen – und Printmedien allgemein – sind derzeit durch die Marktentwicklung unter Druck. Die Krise der Printmedien nimmt dramatische Formen an, wie die Pleite der Frankfurter Rundschau zeigt. Bei allgemein sinkenden Auflagen konnte die junge Welt als einzige Tageszeitung ihre Auflage steigern. Von den acht überregionalen Tageszeitungen ist sie allerdings die kleinste.
In einem Offenen Brief gaben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Verlag und Redaktion bekannt:

[…] 1. Die Kosten steigen schneller als die Einnahmen. Zum einen, weil wir für Personal in Verlag und Redaktion deutlich mehr ausgeben als noch vor ein oder zwei Jahren. […] Aber auch andere Kostenfaktoren sind gestiegen, so erhöhten Post und manche Zustelldienste ihre Gebühren erheblich.
2. Mit juristischen Angriffen belasten staatliche Stellen, Einzelpersonen und politische Organisationen unsere Handlungsfähigkeit. Dabei geht es nicht nur um ökonomische Faktoren. Ergebnis ist auch, daß unsere bescheidenen Kräfte zu sehr für die Abwehr solcher Angriffe gebunden werden.
3. Die finanzielle Lage potentieller und schon vorhandener Abonnenten wird schwieriger. Deshalb können wir unsere Probleme nicht einfach durch eine kräftige Preisanpassung lösen. Für manche ist schon heute unsere günstigste Preisstufe, das Sozialabo, kaum oder nicht mehr zu bezahlen.
[…] Trotz Verzicht auf eine bescheidene Lohnanpassung in diesem Jahr fällt allein für den Zeitraum Januar bis September 2012 ein Verlust von über 100000 Euro an. Voraussichtlich wird dieser bis zum Jahresende auf etwa 140000 Euro anwachsen. Damit ist die Existenz der Zeitung gefährdet. […] Es gibt mindestens drei weitere Gründe, warum wir unter solchen Voraussetzungen nicht einfach weitermachen können:
1. Unsere technische Arbeitsgrundlage ist veraltet. Wir arbeiten ohne technisches Redaktionssystem, der Onlineauftritt bedarf einer Neustrukturierung. Eine Umstellung würde auch eine Erneuerung der Hardware erfordern. […]
2. Die Mitarbeitenden von Verlag und Redaktion leisten ihren Beitrag für den Erhalt der Zeitung nicht nur durch engagierte Arbeit, sie nehmen auch hin, daß sie dafür schlecht bezahlt werden. Allerdings sollte das Gehalt für ein einigermaßen sorgenfreies Wirtschaften ausreichen. Das ist zur Zeit nicht mehr der Fall – und das kann auf Dauer nicht so bleiben.
3. Klar ist, daß finanzielle Stabilität und Unabhängigkeit nur mit einer ausreichend großen Zahl von Leserinnen und Lesern garantiert werden kann, die die junge Welt abonnieren. Das setzt allerdings voraus, daß diese Zeitung und ihr journalistisches Angebot überregional bekannt sind. Auch wenn wir vieles durch Engagement, Originalität und Leserunterstützung ausgleichen, sind dafür erhebliche ökonomische Mittel für Werbung und Aktion nötig. Die stehen uns nicht ausreichend zur Verfügung.
Unsere ökonomische Schieflage können wir nicht durch Sparmaßnahmen korrigieren. Vor allem, weil wir unser journalistisches Angebot nicht reduzieren, sondern verbessern wollen. Es gibt nur eine Möglichkeit, um alle angesprochenen Anforderungen zu erfüllen, also finanzieren zu können: Wir brauchen deutlich mehr Abonnentinnen und Abonnenten.
Damit diese Zeitung weiter existieren kann, wenden wir uns heute an alle Nutzerinnen und Nutzer der jungen Welt mit der Bitte, ein Abonnement abzuschließen. Ansprechen möchten wir zunächst jene, die jW im Internet nutzen, am Kiosk kaufen oder irgendwo mitlesen – aber noch kein eigenes Abo haben. Wir bitten aber auch alle Abonnentinnen und Abonnenten, im Rahmen dieser Kampagne im Freundes- und Bekanntenkreis ein reguläres Abonnement zu werben oder zu verschenken. Auf der XVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 12. Januar 2013 in Berlin werden wir Bilanz ziehen.“

Auf der Homepage der jungen Welt wird auf die Möglichkeit und Notwendigkeit von Spenden hingewiesen, ebenso auf die Genossenschaft, die die Mehrheitsanteile am Verlag 8. Mai hält.

Der „Kiosk“ in der Buchhandlung Weltbühne. Lauter wirtschaftlich gefährdete Zeitungen.

Made in Germany (Nachtrag)

Zum Hype „Ikea und DDR“ empfehle ich als weiterführende Literatur:


Friedrich-Martin Balzer (Hg.): Justizunrecht im Kalten Krieg. Die Kriminalisierung der westdeutschen Friedensbewegung im Düsseldorfer Prozeß 1959/60. Mit einer Einleitung von Heinrich Hannover. Beiträge von Walther Ammann, Walter Diehl, Rudolf Hirsch, Friedrich Karl Kaul, Diether Posser und Denis Noel Pritt. PapyRossa Verlag 2006. 380 S. 24 Euro
„Staatsgefährdung“ lautete die Anklage gegen Vertreter des „Friedenskomitees der Bundesrepublik“, über die 1959/60 fünf Monate lang vor dem Landgericht Düsseldorf verhandelt wurde. Exemplarisch für das „Justizunrecht im Kalten Krieg“ dokumentiert das vorliegende historische Lesebuch diesen, wie Diether Posser formulierte, bis dahin „bedeutendsten politischen Strafprozeß seit Bestehen der Bundesrepublik“. Es beleuchtet das politische, juristische und gesellschaftliche Umfeld, in dem ein derartiger Prozeß überhaupt erst möglich war: Die Inkorporation der NS-Eliten in staatliche und gesellschaftliche Führungspositionen sowie die Übernahme des Antikommunismus des „Dritten Reichs“ als Staatsdoktrin in Westdeutschland. Diese richtete sich keineswegs nur gegen Kommunisten, sondern fungierte als ideologische Waffe zur Einschüchterung der gesamten Linken sowie aller gewerkschaftlichen, friedensbewegten und demokratischen Bestrebungen und beschädigte somit tiefgreifend die im Grundgesetz festgelegte Verfassungsordnung. Allein schon daraus ergeben sich die ungeschmälerte Aktualität der Plädoyers und rückblickenden Betrachtungen der Verteidiger Walther Ammann, Heinrich Hannover, Diether Posser, Friedrich Karl Kaul und N.D. Pritt. Zugleich wird damit die Notwendigkeit unterstrichen, die „vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges“, so Heinrich Hannover, endlich zu rehabilitieren. Mit der umfangreichen Dokumentation der DDR-Sicht auf diesen Prozeß gibt das Buch darüber hinaus einen Anstoß für eine vergleichende Geschichtsschreibung beider deutscher Staaten.

Marx-Engels und die politische Justiz in der BRD. Dokumentation einer Tagung. Herausgegeben von der Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges und der Marx-Engels-Stiftung. 128 S. 10,25 Euro
Referate der Tagung am 17. März 2001 in Berlin. Beiträge von Ewald Stiefvater, Dr. Robert Steigerwald, Karl Stiffel, Gerd Deumlich, Prof. Dr. Siegfried Mechler, Prof. Dr. Erich Buchholz, Prof. Dr. Wolfgang Richter, Wolfgang Gehrke, Sepp Mayer, Dr. Rolf Gössner, Dr. Heinrich Hannover.

Heinrich Hannover: Reden vor Gericht. Plädoyers in Text und Ton. PapyRossa Verlag 2010. 276 S. mit Abb. Hardcover mit einer Audio-CD. 22 Euro
Heinrich Hannover, geboren 1925, Rechtsanwalt, tätig vorwiegend als Strafverteidiger und als Vertreter von Kriegsdienstverweigerern. Zahlreiche Sachbücher zu zeitgeschichtlichen, juristischen und politischen Themen sowie Kinderbücher. Radio Bremen stellte ihn so vor: „Im Bremen der 50er Jahre als Kommunistenanwalt verschrien, wurde er in den 60ern bundesweit bekannt durch die Verteidigung von Ulrike Meinhof, Günter Wallraff und Peter Paul Zahl, Rosalinde von Ossietzky und in jüngster Zeit Hans Modrow – die Liste von Hannovers Klienten ist lang.“ Heinrich Hannover hat als Strafverteidiger Geschichte geschrieben. Hier sind Plädoyers aus dem Bereich des politischen Strafrechts wie dem der „nichtpolitischen“ Kriminalität zusammengestellt und zeitgeschichtlich eingeordnet. Etliche Verfahren haben aufgrund der Prominenz der Beteiligten große Beachtung gefunden. So die gegen Lorenz Knorr wegen „Beleidigung“ von Hitler-Generälen als Massenmörder (1964), gegen Daniel Cohn-Bendit wegen Landfriedensbruch (1968), gegen Karl Heinz Roth (1977) und Astrid Proll (1979/80), die trotz falscher Zeugenaussagen von Polizeibeamten von der Anklage des Mordes und Mordversuches freigesprochen wurden, und gegen Hans Modrow wegen Wahlfälschung (1993). Internationales Aufsehen erregte insbesondere der Prozess gegen einen SS-Funktionär wegen Beteiligung an der Ermordung von Ernst Thälmann im KZ Buchenwald. Hier vertrat Hannover die Nebenklage (1982-1987). Die CD mit Tonaufnahmen aus dem Gerichtssaal ist eine einmalige Dokumentation bundesdeutscher Justizpraxis und macht den jeweiligen Zeitgeist unmittelbar spürbar. Auf einer Audio-CD Originaltöne u. a. aus Prozessen gegen Daniel Cohn-Bendit und Karl Heinz Roth sowie aus dem Verfahren wegen der Ermordung von Ernst Thälmann im KZ Buchenwald.

Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht 1954-1995. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts. Aufbau Taschenbuch. 960 S. 16,90 Euro
„Die Liste von Heinrich Hannovers Mandanten spiegelt ein Stück bundesdeutscher Geschichte wieder. Die Verfahren gegen Günter Wallraff, Ulrike Meinhof, Peter-Paul Zahl, Karl Heinz Roth, Astrid Proll oder Daniel Cohn-Bendit standen symbolhaft für den Zustand unserer Bundesrepublik, an deren Rändern zudem eine Fülle jener Namenloser zu Kriminellen erklärt wurde, die in traditionellen Demokratien das Salz der Gesellschaft bilden: Kommunisten, Anarchisten, Kriegs- und Atomwaffengegner, radikale Kritiker und Unruhestifter.“ (Klappentext). Das ursprünglich zweibändige Werk in einem Band.

Die genannten Titel sind teilweise bei den Verlagen schon vergriffen, aber in der Buchhandlung Weltbühne noch erhältlich.

Made in Germany

„DDR-Häftlinge stellten Ikea-Möbel her“ stand in der Zeitung. Die schwedische Firma hatte Aufträge an die DDR vergeben, Möbelteile herzustellen. Dafür wurden Gefängnisinsassen eingesetzt („politische Häftlinge und Strafgefange-ne“). Eine „von Ikea selbst in Auftrag gegebene Untersuchung“ habe Hinweise darauf ergeben. Zudem habe die Studie ergeben, daß „Vertreter im Ikea-Konzern von der Möglichkeit des Einsatzes politischer Gefangener in der DDR wußten“. (WAZ, 17.11.2012).
Diese „Enthüllung“ ist nicht neu. Von dieser Ungeheuerlichkeit hat man schon vor Jahren gelesen. Aber in regelmäßigen Abständen müssen die ollen Kamellen wieder serviert werden.
In diesem Zusammenhang sollte vielleicht mal erwähnt werden, daß zur selben Zeit auch in der Bundesrepublik Strafgefangene für Arbeiten eingesetzt wurden, auch für solche, die von Unternehmen in Auftrag gegeben worden waren, und daß auch in der Bundesrepublik Menschen aus politischen Gründen verurteilt und eingesperrt wurden, etwa, weil sie mit der Remilitarisierung nicht einverstanden waren. Der Heinz Mühlhaus hat mir erzählt, daß er im Gefängnis Fußbälle zusammengenäht hat. Eine Untersuchung des Deutschen Fußballbundes liegt dazu nicht vor.

Kein Kommentar

Gleich drei Kommentare trafen ein, innerhalb kurzer Zeit, alle bezogen auf ein Notat. Alle drei waren von einem Verfasser. Der erste, das war der eigentliche Kommentar, den er loswerden wollte. Ein paar Minuten später kommentierte er so:
„Warum wurde mein Kommentar von heute Vormittag herausgenommen?“
Und wieder etwas später:
„Jetzt plötzlich ist mein erster Kommentar drin. Ziemlich merkwürdig finde ich das.“
Merkwürdig in der Tat. Wer weiß, was er da gesehen und für seinen „ersten Kommentar“ gehalten hat. Er wurde auch nicht „herausgenommen“, sondern gar nicht erst hineingenommen. Er konnte nie und wird nie in diesem Weblog erblickt werden.
Der Kommentator hat erwartet, daß ein Kommentar, sobald er abgeschickt ist, sofort hier erscheint. Es funktioniert aber anders. Kommentare erscheinen erst, wenn ich sie freigeschaltet habe, und da ich nicht meine ganze Zeit mit Gestaltung und Moderation meiner Seite verbringe, kann das dauern. Oder, wie in diesem Fall, erscheint er bei mir gar nicht.
Gleich in meinem allerersten Notat vom 1. Juni habe ich mitgeteilt: „Kommentare sind willkommen, sofern sie der Information und Weiterentwicklung dienen. Sie werden nach Prüfung freigeschaltet. Trolle sollen nicht gefüttert werden.“ Widerspruch und Gegenrede sind damit nicht ausgeschlossen. Aber ich will bei meiner Nutzung des weltweiten Gewebes nicht in Kauf nehmen müssen, daß damit – etwa – Fanatiker gegensätzlicher Positionen ausgerechnet hier sich gegenseitig hochschaukeln und an eine Mitteilung einen Rattenschwanz dranhängen, oder – wie in diesem Fall – , daß der rüpelhafte Ton, der im Netz nun einmal sich ausbreitet, auch in meinem Hause erschallt. Was jetzt erschallt, ist meine Stimme, und zwar laut: HIER HERRSCHT EIN FREUNDLICHER TON! In der Frage, ob ich ein Idiot beziehungsweise geistig verwirrt bin, ist meine eigene Aussage von hinreichendem Gewicht.
„In der DDR hatte ich 40 Jahre keine Meinungsfreiheit und nun erlebe ich im Jahr 2012 im meinungsfreiheitlichen Deutschland so etwas“, beschwert sich der Mann, und er fragt: „Soll ich damit mal an die Presse gehen?
Von dem Preis, zu dem die Freiheit der Meinung zu erwerben ist, wird hier sicherlich noch oft die Rede sein. Nur so am Rande sei bemerkt, daß die Freiheit der Meinung verknüpft ist mit dem Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu informieren. Allgemein zugänglich wurde hier darüber informiert, nach welcher Regel hier Kommentare erscheinen oder nicht. Der sich im Jahr 2012 mit dem Bonus eines „Opfers eines totalitären Systems“ ausstaffiert hat, übersieht, daß das Nichtfreischalten eines Kommentars nur der zweitschlimmste Tort ist, den ich ihm antun kann. Er ist einer weitaus größeren Gefahr ausgesetzt, nämlich, von mir zitiert zu werden.
„So etwas“ muß er im Jahre 2012 erleben: zu erfahren, daß nicht einfach mal so von der Freiheit, seine der Meinung zu äußern, der Anspruch hergeleitet werden kann, daß ich ihm dazu mein Medium zur Verfügung stelle.
Ob er damit mal an die Presse gehen soll? Ich rate ihm: Nur zu! Am besten, Sie wenden sich damit an die Tagesschau.